Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Mir würde es schon reichen, wenn Sie auf dem Bo- den des Grundgesetzes stehen würden. Wie Sie mit Gesetzen umgehen, unglaublich!)

Die werden nämlich, wenn die einmal integriert sind und deutsche Staatsbürger werden, werden die nur eine einzige Partei wählen oder vielleicht zwei, die für den Rechtsstaat eintreten und das gleiche Recht für alle hier in diesem Land durchsetzen. – Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die künstliche Demarkationslinie in der Debatte erlaubt es mir jetzt doch noch ein zweites Mal zu sprechen. Es ist ein neuer Tagesordnungspunkt, aber wir wissen, es geht um das Gleiche.

Ich sehe Frau Leonidakis gar nicht, eigentlich wollte ich mich bei ihr entschuldigen für meine lauten Zwischenrufe. Es ist eine emotionale Debatte, aber ich habe mich da im Ton vergriffen, das tut mir leid! Die Frage, die ich ihr eigentlich stellen wollte, war, und das fand ich einen sehr wesentlichen Punkt, der die ganze Debatte eigentlich auf den Punkt bringt, als sie sagte: Legale Einwanderung gibt es sowieso nicht. Also, das, finde ich, bringt es deshalb auf den Punkt, weil sie damit zum Ausdruck gebracht hat, dass es für sie in Ordnung ist, dass es aus humanistischen Gründen, die wir alle für richtig halten mögen, in Ordnung ist, geltendes Gesetz nicht anzuwenden. Das ist aber nicht rechtsstaatlich. Das ist nicht das richtige Verfahren. Ich habe wiederholt gesagt: Wenn wir der Meinung sind, unsere geltenden Gesetze sind nicht in Ordnung, wir müssen mehr Raum für humanitäre Einwanderung schaffen, dann können wir das tun indem sich der Bundestag und der Bundesrat, diese Gremien, gemeinsam auf ein Einwanderungsrecht einigen, das auch Raum für humanitäre Einwanderung gibt.

Im Moment ist es aber so, dass die Rechtslage ganz eindeutig sagt, und da zitiere ich noch einmal Frau Leonidakis: Es gibt keine legale Einwanderung, es sei denn, die Leute kommen direkt hierher. Das bedeutet für mich, dass wenn wir das in Ordnung finden, dass wir sagen, aus humanitären Gründen sehen wir über unsere Gesetze hinweg, dann müssen wir uns nicht wundern, dass Frau Bremermann mit dem Brustton der Überzeugung sagt, sie hat nichts Falsches getan, sie wollte doch nur Menschen helfen. Oder wenn Angela Merkel hingeht und sagt, sie macht die Grenzen auf.

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Die waren schon auf!)

Das wird nicht im Parlament behandelt. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sich irgendjemand, der mehr Mittel hat als ich, ein Herz fasst und die Bundesregierung verklagt, weil ein Untersuchungsausschuss dafür gar nicht ausreichend ist, für das, was da an Rechtsbrüchen und an Rechtsbeugung geschehen ist. Als Politiker müssen wir, glaube ich, bei aller Emotionalität die in diesem Thema liegt – und ich glaube, dass wir in den humanitären Überlegungen gar nicht so weit auseinander sind, wir alle sehen natürlich humanitäre Gründe zu helfen und wir haben vielleicht unterschiedliche Vorstellungen wie humanitäre Hilfe aussieht, wir bringen uns aber wieder auf die Palme, weil wir uns diese Verfahren überlegen und da stellen wir uns in die Ecke. Da kommt Frau Stahmann und sagt, das ist eine Beleidigung, wenn jemand als linkradikal bezeichnet wird und im gleichen Moment redet sie von Rechtspopulisten. Davon müssen wir weg. Wir müssen davon weg!

Im Moment sind wir in einer Situation, dass wir dieses ganze Thema Einwanderung inklusive unbegleiteter Minderjähriger in einem rechtsfreien Raum nach Gutdünken, nach humanitären Gefühlen machen, aber nicht nach unserem Gesetz. Unser Gesetz sagt, diese jungen Leute da auf dem Marktplatz haben hier nichts zu suchen und das setzen wir nicht durch. Das halte ich für ein Problem. – Vielen Dank!

(Beifall BIW, AfD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich habe ich mir vorgenommen, mich über die Wortbeiträge von Herrn Tassis nicht zu ärgern. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, heute ist mein Maß an Geduld und Zurückhaltung mehr als erfüllt,

(Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Nicht nur Ihres!)

denn auch wenn Sie das ein bisschen verklausuliert vortragen, ich finde, dass das was Sie hier gesagt haben, noch weiter rechts ist, als das was wir als Rechtspopulismus verstehen.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Weil es eben auch Grundprinzipien unserer Demokratie und unserer freiheitlich demokratischen

Rechtsordnung grundsätzlich infrage stellt, Herr Tassis. Wir sind ja immer noch auf der Suche danach, ob die Verfassungsfeindlichkeit der AfD nur in einzelnen Personen oder in der Institution zu suchen ist. Bei Ihnen bin ich mir aber sicher, bei Ihnen habe ich schon eine große Distanz zu unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat entdeckt und ich halte Ihre Thesen ehrlicherweise für demokratiefeindlich, die Sie hier vortragen.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Fernab der alltäglichen Streitereien, ob die Altersfeststellung in Bremen ordnungsgemäß und nach unseren Vorstellungen erfolgt oder nicht und ob wir früher oder später und mit welchem Inhalt auch immer ein Einwanderungsgesetz in Deutschland gebraucht hätten und ob wir im Zuge der großen Flüchtlingsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 alles oder vielleicht nur einiges nicht gut gemacht haben, Ihre Wortwahl, Herr Tassis, Ihre Wortwahl ist verräterisch. Ich will es Ihnen an drei Beispielen deutlich machen. Ich habe nicht mitgeschrieben, aber sinngemäß habe ich mir das gemerkt, was Sie gesagt haben:

Sie haben davon gesprochen, dass diese Menschen die Überforderung unseres Rechtsstaates ausgenutzt hätten. Dem will ich energisch widersprechen. Ja, in diesen großen Flüchtlingsbewegungen ist nicht alles in Deutschland und Bremen und Bremerhaven so gelaufen, wie wir uns das mit unseren Vorstellungen an einen Verwaltungsvorgang seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vorstellen. Ja, es sind auch Fehler gemacht worden. Ja, es sind sogar systemische Fehler gemacht worden. Aber ehrlicherweise, ich kenne keinen anderen Staat in Europa, der mit einer solchen Flüchtlingsbewegung insgesamt in so humaner und gleichzeitiger konsequenter rechtsstaatlicher Art und Weise vorgegangen ist wie Deutschland.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Wir sind unserer Verpflichtung gegenüber den Krisen in der Welt und den Menschen, die davor Schutz suchen, vielleicht nicht immer nach unseren Maßstäben zu 100 Prozent rechtsstaatlich gerecht geworden. Aber wenn man einen Strich darunter zieht, muss ich sagen, ich kann mir kein anderes Land vorstellen, welches es in dieser Situation so gut gemacht hätte, wie Deutschland. Energisch weise ich zurück, dass Menschen einen solchen Zu

stand ausnutzen. Diese Menschen kommen hierher, weil sie in der Regel Angst um Leib und Leben haben. Es kann sein, dass ein Teil oder ein Großteil von denen nach unseren Asylvorschriften nicht anerkannt wird. Aber zu behaupten und über einen Kamm zu scheren, dass alle diese Menschen nur hierher kämen, um unseren Rechtsstaat auszubeuten, das erinnert mich an eine Zeit in Deutschland über die ich in der Schule eine Menge gelernt habe, sehr geehrter Herr Tassis.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Die zweite Bemerkung, die Sie außerhalb unseres Rechtsstaats stellt – das hat natürlich etwas mit meiner Profession zu tun, aber in der Eigenschaft rede ich hier nicht – mit der Wortwahl, dass sich Anwälte an diesem Asyl mästen würden, Herr Tassis, finde ich, begibt sich außerhalb aller Regeln demokratischer Debatte. Solche Worte haben in einem deutschen Parlament nichts zu suchen.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Sie suggerieren ein Verständnis von Menschen, das ehrlicherweise auch mit meinem Menschenbild nicht vereinbar ist und das ich deswegen an dieser Stelle, unabhängig von welchem Beruf Sie da gesprochen haben, energisch zurückweisen möchte.

(Glocke)

Das dritte Beispiel, Herr Tassis, was Sie vorgebracht haben, ist die Frage oder Zuspitzung von Ihnen, dass Sie behaupten, dass wir in Deutschland einen nicht funktionierenden Rechtsstaat hätten und dass deswegen hier Beliebigkeit in Deutschland herrsche. Ich will sagen, dass ich in den vergangenen Wochen und Monaten in der Debatte um die Frage, was in Deutschland in den Jahren 2014, 2015 und 2016 passiert ist und was wir daraus lernen können, auch hin und wieder einmal nachdenklich und kritisch gewesen bin. Aber ich bleibe im Ergebnis dabei, das, was wir bei aller politischen Kontroverse gemeinsam in Deutschland erreicht haben, ist nicht ein Staatsversagen gewesen, sondern es ist der Beleg dafür gewesen, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die notwendigen Konsequenzen nicht nur demokratietheoretisch, rechtsstaatlich sondern auch von der Substanz unseres Zusammenhalts gelernt hat, sondern ich finde, Deutschland ist in dieser Phase ein Vorbild gewesen. Ich hätte mir gewünscht, dass viele andere Länder sich so verhalten hätten wie wir in

Deutschland. Deswegen finde ich das, was Sie vorgetragen haben, nicht nur sehr erinnernd an das, was an Ideologie in der Zeit des Nationalsozialismus verbreitet worden ist, sondern ich finde es ehrlicherweise auch unanständig, so über die Menschen, über die Demokratie und unseren Staat in einem deutschen Parlament zu debattieren. – Vielen Dank!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Zur Kurzintervention gebe ich jetzt das Wort an den Abgeordneten Herrn Tassis.

Da wir einen hervorragenden Protokolldienst haben, ist es ja ganz einfach einen Gesamttenor der Rede festzustellen. Ich stelle nochmals fest, dass das Problem nicht bei den Flüchtlingen liegt, sondern in der Tat bei einem für mich und gerade als Demokrat –

(Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: So etwas sollten Sie nicht in den Mund nehmen! – Zuruf Abgeord- neter Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen])

und in der deutschen Freiheitsgeschichte sehr bewanderter Historiker, dieses Verhalten von Frau Merkel und ihrer Regierung für verantwortungslos erachte und allen, die das unterstützen und ich wiederhole das, was ich vor drei Jahren gesagt habe und da sind ja die alten Vorwürfe von Herrn Röwekamp in genau der gleichen langweiligen Form gekommen: Die Politik von Herrn Orban und anderen Politikern, die nenne ich europäisch. – Vielen Dank!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag des Abgeordneten Tassis mit der Drucksachen-Nummer 19/1549 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abgeordneter Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

[SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [parteilos])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Menschenrechtswidrige Brechmittelvergabe: Verantwortung und Konsequenzen Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. Dezember 2017 (Drucksache 19/1458)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 20. März 2018 (Drucksache 19/1592)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Gemäß § 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antworten noch einmal mündlich vorzutragen. Herr Ehmke, möchten Sie das? Das ist nicht der Fall. Dann treten wir jetzt in die Aussprache ein.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es schließt ganz gut an die gerade gehörte Debatte an, jetzt dieses Thema aufzurufen, denn die Frage: Rechtsstaat – haben wir einen, haben wir keinen und wie stehen wir zu ihm? Es hat mir sehr gut gefallen, was der Kollege Röwekamp dazu gerade ausgeführt hat, weil wir uns als Partei auch unbedingt als Partei des Grundgesetzes und des Rechtsstaats sehen und das als Handlungsanleitung in sehr, sehr vielen Zweifelsfragen verwenden.