Protokoll der Sitzung vom 31.05.2018

Nicht nur in Bremen, sondern auch im Rahmen des Zuzugs von EU-Bürgern wurde auch in Bremerhaven eine Beratungsstelle eingerichtet, welche durch die Arbeiterwohlfahrt betrieben und organisiert wird.

Trotzdem gibt es auch noch weitere Möglichkeiten der Verbesserung. Natürlich müssen die angegangenen Punkte, die ich hier aufgezählt habe, noch schneller, weiter und intensiver verfolgt werden. Außerdem ist zu beachten, dass sich die wohnortnahe Versorgung von Haus- und Kinderärzten in sozial benachteiligten Stadtteilen verbessern muss, und diese muss auch gewährleistet werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Die Kassenärztliche Vereinigung in Bremen muss sich hier bewegen und dort ein besseres Angebot schaffen. Aber auch die Schaffung von medizinischen Versorgungszentren in den Stadtteilen muss noch gestärkt und verbessert werden. Das sind Wege, damit wir auch der sozialen Benachteiligung beziehungsweise der schlechteren gesundheitlichen Versorgung in diesen Stadtteilen begegnen. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Seyrek.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt, was schon bekannt ist und was auch wissenschaftliche Studien belegen: Armut ist ein Gesundheitsrisiko, Armut macht krank, wer arm ist, stirbt früher, und arme Menschen sind häufiger krank und sterben früher als wohlhabende. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Was im Nachkriegsdeutschland galt, gilt heute immer noch: Auch in der reichen Bundesrepublik des Jahres 2018 gilt, materielle Armut geht mit einer deutlich verminderten Lebenserwartung und überdurchschnittlich häufigen Erkrankungen einher.

Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage zeigt deutlich, Leben in sozialen Brennpunkten bedeutet eine niedrigere Lebenserwartung. Ein Schwachhausener Bürger wird durchschnittlich fast 81 Jahre alt, ein Gröpelinger dagegen erlebt statistisch gesehen seinen 73. Geburtstag nicht mehr, das ist ein Unterschied von acht Lebensjahren. Armut ist der wichtigste Grund für Risikofaktoren, für Krankheiten, Leiden und vorzeitigen Tod, und sie konzentriert sich dabei auf Stadtteile.

Festzustellen ist dabei häufig, dass Strukturen und Akteure des Gesundheitswesens nicht auf die Bedarfe sozial benachteiligter Menschen ausgerichtet sind. Am offenkundigsten wird dies beim eingeschränkten Zugang von ärmeren Menschen zum Gesundheitswesen anhand der regionalen Verteilung von Arztpraxen. Während in Stadtteilen mit einem hohen Anteil von Privatpatienten ein Überangebot zu verzeichnen ist, sind in sozialen Brennpunkten deutlich weniger zu finden. Dabei sind der Anteil an Kranken, der Schweregrad der Krankheiten und der notwendige medizinische Aufwand in benachteiligten Stadtteilen ungleich höher. Hier versagt die zuständige Selbstverwaltung der Kassenärztlichen Vereinigung kläglich.

(Beifall SPD)

Mit unserem im November letzten Jahres eingebrachten Antrag „Ärztliche Versorgung besser steuern, soziale Lage in Quartieren berücksichtigen“ haben wir die Verantwortlichen aufgefordert, die Versorgungsbedürfnisse und den jeweiligen Sozialindex der Stadtteile bei der regionalen ärztlichen Versorgung zu berücksichtigen. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung muss sich endlich ihrer Verantwortung stellen, für eine kleinteiligere Verteilung der ärztlichen Angebote sorgen und dabei im Besonderen die benachteiligten Stadtteile berücksichtigen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Neben einer besseren ambulanten ärztlichen Versorgung müssen gerade in den benachteiligten Stadtteilen die Anstrengungen zur Prävention verstärkt werden. Der Erfolg der Präventionsangebote muss sich vor allem daran messen, die Benachteiligten zu erreichen. Im Land Bremen werden viele Gesundheitsprogramme von Krankenkassen und von ortsspezifischen Einrichtungen angeboten. Einrichtungen wie zum Beispiel der Gesundheitstreffpunkt West, Frauengesundheit in Tenever, Programme wie „Wohnen in Nachbarschaften“, „TippTapp – Gesund ins Leben“ und die neuen Fachkräfte für Prävention und Gesundheitsförderung in Schulen sind Angebote, die an der Lebenswelt ärmerer Menschen ansetzen. Trotz dieser Vielzahl von Programmen und Einrichtungen ist auch Kritik zu hören: Akteure und Programme laufen nebeneinander her, sie sind nicht vernetzt. In der Vernetzung der Programme und Akteure müssen wir in Bremen besser werden.

Eine Plattform, um eine bessere kommunale Vernetzung zu erreichen, bietet die Umsetzung des Präventionsgesetzes, die im Rahmen der Umsetzung des Präventionsgesetzes stattfindende Präventionskonferenz dient als Strategieform. Ziele sind die Verbesserung der hierzulande bereits etablierten Akteure und Programme sowie die Qualitätsentwicklung und gesundheitsförderliche Maßnahmen.

(Glocke)

Ein paar Sätze noch! Effekte im Sinne messbarer und nachhaltiger Auswirkungen sind aber erst mittel- bis langfristig zu erwarten.

(Beifall SPD)

Am Ende meiner Rede noch eine kurze Anmerkung zur Forderung nach einem aktuellen Gesundheitsbericht, der letzte Bericht stammt ja aus dem Jahr 2010! Ob ein aufwendig neu zu erstellender Bericht neue Erkenntnisse bringt, bezweifele ich. Die enge Verknüpfung von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit ist bekannt und auch in welchen Stadtteilen Bremens und Bremerhavens soziale Problemlagen bestehen.

(Glocke)

Ein neuer Bericht würde nach meiner Einschätzung keinen großen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. Ich plädiere daher dafür, wie der Senat

auch in der Großen Anfrage und in der Antwort in der Fragestunde zum Landesgesundheitsbericht vorschlägt, dass unter Nutzung von verfügbaren Daten Fragen über den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten der Bremer Bevölkerung beantwortet werden.

(Glocke)

Herr Seyrek, kommen Sie bitte zum Schluss! Sie haben schon über sieben Minuten gesprochen!

Darauf aufbauend und bei der Vorlage einer fundierten Ausarbeitung für die Weiterführung der Landesgesundheitsberichterstattung, an der der Senat zurzeit arbeitet, ist zu bewerten, ob ergänzende Daten zu erheben sind. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bensch.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder eine Gesundheitsdebatte! Wenn es um unsere Gesundheit geht, ist doch klar, wir alle in Bremerhaven und Bremen wollen eine bestmögliche medizinische Versorgung, und am besten auch noch ganz nah an der eigenen Wohnung, an der eigenen Häuslichkeit, das ist völlig klar. Es darf uns nicht zufriedenstellen, und deswegen bin ich auch der Fraktion DIE LINKE dankbar, die dieses Thema seit Jahren ebenfalls besetzt, dass Bremen und Bremerhaven formal und von der Anzahl der Ärzte her eigentlich genug Mediziner hat, die Kassenärztliche Vereinigung sagt, der Sicherstellungsauftrag ist erfüllt, und das sogar mit über 100 Prozent.

Dies darf uns aber trotzdem nicht zufriedenstellen. Es darf uns erst recht nicht zufriedenstellen, dass es einen nachweisbaren und leider auch sehr spürbaren Ärztemangel in den sozial benachteiligten Quartieren und Stadtteilen von Bremerhaven und Bremen gibt. Deswegen ist es richtig, dass wir Politiker uns Gedanken machen, an welchen Stellschrauben drehen wir und etwas tun können, damit sich die Situation verbessert.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, aus Sicht der CDUFraktion darf nichts, aber auch wirklich gar nichts

unterlassen werden, um die Situation nachhaltig zu verbessern, und deswegen ist alles, was Sie hier gesagt haben, auch meine Vorredner – –. Ich habe dem Kollegen Pirooznia zugerufen, 90 Prozent Zustimmung, dem Sozialdemokraten sage ich auch, tolle Rede, 90 Prozent Zustimmung, Peter Erlanson mit seiner Analyse sage ich auch, Zustimmung, völlig klar, aber eines muss uns auch bewusst sein: Wir reden hier auf der einen Seite über die Niederlassungsfreiheit der Ärzte im Bereich der Selbstverwaltung und auf der anderen Seite mit dem Blick auf die Patienten, die wir dann auch alle einmal sind, über die Wahlfreiheit. Wer glaubt, man kann das alles einfach steuern, der irrt, das ist die Kehrseite der Freiheit. Es ist nicht der Truppenarzt der Bundeswehr, zu dem wir gehen. Wenn jemand etwas hat und meint, er ist krank, dann entscheidet jeder selbst, wann und wohin er geht.

Das Problem der Notfallambulanzen werden wir hier ja auch noch einmal diskutieren, das bringt es noch mehr auf den Punkt, dass wir enorm umdenken müssen.

Der Kollege Pirooznia hat richtigerweise gesagt, er erwarte Bewegung, und das erwarte ich auch: Ich erwarte Bewegung von den Ärzten, ich erwarte auch Bewegung von den Patienten, aber vor allem von den Ärzten erwarte ich Bewegung, denn in der heutigen Zeit können wir es doch nicht hinnehmen, dass die selbstverwalteten niedergelassenen Ärzte ihre Praxis in der Regel nur bis freitags mittags geöffnet haben. Sie erwarten von den Patienten alles Mögliche, sind aber selbst kaum flexibel, um den modernen Anforderungen unserer Zeit zu genügen, und da spreche ich jetzt zum Beispiel auch von teilzeitbeschäftigten Ärztinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen.

Warum können nicht in einem medizinischen Versorgungszentrum oder in einer größeren Praxis ein bis zwei Ärzte auch einmal in den Abendstunden arbeiten, und das vielleicht zwei- bis dreimal in der Woche? Da bin ich völlig d‘accord mit den Grünen und auch mit der SPD, es muss mehr Bewegung bei den niedergelassenen Ärzten geben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Das Einzige, was die Politik machen kann, ist es, im sogenannten Landesgremium zusammen mit den beteiligten Partnern zu reden und immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie sich ändern müssen,

weil der Gesetzgeber sonst vielleicht die Stellschrauben sehr stark anziehen und die Selbstverwaltung angehen muss, und das wollen sie nicht. Dann geht dann ein Sturm durch das Land, das ist völlig klar,

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt ist Thomas Röwekamp nicht im Raum! – Ab- geordnete Neumeyer [CDU]: Ich werde es ihm sa- gen!)

also muss man schauen, was man wirklich tun kann.

Da bin ich als Christdemokrat richtig froh und zufrieden, dass die Gesundheitssenatorin mit den Health-Literacy-Fachkräften etwas richtig Gutes gemacht hat, und ich freue, dass das Programm bald umgesetzt wird.

(Zurufe)

Die Kollegen haben es gesagt, das sind Fachkräfte, die im Setting Schule für Prävention und Gesundheitsförderung zuständig sein werden – zunächst dort, wo sie wirklich benötigt werden –, und wenn wir das evaluieren, bin ich mir ziemlich sicher, dass wir dann irgendwelche Möglichkeiten finden werden, dieses Projekt parteiübergreifend zu unterstützen, entweder aus den Präventionsgeldern, wie bisher auch, oder aus anderen Töpfen, denn die Ärzte kommen nicht von allein in die sozial benachteiligten Gebiete.

Wenn wir aber genau dort die Gesundheitsfachkräfte haben, die sich nicht nur vor Ort die Kinder anschauen, zum Beispiel im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung, sondern auch mit örtlichen Vereinen, Initiativen und so weiter zusammenarbeiten, dann wird viel dafür getan, dass die Prävention endlich auch einmal mit Leben erfüllt wird, und deswegen unterstützen wir dieses Projekt voll und ganz. Wer die Presse in Bremen-Nord gelesen hat, der weiß, dass ich das sehr befürworte, und ich finde, das ist ein richtig gutes Projekt.

(Beifall CDU)

Es geht also darum, die Politik kann, wenn sie will, ein bisschen mitgestalten und vor allem die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten vor Ort stärken. Da ist Bremen bemüht, auch durch viele andere Projekte, ob es nun der Frauengesundheitstreff Tenever ist oder der Gesundheitstreffpunkt West.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Eigenverantwortung – das ist der letzte Satz! – soll keine Abschreckung sein, Eigenverantwortung kann eine Chance sein, so, wie ich es eben gesagt habe in Richtung der Ärzte: Begreift doch euren Auftrag einmal im 21. Jahrhundert! Ihr müsst euch nicht neu erfinden, aber ein bisschen neu organisieren, und dann kann das funktionieren mit der Beziehung zwischen Arzt und Patienten, auch durch die Digitalisierung, und in Bezug auf die Stärkung der Kompetenz der Patienten hat die Bundesregierung ja auch etwas geplant. Wer den Koalitionsvertrag gelesen hat, der konnte lesen, dass ein sogenanntes Gesundheitsportal eingerichtet werden soll, ohne Werbung, neutral und zielführend.

Also, die Politik macht schon etwas, aber man muss auch immer auf dem Boden der Realität bleiben. Ich bin der Meinung, so ganz schlimm sieht es in Bremen nicht aus. Auch wenn wir immer wieder sagen, in sozial benachteiligten Gebieten stimmt es überhaupt nicht, glaube ich, dass alle Beteiligten schon etwas getan haben, aber alle Beteiligten auch noch mehr tun können und, wie der ehemalige Bürgermeister Böhrnsen schon sagte, noch eine Schippe drauflegen. Ich glaube, dann haben wir keine so schlechte Gesundheit in Bremen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Kollegen haben es eindringlich geschildert, Armut hat etwas mit Gesundheit zu tun, Armut hat etwas mit Sterblichkeitsraten zu tun und mit der Frage, welche Lebenserwartung es durchschnittlich in einem Stadtteil gibt, aber gerade nicht mit der individuellen Lebenserwartung. Diese hängt nämlich entscheidend von der Lebensführung ab, aber auch davon, was man über seine Gesundheit weiß.

Damit komme ich zu einem Punkt, der in der Debatte noch gar nicht angesprochen worden ist und nur leicht anklang, nämlich zu der Frage, wie weit Bildung mit Gesundheit korreliert. Das ist auch so, weil auch Armut und Desintegration unserer Stadtteile mit Bildung korrelieren. Wir sehen ja, dass es in gewissen Stadtteilen auch beim Besuch weiterführender Schulen und bei den Schulabschlüsse entsprechende Ergebnisse gibt, die hier auch ganz genau in dieses Bild passen. Dort wird nämlich