Protokoll der Sitzung vom 13.12.2018

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Erlass der AVE wurde zwar im Tarifvertragsgesetz von 2015 erleichtert, das bestehende Vetorecht der durchaus auch branchenfremden Arbeitgeber führt aber dazu, dass die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifverträge leider nicht zugenommen hat. Deshalb fordern wir den Senat auf, sich dafür einzusetzen, dass der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit im Tarifausschuss nur dann abgelehnt werden kann, wenn sich auch eine Mehrheit dagegen ausspricht. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt haben wir aber eine Situation, dass auch branchenfremde Arbeitgeber einen Widerspruch einlegen können und die einigungswillige und -fähige Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband daran hindern, den in dieser Branche geforderten Tarifvertrag abzuschließen. Das ist doch irre! Ich glaube nicht, dass sich die Welt damit komplett ändert und wir den Himmel auf Erden haben. Nein, natürlich brauchen wir weitere Maßnahmen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass zum Beispiel der Tarifflucht von Arbeitgebern entgegengewirkt werden muss, und zwar, indem beispielsweise die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung nicht zugelassen wird. Es braucht des Weiteren auch ein Verbandsklagerecht, damit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Tarifverstöße ahnden können. Das alles ist aber in weiteren Schritten und alles auch nicht bis zum 26. Mai 2019 zu erledigen, Herr Kastendiek. – Danke!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Steiner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt, ehrlich gesagt, ein bisschen sprachlos. Frau Böschen, wenn ich Ihnen zuhöre, dann bekomme ich einen Pulsschlag von 500. Ich bin entsetzt, denn was Sie hier erzählen, der Fachkräftemangel würde wegen fehlender Tarifbindung zustande kommen. Solchen Unfug habe ich das ganze Jahr noch nicht gehört.

(Beifall FDP, CDU)

So ein Unsinn! Glauben Sie denn wirklich, wir haben hier Arbeitsbedingungen wie in Puerto Rico, wo die Leute immer weiter ausgebeutet werden. Ich weiß ja nicht, in welchen Unternehmen Sie jemals gearbeitet haben, aber die, die ich kenne, haben solche Arbeitsbedingungen nicht, egal ob sie tarifgebunden sind oder nicht.

(Beifall FDP, CDU)

Grundsätzlich ist es so, dass in Deutschland die Tarifbindung in den vergangenen Jahren sicherlich abgenommen hat. In Westdeutschland arbeitet nur noch jeder zweite Beschäftigte in einem Betrieb, der an einen Branchentarifvertrag angebunden ist. Ja, soweit so gut.

Die Hälfte der Arbeitnehmer, die in einem solchen Betrieb arbeiten, sind in Unternehmen beschäftigt, die sich entweder an den branchenüblichen Tarifverträgen orientieren oder auch einen Haustarifvertrag haben. Auch das darf man nicht vergessen, dass viele Unternehmen auch davon Gebrauch machen. Bei den Arbeitgebern hat der Organisationsgrad abgenommen und in Westdeutschland sind nur noch etwa 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden, in Bremen sind es wegen der vielen Industrieunternehmen sogar nur noch 24 Prozent.

Die Faustregel ist: je größer ein Unternehmen, desto höher die Chancen, dass es tarifgebunden ist. Eine wesentliche Ursache ist, dass die Gewerkschaften in Deutschland Probleme haben, Mitglieder zu gewinnen, und am deutlichsten wird dies übrigens beim DGB, der im Jahr 2000 noch 7,8 Millionen Arbeitnehmer vertreten hat und im Jahr 2017 waren es noch sechs Millionen Arbeitnehmer. Das heißt, nicht einmal jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland ist in einer Gewerkschaft organisiert. Das muss uns immer klar sein, wenn wir über das Thema sprechen. Gerade einmal eine geringe Minderheit ist gewerkschaftlich organisiert. Sie tun hier so, als würde das jeden Arbeitnehmer betreffen, der verpflichtend Mitglied der Arbeitnehmerkammer ist, als Zwangsmitgliedschaft, aber auch das ist Quatsch.

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass sowohl Arbeitgeberverbände als auch Gewerkschaften wieder mehr Menschen für eine Mitgliedschaft begeistern und so übrigens auch die Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft wieder gestärkt wird, –

(Beifall FDP)

so wie die Arbeitgeber sich selbst entscheiden können, in welchem Verband sie sich organisieren wollen. Wenn die Arbeitnehmer nicht Mitglied einer Gewerkschaft sein wollen, dann kann doch der Staat dies nicht erzwingen und das sollte auch nicht unsere Auffassung sein. Nur weil ein Unternehmen nicht tarifgebunden ist, ist es nicht automatisch ein schlechtes Unternehmen oder zahlt irgendwelche Niedriglöhne. Das ist Unsinn.

(Abgeordnete Böschen [SPD]: Das hat auch keiner behauptet!)

Viele Unternehmen, besonders Familienunternehmen, sind ohne Tarifbindung und haben durch ihre hohe soziale Verantwortung aus sich selbst heraus übrigens beste Arbeitsbedingungen. Es gibt keinen Anlass, jeden in diese Geschichte hineinzuzwingen.

(Beifall FDP)

Jetzt noch einmal zum Antrag: Nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes können Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden, wenn das öffentliche Interesse dies für geboten erscheinen lässt. Dafür müssen sowohl die zuständigen Arbeitnehmer als auch die zuständige Arbeitgebervertretung dies beantragen und der Tarifausschuss, ein Gremium bestehend aus drei Vertretern, nämlich der Spitzenorganisation der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, muss dem Antrag dann auch mehrheitlich zustimmen. Der Bund kann das Verfahren auf die Länder übertragen, wenn der entsprechende Tarifvertrag auch nur für das Bundesland Anwendung findet. Dies ist übrigens in diesem Jahr in Bremen im Hotel- und Gaststättengewerbe passiert. Der uns vorliegende Antrag soll jetzt dieses Prozedere zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen einseitig ändern. Zukünftig soll eine Mehrheit im Tarifausschuss gegen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nötig sein, damit nämlich verhindert werden kann. Da das Gremium aus drei Vertretern von Arbeitnehmern und drei Vertretern von Arbeitgebern besteht, soll es jetzt nach Ansicht von Ihnen, rot-grüne Koalition, ausreichend sein, wenn alle Arbeitnehmervertreter oder alle Arbeitgebervertreter für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung stimmen. Um eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu verhindern, müsste eine Stimme aus dem anderen Lager gewonnen werden. Zusätzlich soll zukünftig auch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung sogar ohne Antrag der beiden oder gar einer Tarifpartei möglich sein. Mit beiden Forderungen unternimmt die rot-grüne Koalition damit einen Flächeneingriff

in die Autonomie der Tarifpartner und versucht, die Tarifautonomie in Deutschland zu schwächen. Das lehnen wir entschieden ab!

(Beifall FDP)

Als Freie Demokraten stellen wir uns der Vorstellung komplett entgegen, dass der Staat den richtigen Tarifvertrag oder sogar die richtigen Löhne festlegt. Wir setzen weiterhin auf die Tarifparteien, die zusammen in kontroversen Verhandlungen das fairste Ergebnis für die jeweilige Branche erzielen. Das dauert zwar manchmal ein bisschen länger, aber wir haben es ja jüngst beim Bremer Hotel- und Gaststättengewerbe gesehen, dass es auch funktioniert. Tarifbindung kann man nicht mit der sprichwörtlichen politischen Brechstange durchsetzen, denn nur wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu einem gemeinsam verhandelten Ergebnis kommen, ist auch tatsächlich in den eigenen Reihen Akzeptanz zu erwarten.

Wir hoffen, Frau Böschen, dass auch Sie merken, dass nicht alle Unternehmen im Land Bremen böse sind. – Danke!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Siering.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn gern noch einmal klarstellen, die Stärkung der Tarifbindung ist für den Senat ein ganz zentrales Anliegen, für das er sich auch zukünftig einsetzen wird.

(Beifall SPD)

Unser Ziel muss doch sein, Anreize zu setzen, um die Bereitschaft von Arbeitgebern zu fördern, entweder Branchentarifverträge abzuschließen oder sich auch an bereits bestehende Branchentarifverträge zu binden. Um dies zu erreichen, kann die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein Instrument sein. Ich sage ausdrücklich, kann ein Instrument sein, neben vielen. Es wird sicherlich nicht das sein, was alle gleichermaßen glücklich macht und alle Probleme löst, aber es ist zumindest eins, was uns hier deutlich unterstützen kann.

Tarifverträge oder eben auch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen führen zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und das oftmals in den

Branchen und in den Bereichen, in denen wir es gerade mit den Gruppen zu tun haben, über die wir in den letzten zwei Tagen viel diskutiert haben, nämlich gerade dort, wo es geringe Einkünfte gibt, wo oftmals Frauen betroffen sind. Auch das haben wir gehört. Deswegen ist es durchaus richtig und wichtig, dass wir dafür Sorge tragen, dass zumindest Mindeststandards gerade in diesen Bereichen Einzug finden.

(Beifall SPD)

Ich habe der Debatte kein Arbeitgeber-Bashing entnehmen können. Ich habe nicht gehört, alle Arbeitgeber behandeln ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen übel und nehmen sie aus. Die gibt es aber auch, das muss man zugeben. Aber das ist gar nicht der Fokus hier, sondern es geht darum, diese Mindeststandards zu definieren, damit am Ende die Arbeitsbedingungen vernünftig sind. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen verhelfen nämlich bestehenden Tarifverträgen zu einer flächendeckenden Geltung, nämlich genau dort, wo eine herausragende Bedeutung bereits besteht oder auch die strukturelle Entwicklung in einer Branche die Absicherung der tariflichen Normen verlangt.

Was gerade angeklungen ist, ist ja auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung, die wir im Bereich Hotel und Gaststätten geschafft haben. Dem voraus ging der Branchendialog, den wir durchgeführt haben, den wir auch trotz der Allgemeinverbindlichkeitserklärung fortführen werden, aber Sie sehen daran, dass hier etwas ausgebracht worden ist, auf das man weiter aufbauen kann, und trotzdem werden alle Tarifparteien hier auch weiter miteinander daran arbeiten, zu weiteren Verbesserungen zu kommen.

Ich will mich deswegen bei den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD ausdrücklich für den Antrag bedanken, denn es ist durchaus wichtig, dass wir auch schauen, wie wir das Instrument weiter schärfen können. Zwei Gesichtspunkte sprechen besonders für sich, auch hier die Diskussion weiter zu führen: zum einen das Vetorecht der Arbeitgeberseite und zum anderen die Frage nach der Legitimation der Antragstellenden. Die derzeitige Regelung, dass das Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung scheitert, wenn im Tarifausschuss eine Pattsituation besteht, führt ja faktisch zu einem Vetorecht der Ausschussmitglieder auf der Arbeitgeberseite. Das mag durchaus ein unangemessenes Ungleichgewicht im Abstimmungsprozess sein. Deswegen ist es richtig, auch

darüber noch einmal zu diskutieren, ob das in dieser Form angemessen ist.

Der zweite zentrale Punkt ist die Frage nach der gemeinsamen oder nach der alleinigen Antragstellung der Tarifparteien. Reicht eine alleinige Antragstellung zur Legitimation aus oder muss die Bereitschaft zwangsweise auch von beiden Tarifvertragsparteien vorliegen? Dies genau gilt es nun zu prüfen. So ist der Antrag der beiden Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu verstehen, dass wir hier nämlich die Regelung stärkerer Tarifbindung über eine Gesetzesänderung möglicherweise erfahren können. Das ist ein Beispiel. So verstehe ich diesen Antrag, diese Abwägung nun herbeizuführen. Der Prüfbitte kommen wir sehr gern nach und werden die Abwägung entsprechend vornehmen.

Dementsprechend hoffe ich sehr, dass es heute im Parlament eine Zustimmung zu diesem Antrag gibt, denn das Anliegen lohnt allemal, weiter verfolgt zu werden. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 19/1804 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU, FDP, BIW, Abgeordneter Schäfer [LKR], Abgeordneter Tassis [AfD])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Meine Damen und Herren, das war für heute und für dieses Jahr 2018 der letzte Antrag, der in diesem Parlament beschlossen wurde. Das Jahr geht zu Ende, Weihnachten steht vor der Tür. Ich glaube, das haben wir uns alle verdient. Das Parlament war in 2018 außerordentlich fleißig, vieles ist geregelt, vieles ist beschlossen worden. Dafür herzlichen Dank! – Ich sage das, ob das die Menschen draußen auch so sagen, das weiß ich nicht.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, frohes und friedliches Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr, dass wir uns mit neuer, frischer Tatenkraft in 2019 wiedersehen, dann stehen bald die Wahlen vor Tür.

Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute.