Protokoll der Sitzung vom 14.03.2018

Worum geht es eigentlich? Bevor ich auf diese Frage zu sprechen komme, möchte ich für die CDU-Fraktion zum Ausdruck zu bringen, dass auch wir es sehr bedauern, dass ein weiteres Traditionsunternehmen den Standort Bremen verlässt. Obwohl es sich zunächst einmal, in Anführungsstrichen, nicht allzu viel anhört, sind 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch eine ganze Menge. Diese Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft, weil es gerade in diesem Bereich nicht einfach so weitergeht. Der Angestellte im kaufmännischen oder im technischen Bereich kann nicht ohne Weiteres zum nächsten Unternehmen wechseln. Im produzierenden Gewerbe ist das nicht so einfach. Es kommt hinzu, dass es ein sehr wohnortnaher Standort ist. Deswegen glaube ich, dass wir uns sehr wohl mit den Ursachen der Entscheidung des Mutterkonzerns von Hachez zum Weggang auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, ob wir daraus Konsequenzen für die Zukunft ableiten können.

Herr Reinken, Sie haben die Frage gestellt, was die 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einer solchen Debatte haben. Direkt haben sie natürlich nichts davon. Aber wenn aus einer solchen Debatte folgt, dass für die Zukunft die richtigen Lehren gezogen werden, dann kann das schon Einfluss auf künftige Standortentscheidungen des einen oder anderen Unternehmens haben. Denn solche Entscheidungen treffen Unternehmen immer wieder, das liegt in der Natur der Sache. Wenn ein Konzern global aufgestellt ist und einen hohen Grad an Arbeitsteilung erreicht hat, schickt er solche Standortentscheidungen alle zwei oder drei Jahre, vielleicht sogar jedes Jahr, durch sein Haus. Angesichts dessen geht es natürlich darum, dass wir Bremen als Standort anbieten können, der im Wettbewerb unter den Standorten eines Konzerns, aber auch im Wettbewerb generell hoch attraktiv ist.

Die Entscheidungskriterien bei Coca-Cola waren sicherlich andere als bei Hachez. Coca-Cola ging nicht ins Ausland, sondern wechselte nur über die Landesgrenze. Dabei spielten die Steuerfrage und die Gewerbeflächenfrage sicherlich eine Rolle. InBev leidet natürlich unter dem zurückgegangenen Bier-Konsum. Zwar könnte man dem Senat eine Verantwortung insoweit zuschieben, als er künftig weniger Wein und mehr Bier trinken sollte. Ob dies allerdings maßgeblich dazu beitragen würde, den Bierabsatz in Deutschland anzuheben, glaube ich eher nicht.

(Heiterkeit CDU)

Kellogg hat den Standort nicht in ein Billiglohnland verlagert, Großbritannien steht jedenfalls nicht im Verdacht, ein solches zu sein. Bei Könecke spielte die Nachfolgefrage eine Rolle. Das alles sind sehr unterschiedliche Faktoren. Nur grundsätzliche Fragestellungen sind grundsätzlich zu beantworten.

Aus der Sicht der CDU-Fraktion bedarf es einer aktiven Wirtschaftspolitik. Insoweit schließen wir uns der Kritik von Herrn Bücking an, der mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass aktiveres Handeln in diesem Fall vielleicht geholfen hätte.

(Beifall CDU)

Das Fehlen aktiven Handelns seitens des Wirtschaftssenators ist natürlich nicht der einzige Grund für die Entscheidung des Mutterkonzerns. És geht auch um die Standortbedingungen insgesamt. Lassen Sie mich einige Punkte hervorheben!

Der erste Punkt betrifft die Gewerbeflächen. Von diesen haben wir in Bremen schlichtweg zu wenig. Insoweit sind wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg weitestgehend einig. Wir haben schon im vergangenen Jahr intensiv darüber diskutiert. In der jüngsten Sitzung der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen haben wir den Bericht zur Entwicklung der Gewerbeflächen zur Kenntnis genommen. Dabei wurde uns mitgeteilt – es war das erste Mal, dass diese qualifizierte Zahl das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat –, dass in Bremen nur noch 33 Hektar frei disponierbare, vermarktbare Gewerbeflächen zur Verfügung stehen. Das ist eine beängstigend niedrige Zahl. Wir können nicht erkennen, dass der Senat als Konsequenz aus der Debatte von Anfang des vergangenen Jahres mittlerweile aktiv handelt und gegensteuert. Die diesbezüglichen Verweise in diesem Bericht reichen leider nicht aus.

In den Augen der CDU-Fraktion ist es von hoher Bedeutung, den Anteil der verfügbaren Gewerbeflächen in Bremen, natürlich auch in Bremerhaven, qualitativ anzuheben, um den unterschiedlichen Bedarfen gerecht zu werden. Sowohl kleinen und mittelständischen als auch großen Unternehmen, die großflächigere Ansiedlungen vornehmen wollen, muss ein entsprechendes Angebot gemacht werden können. Das ist eine große Baustelle des Bremer Senats!

(Beifall CDU)

Der zweite Punkt, der in unseren Augen eine entscheidende Rolle spielt, betrifft das Image unserer Stadt. Dazu hatten wir vor wenigen Wochen in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion. Das Image wird von verschiedenen Faktoren gebildet. Für das eine oder andere Unternehmen mag es nicht ausschlaggebend sein, wie hoch der Gewerbesteuerhebesatz ist. Für die Erhöhung hatte der Senat ohnehin keine fachliche, sondern eine rein monetäre Begründung. Aber die Art und Weise, wie die Erhöhung vom Senat durchgepeitscht worden ist – es gab nicht den Versuch, zu überzeugen –, fiel natürlich negativ auf und verstärkte den Eindruck, dass hier nicht unternehmensfreundlich gedacht wird.

Das Thema Bildung ist ein weiterer entscheidender Punkt. Wenn wir in den PISA-Ergebnissen seit zehn Jahren konsequent hinten rangieren und sich die Bildungssenatorin so dermaßen schwertut, richtungsweisende Entscheidungen zu treffen, dann hat das Einfluss auf das Image.

Wenn über Jahre hinweg die Wirtschaftsförderung als Steinbruch der Finanzsenatorin angesehen wird, dann hat auch das Auswirkungen auf das Image einer Stadt bei Unternehmen und Unternehmern.

Damit sind wir genau bei dem Problem. Das Image Bremens könnte erheblich besser sein, wenn es eine wirtschaftsfreundlichere Politik von Rot-Grün gäbe.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Das Thema Fördermittel ist weniger entscheidend. Wir müssen nämlich aufpassen, wie es mit den Fördermöglichkeiten aussieht. Bevor man hier solche Reden hält, wie wir sie zum Teil gehört haben, sollte man sich vielleicht ein wenig mit dem EURecht auseinandersetzen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, wenn wir in einen Subventionswettbe

werb mit Standorten in Osteuropa einsteigen, haben wir schon verloren. Diese Messe brauchen wir überhaupt nicht anzustimmen. Es geht um qualifizierte Förderung!

Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, der eine entscheidende Rolle spielt, der Clusterstrategie. Ich will an dieser Stelle den Begriff „rot-grüner Wohlfühlsessel“ nicht benutzen, weil wir uns damit an der Grenze zur Polemik bewegen, die uns nicht viel weiterhilft. Wir als CDU-Fraktion haben aber mehrmals betont, dass wir es als Fehler erachten, dass der rot-grüne Senat sich bei der Clusterstrategie zurücklehnt und feststellt, wir seien schon gut aufgestellt, alles laufe gut. Diese Analyse von vor zehn Jahren hat sich seitdem anscheinend nicht geändert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es läuft an dieser Stelle eben nicht von allein! Der Senat muss auch die Clusterstrategie regelmäßig daraufhin überprüfen, ob er mit dieser Strategie noch auf dem richtigen Weg ist. Die Überprüfungsabstände werden kürzer, weil die Veränderungsgeschwindigkeit in den Unternehmen, in den Wirtschaftsstrukturen und in der gesamten Gesellschaft immer höher wird.

Es reicht nicht mehr aus, die Cluster Offshore, Luft- und Raumfahrt und Logistik zu haben. Die Clusterstrategie muss erweitert werden. Dabei muss man sich die Frage stellen, ob Nahrungs- und Genussmittel das Thema eines weiteren Clusters sein kann. Lübeck macht es übrigens vor, das Beispiel ist genannt worden. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Nahrungs- und Genussmittelbranche in Lübeck und Umgebung wächst. Offensichtlich funktioniert es an anderen Standorten besser.

(Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: Haben wir ja ge- sagt! Für Hamburg gilt das übrigens auch!)

Wir haben in den vergangenen zwei, drei Jahren immer wieder Gespräche mit der Gemeinschaft der Nahrungs- und Genussmittelbranche Bremens, vertreten durch den NaGeB, geführt. Wir hatten den Eindruck – das sage ich, ohne die Vertraulichkeit der Gespräche zu brechen –, dass die Nahrungs- und Genussmittelbranche sich diesbezüglich nicht besonders gut aufgehoben und nicht besonders gut betreut fühlt. Vielleicht war Ihr Eindruck ein anderer. Die Möglichkeit, dass wir selektiv zugehört haben, will ich eingestehen. Aber wenn sich so etwas mehrmals wiederholt, dann kann es nicht an einer einmaligen falschen Wahrnehmung liegen.

An den Entscheidungen – die Beispiele sind genannt worden – zeigt sich, dass die Nahrungs- und Genussmittelbranche offensichtlich kein großes Vertrauen in den Senat hat. Diese Einschätzung gilt, auch wenn es unterschiedliche Gründe für die jeweiligen Entscheidungen gibt.

Wir fordern den Senat auf, endlich seine Hausaufgaben in Bezug auf die Clusterstrategie zu machen. Der Senat muss in die Zukunft zu schauen. Das Thema Offshore hat angesichts der Rahmenbedingungen, die sich in den letzten Jahren, aus welchen Gründen auch immer, verändert haben, was wir zur Kenntnis nehmen müssen, nicht mehr den Stellenwert, den wir uns vielleicht wünschen. Der Senat hat die Clusterstrategie auf den Prüfstand zu stellen und neue Felder zu identifizieren. Das können auch drei oder vier neue Felder sein, weil sich am Ende vielleicht nur ein oder zwei durchsetzen. Der Senat muss seine Arbeit fokussieren und alles unternehmen, um diese Clusterthemen voranzubringen. Das ist zukunftsorientiertes Handeln. Das bringt die Menschen in Arbeit und bietet ihnen in der Region ein Auskommen. Das muss das wesentliche Motiv unseres Handelns und der wesentliche Impuls für unsere Politik sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Lassen Sie es mich bei diesen drei wesentlichen Punkten belassen. Es ist auch in der Politik wichtig, nicht immer nur einen bunten Strauß an Themen vor sich herzutragen, sondern sich auch die Mühe zu machen, zu priorisieren. Nur wenn es Ihnen gelingt, zu priorisieren, werden Sie am Ende auch und gerade vor dem Hintergrund knapper Mittel die entscheidenden Schwerpunkte setzen können und damit entsprechende Effekte erzielen.

Natürlich ist die Automobilbranche wichtig. Aber die Headquarters sitzen woanders. Das ist leider so. Am Sitz der Headquarters werden auch überdurchschnittlich häufig F-und-E-Aktivitäten in Gang gesetzt. Obwohl Bremen offensichtlich ein guter Standort für Daimler ist – das freut uns natürlich sehr –, wird es hier keine Forschungsaktivitäten geben.

Wir müssen uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, auch wenn sie vielleicht am Anfang nicht ganz so spektakulär sind. Dann wird es uns gelingen, die Herausforderungen zu bewältigen. Wir brauchen eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, aber natürlich auch eine entsprechende Standort- und Infrastrukturpolitik. Hinsichtlich der

Erreichbarkeit unseres Standortes gibt es große Defizite; Beispiele sind schon genannt worden. Wenn die Wirtschaftspolitik zukunftsorientiert ist, gewinnen die Unternehmen den Eindruck, dass es sich lohnt, nach Bremen und Bremerhaven zu kommen beziehungsweise hier nicht nur zu bleiben, sondern den Standort auch zu erweitern. Wir, die CDUFraktion, sind davon überzeugt, dass Bremen ein toller Standort ist. Er wird leider falsch regiert. – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Vogt. Liebe Frau Kollegin, Sie haben noch genau fünf Minuten Redezeit.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kastendiek, es ist das erste Mal, dass ich sagen muss, Sie haben hier sehr differenziert argumentiert. Es ist durchaus interessant, wie und durch wen in dieser Legislaturperiode die Debatten geführt werden.

Lieber Kollege Reinken, wenn man Ihnen zuhört, dann bekommt man den Eindruck, Sie würden immer kalt erwischt. Egal, worum es geht, Sie werden immer kalt erwischt. So steigen Sie in die Debatten ein. Wenn Sie dem Kollegen Bücking und Herrn Kastendiek zugehört hätten, dann wüssten Sie sehr wohl, dass ich in Bezug auf die Wirtschaftsförderung etwas anderes gesagt habe als das, was Sie in Ihrer Sonntagsrede darzustellen versucht haben. Ich habe bewusst gesagt, dass wir, wenn wir in der Nahrungs- und Genussmittelbranche ein solches Problem haben, prüfen müssen, ob nicht auch die Wirtschaftsförderung darauf reagieren muss. Die Clusterfrage habe ich in meinem ersten Redebeitrag erwähnt.

Auch in der Handelskammer habe ich gesagt, dass Bremen und Bremerhaven zwei Hafenstädte sind und dass wir insofern eine gewisse Tradition haben. Man muss sich schon die Frage stellen, warum es in Hamburg gelingt, neue Betriebe und Unternehmen im Bereich der Nahrungs- und Genussmittelindustrie zu fördern und damit auch Arbeitsplätze zu generieren, in Bremen aber nicht.

(Abgeordneter Kottisch [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Sehr geehrte – –.

Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, sondern ich möchte auf das eingehen, was Herr Reinken gesagt hat. Herr Kottisch, wir können nachher reden.

Um Herrn Bücking zu antworten: Sie haben Ihre Statistiken bemüht. Ich habe in der Tat die Daten des Statistischen Landesamtes genutzt. Sie sagen ja selbst, dass es Ihre Daten im Grunde noch nicht gibt. Woher sollte ich sie dann kennen? An den Daten wird deutlich, dass im verarbeitenden beziehungsweise produzierenden Gewerbe die Zahl der Beschäftigten leider sinkt.

Herr Reinken, um auf Sie einzugehen: Die Zahl der Jobs steigt zwar an, aber nicht die Zahl der Arbeitsstunden. Das ist doch das Problem. Denn diese Entwicklung bedeutet einfach nur, dass das Brot etwas dünner geschnitten wird. Auch deshalb müssen wir hier debattieren.

(Beifall DIE LINKE)

Zwei Sätze noch zu dem Antrag der FDP-Fraktion. Wir hatten zunächst überlegt, ob wir dazu getrennte Abstimmung beantragen sollten.

(Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]: Stimmen Sie unserem Antrag doch einfach zu!)

Allerdings ist uns dann zu Ihrem vorgeschlagenen Beschlusspunkt 1 aufgefallen, dass wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Strategieproblem haben. Daher brauchen wir keine getrennte Abstimmung zu beantragen.

Zu Ihrem Beschlusspunkt 2 muss ich sagen, diesen Themenmix, von der Bildung über die Infrastruktur bis hin zur Gewerbesteuer, kann man bringen. Ich glaube aber nicht, dass Bremen und Bremerhaven an Standortattraktivität gewinnen, wenn wir einen ausschließlichen Unterbietungswettbewerb starten. Das funktioniert nicht!

(Beifall DIE LINKE)

Das weiß übrigens jeder, der „Sin City“ gespielt hat. Wir müssen einfach besser werden. Darum geht es.

Deswegen betone ich, dass wir auch die Rolle der Wirtschaftsförderung aufrufen müssen. Es kann nicht darum gehen, einfach nur billiger als unsere Nachbarn zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zu Anfang gesagt, dass es in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie ein Muster gibt – auch bei Hachez ist es so gelaufen –: erst Internationalisierung, dann Stellenabbau, am Ende die Schließung. Vor vier Wochen wurde die Deutsche See in Bremerhaven verkauft.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Die Deutsche See bleibt in Bremerhaven!)

Die Deutsche See ist im Bereich Fischverarbeitung einschließlich Gastronomie tätig. Sie hat 1 700 Beschäftigte, die meisten davon in Bremerhaven. Käufer ist der äußerst umstrittene Konzern Parlevliet aus den Niederlanden, der vor Ort nicht für gute Arbeitsbedingungen bekannt ist.