Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte gar nicht zu sehr auf diese wirre Rede eingehen.

(Beifall FDP, SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, BIW)

Ich möchte mit einem Zitat aus der Präambel der Landesverfassung beginnen. Zitatbeginn „Erschüttert von der Vernichtung, die die autoritäre Regierung der Nationalsozialisten unter Missachtung der persönlichen Freiheit und der Würde des Menschen in der jahrhundertealten Freien Hansestadt Bremen verursacht hat, sind die Bürger dieses Landes willens, eine Ordnung des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen, in der die soziale Gerechtigkeit, die Menschlichkeit und der Friede gepflegt werden, in der der wirtschaftlich Schwache vor Ausbeutung geschützt und allen Arbeitswilligen ein menschenwürdiges Dasein gesichert wird.“ Zitatende.

(Beifall FDP, SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE – Zuruf Abgeordneter Senkal [SPD])

Diese Zeilen entstanden in einer Zeit, in der wir oder unsere Vorfahren gerade die dunkelste Phase der deutschen Geschichte hinter sich gebracht haben. Dieses Land stand damals vor der Mammutaufgabe des Wiederaufbaus – gesellschaftlich, materiell und auch kulturell. Die Zeilen entstanden unter der Federführung von Theodor Spitta, einem großen Bremer Freien Demokraten. Jetzt, 71 Jahre später, debattieren wir darüber, irgendeine deutsche Kultur in die Verfassung aufzunehmen. Wir,

und ich spreche hier für alle demokratischen Parteien in diesem Hause, sehen keine Notwendigkeit und im Übrigen auch keine Möglichkeit, dies zu tun. Die Begründung unserer Ablehnung ist ganz einfach. Ich glaube nicht, dass es eine deutsche Kultur, wie sie im vorliegenden Antrag formuliert ist, überhaupt gibt. Kultur ist nämlich keine Konstante, Kultur verändert sich durch Entwicklungen und durch Wissenschaft, wie zum Beispiel durch den Buchdruck, die Schallplatte oder auch den Computer. In unserem Land entwickelt sich Kultur immer mit den Menschen, die die Gesellschaft formen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Einflüsse von außen und Veränderungen von innen, egal ob nach 1945 durch die Vertriebenen, durch die Gastarbeiter in Zeiten des Wirtschaftswunders, durch die gesellschaftlichen Reformen 1968, 1989 durch die Wiedervereinigung oder auch heute durch die Zuwanderung sind schon immer Teil unserer kulturellen Identität gewesen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Gerade damit stehen wir in hanseatischer Tradition. Denn die Hanse verstand sich immer als grenzübergreifende Lebens- und Kulturgemeinschaft. Deutschtümelei sucht man hier vergebens.

(Beifall FDP, SPD)

Wir befinden uns in der Mitte Europas, unsere Kultur ist weltoffen und nicht kleinstaatlich. Das Pochen auf eine deutsche Kultur im Sinne dieses Antrags wäre der endgültige Bruch mit den gewachsenen freiheitlichen Traditionen dieses Landes.

(Beifall FDP, SPD)

Warum sollten wir also den Menschen in Bremen und Bremerhaven eine sogenannte deutsche Kultur auferlegen? Wir lehnen es prinzipiell ab, wenn eine Mehrheit versucht, dem einzelnen Individuum ihre Kultur aufzuzwingen. Das gilt für neu Zugewanderte und Geflüchtete übrigens genauso wie für die, die hier geboren sind und die sich nicht an die Regeln ihrer Großväter und Großmütter halten, sondern unsere Gesellschaft weiterentwickeln wollen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Wir respektieren jeden Menschen so, wie er ist, als Träger einer sich verändernden Kultur. Wir haben längst eine Grundlage, die die Kultur in Deutschland seit knapp siebzig Jahren fördert und schützt: Nämlich unser Grundgesetz und hier in Bremen seit 1947 unsere Landesverfassung. Mit Respekt vor Grundrechten und Rechtsstaat lässt sich in diesem Land eine Kultur leben und weiterentwickeln, die geeignet ist, die Gesellschaft durch jede Veränderung zu begleiten. Die Ordnung des Grundgesetzes ist offen für alle, die seine Werte teilen, unabhängig von Religion und Weltanschauung. Wir sind nicht bereit, diese Werte zugunsten einer von Ihnen definierten deutschen Kultur einzutauschen.

(Beifall FDP, SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Diese Werte benötigen auch keine Ergänzung und schon gar nicht in der Landesverfassung. Denn unsere Vorgänger um Theodor Spitta haben schon daran gedacht, wie wichtig Kultur für das Gelingen des Zusammenlebens ist und den Schutz und die Förderung in der Landesverfassung verankert. Ich zitiere zum Schluss Artikel 11: „Die Kunst, die Wissenschaft und die Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil. Der Staat schützt und fördert das kulturelle Leben.“ Zitatende. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir lehnen den Antrag ab. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Deutsche Kultur als Leitbild zur Integration in die Bremische Landesverfassung, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

(Dafür Abgeordneter Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt das Gesetz in erster Lesung ab. Damit unterbleibt gemäß § 35 Satz 2 der Geschäftsordnung jede weitere Lesung.

Kopftuchverbot an Grundschulen Antrag des Abgeordneten Alexander Tassis (AfD) vom 7. Juni 2018 (Drucksache 19/1705)

Dazu als Vertreterin des Senats Senatorin Dr. Bogedan.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tassis.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! Allgemeine Tassis-Festspiele heute. Ich glaube, dass ich Sie heute zum letzten Mal belästige, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Dass ich das noch erleben darf! Kopftuchverbot an Grundschulen. Sie bestätigen ja freundlicherweise jeden Monat neu mein Weltbild, dafür bin ich äußerst dankbar.

(Abgeordneter Güngör [SPD]: Ihr Weltbild haben wir noch nicht bestätigt! – Abgeordnete Dr. Schae- fer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das sollte Ihnen zu denken geben!)

Kommen wir zum Antrag. Wie der Tagesspiegel am 9. April 2018 berichtete, hat das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, CDU/FDP-regiert, also von zwei demokratischen Fraktionen, die auch in diesem Parlament vertreten sind, angekündigt, ein Kopftuchverbot für junge Mädchen an Grundschulen prüfen zu wollen. Nach Aussage der Integrationsbeauftragten des Landes, der Integrationssekretärin der CDU, Frau Serap Güler, dient das Kopftuch gemäß der islamischen Tradition dazu, weibliche Reize zu verhüllen. Wenn Eltern ihre Kinder im Grundschulalter Kopftuch tragen lassen, sexualisieren sie mithin, so Frau Güler, in gewisser Weise das Kind. Sie unterstellen bei einem kleinen Mädchen Reize, die vor männlichen Blicken geschützt werden müssen. Auch für die Soziologin Necla Kelek ist das Kopftuch in der Grundschule,

in der Schule überhaupt, eine schwere Diskriminierung. Wir haben als Alternative für Deutschland auch Experten gefragt.

(Lachen)

Es ist doch so, dass das Tragen des Kopftuchs im Islam vor der Pubertät nicht als allgemeingültiges religiöses Gebot erscheint. Ich denke, das ist sogar hier Konsens. Aber wir kennen natürlich sehr viele Grundschülerinnen, die trotz alledem Kopftuch tragen.

(Abgeordneter Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ach, die kennen Sie? Keine einzige kennen Sie!)

Das sehen Sie auf den Fotos der Einschulungen und auch der Zeugnisvergabe in den eigenen Schülerzeitungen und so weiter. Das ist doch völlig normal, wenn Sie sich das anschauen und das einmal reflektieren. Es ergibt sich für uns, für die Alternative für Deutschland, schlicht und ergreifend – Sie haben ja gerade das Grundgesetz so hoch gelobt – aus Artikel sieben Absatz eins: der staatlichen Aufsicht über das Bildungswesen. Daraus leiten wir eine Möglichkeit ab, das Kopftuchverbot für Mädchen an Grundschulen zu beschließen. Daher bitte ich die Bremische Bürgerschaft, sie möge beschließen: Der Senat wird aufgefordert, die juristischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ein Kopftuchverbot für Schülerinnen an Grundschulen zu erlassen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Tragen eines Kopftuches ist in der öffentlichen Debatte ja immer ein umstrittenes Thema. Uns ist klar, dass dieses Thema in allen Parteien kontrovers diskutiert wird, ziellos werden in diesem Zusammenhang aus unterschiedlichen politischen Strömungen verschiedene Formen eines Verbotes diskutiert oder auch gefordert. Ich will mit Ihnen gar nicht darüber debattieren, ob das Kopftuch ein religiöses Gebot ist oder nicht; denn darum geht es Ihnen nicht, Herr Tassis. Ihnen geht es darum, das Kopftuch als Vehikel für Ihre fremdenfeindliche Politik zu nutzen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Meine Erfahrung ist, dass für viele Kinder Religion ein wichtiger Teil ihrer Identität ist, seien es nun Kinder, die sonntags im evangelischen Kindergottesdienst mitmachen als Messdiener oder in muslimischen Gemeinden aktiv sind oder Kopftuch, Kippa oder Kreuz tragen. Aus der Forschung ist auch bekannt, dass viele Trägerinnen nach langem Prozess der Identitätsfindung und der Auseinandersetzung mit der Religion sich für das Tragen des Kopftuches entscheiden und es gibt auch durchaus nicht wenige Frauen, die sich nach so einem Prozess dagegen entscheiden. Juristisch ist es zudem unklar, ob ein solcher Verbotsvorstoß Erfolg haben würde, auch Nordrhein-Westfalen hat seine Haltung geändert, hat das Projekt wieder eingestellt. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich übrigens letztes Jahr mit diesem Thema beschäftigt und hier wird nicht ausgeschlossen, dass die Glaubensfreiheit im konkreten Einzelfall hinreichend plausibel zugeordnet werden kann.

Ich will mit einem Zitat fortfahren, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, warnte vor Verboten einzelner religiöser Symbole, ich zitiere: „Wer das muslimische Kopftuch an Schulen verbieten will, der löst damit keine Integrationsprobleme, sondern trägt dazu bei, dass sich Schülerinnen ausgegrenzt und diskriminiert fühlen. Schon jetzt seien muslimische Frauen und Mädchen mit Kopftuch in besonderem Maße von Diskriminierung und Ausgrenzung im Beruf und Alltag betroffen. Wichtiger sei es deshalb, Schülerinnen und Schülern die Bedeutung von Selbstbestimmung zu vermitteln. Zudem sei eine solche Spezialgesetzgebung auch verfassungsrechtlich problematisch, da Religionen damit ungleich behandelt würden“ – mahnte Lüders. Ich zitiere weiter: „Ein Kopftuchverbot an Schulen würde in letzter Konsequenz auch das Verbot für das Tragen anderer religiöser Symbole wie ein Kruzifix oder einer Kippa zur Folge haben.“

Meine Damen und Herren, übrigens halte ich das Thema hier im Land Bremen auch für eine Phantomdebatte –

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

die nur Vorurteile stärkt. Wir haben keinerlei Erkenntnisse darüber, dass in irgendeiner Form irgendwo der Schulfrieden dadurch gefährdet ist. Auf dem Schulhof geht es nicht in erster Linie um Religion, sondern um die neuesten Barbys oder um Spielkarten, und zwar gleichermaßen unter muslimischen, christlichen und Kindern anderer Religio

nen oder nicht religiöser Kinder. Für unsere Schulen muss gelten: Unsere Gemeinschaft gründet sich auf Respekt und dazu gehört auch Respekt vor Vielfalt, deswegen sind weder ein Kopftuchverbot noch ein Kopftuchzwang richtig. Und am Ende muss es doch auch in der Schule um etwas anderes gehen: Es zählt, was man im Kopf und nicht, was man auf dem Kopf hat.