Protokoll der Sitzung vom 20.06.2018

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordneter Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir uns anschauen, was in Städten passiert ist, die die Preise für den ÖPNV verändert haben, müssen wir feststellen, dass die Nutzung nicht sehr stark vom Preis abhängt. Es gibt nicht diese bei vielen vermutete Preiselastizität. Wir als Fraktion waren gerade in Estland, in Tallinn, sie führen dort demnächst im ganzen Land einen kostenlosen ein. Und die Nutzerzahlen sind nicht gestiegen, obwohl kostenloser ÖPNV in Tallinn etabliert worden ist. Gestiegen sind die Einwohnerzahlen, und entsprechend sind die Nutzerzahlen nach oben gegangen. Sie haben außerdem eine Strecke zum Flughafen eröffnet, der nicht angebunden war, und das war völlig ausreichend, um zu erklären, dass eine stärkere ÖPNV-Nutzung eintrat. Was wir also lernen ist, die ÖPNV-Nutzung hängt nicht vom Preis ab. Es gibt diese starke Preiselastizität nicht, wie sie unterstellt wird.

Nun kann man sagen, wir finden es ungerecht, dass so viel für den ÖPNV gezahlt wird. Man kann sich auch die Frage stellen, regt das vielleicht mehr an, um zu Fuß zu gehen, um Rad zu fahren, und kann man an der Stelle dann mehr tun, wenn die Leute mehr Rad fahren und als Fußgänger unterwegs sind? Man kann aber auch gern diskutieren, wofür was ausgegeben wird. Dann muss man sich aber auch fragen, ob denn bei jedem Straßenbau der Rad- und Fußweg auch wirklich in der Statistik für Rad- und Fußwege darin ist oder das woanders zugerechnet wird und wie es bei den ÖPNV-Maßnahmen ist. Bei diesen Statistiken, die da angeführt werden, bin ich noch nicht davon überzeugt, dass sie das alles sauber auseinanderrechnen.

Auch dann müssen wir uns jedoch fragen, ist es das, wie die Nutzer unterwegs sind, woran wir uns orientieren? Wir haben viele Pkw-Nutzer, wollen wir anhand der Prozentzahlen die Gelder festmachen? Ich glaube, wir sollten einmal eines tun, wir sollten das, was wir ausgeben, am Bedarf festmachen, und das ist es, was meines Erachtens am Ende zählt.

(Beifall FDP)

Dann bleibt die Frage, was wir denn beim ÖPNV erreichen wollen. Ich bin nicht bereit, wir Freien Demokraten sind nicht bereit, über ÖPNV-Preise

zu sprechen, ohne über Qualität zu reden. Lencke Steiner hat in der Stadtbürgerschaft viele Fragen gestellt, die noch offen geblieben sind bei der Großen Anfrage zur BSAG. Ja, wenn man diese Fragen stellt, muss man auch Antworten darauf geben, wie kann man sich das vorstellen, wie wollen wir die Qualität verbessern? An welcher Stelle wollen wir eine höhere Qualität? Seien wir ehrlich, egal was wir an der Qualität tun, manche Menschen werden wir nur in den ÖPNV bekommen, wenn wir eine erste Klasse einführen, manche werden den einfach nicht nutzen wollen, weil es in ihr Lebenskonzept nicht hineinpasst. Das werden wir nicht ändern, insofern müssen wir das hinnehmen. Herr Saxe, es ist vielleicht so, dass man, wenn man wie Sie, so viele Speichen in der Brille hat, das nicht sieht, aber wenn Leute sich entscheiden,

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Da hat er aber lange daran gearbeitet! Die ganze Nacht überlegt!)

ihr Auto stehen zu lassen, ist das ihre individuelle Entscheidung. Sie lassen dann ihr Auto stehen und müssen sich selbst entscheiden, was sie damit tun. Das können wir ihnen nicht vorwerfen. Wenn wir von Verkehrswende sprechen, lautet doch nicht die Frage allein, wie wir den Umweltverbund stärken, sondern es bleibt auch die Frage, wie wir die Individualmobilität umweltfreundlicher und klimafreundlicher machen. Da haben wir dann ein anderes Verständnis von Verkehrswende, auch das können wir gern diskutieren.

Am Ende bleiben wir dabei, es ist sicherlich weise, diesen Antrag zu überweisen und in der Deputation weiter darüber zu diskutieren, denn über Ticketpreise müssen wir einerseits nicht nur hier, sondern auch im ZVBN Entscheidungen herbeiführen. Das andere ist, wir können nicht über Ticketpreise nur reden, dann reden wir nur über Umverteilung, sondern wir müssen auch über Qualität sprechen und was wir für das Geld bekommen. Da haben die Bremer zu Recht Kritik, denn sie zahlen hohe Preise und sind mit der Qualität nicht zufrieden.

(Abgeordnete Grotheer [SPD]: Das sehen wir an- ders!)

In anderen Städten, das muss man auch sagen, haben sie einen Kostendeckungsbeitrag von rund 76 Prozent, in Bremen nur von circa 70 Prozent. Auch das gehört zur Wahrheit der Diskussion dazu, wenn man dann einmal lax sagt, wir wollen hier zu einer

Halbe-halbe-Bezahlung kommen. Das halte ich angesichts dessen, was an Deckungsbeiträgen in anderen Städten möglich ist, nicht für den richtigen Weg. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort Senator Dr. Lohse.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach gestern führen wir hier heute schon die zweite Debatte zum ÖPNV in Bremen. Ich finde das richtig und gut, und ich bin auch der Meinung, dass viel Richtiges von den unterschiedlichen Seiten gesagt worden ist. Mit Einem, Herr Dr. Buhlert, möchte ich jedoch aufräumen: Sie sagten, die Nutzer seien nicht zufrieden. Ich empfehle Ihnen einmal einen Blick in die Kundenzufriedenheitsbefragung des ZVBN, da können Sie sich vom Gegenteil überzeugen. Die Zufriedenheit könnte nicht besser sein.

(Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Das war von mir gemeint!)

Das habe ich dann so nicht verstanden, aber Danke für die Richtigstellung. Die Zufriedenheit ist vergleichsweise hoch, das heißt, wir haben hier einen guten ÖPNV, und wir wollen, dass er noch besser wird.

Meine Damen und Herren, wenn man eine solche Debatte führt, finde ich es immer hilfreich, wenn man sich zu Beginn über die Ziele verständigt, die man erreichen will. Ich möchte meine Ziele noch einmal benennen in dieser Debatte. Wir brauchen den ÖPNV, um die Klimaschutzziele zu erreichen oder einen Beitrag dazu zu leisten, wir brauchen ihn, um die Luftqualität in den Städten zu verbessern in Bezug auf Feinstaub und Stickoxide. Wir benötigen ihn auch, um für die Menschen mehr öffentlichen Raum wieder zurückzugewinnen, der heute viel zu sehr vom rollenden und ruhenden Blech der Autos beansprucht wird. Deswegen gibt es schon einen Grund für eine Verkehrswende, und diese unterscheidet sich dann in meiner Vorstellung, Herr Dr. Buhlert, von Ihren Vorstellungen. Ich bin aber froh, dass große Teile der Stadtgesellschaft bis hin zu den Investoren, mit denen wir im Moment sehr viel sprechen, inzwischen davon überzeugt sind, dass eine autofreie Innenstadt der richtige Weg ist, und natürlich müssen wir das unterstützen mit entsprechendem ÖPNV.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir brauchen den ÖPNV im Interesse von mehr Lebensqualität in unseren Städten und wir benötigen dafür weniger motorisierten Individualverkehr. Die Strategie für den ÖPNV besteht aus zwei Schritten. Das eine ist der Ausbau des ÖPNV-Systems, da hätte ich mir auch gewünscht, dass wir in den letzten Jahren schneller vorangekommen wären mit der einen oder anderen Straßenbahnlinie. Wir haben aber auch einiges getan, wir haben die Linie 4 nach Lilienthal fertiggestellt, wir haben die Linie 1 zum Weserpark und nach Mahndorf fertiggestellt, und Sie wissen alle, Sie kennen auch den Verkehrsentwicklungsplan, dass wir weitere Dinge in Vorbereitung haben.

Das andere, neben dem Ausbau des ÖPNV, ist natürlich die Weiterentwicklung des Tarifsystems mit dem Ziel, dass es übersichtlicher und klarer wird für Menschen, die im Moment Schwierigkeiten haben, sich zwischen den vielen Ticketangeboten zu orientieren, und dass es nach Möglichkeit auch günstiger wird, auch dieses Ziel teile ich im Grundsatz. Ich sage aber auch gleich noch etwas, wie wir das Ganze finanzieren wollen.

Die Bundesregierung hat ja vor einem Vierteljahr eine Diskussion um kostenlosen ÖPNV gestartet vor dem Hintergrund des drohenden Vertragsverletzungsverfahrens aus Brüssel wegen der nicht erreichten Luftqualitätswerte in den Städten. Man ist dann ganz schnell zurückgerudert, nachdem man festgestellt hat, dass das 25 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde für die betroffenen Städte, die etwas an ihrer Luftqualität verbessern müssen. Man hat auch gemerkt, wie schwerfällig so etwas durch die Verkehrsverbundsysteme einzuführen ist, in denen wir sind, in denen wir immer Mitnahmeeffekte in den ländlichen Räumen haben, wo es die Luftqualitätsprobleme nicht gibt, aber man natürlich die Ticketstrukturen anpassen muss.

Wir brauchen, und da bin ich auch mit vielen von Ihnen einer Meinung, ein besseres Angebot im ÖPNV, um neue Nutzer zu gewinnen, und das ist wichtiger, als die Preise zu senken. Die Preiselastizität ist gering. Ich möchte auch noch etwas ganz deutlich sagen in Richtung der LINKEN: Ich halte es nicht für ein sozialgerechteres Konzept, alle kostenlos fahren zu lassen, weil das nützt neben den Bedürftigen auch denen, die es sich leisten können, die Preise zu bezahlen. Das ergibt einen reinen Mitnahmeeffekt, und am Ende belastet es am meisten die Menschen mit wenig Geld, weil diese über ihre Konsumsteuer den höchsten Anteil am Steueraufkommen leisten. Das heißt, es ist kein gerechtes Konzept. Da müssen Sie sich entscheiden, was Sie

wollen, ob Sie Wahlgeschenke verteilen oder für Gerechtigkeit sorgen wollen. Für Gerechtigkeit sorgen Sie nicht mit einem kostenlosen ÖPNV für alle.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Ralph Saxe hat mich halb zitiert, und Herr Dr. Buhlert hat es, nicht wissend, dass ich auch das Beispiel gelegentlich gebrauche, ergänzt: Wenn wir den SUV-Fahrer in die Straßenbahn bekommen wollen, dann kommt er nicht, wenn er dort im Stehen wie in einer Sardinenbüchse sich durchschütteln lässt, sondern dann kommt er, wenn man ihm eine erste Klasse anbietet. Diese erste Klasse darf auch das Vierfache kosten, aber der Fahrgast will dort einen Kaffee, freies WLAN, er will eine Zeitung haben wie im ICE in der ersten Klasse. Dann haben wir eine andere Qualität. Man könnte eine solche Debatte führen. Ich finde es gut, wenn wir damit in die Deputation gehen und solche Dinge wirklich einmal diskutieren. Wenn wir diese Kundengruppe gewinnen wollen, dann erreichen wir das nicht mit kostenlosen Tickets.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit Preissenkungen oder mit kostenlosen Tickets das Geld verschleudern, das wir dringend brauchen, um die Qualität zu erhöhen.

Ich komme zum Schluss! Ich merke, die Unruhe wird größer, der Hunger ist wahrscheinlich auch größer.

Ich schließe mich dem an, dass wir das Ganze noch einmal ernsthaft diskutieren sollten, dass wir es ganzheitlich diskutieren müssen, und wir müssen am Ende auch immer schauen, wer die Rechnung bezahlen soll. Bremen hat nicht so viel Geld übrig, auch nicht mit den 400 Millionen Euro aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich, sodass ich guter Dinge bin, dass wir alles, was wir uns wünschen, auch bezahlen können, deswegen freue ich mich auf die Fachdebatte in der Deputation. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Hier ist Überweisung an die staatliche Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Energie und Landwirtschaft beantragt worden.

Wer dieser Überweisung des Antrags der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/1724 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt der Überweisung zu.

(Einstimmig)

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Mitteilung des Senats, Drucksache 19/1681, Kenntnis.

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14.45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung um 13.15 Uhr)

Vizepräsident Imhoff eröffnet die Sitzung wieder um 14.45 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Hat Bremen die Voraussetzungen für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt geschaffen? Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 10. April 2018 (Drucksache 19/1608)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 22. Mai 2018 (Drucksache 19/1670)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Herr Senator, nach § 29 unserer Geschäftsordnung haben Sie die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage die mündlich zu wiederholen.