Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Die große Attraktivität des Fundamentalismus stellt auch ganz grundsätzliche Fragen an unsere Gesellschaftsordnung. Das sind Fragen, mit denen wir uns alle, unabhängig von der politischen Ausrichtung, die wir hier im Haus haben, beschäftigen müssen. Was sind die gesellschaftlichen Grundlagen und die individuellen Gründe für die jungen Menschen, sich den salafistischen oder gar dschihadistischen Gruppen anzuschließen, und wieso entfaltet beispielsweise der IS eine dermaßen große Attraktivität auf Jugendliche, im Übrigen auch auf Jugendliche, die nicht muslimisch aufgewachsen sind?

Das sind ganz dringende Fragen, die weder die Polizei noch der Geheimdienst für uns lösen werden und auch überhaupt nicht für uns lösen wollen. Das heißt, wir müssen diese Antwort auf die Große Anfrage vielleicht zum Anlass nehmen, wirklich zu schauen, wie die Beschlüsse, die wir damals, vor eineinhalb Jahren, gefasst haben, umgesetzt werden. Auch die Sicherheitsbehörden sind nämlich nicht glücklich darüber, dass das noch nicht in Angriff genommen worden ist. – Ich danke Ihnen!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Ehmke.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich überlege gerade, wie ich anfange. Ich glaube, ich muss noch einmal bei Ihnen anknüpfen, Frau Vogt, bevor ich zur Lage in Bremen komme, weil ich Letzteres nicht so stehen lassen kann.

Es ist nicht richtig, dass das Konzept nicht angegangen worden ist. Es gibt ein ressortübergreifendes Präventionskonzept.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Es ist nur nicht umge- setzt worden!)

Nein, es ist noch nicht umgesetzt worden, das ist richtig. Wir werden auch nicht zu einem Punkt kommen, an dem wir einen Haken daran machen und sagen

können, wir seien fertig, jedenfalls nicht auf Sicht. Wir haben ein ressortübergreifendes Präventionskonzept, das weiterentwickelt wird, das weiter bearbeitet werden muss und sich auch weiterentwickelt, weil wir in der Tat feststellen müssen, dass das Phänomen von Radikalisierung eines ist, das für unsere Gesellschaft vergleichsweise jung ist, mit dem wir noch nicht so erfahren sind. Wir kennen Aussteigerprogramme und Präventionskonzepte in vielen anderen Bereichen des Extremismus, dieses Feld bearbeiten wir seit einigen Jahren, aber bezogen auf die Erfahrungen, die wir gemacht haben, ist das ein noch relativ neues Phänomen.

Ich will aber sagen: Es gibt dieses Konzept, es wird weiterentwickelt, es läuft. Es ist darauf hingewiesen worden: Bremen ist da eher vorneweg, weil wir eines der ersten Bundesländer waren, die sich diesem Problem gestellt haben. Ich muss allerdings auch sagen: Mittlerweile sind viele Bundesländer in diesen Bereich eingestiegen, haben entsprechende Konzepte, Koordinierungsstellen. Wir müssen auch voneinander lernen. Die Innenministerkonferenz, die in der nächsten Woche tagt, wird einen wichtigen Schwerpunkt im Bereich dieser wichtigen Präventionsbemühungen haben.

Der Bremer Innensenator hat verschiedentlich eine nationale Präventionsstrategie für diesen Bereich gefordert, konnte sich bei den Länderkollegen aber bisher nicht durchsetzen. Immerhin wird die Innenministerkonferenz in der nächsten Woche aber länderübergreifende Präventionsnetzwerke fordern und beschließen. Insofern sind wir noch nicht bei einer bundesweiten Vernetzung.

Es geht im Übrigen auch nicht um Zentralisierung, sondern es geht darum, dass man voneinander lernt, dass man in diesem Bereich schaut: Was können andere, was haben andere entwickelt, und was können wir da übernehmen? Diese Entwicklung ist auch deshalb nötig, weil wir bestimmte Annahmen immer wieder prüfen müssen.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir sind lange Zeit in den Sicherheitsbehörden und den Organisationen, die mit dem Thema arbeiten, davon ausgegangen, dass Radikalisierung im Internet eine ganz entscheidende Rolle im Bereich Salafismus spielt. Mittlerweile sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass diese Radikalisierungsform in der Praxis eher unbedeutend ist. Es gibt sie, aber alle Erfahrungen, die wir bis jetzt gemacht haben, deuten darauf hin, dass Radikalisierung im Wesentlichen im sozialen Kontext stattfindet. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die in dieses Konzept aufgenommen werden und Berücksichtigung finden muss. Deshalb ist es so, dass diese Konzepte nicht einmal aufgestellt und dann trocken abgearbeitet werden, sondern es sind lebende Konzepte, die ressortübergreifend bearbeitet werden.

Um auch Folgendes anzusprechen: Die Bürgerschaft hat den Antrag damals leider nicht beschlossen, son

dern in die Innendeputation überwiesen, was vielfach dazu geführt hat, dass wir uns mit der Frage der Federführung herumärgern mussten – so sage ich einmal in Anführungszeichen –, weil der Verfassungsschutz in der Tat nicht so unglaublich glücklich darüber war, dass ihm diese Aufgabe zugefallen ist,

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ich wollte das nicht so deutlich sagen!)

weil sie sich zum einen ein bisschen mit seinen Wirkungsmöglichkeiten beißt, aber zum anderen auch, weil der Verfassungsschutz Schwierigkeiten hatte, gesellschaftliche Akteure zum Mitwirken an diesem Konzept zu gewinnen.

Ich bin der festen Überzeugung: Der Staat für sich genommen ist allein nicht in der Lage, ein solches Präventionskonzept auf die Beine zu stellen. Immer dann, wenn der Staat mit seinen Sicherheitsbehörden an junge Menschen herantritt und sagt, du bist da auf dem Irrweg, wir würden dich gern zurückzuführen, hat er allein schon das Problem des Widerstandes und des Misstrauens. Wir sind vielmehr darauf angewiesen, dass sich zivilgesellschaftliche Akteure und die Religionsgemeinschaften, die Zugang zu diesen Menschen haben, aktiv einbringen und Träger dieser Präventionsstrukturen sind.

Weil wir das brauchen und weil das in der alten Struktur der Arbeit schwierig war, ist im Senat mittlerweile entschieden worden, dass die Federführung für das Präventionsnetzwerk, für das Präventionskonzept zur Sozialsenatorin gewechselt ist. Seitdem haben wir eine durchaus vernünftige Form der Zusammenarbeit. Ich will aber auch sagen: Wir würden uns da noch deutlich mehr wünschen. An dieser Stelle geht die deutliche Einladung an die muslimischen Gemeinden in Bremen, sich noch intensiver und mehr in dieses Präventionsnetzwerk einzubringen, denn ohne sie werden wir keinen Erfolg haben.

Ich will nun zu dem kommen, was ich eigentlich an den Anfang meines Beitrags stellen wollte, nämlich einen kurzen Blick auf die Lage in Bremen zu werfen. Es ist verschiedentlich angesprochen worden: 360 Salafisten zählt das Landesamt für Verfassungsschutz in etwa. Damit haben wir eine der größten Szenen in Deutschland. Wir müssen allerdings auch sagen, dass diese Szene in den letzten Jahren – anders als in anderen Städten – in der Größe stabil geblieben ist. An vielen anderen Orten ist sie stark gewachsen.

Dass das in Bremen weiterhin so bleibt, wollen wir versuchen, mit den Konzepten, die wir hier beschrieben haben, zu erreichen. Dazu gehört in der Tat ausdrücklich das, was Herr Zicht angesprochen hat, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Gruppe derer, die für solche radikalen Gruppierungen ansprechbar sind, nicht größer wird. Das erreichen wir im Wesentlichen darüber, dass wir den Menschen, die zu uns gekommen sind, eine Integrationsperspektive bieten und sie nicht an den Rand der Gesellschaft stellen. Gleich

zeitig gehört dazu, wachsam zu sein, wer in den Einrichtungen, die diese Menschen aufnehmen, denn so herumläuft.

Man kann den Einrichtungen keinen Vorwurf machen. Sie sind auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen. Wenn die Moschee aus der Nachbarschaft sagt „Wir würden gern mithelfen, wir würden gern dazukommen, wir würden gern mit den Menschen arbeiten“, dann ist das zunächst einmal eine positive Nachricht für die Einrichtung und die Menschen. Deshalb sind die Einrichtungen darauf angewiesen, dass wir ihnen die Hinweise geben und sagen: Die, die sich gemeldet haben, sind aber gefährlich. Das tun wir. Deshalb glaube ich, dass wir auf einem vernünftigen Weg sind.

Polizei und Verfassungsschutz sind angesprochen. Polizei und Verfassungsschutz kommt eine wichtige Aufgabe in diesem Feld zu, insbesondere bei denen, die für Prävention und Deradikalisierung nicht mehr empfänglich, sondern möglicherweise zu schweren Straftaten entschlossen sind, aber eine Sache muss man ehrlicherweise sagen: Wir können Polizei und Verfassungsschutz personell und ausrüstungstechnisch überhaupt nicht in die Lage versetzen, alle die Menschen, die unter der Überschrift „Gefährder“ laufen, alle, die unter der Überschrift „relevante Persönlichkeit“ laufen, rund um die Uhr im Blick zu behalten.

(Abg. Hinners [CDU] meldet sich einer Zwischen- frage.)

Wir sind darauf angewiesen, über Prävention und Verhinderung den Nährboden für Gewalttaten, für Terror und Extremismus trockenzulegen. Darum ist es so, wir dürfen das eine nicht lassen, nämlich die Sicherheitsbehörden vernünftig auszustatten, aber unser Fokus muss vor allem auf der Präventionsarbeit, auf dem ressortübergreifenden Ansatz zwischen Polizei, Sozial- und Jugendeinrichtungen liegen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinners?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Hinners!

Herr Staatsrat, Sie haben eben von der Ausstattung der Polizei gesprochen. Der Senat hat ja in dieser Woche einen entsprechenden Beschluss gefasst. Sehen Sie es nicht im Nachhinein als Fehler an, dass die Koalition Anfang des Jahres einen diesbezüglichen Antrag – nämlich die Polizei gerade wegen der Terrorgefahr mit Schutzwesten und

auch mit entsprechenden Fahrzeugen für das MEK und das SEK auszustatten – seinerzeit abgelehnt hat und das Innenressort damit jetzt im Prinzip um ein Jahr in Verzug geraten ist?

Herr Hinners, wir haben ja damals gesagt, dass wir nach den Ereignissen des FebruarWochenendes die Ausstattung der Polizei überprüfen. Die Polizei hat diese Überprüfung vorgenommen und im Ergebnis gesagt, dass dort eine Schutzlücke besteht. Der Senat hat beschlossen, diese Schutzlücke zu schließen –

(Abg. Hinners [CDU]: Jetzt!)

jetzt, in der Tat! –, und zwar aufgrund von gesicherten Daten. Wenn Sie sagen, das wussten sie schon, bevor die Polizei es wusste, ist das ja in Ordnung, das gönne ich Ihnen durchaus auch.

Ich bin zunächst einmal froh darüber, dass wir die Entscheidung jetzt so getroffen haben, und natürlich haben die Ereignisse der letzten Wochen in Paris, in Belgien auch noch einmal einen Fokus darauf gelenkt, dass man sich auch ganz besonders auf Situationen vorbereiten muss, die wir uns alle nicht wünschen. Wie gesagt, ich sehe das jetzt aber einmal vom Ergebnis her und sage, ich bin froh, dass die Entscheidung so wie jetzt getroffen wurde.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will abschließend auch noch einmal sagen, dass Prävention auch deshalb eine besonders wichtige Herangehensweise ist: Wir haben es ja beschrieben, wenn man sich anschaut, über welche Formen der Ansprache diese jungen Menschen für den Salafismus gewonnen werden, das ist für Außenstehende zum Teil ganz irritierend. Das hat nämlich wenig mit einer religiösen Veranstaltung zu tun, sondern wirkt zum Teil eher wie ein Popkonzert, wenn dort die Männer auftreten, auf einer Bühne stehen, Ansprachen halten und Leute in ihre Gruppe aufnehmen und um sie herum viele junge Menschen mit Handys stehen, das filmen, das umkreisen. Das Ganze hat teilweise Züge einer Jugendkultur, und deshalb muss man dort in der Ansprache nicht in allererster Linie auf die Sicherheitsbehörden setzen, sondern auf die Menschen, die mit diesen jungen Menschen in Kontakt stehen, und das sind die Schulen und Jugendeinrichtungen. Diese müssen wir stark machen für den Einsatz mit den jungen Menschen, und wir müssen verhindern, dass die Szene wächst.

Ich will abschließend sagen, dass sie in Bremen nicht ungefährlich ist, das haben wir gerade erst erlebt, Radio Bremen hat darüber berichtet. Vor einiger Zeit gab es ein Video über die Kurznachrichtendienste, über das Internet, in dem der Bundeskanzlerin gedroht wurde. Am Ende dieses Videos wurden zwei Menschen erschossen und in dem zu Straftaten hier

bei uns in Deutschland und zur Ausreise nach Syrien aufgerufen wird. In diesem Video haben zwei junge Bremer mitgewirkt, einer davon ist mittlerweile wieder in Deutschland und sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Das zeigt, dass die Gefährder durchaus präsent sind, und die Situation, die wir auch hier haben, ist schon etwas schwierig, das ist eine Aufgabe für die Sicherheitsbehörden, aber ihnen für die Zukunft den Boden zu entziehen, ist eine Aufgabe der Prävention. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 19/111, auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zulassung einer öffentlichen Spielbank Mitteilung des Senats vom 10. November 2015 (Drucksache 19/134) 1. Lesung 2. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema, das heute nach einer unscheinbaren Änderung eines Gesetzes aussieht, ist die Beerdigung einer Ära in unseren beiden Städten.

Ich habe gerade noch einmal die Gelegenheit genutzt, etwas in der Broschüre zum 25-jährigen Jubiläum der Stiftung „Wohnliche Stadt“ im Jahr 2005 zu blättern. Wenn man sich die Erfolgsbilanz der Stiftung „Wohnliche Stadt“ und das Wirken in Bremen und Bremerhaven anschaut – allein in den ersten 25 Jahren gab es 2 000 Projekte, 200 Millionen Euro wurden investiert, also ein wirklich wertvoller Beitrag – und die Auflistung der Projekte, dann stellt man fest, dass die Stiftung „Wohnliche Stadt“ in Bremen und in Bremerhaven bei fast jedem städtebaulichen Projekt, bei fast jedem Grünprojekt und bei fast jedem Projekt im Bereich Kunst im öffentlichen Raum eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Ich bin in einer Zeit politisch groß geworden, und ich will das deshalb hier auch noch einmal deutlich sagen – Frau Bürgermeisterin Linnert kann mir ja gleich noch erklären, was in den letzten acht Jahren passiert ist, aber dazu werde ich auch noch zwei, drei Bemerkungen machen –, in der man sich Aktivitäten