Protokoll der Sitzung vom 09.07.2003

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Michael Denzin das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Frankenberger, dann fangen wir einmal bei der Ehrlichkeit an. Ich halte es für wenig ehrlich, wenn wir hier im Landtag zum zehnten Mal mit Appellen ein Thema angehen und nicht die tatsächlichen Ursachen, warum wir in Deutschland nicht weiter gekommen sind,beleuchten.Ich werde dies einmal versuchen.

Wir haben den Transrapid weitgehend als eine Art Phantomdiskussion geführt. Wir haben immer gesagt, wir wollen ihn. Wir haben gesagt, wir brauchen in Deutschland eine Referenzstrecke, damit wir weltweit verkaufsfähig werden. Dann kam die Strecke Hamburg – Berlin, und man stellte plötzlich fest: Die Finanzierungsmittel reichen nicht. – Dann wollten wir ihn auf eine „Schiene“ reduzieren, und dann sagte die Bahn: Das können wir auch mit dem ICE bedienen, nicht so schnell, aber im Ergebnis von den Kosten und Nutzen vielleicht günstiger.

Dem war nichts entgegenzusetzen. Dieter Posch als Wirtschaftsminister und ich als verkehrspolitischer Sprecher haben damals schon darauf hingewiesen, dass die Strecke Hamburg – Berlin sicherlich nicht die geborene Referenzstrecke für sich genommen ist, sondern dass wir weiter denken müssen, dass wir an eine europäische Vernetzung von Zentrum zu Zentrum denken müssen. Es hätte dann einen Sinn gemacht, weiter an dem Thema zu arbeiten, wenn es nach Prag, nach Wien, möglicherweise nach Budapest, wie auch immer, weitergegangen wäre. Aber das ist alles Geschichte. Es hat auch gar keinen Sinn, sich jetzt lange damit aufzuhalten.

Dann kam die „Ruhrpotttram“, ein völliger Missgriff, auf die Systemtechnik bezogen. Deshalb kann ich gut verstehen, wenn Herr Rüttgers das abgelehnt hat. Was will ich denn mit einer beschleunigten Straßenbahn im System eines Transrapids, einer Magnetschwebebahn?

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Das ist doch schon das Reiten eines toten Pferdes!)

Genauso das Reiten eines toten Pferdes ist nach meiner Vorstellung der Ersatz einer S-Bahn vom Münchner Flughafen zum Münchner Hauptbahnhof, den auch in der Stadt München zunächst keiner wollte.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist der Lederhosenexpress!)

Meine Damen und Herren, alles, was wir hier angepackt haben,ist gescheitert.Es muss einen Grund gehabt haben,

dass es gescheitert ist bzw. München jetzt als für meine Begriffe untaugliches Referenzobjekt noch ansteht.

Das liegt daran, dass überall, wo bisher über Standorte eines möglichen Transrapidsystems in Deutschland nachgedacht worden ist, andere Verkehrsträger effizienter und effektiver die Probleme lösen konnten bzw.in der Kostenund Nutzenrelation für andere Verkehrsträger die Ergebnisse besser ausgesehen haben. Damit sind wir am wesentlichen Punkt, wo die Fehlläufe unserer bisherigen Entscheidungsprozesse liegen, nämlich dass immer wieder isoliert von der Themenstellung Referenzstrecke ausgegangen wurde und dass wir dieses System nie integriert in seinen Stärken innerhalb eines Gesamtverkehrssystems gesehen haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Davon müssen wir uns endlich lösen.Wir alle wissen, dass wir die erwarteten Verkehrszunahmen in den nächsten zehn Jahren auf den bisherigen Trassen nicht bewältigen werden können. Die Zahlen sind uns alle im Kopf: plus 30 % im Personenverkehr, plus 60 % im Güterverkehr. Wir kennen den Kabinettsbeschluss zum Bundesverkehrswegeplan, der nicht annähernd ausreichend ist, um auf den traditionellen Verkehrswegen Straße, Schiene, Luft und meinetwegen Wasser damit fertig zu werden, abgesehen davon, dass wir auch dafür mehr Mitteleinsatz bräuchten, als vorgesehen ist.

Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir weiter denken. Wie kommen wir zu einem neuen Verkehrssystem, das in der Lage ist, auch die Zentralverbindungen von Paris in den Ballungsraum Frankfurt, von Frankfurt nach Brüssel, von Frankfurt nach Luxemburg herzustellen? Welches Mittel ist jeweils das adäquate? Es wird nicht der Flieger sein können, weil wir da die Kapazitätsengpässe unmittelbar vor Augen haben.Was für Frankfurt gilt, das gilt nach Feststellung sogar der rot-grünen Bundesregierung für fast alle unserer großen Flughäfen. Das heißt, wir gehen sehenden Auges auf die Engpässe zu.

Ich hoffe nicht, dass es überall in den Parlamenten Menschen mit Ihrer Einstellung, Herr Kaufmann, gibt, die dann 30 Debatten zu einer Notwendigkeit herausfordern, die ansonsten jeder einsieht.

Fakt ist aber, es wird immer schwieriger werden, diese Kapazitäten zu erweitern. Wir brauchen angesichts einer im Zuge der Globalisierung immer enger zusammenrückenden Welt Kapazitäten für Fernflüge. Die Globalisierung ist ja kein Prozess, den man beschließt, sondern eine Entwicklung.

Wir müssen im Nah- und Mittelstreckenbereich entlasten. Wir haben ein System für den Nahbereich. Das ist der ICE. Wir müssen die Straßenkapazitäten erweitern, und wir brauchen ein zukunftsfähiges System für die Mittelstrecken. Dieses System kann die Magnetschwebebahn, der Transrapid, sein. Deshalb geht unser Antrag nicht davon aus,Frankfurt und Hahn auf einer Referenzstrecke zu verbinden, sondern wir wollen eine Grundachse im zusammenwachsenden und sich nach Osten ausweitenden Europa von Frankfurt nach Brüssel legen,möglicherweise mit einem Abzweig nach Luxemburg – auch das kann interessant sein –,und dabei Hahn anbinden.Damit könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nur so macht es Sinn.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Das heißt aber auch, dass wir von dem derzeitigen Verkehrswegeplan, der noch auf dem Gestern fußt, in neue Dimensionen hineinkommen müssen. Das ist in erster Linie eine Aufforderung an die Bundesregierung. Wir müssen dabei ein technologisch weiterentwickeltes Konzept einbeziehen. Es spricht sehr viel dafür, dass das der Transrapid sein kann. Das heißt, dass dieses System EU-weit abgestimmt werden muss, weil wir an den nationalen Grenzen nicht Halt machen können und auch nicht Halt machen wollen. Dieser Punkt muss auch bei der Finanzierung eine Rolle spielen. Deshalb ist hier nicht nur der Bund gefragt, es sind nicht nur die betroffenen Länder gefragt, sondern es ist auch die EU gefragt.

Ich sehe hier wirklich eine Chance, mittel- und langfristig zu einer Umorientierung zu kommen, an der wir so oder so nicht vorbeikommen. Die Frage ist nur, wann wir das kapieren. Ich möchte, dass Sie gemeinsam mit uns über diesen Antrag nachdenken – und zwar nicht über eine Begrenzung dieses Transportmittels auf die Strecke zwischen Frankfurt und Hahn, sondern über eine Grundachse. Ich fordere unseren Ministerpräsidenten, aber auch die Bundesregierung und insbesondere den Bundesverkehrsminister auf, gegenüber Brüssel in dieser Hinsicht vorstellig zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben eine zukunftsweisende Technologie.Wir haben das Glück, dass wir sie in Hessen haben. Das tut zwar hinsichtlich der Verkehrsentwicklung nichts zur Sache, aber es ist für uns ein besonderes Glück. Ich sehe eine Chance, aber wir müssen sie anpacken und mit den Phantomdiskussionen aufhören.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Als nächster Redner hat Herr Wagner (Taunus) für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das hessische Sommerloch hat in diesem Jahr etwas früher begonnen. Wenn es dafür eines Beweises bedurft hätte, dann brauchten wir uns nur in den Reihen der CDU umzuschauen. Der Transrapid ist der Setzpunkt der CDU in dieser Plenarwoche. Das ist der für Sie wichtigste Punkt. Wir sehen, welche Bedeutung das Thema wirklich hat: Nicht einmal ein Viertel der Abgeordneten der CDUFraktion ist anwesend. Ich kann nur sagen: ein klassisches Sommerlochthema.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr.Walter Lübcke (CDU):Bei euch sind auch nicht viele da!)

Kaum ist abermals eine geplante Transrapid-Kurzstrecke an ihren eigenen Widersprüchen gescheitert – gemeint ist die Strecke in NRW –, lesen wir Ende Juni schon wieder in der Zeitung, Roland Koch wolle den Transrapid nach Hessen holen. So wird die alte Idee einer Transrapidstrecke zwischen den Flughäfen Frankfurt und FrankfurtHahn wieder aus der Kiste gekramt. Zum Frankfurter Hauptbahnhof soll es natürlich auch gleich mit gehen.

Dass es zwischen dem Hauptbahnhof Frankfurt und dem Flughafen bereits eine leistungsfähige Bahnverbindung gibt, dass die Fahrzeit schon heute gerade einmal zwölf Minuten dauert und dass es bislang überhaupt keine Vorstellung gibt, wie der Transrapid in die Innenstadt von Frankfurt geführt werden soll, stört dabei wenig.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Nicht die Landesplanung bestimmt die Schlagzeilen, sondern die Schlagzeilen bestimmen die Landesplanung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da will sich auch die FDP, die selbst ernannte Wächterin der Mitte, nicht lumpen lassen. Warum denn die Transrapidstrecke nicht gleich nach Luxemburg und Brüssel verlängern? Dass es dazu noch überhaupt keine ernst zu nehmenden Planungen gibt, dass erst vor kurzem die Milliarden Euro teure ICE-Verbindung von Frankfurt nach Köln in Betrieb gegangen ist, die im weiteren Verlauf auch die Beneluxstaaten erschließen wird, und dass der Transrapid auf den für diese Technik nach wie vor kurzen Strecken seine Vorteile überhaupt nicht ausspielen kann, stört da wenig. Mit einem Federstrich, in einem dreizeiligen Antrag wird die Landesregierung aufgefordert, sich für das Projekt einzusetzen und es umzusetzen.

Das alles geschieht in einer Zeit, in der auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene um jeden Euro in den öffentlichen Haushalten gerungen wird. Es geschieht in einer Zeit, in der der hessische Landeshaushalt auch schon ohne Transrapid völlig aus dem Ruder läuft. Es geschieht in einer Zeit, in der uns der Hessische Ministerpräsident vor nicht einmal einer Stunde erzählt hat, er könne den hessischen Anteil an dem Vorziehen der Steuerreform, 500 bis 600 Millionen c, im Landeshaushalt nicht verkraften. In einer solchen Zeit erzählen uns FDP und CDU, sie hätten das Geld für den 3 Milliarden c teuren Bau einer Transrapidstrecke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Wenn wir so weitermachen, wird der Transrapid zu einer der größten Geisterbahnen in der deutschen Industriegeschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Muster ist immer das gleiche: Erst werden große Erwartungen geweckt.

(Clemens Reif (CDU): Sie sprechen zu Ihrer eigenen Voodoo-Ökonomie!)

Ich komme auch noch zu den ökonomischen Aspekten des Transrapid. Da können Sie sicher sein, Herr Reif. Keine Angst, auch Sie werden noch etwas von dieser Rede haben. Ich will ja nicht, dass Sie enttäuscht in die Mittagspause gehen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Muster ist immer das gleiche: Erst werden große Erwartungen geweckt. Dann wird gerechnet, und dann wird sich aus dem Projekt verabschiedet. So war es im Jahre 2000 mit der Strecke Hamburg – Berlin, so war es jetzt in Nordrhein-Westfalen, und so wird es auch in Hessen sein, wenn wir weiter so diskutieren, wie wir die Debatte angefangen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am wenigsten ist mit einer solchen Politik übrigens dem Transrapidprojekt selbst und den Menschen geholfen, die ihn in Kassel bauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Lübcke (CDU): Wer hat das Projekt in Nordrhein-Westfalen eingestampft? Es ist eine Unverschämtheit, was Sie hier erzählen!)

Die 300 Beschäftigten in Kassel brauchen Klarheit und realistische Planungen statt medialer Selbstverwirklichung im Sommerloch.

Es ist höchste Zeit, die Debatte über den Transrapid vom Kopf auf die Füße zu stellen. Technikverliebtheit ist ein schlechter Ratgeber in der Verkehrspolitik. Nur damit Herr Koch und Herr Hahn die größte Modellschwebebahn ihres Lebens bauen können, sind öffentliche Mittel wirklich zu schade.

(Clemens Reif (CDU):Machen Sie doch einen Vorschlag!)

Herr Reif, damit wir uns richtig verstehen und damit Sie endlich einen Grund für Ihre Zwischenrufe haben: Wir GRÜNEN sind nicht gegen den Transrapid.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU):Ach du liebe Zeit! Das ist etwas ganz Neues! – Dr. Walter Lübcke (CDU): Ihr habt das Projekt in Nordrhein-Westfalen gekappt!)

Herr Reif,ich sage es Ihnen gerne noch einmal:Wir GRÜNEN sind nicht gegen den Transrapid.