Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

Das waren zwei Argumente des politischen Gegners, mit denen ich versucht habe, mich auseinander zu setzen. Mir fallen aber immer mehr Argumente ein, die gegen Studiengebühren sprechen. Das sind nicht nur Kleinigkeiten.

Studiengebühren diskriminieren ausländische Studierende.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren von der CDU, reagieren Sie doch nicht immer so pawlowsch. – In Deutschland gibt es rund 1.800 Personen, die ihre Hochschulreife außerhalb Deutschlands erworben haben. Von diesen Personen haben viele ihre Hochschulreife in Entwicklungsländern erworben.

Sofern diese Personen aus Nicht-EU-Staaten kommen, droht ihnen in Hessen eine erhöhte Gebühr von bis zu 3.000 c im Jahr. Zudem haben sie nach dem Gesetzentwurf keinen Anspruch auf ein Studiendarlehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir rühmen uns mit einem hohen Internationalisierungsgrad am Hochschulstandort Hessen.Wir rühmen uns damit, dass die Modelluniversität in Darmstadt einen Internationalisierungsgrad von etwa 22 % hat.Deshalb kommt der Präsident der Modelluniversität in Darmstadt,Wörner, folgerichtig zu dem Schluss – wie es am 6. Mai im „Darmstädter Echo“ nachzulesen war –: „Für die Unis ein Minusgeschäft“. Er hat damit zu rechnen, dass die Anzahl der Studierenden ausländischer Herkunft, die an seiner Hochschule etwa 20 % der Studierenden ausmacht, in erheblichem Umfang zurückgeht.

Meine Damen und Herren, Studiengebühren werden oft damit begründet, dass ein kostenfreier Zugang eine Subvention aller Steuerzahler an eine Personengruppe sei,die später ohnehin viel Geld verdiene. Ich glaube, dass diese Argumentation übersieht, dass in einem sozial gerecht ausgestatteten Steuersystem die Besserverdienenden natürlich mehr Steuern zum Gesamtsteueraufkommen beitragen. Wer soziale Gerechtigkeit will, muss deshalb für eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit kämpfen, aber nicht für Studiengebühren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Argument ist, dass Studiengebühren langfristig keine Verbesserung der Studienbedingungen mit sich bringen. Es ist noch viel schlimmer. Schon jetzt steht fest, dass das Geld nicht vollständig den Hochschulen zur Verfügung steht. Die Erfahrungen zahlreicher anderer Länder haben gezeigt, dass in dem Maße, in dem Studiengebühren erhoben werden und die Hochschulen privat finanziert werden, auf der anderen Seite der staatliche Anteil der Finanzierung zurückgeht.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, wenn Sie festschreiben wollen, dass es nicht so ist, dann schreiben Sie es doch in den Gesetzentwurf.Dort steht nicht das,was Sie behaupten.Erzählen Sie den Leuten doch nicht solch einen Unfug, Herr Boddenberg. Es ist doch falsch, was Sie erzählen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass 10 % der Studiengebühren in den Studienfonds fließen, mit dem die Kosten finanziert werden,die nicht über Darlehen erzielt werden. Bemerkenswerterweise war in einem ersten Diskussionspapier des Ministeriums nicht von 10 %, sondern von 25 % die Rede. Offensichtlich ist diese Größe politisch korrigiert worden, Herr Corts.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Offensichtlich ist eine Größe, die politisch so korrigiert worden ist, auch anders korrigiert worden.

Meine Damen und Herren,erzählen Sie den Hochschulen bitte nicht, dass sie 100 % der Studiengebühren bekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Schon jetzt werden es nur 90 % sein. Ich prognostiziere, dass es mehr als die genannten 10 % sein werden.Wenn das Darlehen nicht ordnungsgemäß zurückgezahlt wird, dann werden es 15 % oder 25 % sein.Das ist eine Lüge den Hochschulen gegenüber.Das muss in diesem Parlament klar benannt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Studiengebühren verlängern das Studium.Auch dies haben vielfältige Untersuchungen gezeigt.Wenn man 500 c oder gar 1.500 c Studiengebühren pro Semester bezahlen muss, ist das doch völlig klar. Es ist doch nicht mehr so wie früher, als ich studiert habe, dass nur 10 % der Studierenden nebenher gearbeitet haben. Heute arbeiten 50 % bis 70 % der Studierenden neben ihrem Studium. Es werden noch mehr sein, je höher die privaten Kosten für das Studium sein werden. Das Arbeiten neben dem Studium wird das Studium verlängern. Es ist kontraproduktiv für den Bildungsstandort Hessen, wenn die Studierenden länger an den Hochschulen sind und Sie dafür auch noch die politischen Rahmenbedingungen schaffen. Das gilt es zu verändern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): So viele Bademeisterstellen gibt es doch gar nicht!)

Es geht um 500 c.Das steht so immer wieder in den Zeitungen.

Es geht aber nicht nur um 500 c, sondern es geht um mehr. Es geht darum, dass in einem ersten Einstieg in ausgewählten Studiengängen 500 c oder möglicherweise 1.500 c an ausgewählten Hochschulen, wo dies die Hochschulen wünschen, erhoben werden können. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass damit eine Regelung geschaffen wird, die ein Einfallstor sein wird. Mit Verlaub möchte ich hinzufügen, dass es ein sehr breites Einfallstor ist, das Sie in Hessen schaffen. Das ist nicht die weichste, sondern die schärfste Regelung für Studiengebühren in der Bundesrepublik. Sie öffnen die Tür für die private Finanzierung am weitesten. Haben Sie etwa vor, die geplante Finanzierung staatlicherseits in einer nächsten Stufe zurückzufahren? Haben Sie vor,den Hochschulpakt ein erneutes Mal zu brechen? Das fühlt sich doch alles so an, wenn man dieses Gesetz genau betrachtet. Es ist nicht der Fall, dass Sie die Qualität verbessern wollen. Es ist der Fall, dass Sie ein breites Eingangstor für private Finanzierung an Hochschulen geschaffen haben. Dagegen werden wir parlamentarisch opponieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ein letztes Argument nennen, das mir für den Bildungsstandort am wichtigsten ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland nicht weniger, sondern mehr Studierende. Wir liegen deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Im Übrigen wäre Herr Koch gut beraten, wenn er mit Frau Schavan über einen nationalen Hochschulpakt verhandeln würde, der im Bereich des Hochschulbaus und der Hochschulfinanzierung etwas angeht, was wir in diesem Land nötig haben. Es gab einmal eine große Koalition, die den großen Wurf einer Bildungsfinanzierung angegangen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Ziel ist es, Hessen zum Bildungsland zu machen, mehr Studierenden an unseren Hochschulen das Studium zu ermöglichen und den Hochschulzugang frei und ohne finanzielle Begrenzungen zuzulassen.Für dieses Ziel gilt es deutlich und heftig zu streiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht nicht mehr nur um die düstere Zukunft in den sozialen Netzwerken in Hessen. Es geht auch um eine von dieser Landesregierung gewollte düstere Zukunft für die Bildungsgerechtigkeit in unserem Land.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist jetzt politisch darüber zu entscheiden, ob wir einen freien Zugang zur Hochschulbildung für alle oder eine erneute Auslese wollen. Unsere Antwort ist klar: Soziale

Gerechtigkeit und Zugang zur Bildung gehören für uns Sozialdemokraten untrennbar zusammen.– Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Corts für die Landesregierung.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Petra Fuhrmann (SPD): Jetzt nimmt er alles zurück! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU): So gut war die Rede auch nicht!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Lieber,verehrter Kollege Siebel,ich bitte Sie um Verständnis, insbesondere die GRÜNEN und die FDP – aber vielleicht werde ich nachher noch etwas dazu sagen –,dass ich zu diesem Zeitpunkt einmal einiges grundsätzlich richtig stelle, was der Herr Siebel gesagt hat.Wenn ich mir die Situation der Hochschulen ansehe,dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder geben wir den Unis mehr Geld, das wir nicht haben, oder wir begreifen, dass wir auch von den Studenten einen Beitrag erwarten dürfen.

Ich merke, Sie schreien nicht auf. Sie kennen das Zitat. Es ist derjenige, der das gesagt hat, der fast Ihr Parteivorsitzender geworden wäre, niemand Geringeres als Klaus Wowereit. Der hat eine klare Position, und Sie brauchen noch eine Weile, bis Sie da angekommen sind.

(Beifall bei der CDU)

Weil das gerade so schön ist: Man kann über Klaus Wowereit sprechen, man kann aber auch über jemand anderen, den Landessprecher der GRÜNEN, sprechen

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Herr Berninger!)

Matthias Berninger heißt er –: Es ist nicht einsichtig, dass Eltern für die Kinderbetreuung erhebliche Summen zahlen müssen, während wir von den Studenten für die Verbesserung der Lehre keine eigenen Beiträge verlangen.

(Michael Boddenberg (CDU): Auch ein kluger Mann!)

Es sei richtig, Akademiker in sozial gerechter Weise solidarisch an den Kosten der Hochschulausbildung zu beteiligen. – Meine Damen und Herren von der Opposition, jedenfalls dieser Teil der Opposition

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das, was Sie machen, ist sozial gerecht und solidarisch?)

hören Sie bitte entspannt zu; ich habe Herrn Siebel auch ganz entspannt zugehört –,Sie haben keine klare Position. Die Führungspersönlichkeiten Ihrer Parteien sehen es genauso wie wir und gar nicht anders.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie – die googlen alle – einmal Folgendes googlen, nämlich „Wowereit“ und „Studiengebühren“ oder „Berninger“ und „Studiengebühren“ eingeben, dann kriegen Sie mehr als 70,80 positive Aussagen zu Studiengebühren.

(Zurufe von der SPD)

Schauen Sie sich das einmal an. Gehen Sie in Google, dann brauchen Sie das hier gar nicht mitzumachen. Meine Damen und Herren, aber ich habe versucht

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er hat seine Handynummer!)

ach, seien Sie doch entspannt –, Sie heute Morgen ein bisschen einzustimmen, indem ich mit der „Frankfurter Rundschau“ gesprochen hatte – Frau Ypsilanti hat es heute Morgen schon gelesen –, dass Sie auch in Ihrer Lektüre, mit der Sie morgens anfangen, der „Frankfurter Rundschau“, schon einmal ein Interview bekommen, um Ihre und unsere Position ein bisschen auszutauschen.

(Andrea Ypsilanti (SPD):Wie nett!)

Sie haben darin sicherlich gesehen, dass die Dinge, die Herr Siebel heute Morgen vorgetragen hat, gar nicht so sind, wie er das sagt.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))