Protokoll der Sitzung vom 12.12.2018

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unter den geforderten Antworten und Lösungsideen, die der Antrag der CDU-Fraktion formuliert, ist in unseren Augen eine besonders wichtig: das ist die Präsens von Betrieben, Hochschulen und Berufsschulen in den allgemeinbildenden Schulen. Bei zunehmend differenzierten Berufsangeboten und einem verzweigten Netz von Bildungswegen sehen die jungen Leute oft das Naheliegende nicht. Sie wissen nicht, was sich hinter den einzelnen, oft neuen Berufsbezeichnungen verbirgt oder wie der Ausbildungsweg konkret aussieht. Sie brauchen einen emotionalen Einblick in diese Berufsbilder und eine Art Guide, der sie gegebenenfalls durch diesen Dschungel führt oder wie ein Navigationssystem Orientierung geben kann.

Es gibt ja Angebote wie Tag der offenen Tür, Tag der beruflichen Bildung, Berufswegeplanung oder auch Einzelinitiativen von Schulen, bei denen ehemalige Lehrer, Eltern ihre Berufswege und Berufe vorstellen. Diese Tage werden mit hohem Engagement und Aufwand umgesetzt. Manchmal bleibt bei den Akteuren allerdings Enttäuschung zurück, wenn nur circa 10 bis 20 Prozent der eingeladenen

Schülerschaft zu einem Tag der beruflichen Bildung kommen. Der Eindruck der Vorbereitenden ist, dass es in der Schule keine Priorität hat.

Es gibt aber auch an einer anderen Stelle enttäuschende Erfahrungen. Wiederholt habe ich von Unternehmen gehört, die sich bereit erklärt haben, bei einem Tag der beruflichen Bildung in einer Schule mitwirken zu wollen, keine Schule hat sich gemeldet, auf Nachfrage bei der Behörde wurden sie auf das nächste Jahr vertröstet. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Wie demotivierend! Gibt es denn keine übergeordnete Koordination oder stürmen die Unternehmen bei der Kooperation wirklich in Massen an?

Berufsorientierung, die frühzeitig und realistisch an die Bedarfe und Anforderungen der Arbeitswelt heranführt, muss curricular und standardmäßig verankert werden und darf nicht einmal stattfinden und einmal nicht.

Die chronische Unterfinanzierung im Bremer Bildungssystem, die zum Beispiel an den Berufsschulen in Form eines Sanierungsstaus in Höhe von 675 Millionen Euro und an zu wenigen Lehrkräften sichtbar wird, ist allein betrachtet schon ein Eigentor. Hinzu kommt eine mangelhafte Ressourcenausstattung für Schnittstellenarbeit in beruflicher Bildung. Das wird die Gesellschaft langfristig deutlich mehr kosten als gesteuerte Investitionen an diesen Schnittstellen. Meine Damen und Herren, im Antrag der CDU-Fraktion wird auch die Kapazität von Sozialarbeit angesprochen. Als ich neulich in der Schule war, habe ich eine Schulleiterin gefragt, wenn sie einen Wunsch an den Senat frei hätte, was sie sich wünschen würde, und sie hat gesagt, Schulsozialarbeiter mit Migrationshintergrund, die mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

(Abgeordnete Sprehe [SPD]: Machen das alle an- deren nicht?)

Als ehemalige Schulsozialarbeiterin habe ich eine Ahnung, wovon sie spricht. Jugendliche mit Migrationshintergrund, denen unser Schulwesen fremd ist, sind häufig nicht dazu zu motivieren, sich selbst einen Praktikumsplatz zu suchen. Es sei denn, ein naher Verwandter bietet zufällig etwas mehr oder weniger passendes an. Dasselbe gilt für manchen bildungsfernen Jugendlichen, der hier aufgewachsen ist. Eine Veranstaltung zur Berufsorientierung, die nicht direkt in der Schule stattfindet, wird von vielen dieser Jugendlichen nicht aufgesucht und

das ist eine große Herausforderung für die begleitende Schule, die ja durchaus Verständnis für die komplexe Lebenssituation der Betroffenen hat. Ein individuelles und verbindlich gestaltetes Mentorensystem zu prüfen, das bei Übergängen, Lernprozessen und Krisen Unterstützung anbieten kann, halten wir Freien Demokraten daher für sinnvoll.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, wenn die Integration bis in die berufliche Selbstständigkeit hinein gelingen soll, muss der Senat sich vielleicht auch Gedanken darüber machen, welche Maßnahmen denkbar, hilfreich, notwendig oder vertretbar sind, um bei Bedarf auch Eltern zu einer notwendigen Kooperation zu bewegen. Es geht um die Zukunft und das Wohl der Kinder. Ich gebe keine Antwort darauf, wie das aussehen soll, aber lieber Senat, lassen Sie die Schulen und Lehrkräfte vor Ort mit diesen sehr herausfordernden Alltagsfragestellungen nicht allein.

Meine Damen und Herren, die wesentliche Aufgabe der Schule ist die Vorbereitung auf das berufliche Leben. Dass Schule und Berufsleben sich verzahnen, kann keine Frage individueller Initiative und damit Glückssache sein. Es braucht mehr: Strukturieren, Kooperieren, Systematisieren, Verstetigen und mit Ressourcen Hinterlegen. Bremen kann das, Bremen muss das. Deswegen fordern wir den Senat auf, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wir stimmen dem Antrag der CDU-Fraktion vollumfänglich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei kurze Anmerkungen machen, insbesondere zum Kollegen Güngör. Sie haben es für richtig gehalten, hier nach dem Motto zu verfahren, Angriff ist die beste Verteidigung.

(Abgeordneter Güngör [SPD]: Ich habe nur Inhalte Ihres Antrags wiedergegeben!)

Ich habe zur Kenntnis genommen, Herr Güngör, dass Sie die zugrundeliegenden Probleme, die ich

hier angesprochen habe und die auch in dem Antrag deutlich formuliert und deutlich begründet sind, –

(Abgeordneter Güngör [SPD]: Sind sie eben nicht!)

nämlich eine mangelhafte Ausbildungsfähigkeit, eine mangelhafte Studienfähigkeit zulasten unserer Kinder und unserer Jugendlichen, vollständig ausgeblendet und überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Es scheint Ihnen egal zu sein, dass die Ausbildungsabbrüche in Bremen seit Jahren steigen und dass sie seit kurzer Zeit auch in der Bundesrepublik überdurchschnittlich sind. Es scheint Ihnen entgangen zu sein, dass die Studienfähigkeit an den Hochschulen und an der Universität –

(Zwischenrufe)

dass die Wahrscheinlichkeit mit einem Abschluss einer Bremer Hochschule zum Erfolg zu kommen systematisch schlechter ist als von anderen Absolventen. Das, meine Damen und Herren, ist auch die Neuigkeit. Unser Impetus ist es, hier nicht immer nur ausschließlich aus Sicht des Systems zu argumentieren, sondern unsere Argumentation orientiert sich an der Perspektive der Betroffenen. Das ist mir wichtig, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Das Zweite, was entlarvend war, ist Ihre hintergründige ausschließliche Ausrichtung auf das Abitur. Die ideologische Sichtweise – zwei Schulen, ein Ziel – haben Sie bis heute nicht aufgegeben. Deshalb ist es auch Ihre Verantwortung, dass das duale System auf Dauer immer mehr ausgehöhlt wird, auch wenn der Kollege Abgeordneter Herr Dr. Güldner hier etwas anderes postuliert. Wir wollen keine Bewertung in der Tatsache, dass wir Schulen und Schularten profilieren wollen, sondern für uns ist das eine Stärkung. Das hat auch in keiner Weise in irgendeiner Form damit zu tun, dass das System infrage gestellt wird. Stattdessen wird es das System sowie die berufliche Vorbereitung und die Vorbereitung in Richtung Studium stabilisieren. – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Dr. Bogedan.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel des Antrags hat uns, glaube ich, alle in große Erwartungsfreude versetzt, denn ich glaube, wir sind uns alle hier im Saal einig, dass das ein ganz wichtiges Thema ist und ein Thema, bei dem wir auch in den letzten Jahren als Senat sehr aktiv waren und auch vieles erreicht haben. Allein, das was im Antrag folgt, ist eine bittere Enttäuschung, denn es hat, ehrlich gesagt, mit der Überschrift ganz wenig zu tun.

Aus meiner Sicht ist deshalb auch der Antrag schlichtweg abzulehnen, weil man würde unter so einen Aufsatz schreiben, Thema verfehlt. Die Annahmen sind falsch und ehrlich gesagt, nur weil der Applaus immer lauter wird, werden sie auch nicht wahrer.

(Beifall SPD, DIE LINKE)

Herr Güngör hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir bereits im Juni 2017, also nicht diesen Jahres, also nicht kurz bevor Sie den Antrag vorgelegt haben, sondern genau ein Jahr davor, ein voll umfängliches Maßnahmenpaket in der Deputation beraten haben. In dem haben wir dargelegt, gemeinsam mit dem Bund ein Programm aufzulegen, wie wir die Berufs- und Studienvorbereitung im Lande Bremen verbessern und das ist auch jetzt bereits in Umsetzung.

(Beifall SPD)

Sie fordern für unser Qualitätsinstitut einen wissenschaftlichen Beirat, der längst beschlossen ist. Sie glauben, dass die Leistungsvereinbarungen an allgemeinbildenden Schulen dazu beitragen, die Studien- und Berufsorientierung zu verbessern, allein wie, bleiben Sie uns als Antwort schuldig. Sie fordern eine Weiterentwicklung des bremischen Schulsystems. Ja, worüber haben wir denn in den Sommerwochen verhandelt? Genau doch darüber. Vier Parteien haben einen Konsens geschlossen, der die Überschrift trägt: Die Weiterentwicklung des bremischen Schulsystems. Inwieweit die anderen Maßnahmen, die Sie vorschlagen, irgendetwas zu dem Ziel des Antrages beitragen, diese Antwort sind Sie auch hier in der Debatte meines Erachtens schuldig geblieben.

Viel mehr noch, Sie fordern ein verpflichtendes letztes Kita-Jahr, ja, sehr gern. Wir haben doch immer davon gesprochen, wir wollen mehr Bildungszeit. Dieser Senat steht dafür, dass wir den Kita

Ausbau massiv vorangebracht haben, weil wir gesagt haben, je mehr Bildungszeit wir am Anfang geben, je stärker wir die Grundlagen setzen, desto besser ist es für den Bildungserfolg. Und alles das, was am Ende kommt, da können wir nur noch Korrekturbetrieb machen, aber die Grundlagen müssen am Anfang gelernt werden, also mehr Bildungszeit am Anfang, das ist doch genau die Programmatik, für die ich seit Amtsantritt stehe.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Und so zu tun, als müssten wir im Land Bremen ein G9 einführen, das ist wirklich hanebüchen, es existiert. Die Mehrheit der Abiturientinnen und Abiturienten im Land Bremen machen ihr Abitur im 13jährigen Bildungsgang und nicht im 12-jährigen. Der 12-jährige Bildungsgang bietet aber auch für diejenigen, die diesen Bildungsgang wählen, den gleichen Zugang zur Berufsorientierung. Hätten Sie sich also sachlich und fachlich mit der Frage auseinandergesetzt, wäre Ihnen aufgefallen, dass die Richtlinie zur Berufsorientierung, in der wir Berufsorientierungskräfte, in der wir die Maßnahmen, den Tag der beruflichen Bildung festgelegt haben, es wäre hilfreich, wenn Sie zuhören könnten, dann könnten Sie vielleicht noch etwas lernen, lieber Herr Röwekamp.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Von Ihnen kann ich gar nichts lernen!)

Das ist, glaube ich, genau das Problem. Weil das ist es, was mein Beitrag gerade sagt. Hätten Sie zugehört, hätten Sie gelesen, hätten Sie sich mit dem auseinandergesetzt, was wir gemacht haben und nicht aus Quatsch auf Papiere schreiben –

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Ich sehe auch Ihre Ergebnisse!)

dann hätten Sie gemerkt, dass Ihr Antrag weit am Thema vorbeigeht.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Maßnahmen scheinen nicht zu helfen – was hilft ist doch ganz klar: Ein systematischer Aufbau von Berufsorientierung wie die Bund-Länder-Vereinbarung, die wir, wie gesagt, im Juni bereits beschlossen haben. Was wirklich hilft ist, wenn es uns doch gelingt die berufliche Praxis und die Allgemeinbildung stärker miteinander zu verknüpfen und miteinander zu bringen. Wir haben jüngst – im November ist immer der Tag der beruflichen Bildung – und es ist uns gelungen, in diesem Jahr 60

zusätzliche Betriebe mit Unterstützung der Handelskammer dafür zu bekommen, dass sie in den Schulen für Beratung zur Verfügung gestanden haben, auch das ist ein wichtiger Beitrag, tatsächlich Berufs- und Studienorientierung zu verbessern.

(Zuruf Abgeordnete Bergmann [FDP])

Die sind angeschrieben worden und es können sich alle bewerben und die Schulen stehen offen. Im Rahmen der Richtlinie zur Berufsorientierung, liebe Frau Bergmann, das hätten auch Sie lesen können, ist sogar gewünscht, dass Schulen Kooperationsvereinbarungen mit Betrieben schließen. Also müssen wir das gar nicht alles erst fordern, es ist in der Tat vorhanden.

(Zuruf Abgeordnete Bergmann [FDP])

Insofern bleibt mir zum Schluss nur zu sagen, ich hätte mich sehr gefreut, hätten wir hier ernsthaft darüber gesprochen, was die Arbeitswelt von morgen uns eigentlich abverlangt. Da hätte auch das Wort Digitalisierung hier vielleicht in dem Antrag doch ganz gut getan, noch einmal zu schauen, was sind denn eigentlich die Herausforderungen, die uns erwarten. Vielleicht hätte es auch gut getan, uns noch einmal anzuschauen, wie wollen wir denn eigentlich ein Übergangssystem gestalten, das den Anforderungen einer Arbeitswelt von Morgen gerecht wird. Das alles wäre ein nennenswerter Beitrag zur Verbesserung der Berufs- und Studienorientierung gewesen. Allein es fehlt in diesem Antrag.

(Beifall SPD)

Zum Glück ist es so, dass wir selbst die Ideen, die Kompetenz und auch die Tatkraft haben, die nötigen Schritte zu initiieren und wir auf Ihre irritierenden Vorschläge nicht angewiesen sind. – Vielen Dank!