Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bremen ist eine Hochburg des Salafismus. Wenn das Landesamt für Verfassungsschutz recht hat, haben wir circa 360 Angehörige der salafistischen Szene in Bremen. Angeblich acht Personen sind nach Bremen zurückgekehrt, nachdem sie in ein Terrorcamp nach Syrien gereist waren oder reisen wollten.

Wir bekommen ein mulmiges Gefühl, wenn wir angesichts der terroristischen Bedrohungslage an diese Zahlen denken. Es ist schwer nachzuvollziehen, was junge Menschen aus Deutschland, die hier aufgewachsen und sozialisiert sind, dazu treibt, sich barbarischen Mördern und Terroristen anzuschließen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Religiöse Motive sind dabei in der Regel nur ein Vorwand, ein emotionales Vehikel. Zwei britische Möchtegern-Dschihadisten, die im Mai vergangenen Jahres von Birmingham nach Syrien aufgebrochen sind, hatten kurz zuvor zwei Bücher auf Amazon bestellt. Das eine hieß „Islam for Dummies“ und das zweite „The Koran for Dummies“. Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage beschreibt daher ganz unterschiedliche Gründe, die zu einer Radikalisierung führen können. Sie reichen von der Suche nach Identität und Sinn im Leben, innerfamiliären Problemen und dem Bedürfnis nach Halt und Orientierung über ideologische Verblendung und eine naive Vorstellung von einer besseren Welt bis hin zu dem Wunsch, Gewaltfantasien ausleben zu können. Weil die Radikalisierungshintergründe so vielschichtig sind, sind längst nicht nur die Sicherheitsbehörden gefragt. Noch viel wichtiger ist ein umfassendes Präventionskonzept, das nicht nur die Behörden und Institutionen umfasst, die in Kontakt mit jungen Menschen stehen, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure. Dank der Arbeit des Senats sind wir hier in Bremen bereits gut aufgestellt, auch im Vergleich zu anderen Bundesländern.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Gerade Lehrkräfte, Freunde und Angehörige von Muslimen, die sich offensichtlich radikalisieren, brauchen niedrigschwellige Anlaufstellen, wo sie sich beraten lassen können. Wenn verzweifelte Eltern aus Angst, ihre Kinder könnten in den Dschihad nach Syrien gehen, um Hilfe rufen, dann müssen diese Rufe erhört werden. Unter anderem das beim Verein für akzeptierender Jugendarbeit angesiedeltes Beratungsnetzwerk kitab leistet hier wichtige Arbeit, ist mit zwei durch den Bund finanzierten halben Stellen aber zu schwach ausgestattet.

(Beifall DIE LINKE)

Der aktuelle Bewilligungszeitraum für dieses Projekt läuft bis Ende des Jahres. Die von kitab geleistete Aufklärungs- und Informationsarbeit gehört unbedingt fortgesetzt und ausgebaut.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Da sind wir uns einig.

Auch die Schura Bremen als Dachverband mit 25 muslimischen Mitgliedsgemeinden und Vereinen wird ihrer Verantwortung gerecht und beteiligt sich aktiv an der Radikalisierungsprävention. Darüber sind wir froh und dankbar.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Beunruhigend sind die zunehmenden Hinweise, dass Personen aus dem salafistischen Umfeld versuchen, Einfluss auf Personen, meist Jugendliche, in Flüchtlingsunterkünften zu nehmen. Auch hier hat der Senat schnell reagiert. Die Träger der entsprechenden Einrichtungen wurden auf die Gefahrenlage hingewiesen und mit Informationsmaterial für die Mitarbeitenden versorgt. Die Einrichtungsleitungen haben teilweise bereits mit Hausverboten gegen salafistische Anwerber reagiert.

Manche sagen ja, die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen sei eine Gefahr für die innere Sicherheit. Das Gegenteil ist richtig. Nur wer sich in unserer Gesellschaft fremd fühlt, ist anfällig für Ideologien, die unseren freiheitlichen Verfassungsstaat infrage stellen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die jungen Flüchtlinge möglichst rasch zu integrieren, ist daher die effektivste Prävention gegen die Gefahr von Radikalisierung. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Religiös motivierter Radikalismus, dazu gibt es eine umfassende Anfrage der CDU an den Senat, und ich möchte einmal versuchen, die für uns wichtigsten Gesichtspunkte aus der Vielzahl der Antworten zu sortieren!

Erstens, 360 Salafisten gibt es in Bremen, das ist eine Beobachtung, die das Landesamt für Verfassungsschutz seit vier bis fünf Jahren gewonnen hat, es sind männliche und weibliche Personen zwischen 20 und 30 Jahren. Wir haben in Bremen nicht wesentliche öffentliche Auftritte erleben müssen, es gab einen oder zwei, wir haben keine Scharia-Polizei mit Nötigung oder Propaganda erlebt.

Wir haben aber auch den Terroreinsatz Ende Februar/Anfang März erlebt, wir haben den Terror in Paris erlebt und die Situation in Hannover, und wir haben Aussagen des Bundesinnenministers und auch des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, dass Deutschland auch im Visier des internationalen Terrorismus steht. Diese Umstände, alle zusammen genommen, bringen für uns zum Ausdruck, dass auch für Bremen

eine Gefährdungslage zumindest abstrakt angenommen werden muss.

Der Innensenator hat nicht umsonst endlich, würde ich sagen, darauf reagiert, die Polizei besser materiell auszustatten. Dies ist uns noch nicht genug. Wir erwarten, und Herr Bürgermeister Sieling hat das heute Morgen auch ein wenig angedeutet, dass im Personalbereich die Polizei und vielleicht auch der Verfassungsschutz für die Zukunft besser aufgestellt werden müssen. Wer Material anschafft, muss auch dafür sorgen, dass dieses durch Personal richtig eingesetzt werden kann.

Zweiter Gesichtspunkt: Terrorcamps, junge Menschen, die in den Dschihad nach Syrien, in den Irak gehen, um dort an den Kampfhandlungen und an den Morden teilzunehmen! Schwere staatsgefährdende Gewalttaten nach Paragraf 89 StGB sind für 18 Personen in der Beantwortung durch den Senat ausgemacht worden. Hier fällt auf, dass wir bisher nur von Ermittlungsverfahren gehört haben, aber ich würde Wert darauf legen, dass wir verfolgen, was aus diesen Ermittlungsverfahren wird. Zum Teil wurden sie an den Generalbundesanwalt abgegeben, um zu sehen, warum sich diese Personen beteiligt haben und mit welchem Ergebnis die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgegangen sind.

Dritter Gesichtspunkt: Was mich betroffen gemacht und erschüttert hat – und Ihnen wird es nicht anders gegangen sein –, ist die Propaganda der Terroristen im Internet. Videobotschaften, sonstige Internetpropaganda, menschenunwürdiges, politisch zu verdammendes Verhalten, natürlich muss es darum gehen, die gedanklichen und politischen Urheber hierfür verantwortlich zu machen. Ob das je gelingen wird, ist sicherlich zweifelhaft, aber darüber hinaus wäre zu überlegen, ob wir technisch in die Lage versetzt werden können, solche Botschaften unschädlich zu machen. Das ist eine Überlegung, über die man noch einmal intensiver nachdenken sollte.

Vierte Bemerkung: Erfassung von politischer Kriminalität! Aus der Antwort des Senats wurde deutlich, dass die Staatsanwaltschaft Bremen kein entsprechendes Register führt. Hier könnte ich mir für die Zukunft vorstellen, dass man sich Gedanken macht, ob es nicht sinnvoll wäre, bei politisch motivierten Straftaten durch die Staatsanwaltschaft Bremen oder auch die Justiz allgemein in Bremen eine entsprechende Erfassung vornehmen zu lassen, die wir politisch auswerten können.

Wir haben zwar einen Kriminalpolizeilichen Meldedienst über die Polizeibehörden der Länder und auch des Bundeskriminalamtes und auch ein gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum, das nachrichtendienstliche und polizeiliche Informationen sammelt und auswertet, aber hier muss für die weitere Zukunft vielleicht noch einmal der Finger mit einer Anfrage in die Wunde gelegt werden, ob wir mit der Zusammenarbeit der Landesämter mit den anderen Ländern,

mit dem Bund oder mit diesen beiden Einrichtungen, von denen ich gesprochen habe, zufrieden sein können oder ob hier nicht eine Optimierung möglich ist.

(Glocke)

Letzter Punkt: Prävention und Früherkennung! Es ist zu begrüßen, dass ein ressortübergreifendes Konzept erstellt wurde, das unter anderem auch Fortbildung, Beratungshilfe und Vernetzung unter Einbindung von Lehrern, Sozialarbeitern und Polizeibeamte enthält. Es ist begrüßenswert, dass das Landesinstitut für Schule, kitab, JAMIL und auch die Schura Bremen dort eingebunden sind.

(Glocke)

Wichtig aber ist, dass wir bei den Menschen, bei den jungen Menschen ankommen. Wir haben gesehen, dass Radikalisierung aus persönlichen Defiziten heraus erfolgt, und es kommt darauf an, die jungen Menschen innerlich zu erreichen durch Beratungsgespräche, dadurch, ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln und für eine ausreichende Finanzierung und auch eine kurzfristige Umsetzung Sorge zu tragen.

(Glocke)

Jeder soll in der Lage sein, seine Religion in unserem Land praktizieren zu können,

(Glocke)

aber Religion steht nicht über den verfassungsrechtlichen Grundwerten Würde, Freiheit der Person und der politischen und persönlichen Integrität. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CDU thematisiert mit ihrer Anfrage das Thema gewaltorientierter Salafismus, und darin wird nach den Organisationszusammenhängen, Informationen über die Rekrutierung, nach religiöspolitisch motivierten Straftaten und den sogenannten Rückkehrern gefragt. Zuletzt wird auch das zentrale Thema der Präventionsangebote angesprochen, darauf sind meine Vorredner auch eingegangen.

Da wir bereits heute Morgen ausführlich über dschihadistische Anschläge in Paris, Beirut oder Bamako diskutiert haben, möchte ich hier den Fokus auch eher wieder in Richtung Bremen lenken.

Uns erreichen über die Medien und auch persönlich in der Fraktion immer häufiger direkt über Lehrkräfte

verwandte oder bekannte Informationen über Jugendliche, die sich radikalisieren und in eine Richtung gehen, die tatsächlich auch als gewaltbereit zu beurteilen ist. Ein junger Bremer Konvertit – das ist, glaube ich, allgemein bekannt –, der vor Kurzem an der türkisch-syrischen Grenze festgenommen wurde und zurück nach Deutschland abgeschoben wurde, hat beispielsweise in einem Jugendfreizeitheim im Bremer Osten immer versucht, Leute anzuwerben oder zu agitieren. Das war auch mehr oder weniger stadtbekannt, muss man ehrlicherweise sagen, und trotzdem konnte dieser Mann wenig später in die Türkei ausreisen mit dem Ziel, sich dem IS anzuschließen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob das ein Erfolg der Bremer Ermittlungsbehörden war und wie man das zukünftig anders machen kann, das muss in diesem Zusammenhang mit Sicherheit diskutiert werden.

Uns erreichen in der Fraktion ebenfalls Informationen, wonach sich Menschen aus dem persönlichen Umfeld von solchen Jugendlichen schlichtweg mit der neuen Situation überfordert fühlen.

Ich habe hier schon einmal vor zwei bis drei Jahren gesagt, als wir über diese Fragen diskutiert haben, dass ich im Bremer Westen mit Lehrern spreche, die inzwischen sagen, sie hielten den Lehrplan gar nicht mehr ein, weil sie bestimmte Diskussionen nicht mehr führen wollten, denn es gibt zum einen die Radikalisierungen, dass insbesondere junge Menschen konvertieren und sehr radikal in salafistische Argumentationen einsteigen, und zum anderen gibt es dann noch viel Fremdenfeindlichkeit und Migranten, die vielleicht von zu Hause aus einen gewissen Antisemitismus pflegen. In Schulen, an denen das zusammentrifft, gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die einfach nicht mehr wissen, wie sie mit der Situation zurechtkommen und auch ganz klar beklagen, dass sie sich alleingelassen fühlen, sowohl von der Politik als auch von der Bildungsbehörde.

Ich glaube, das ist genau der Punkt, an dem wir hier schon einmal vor zwei Jahren diskutiert und gesagt haben, dass wir Programme und Präventionsprogramme brauchen und auch mehr Unterstützung für die Lehrerinnen und Lehrer, aber wir brauchen auch mehr Unterstützung für die sozialen Einrichtungen in den Stadtteilen, die mit diesen Menschen arbeiten.

Der Beschluss ist da, aber an der Umsetzung hapert es noch. Es gibt zum Beispiel immer noch keine systematischen Schulungen für Lehrkräfte oder Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen im Bereich Salafismusprävention. Es gibt einzelne Workshops, wie sie beispielsweise vor einer Woche im Landesinstitut für Schule stattfanden. Das ist richtig und wichtig, aber nach unserer Meinung reicht das nicht aus.

Das Bedürfnis nach Informationen und Unterstützung ist nämlich viel größer. Konkret muss auch dringend die Arbeit – das wurde hier auch schon von meinen Vorrednern gesagt – vom Beratungsteam kitab abge

sichert und vor allen Dingen deutlich ausgebaut werden.

(Beifall DIE LINKE)

In Bremen braucht es außerdem tatsächlich endlich das abgestimmte ressortübergreifende Handlungskonzept, was wir hier vor eineinhalb Jahren beschlossen haben und das übrigens laut Beschluss der Bürgerschaft nicht beim Verfassungsschutz und auch nicht beim Innenressort angesiedelt sein soll. Es ist wichtig, präventive und vernetzte Hilfen zu schaffen. Aktuell ist zum Beispiel noch relativ offen, welche pädagogischen Maßnahmen anlaufen, wenn sich Jugendliche in Richtung Salafismus radikalisieren.

Die große Attraktivität des Fundamentalismus stellt auch ganz grundsätzliche Fragen an unsere Gesellschaftsordnung. Das sind Fragen, mit denen wir uns alle, unabhängig von der politischen Ausrichtung, die wir hier im Haus haben, beschäftigen müssen. Was sind die gesellschaftlichen Grundlagen und die individuellen Gründe für die jungen Menschen, sich den salafistischen oder gar dschihadistischen Gruppen anzuschließen, und wieso entfaltet beispielsweise der IS eine dermaßen große Attraktivität auf Jugendliche, im Übrigen auch auf Jugendliche, die nicht muslimisch aufgewachsen sind?