Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Wir würden es natürlich generell begrüßen, wenn Bildungshürden abgebaut werden und die Zugänge zur Bildung vielfältiger würden. Die Grenzen zwischen beruflicher und gymnasialer Ausbildung sind zum Glück nicht mehr so starr wie vor 20 Jahren, und die Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsformen ist größer geworden, das ist hier auch schon gesagt worden. Das Berufsabitur könnte natürlich die Möglichkeit bieten, diese noch zu erhöhen.

Wenn man sich junge Menschen vorstellt, die vielleicht eine Ausbildung beginnen, aber wissen, sie arbeiten vielleicht in einem Beruf, der keine Aufstiegsmöglichkeiten bietet, entscheiden sie sich in der Tat dann eher dazu, wenn ihre schulischen Leistungen entsprechend sind, zuerst das Abitur zu machen und dann in eine duale Ausbildung zu gehen. Da könnte man sich natürlich im Zweifelsfall die anderen drei Jahre sparen.

Es ist aber tatsächlich fraglich, ob man mit dem von der FDP vorgeschlagenen Modell dieses Ziel erreicht. Es wird in anderen Bundesländern erprobt und – zumindest nach dem, was wir recherchieren konnten – nicht besonders gut angenommen. Ich finde, man sollte erst einmal auswerten, warum es in den anderen Bundesländern nicht gut angenommen wird, bevor man ein solches Modell übernimmt, und außerdem wäre zu prüfen, ob es bei den Unternehmen und Jugendlichen in Bremen überhaupt ein echtes Interesse an diesem Modell gibt, bevor man sich dafür entscheidet.

Ich habe aber auch Sorgen, welche Wechselwirkungen das Berufsabitur auf dem Ausbildungsmarkt auslösen könnten, denn es könnte ja passieren, dass eine duale Ausbildung mit dem Berufsabitur vor allen Dingen die jungen Menschen anspricht, die sich derzeit für ein Abitur entscheiden, aber auch vorher mit einer Ausbildung geliebäugelt haben. Diese müssten sich nun nicht mehr für das eine oder andere entscheiden, es käme also in Handwerksberufen vielleicht eher zu einer Verdrängung, und das Handwerk würde weniger Jugendliche mit Berufsbildungsreife ausbilden und vermehrt Jugendliche mit einem guten mittleren Schulabschluss. Aus Sicht des Handwerks ist das zwar ein verständlicher Wunsch, aber allgemein könnte es dadurch auf dem Ausbildungsmarkt zu unerwünschten Effekten kommen.

Auch da wünschte ich mir, dass wir erst einmal Berichte aus anderen Bundesländern abwarten, welche Auswirkungen das Berufsabitur auf die regionalen Ausbildungsmärkte hatte, bevor wir hier über so etwas entscheiden.

Um diese von mir befürchteten Effekte zu vermeiden, müsste das Berufsabitur mit anderen Maßnahmen flankiert werden. Diese müssten absichern, dass der Ausbildungsmarkt für Jugendliche mit Berufsbildungsreife nicht leidet. Es wäre zum Beispiel sinnvoll, einer größeren Anzahl von Jugendlichen die Verbesserungen der erweiterten Berufsbildungsreife zum MSA anzubieten – das gibt das Bremer Schulgesetz leider nicht her –, die Jugendlichen könnten dann auch eine attraktive Zielgruppe für eine Ausbildung im Handwerk sein. Es bedürfte also eher eines Gesamtkonzepts, wie die berufliche Bildung systematisch mit der Erweiterung von Schulabschlüssen verknüpft werden kann, und dann kann man vielleicht auch einmal über ein Berufsabitur nachdenken.

Ich will aber einen kleinen Blick auf ein grundlegendes Problem dahinter werfen! Inzwischen sind

immer mehr Ausbildungsberufe tatsächlich derart gelagert, dass sie inzwischen das Abitur als Vorqualifikation nehmen. Das ist mein alter Ausbildungsberuf übrigens auch, da werden kaum noch Jugendliche mit MSA eingestellt, Abiturienten erhalten da irgendwie immer den Vorzug. Das hat etwas damit zu tun, dass in Deutschland – anders als in englischsprachigen Ländern – später tatsächlich der berufliche Werdegang auch sehr stark mit der schulischen Vorqualifikation und der Ausbildung beziehungsweise der akademischen Ausbildung zu tun hat, allen voran im öffentlichen Dienst.

Die Einstellungsvoraussetzungen im öffentlichen Dienst sind da ja auch ein Maßstab, im Zweifelsfall für die Wirtschaft, und wenn ich mitbekomme, dass zum Beispiel Bauingenieure drei oder vier Entgeltgruppen unter denen der Beamten in der Verwaltung eingruppiert werden, dann ist das natürlich in der Tat ein Problem. Das führt dazu, dass immer mehr Jugendliche denken, dass sie ohne Abitur oder auch im Zweifel ohne eine akademische Ausbildung oder Hochschulausbildung nicht mehr weiterkommen können, auch wenn sie vielleicht eher von ihrer ganzen Persönlichkeit her dazu geeignet wären, eine berufliche Ausbildung zu beginnen.

Ich glaube, das ist das grundliegende Problem, das man in Deutschland eigentlich einmal angehen muss, bevor man jetzt noch weiter an neue duale Berufsbildungsgänge denkt, die dann hinterher zum Abitur führen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe trotzdem ein gewisses Verständnis dafür, dass die FDP diese Debatte begonnen hat. Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag enthalten und das nicht gleich verdammen, aber den Weg, den Sie hier vorgeschlagen haben, halte ich für Bremen derzeit tatsächlich überhaupt nicht für zielführend. – Danke schön!

(Beifall Die LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, das ist eine interessante Debatte. Vielen Dank an Frau Bergmann für den Antrag! Über die Idee des Berufsabiturs gibt es ja doch schon eine ganze Weile eine öffentliche Debatte, und so ganz von der Hand zu weisen fand ich es

zunächst auch erst einmal nicht, ob man Berufe attraktiver machen kann, indem man sagt, dass man dann eben auch die Qualifizierung eines Abiturs und die Hochschulzugangsberechtigung hat. Das klingt erst einmal attraktiv. Am Ende lande ich aber bei Thomas vom Bruch und sage, die Gefahr, dass man Ausbildungsberufe durch die Doppelqualifizierung entwertet, ist eben auch nicht von der Hand zu weisen.

Trotzdem finde ich die Debatte sehr spannend, weil sie eben dazu führt – Frau Vogt hat es gerade gesagt –, dass wir uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie wir den Berufsbildungsmarkt und Berufe wieder attraktiver machen. Ich habe mich dann schon gefragt – ich habe gelernt, der Beruf des Bäckers oder der Bäckerin ist nicht so gut vermittelbar, es finden sich weniger Auszubildende – ob das Berufsabitur diesen Beruf jetzt attraktiver macht. Ich glaube nicht! Ich glaube, das hat andere Gründe, zum Beispiel das frühe Aufstehen. Das ist schade, ich glaube, es ist ein toller Beruf.

Wir müssen uns aber eben doch über andere Wege Gedanken machen, wie wir Ausbildungsberufe stärken, die es noch gibt, aber auch Berufe wieder in das Bewusstsein rücken, die es jetzt schon gar nicht mehr gibt und schon ausgestorben sind, weil das Handwerk da nicht mehr gut aufgestellt ist oder weil wir tatsächlich keinen Nachwuchs dafür finden. Also, ich schätze die Debatte über die Attraktivität und bin gern dabei, länger und auch ausführlicher darüber nachzudenken, welche Wege wir da finden können.

Das Modellprojekt, das im Antrag erwähnt ist – auch darauf hat Frau Vogt schon hingewiesen –, läuft einfach schlecht, auch im Sinne der Auszubildenden, weil die Arbeitgeber, also die Ausbilder dort, wie ich finde, einen großen Fehler gemacht haben, indem sie die Ausbildungsvergütung, die man einmal für drei Jahre bekommen hat, jetzt auf vier Jahre gestreckt haben. Das heißt, kein Auszubildender kann von seiner Ausbildungsvergütung leben. Das kann doch nicht die Konsequenz sein und macht eben Ausbildung dann nicht attraktiver, sondern noch schwieriger!

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: In der Schule gibt es aber gar nichts!)

Zur Durchlässigkeit in Bremen ist schon einiges gesagt worden, und ich will das noch einmal betonen, denn wir haben in Bremen ganz grundsätzlich sehr viele durchlässige Wege vom Beruf zur Hochschule

das finde ich auch sehr gut –, aber wir haben eben auch sehr gute doppelqualifizierende Berufsausbildungen. Da will ich jetzt nur das Schulzentrum Utbremen nennen, das unglaublich gut angewählt wird und seine Jahrgänge dann sehr erfolgreich auf den Arbeitsmarkt entlässt.

Davon könnte es mehr geben, ja, und auch die Informationen für Auszubildende, welche Möglichkeiten der Anschlussqualifizierung und welche Möglichkeiten vom Beruf zum Studium es gibt, könnten besser aufbereitet sein, das stimmt. Dass wir in Bremen da aber ganz gut aufgestellt sind und diverse Wege haben, die sich in Bremen weiter anbieten, muss man schon wahrnehmen und auch konstatieren, da sind wir wirklich nicht schlecht unterwegs.

Grundsätzlich glaube ich, dass die – –. Haben Sie schon geklingelt?

Nein! Auch, wenn ihr Kollege schon einpackt, die Sitzung ist noch nicht zu Ende!

(Zuruf)

Dann kann ich den einen Gedanken noch loswerden! Ich glaube in der Tat, dass wir uns alle bemühen müssen – weil wir es eben jahrelang falsch gemacht haben mit diesem Akademisierungswahn, dem jedenfalls viele von uns hinterhergelaufen sind –, da den Diskurs wieder in eine andere Richtung zu lenken und zu sagen, ja, viel und gute Bildung ist sehr wichtig und sehr notwendig, um im Leben zurechtzukommen, aber das große Ziel muss nicht an der Hochschule enden, sondern die Berufe, die wir hier anbieten können, sind eben heute, das muss man auch einmal sagen, auch eine Gewähr dafür, dass man seinen Lebensunterhalt sehr gut verdienen kann. Die Auftragsbücher sind derzeit –jedenfalls bei den Handwerkern, die ich bestelle – unendlich voll und groß. Mir geht es jedenfalls so, dass ich schon manchmal gedacht hätte: Hättest du einmal einen Beruf gelernt! – Danke!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Pietrzok.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alle Argumente, die ich anführen möchte, um zu erklären, warum der Senat diese Initiative nicht aufgreift und nicht weiter verfolgt, sind

durch die Redebeiträge von Herrn Dr. vom Bruch, von Frau Böschen, auch von der Linksfraktion und jetzt von den Grünen soeben deutlich geworden. Das sind auch die Argumente, die den Senat bewogen haben, diese Initiative nicht aufzugreifen, obwohl sie vom Zentralverband des Deutschen Handwerks eingeleitet worden ist. Wir haben uns das natürlich auch genau angeschaut und nicht erst anlässlich der Parlamentsinitiative.

Es stimmt, dass dieser Pilotversuch in vielen Ländern nicht gut läuft. Das liegt übrigens nicht nur daran, dass es für die Auszubildenden nicht interessant ist, vier Jahre lang mit der Ausbildungsvergütung klarkommen zu müssen, sondern es ist ein ganz anderes Problem, denn man muss auch die Unternehmen finden, die sich dazu bereit erklären, für vier Jahre dann die Ausbildungsvergütung zu zahlen. Das ist nach unserem Kenntnisstand eines von den erheblichen Problemen, die dazu geführt haben, dass wir feststellen, dieses Angebot wird nicht so gut angenommen, wie man das eigentlich erwarten müsste.

Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen: Weil es sich um einen Modellversuch handelt, muss man sich ja auch die Frage stellen, ob aufgrund der Kleinheit des Landes Bremen, wir nun unbedingt das optimale Bundesland sind, dafür auch noch diesen Modellversuch aufzugreifen, oder ob man an solch einer Stelle nicht einmal sagen kann: Okay, wir schauen uns erst einmal an, was in den anderen Modellversuchen passiert, und dann könnte man solche Erwägungen noch im Hinblick auf die Übernahme Bremens vornehmen. Vor dem Hintergrund dessen, was wir da in Kenntnis gebracht haben, zeigt sich allerdings schon, dass dieses Konzept so nicht weitergeführt wird.

Es ist hier auch schon deutlich geworden, dass es in Bremen eine Vielzahl an Maßnahmen gegeben hat, um die Durchlässigkeit sicherzustellen. Es ist auch Teil des Selbstverständnisses dieses Senats, dafür zu sorgen, dass wir die Grenzen zwischen Berufsausbildung und Abitur auflösen und dass wir es ermöglichen wollen, dass Menschen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, dann auch leichter eine akademische Qualifikation erringen können, als es bisher oder in langen Jahren vorher stattgefunden hat.

Es ist schon auf die Berufsschule in Bremen TBZ Mitte hingewiesen worden, wir haben hier ein solches Angebot, das eben auch die Fachhochschulreife für alle ermöglicht und gleichzeitig eine Ausbildung gewährleistet. Im kaufmännischen Bereich

gibt es auch die Zielsetzung, das weiter zu ermöglichen. Wir haben mit dem Abitur und mit der Berufsausbildung, darauf hat Frau Böschen hingewiesen, den Abschluss nach DQR4, und der Zugang zum Studium ist deswegen nicht mehr Voraussetzung. Wir brauchen allerdings Unterstützung für diejenigen, die dann eben auf der Fachhochschule oder auf Hochschulniveau ihre Qualifikation weiter bearbeiten wollen. Die Diversity-Konzepte, mit denen wir an den Universitäten und Hochschulen zu tun haben, setzen übrigens unter anderem auch genau auf solche Fragestellungen auf und sind deswegen, meines Erachtens, auch in dieser Hinsicht durchaus ernst zu nehmen.

Die duale gewerblich-technische Ausbildung bietet Anschlussmöglichkeiten, die Fachschule für Technik endet mit dem DQR6, der Hochschulzugangsberechtigung, nach Abschluss der dualen Berufsausbildung haben wir den Bildungsgang FOS 12 zur Erlangung der Fachhochschulreife, FOS 13 und Berufsoberschule ermöglichen fachgebundene Hochschulreife. Das bedeutet, dass wir hier in Bremen durchaus eine Struktur haben, die uns eine entsprechende Durchlässigkeit sicherstellt und wir deswegen auf diesen Modellversuch nicht setzen wollen, sondern mit den bestehenden Systemen weiterarbeiten können.

Ich glaube auch, so wie das schon von einigen Rednern und Rednerinnen hier deutlich geworden ist, unser Fachkräfteproblem, das wir zugegebenermaßen haben, werden wir mit solch einer Maßnahme in Bremen nicht beheben können, sondern es wird darum gehen, weitere Beiträge zu leisten, gemeinsam mit dem Handwerk Beiträge zu leisten, dass Menschen, die entsprechende Berufsabschlüsse anstreben, auch Möglichkeiten haben können, während sie in den Betrieben arbeiten, solche Berufsabschlüsse weiter zu führen.

Deswegen glaube ich, können Angebote von Betrieben, die ihre Auszubildenden zu Abschlüssen begleitet haben, die langfristige Arbeitsverträge abschließen, möglicherweise auch Teilzeitverträge abschließen, ein Beitrag dazu sein, dass Menschen gleichzeitig eng in den Unternehmen angebunden sind und gleichzeitig ihre Qualifikation in akademischer Hinsicht weiter entwickeln können und so möglicherweise auch eine langjährige Bindung entsteht, aus der dann eine sehr, sehr produktive Zusammenarbeit mit einer Perspektive entstehen kann.

(Beifall SPD)

Kurzum, wir schließen uns der Kritik der Debattenbeiträge der Fraktionen an und sind dafür dankbar, dass dieser Antrag abgelehnt wird. – Danke!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachen-Nummer 19/1614 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür FDP)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, BIW, Abgeordneter Schäfer [LKR], Abgeordnete Wendland [parteilos])

Stimmenthaltungen?

(DIE LINKE, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, fraktionslos])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.