Protokoll der Sitzung vom 12.12.2018

Die Bremer Wirtschaft dagegen scheint zu wissen, was die Stunde geschlagen hat, und bereitet sich intensiv auf die potenzielle Krisenzeit vor. Sie hat umfassende Leitfäden, die IHK hat eine BrexitCheckliste erstellt, die Unternehmen, Institutionen und Bürger nutzen können. Dieser Service wird bereits dankend in Anspruch genommen.

Zu Recht bereitet sich die Bremer Wirtschaft vor. Letztes Jahr hat das Bundesland Bremen Waren im Wert von 1,8 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich exportiert und im Wert von 700 Millionen importiert. Das Vereinigte Königreich ist nach Frankreich und USA der drittwichtigste Handelspartner für Bremen. Und das meiste wird natürlich über unsere Häfen abgewickelt.

Während der Senat meint, dass sich makroökonomische Entwicklungen nicht abschätzen lassen, warten Unternehmen, die eine solche Krise ökonomisch überleben müssen, nicht ab. Airbus zum Beispiel schafft sich bereits präventiv zusätzliche Lufttransportkapazität durch Anmietung russischer Flugzeuge, weil Zulieferwaren unter anderem ab dem Zeitpunkt Null woanders geholt werden müssen. Bei einer Auftragssicherheit von neun Jahren kostet der Ruhetag eine Milliarde Euro. Eine Unterbrechung von supply chain über einen Monat, um Übergangsregelungen zu vereinbaren, kann sich

so ein Unternehmen einfach nicht leisten. Deswegen investieren sie bereits jetzt kreativ und eindrucksvoll, um für den fraglichen Tag vorbereitet zu sein. Wir Freien Demokraten wünschen uns dieselbe Tatkraft, Investitionsfreundlichkeit und Präventionsanstrengungen für Krisenzeiten wie die Unternehmen, deren Überleben von der Krisenbewältigung abhängt.

(Abgeordnete Grotheer [SPD]: Welche supply chain soll denn der Senat ersetzen? Machen Sie doch einmal einen konkreten Vorschlag!)

Das supply chain, war ein Beispiel der inhaltlichen Vorbereitung. Es ist nicht derselbe – –.

(Abgeordnete Grotheer [SPD]: Nennen Sie eine Stelle an der der Senat etwas hätte tun müssen, was er Ihrer Meinung nach nicht getan hat!)

Auch für Bremen hängt im Fall eines Brexits viel von einem mutigen Krisenmanagement ab. Ich habe vorhin gesagt, wo sie keine Taskforce und so weiter aufgestellt haben, das sind einfach Dinge, das unterscheidet sich im Impetus, wie der eine handelt und wie der andere handelt.

(Abgeordnete Grotheer [SPD]: Aber Sie sind doch immer der Meinung, Arbeitsgruppen braucht der Senat nicht!)

Wir Freien Demokraten fordern den Senat auf, sich auch auf Bundesebene für die Themen einzusetzen, die für das Land im fraglichen Fall eine entscheidende Rolle spielen werden. Dazu gehört zum Beispiel die Klärung, wie mit der Freizügigkeit britischer Staatsangehöriger nach dem Brexit umgegangen wird.

(Abgeordnete Grotheer [SPD]: Aber das kann der Senat nicht!)

Da habe ich gesagt, er soll sich auf Bundesebene einsetzen. Zweitens, wie mit einer massiven Reduktion europäischer Kofinanzierung in Bremen vorgebeugt werden kann. Und drittens, wie endlich ein transparentes Einwanderungsgesetz verabschiedet werden kann, wie wir es in einer der letzten Sitzungen hier gemeinsam gefordert haben.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, ob unsere Analysen bezüglich des Entstehens des Brexits stimmen, ob unsere Folgenabschätzungen realistisch sind, ob Frau Merkel, Frankreich, Brüssel, ob die böse oder

schuld sind, ist für die vorliegende Fragestellung letzten Endes zweitrangig.

Wir müssen uns vorbereiten. Lassen Sie uns das als Land so gut wie möglich umsetzen und lassen Sie uns so viel freies und integratives Europa schaffen und erhalten, wie es nur geht. Dies ist letztlich nützlich für Bremen, hilfreich für Deutschland, stabilisierend für Europa und letztlich die Welt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tassis.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! Der Präsident hat mit seinem Ton die ganze Begeisterung darüber zum Ausdruck gebracht, dass ich mich zu Wort gemeldet habe. Lassen Sie mich nur einige Worte zu der, in der Tat beinahe nicht mehr zu kommentierenden, Tonlage dieser Bremischen Bürgerschaft verlieren. Die Kollegin Bergmann sagt, es wäre alternativlos. Die EU ist nicht alternativlos, alternativlos ist einzig und allein die Freiheit der Völker und der Nationen. Zweitens, es gibt überhaupt gar keinen Europafeind hier in der Bremischen Bürgerschaft, nicht einen einzigen. Es gibt in der Tat mindestens einen Feind der Europäischen Union. Das ist streng zu unterscheiden.

Ich möchte einmal wissen, wo wir in den letzten siebzig Jahren im Warenverkehr mit der Schweiz Probleme hatten. Es gibt keine Probleme mit der Schweiz, es wird in der Zukunft auch keine Probleme mit Großbritannien geben. Das sind alles Horrorszenarien, die die Kollegin Dr. Müller allerdings sehr richtig widerlegt hat, da die Fachleute, die sie befragt hat oder die ihr Auskunft gegeben haben, die Logistiker, in der Tat auch keine große Aufregung erkennen lassen, da eine Drittstaatenregelung völlig normal ist und für 90 Prozent aller Staaten der Welt gilt.

Hier in der Bremischen Bürgerschaft möchte ich das britische Volk eindeutig zu seinem Mut beglückwünschen, diese verdammenswerte EU, diese Ruinen Griechenlands, des Landes meines Vaters, zu verlassen. Ich wünsche, dass auch Griechenland diesen Mut hat. Ich wünsche selbstverständlich, dass auch Deutschland, sofern sich die EU nach der nächsten Europawahl nicht grundsätzlich als reformfähig erweist, ebenfalls die Europäische Union verlässt, so schnell wie möglich, denn, wie gesagt, die einzige Alternativlosigkeit ist die

Freiheit der europäischen Völker und Nationen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Grotheer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Tassis, das war ja wieder ein starkes Stück. Ich weiß ja nicht, an welchen Gott Sie glauben, aber wen oder was der verflucht, wird wahrscheinlich auch Ihr Gott Ihnen am Tag des Jüngsten Gerichts sagen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Ich habe da eine ganz andere Einschätzung als Sie, wen er verfluchen wird. Und ich bin relativ sicher, dass er die Europäische Union nicht verflucht.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Dann ist es aller- dings auch schon zu spät für Sie, Herr Tassis!)

Vielen Dank für die Unterstützung, Herr Kollege!

Wenn wir über die Auswirkungen des Brexits reden und welche der Brexit für Bremen haben kann, und die Frage der Vorbereitung darauf, Frau Bergmann, dann haben Sie völlig richtig gesagt, das entscheidet sich letztlich an der Frage des mehrjährigen Finanzrahmens.

Da sind Sie aber auch nicht schlauer als ich, glaube ich, weil Sie nämlich auch noch keinen haben, sondern nur Entwürfe kennen. Die Entwürfe gehen auch noch von unterschiedlichen Szenarien aus. Die Entwürfe behandeln auch noch unterschiedliche Vorgehensweisen. Und soweit ich weiß, hat Bremen, genauso wie alle anderen Länder in der Bundesrepublik Deutschland, sehr deutlich gemacht, dass es erwartet, dass Bremen auch weiterhin an einem Kohäsionsfonds partizipieren kann, genau wie alle anderen Bundesländer.

Deswegen sind wir der Meinung, dass wir an der Stelle, und da muss ich den Senat tatsächlich einmal in Schutz nehmen, wirklich genug getan haben. Frau Bergmann begreift es sonst vielleicht nicht, ich mache es an diesen wenigen Punkten deutlich, ich will nicht die gesamte Rede aufgreifen.

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: Danke für das Kompliment!)

Das war gar nicht despektierlich gemeint, sondern es ging mir nur um diese wenigen Punkte.

Nun zu der Frage: Brauchen wir eine Taskforce oder nicht? Gerade Sie sagen, der Senat soll sich nicht immer in Arbeitsgruppen, in Vorbereitungsrunden, in Deputationsbefassungen, Anhörungen oder sonst etwas ergehen, der Senat soll handeln. Super, an dieser Stelle hat der Senat gehandelt. Er hat 20 Gesetze identifiziert, die Vorbereitungen sind getroffen, er plant die Anerkennung der Briten, sodass sie weiter im öffentlichen Dienst bleiben können – er kümmert sich.

Ich habe ganz früh angefangen, mit den Menschen bei uns im Bereich Bund/Europa über die Frage zu diskutieren, was es denn braucht. Ich habe den Eindruck, dass die Niedersachsen, die sogar einen Kollegen haben, der in Brüssel diese Diskussion für die Länder verfolgt, kein Stück besser informiert sind als wir. Die Bundesländer arbeiten da nämlich hervorragend zusammen, weil sie alle mit einer Stimme sprechen.

Dann zu der Frage, ob die Unternehmen besser als wir handeln. Auch da, Frau Bergmann, als dritten Punkt – –. Frau Bergmann, ich spreche gerade mit Ihnen, es wäre nett, wenn Sie zuhören. Bei der Frage: Handeln die Unternehmen und handeln sie besser oder anders als der Senat? Natürlich handeln die Unternehmen. Gerade Sie betonen doch immer, dass wir die Unternehmer Unternehmer sein lassen sollen und dass die ihr eigenes Risiko am besten kennen und die Anforderungen für sich am besten formulieren können. Soll der Senat jetzt für Airbus supply chains organisieren? Ich habe doch gesagt, Sie sollen ein konkretes Beispiel nennen, das ist hier in der Debatte aber nicht gelungen – ein konkretes Beispiel. Ein konkretes Beispiel, bei dem der Senat eine Handlung nicht vorgenommen hat, die zwingend notwendig wäre.

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: Eine Taskforce einsetzen! – Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Wozu?)

Was kann denn die Taskforce tun? Noch eine Arbeitsgruppe, die Sie sonst immer kritisieren, wenn der Senat sie einsetzt. Wenn die Staatsräterunde sich damit beschäftigt, dann ist das die höchstrangige Taskforce jenseits des Senats, die ich mir vorstellen kann. Ich weiß gar nicht, was da noch mehr geht. Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht. Ich glaube, im Moment ist meiner Einschätzung nach – und es ist keine Frage des Glaubens – keine Landesregierung schlauer als irgendeine andere.

Die Gremien nennen sich unterschiedlich, in denen sich die Landesregierungen mit diesem Thema beschäftigen. Mein Eindruck ist aber, dass die sich sehr wohl regelmäßig miteinander, sowohl in Brüssel als auch in Berlin, zu der Frage austauschen: Wie regeln wir es denn gemeinsam? Die Bundesländer sind alle betroffen und müssen sicherstellen, dass der Bund, der als Einziger an den Verhandlungen zumindest mittelbar beteiligt ist, sie auch informiert.

Ich bin froh darüber, dass durchgesetzt worden ist, dass auch der Bundestag sich dazu äußern wird und dass der Bundesrat in diese Frage einzubeziehen ist. Das ist für uns wichtig, und wir werden uns das nicht aus der Hand nehmen lassen, wie die Briten, die ein, für mich nicht nachvollziehbares Votum getroffen haben und dann mit irgendetwas leben müssen oder nicht leben müssen und von dem viele sagen, dass sie das damals gar nicht haben einschätzen können, sondern wir haben politisch alle gemeinsam die Chance, da etwas voranzubringen.

Die Varianten, die da in jeglicher Art und Weise denkbar sind, wie man mit Großbritannien umgeht, sind eben nur denkbar, wenn man mit denen an einem Tisch weiterverhandeln kann. Diese Entscheidung fällt aber im Moment tatsächlich in Großbritannien und nicht bei uns. Wenn wir dann wissen, wie die Entscheidung aussieht, dann wird auch die EU einen Umgang damit finden, genauso wie die Bundesrepublik Deutschland und Bremen einen Umgang damit werden finden müssen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Bürgermeister Dr. Sieling.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage heißt: Ist Bremen für den Brexit ausreichend gewappnet? Sie haben es beantwortet: Ja, Bremen ist gewappnet, nur Großbritannien weiß nicht, was es machen soll und machen wird. Deshalb ist es wichtig, dass man bei der Vorbereitung noch eine bestimmte Beweglichkeit und Flexibilität beibehält. Wir wissen nicht, ob das ausgehandelte Vertragswerk in der Form, die alle haben, der Kommissionspräsident Juncker, die Bundeskanzlerin, andere Regierungschefs, die Endfassung ist. Ob es das britische Parlament passiert oder ob wir einen harten Brexit bekommen oder ob es eine Besinnung dahingehend gibt, dass es in Großbritannien

noch einmal eine Volksabstimmung gibt. Ich will sehr deutlich sagen, mein Favorit ist der letzte Weg.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dann würde Großbritannien in der EU bleiben. Ich fände, das wäre die beste Antwort für die Menschen in Großbritannien, für Europa und natürlich auch für Deutschland und Bremen. Wir haben, und das ist hier diskutiert worden, für die Wirtschaft kräftige Veränderungen zu erwarten, denn Großbritannien ist für Bremen der drittwichtigste Exportmarkt innerhalb der EU. Von daher müssen wir sehen, dass sich dort Dinge verändern können. Ich warne aber davor, auf der einen Seite zu rufen, das wird zu ganz großen Verwerfungen kommen, oder zu meinen, das bekommt man alles ganz gelassen mit links auf den Weg. Nein, man muss sich natürlich darauf einstellen. Wir wissen, dass die bremischen Häfen für den Handel mit Großbritannien nicht die Bedeutung haben wie beispielsweise der Hafen Cuxhaven. Wir wissen aber natürlich, dass bremische Unternehmen, die Handel mit Großbritannien führen, mit britischen Firmen, auch über Cuxhaven gehen oder auch über die Wege in anderen europäischen Nachbarstaaten. Von daher ist das ein wichtiger Aspekt, und deshalb bereiten wir uns vor und sind vorbereitet auch in Gesprächen mit der Bundesregierung bei der Frage des Zolls und der Organisation des Zolls.

Wir haben natürlich auch im Auge, dahin kann es ja kommen, dass es bei Bedarf auch Lagerkapazitäten geben muss, auch so etwas bereiten wir vor.

Wichtig sind ebenso die besonderen Herausforderungen, die auch namentlich mit Firmen diskutiert worden sind. Airbus hat seine Anstrengungen in der vergangenen Woche in Bremen präsentiert. Ich kann alle beruhigen, die sich Sorgen machen. Unser Wirtschaftssenator Martin Günthner ist ständig im Gespräch mit Airbus. Ich selbst bin morgen Vormittag bei Airbus, und natürlich werden wir auch darüber reden, aber wir schaffen vor allem Vorsorge dafür, dass diese komplizierte innereuropäische Arbeitsteilung weiter funktionieren kann und werden im Notfall auch einen bremischen Zusatzbeitrag leisten. Da sind dann vielleicht auch Sie als Parlament gefragt, weil es Entscheidungen über Erweiterungen bei Airbus in Bremen zu treffen gibt. Wir sind darauf vorbereitet, und ich würde mich freuen, wenn Sie das dann unterstützen würden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben, die Abgeordnete Antje Grotheer hat darauf dankenswerterweise hingewiesen, wichtige weitere Fragen, insbesondere im Hinblick auf den Wissenschaftsaustauschs, die Entwicklung von Ausbildung und Qualifizierung für junge Leute, zu klären. Wir achten sehr darauf und führen Gespräche, dass sich die wichtigen Programme Erasmus+, Interreg, aber natürlich auch der Wissenschafts- und Forschungsbereich insgesamt weiterentwickeln können. Wir haben auch die vielen Menschen im Auge, die gebürtige Briten sind und eine britische Staatsangehörigkeit haben. Wir werden die Einbürgerungsmöglichkeiten vereinfachen, das machen wir schon jetzt.