Bei dem nächsten Punkt geht es um die Mindestlöhne.Wir müssen die Mindestlöhne und die Forderung nach Min
destlöhnen immer danach beurteilen,ob dadurch Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden und ob man in der Lage ist, zu garantieren, dass diese Löhne wirklich existenzsichernd sind. Man muss sich auch die Situation betrachten, in der wir uns jetzt befinden. Schon heute gibt es tariflich ausgehandelte Löhne, die bei weitem nicht existenzsichernd sind. Sie kennen die Beispiele. Denken Sie an Verkäuferinnen oder Berufe im Bewachungsgewerbe. In den östlichen Bundesländern liegt der Stundenlohn irgendwo zwischen 3,80 c und etwas über 4 c. Das heißt, es gibt schon heute tariflich ausgehandelte Löhne, von denen man nicht leben kann.
Außerdem sollten wir uns in all den Debatten, die wir über Kombilöhne führen, einmal genau betrachten, dass von den 4,9 Millionen erwerbsfähigen ALG-II-Empfängern 650.000 erwerbstätig sind. Das heißt, sie haben eine Erwerbstätigkeit, bei der das ALG II schon heute faktisch so etwas wie ein Kombilohn oder ein Mindestlohn ist. Herr Kollege Hahn, wenn man sich das aber betrachtet, sollte das dazu führen, dass man ein bisschen anders argumentiert, als Sie es heute getan haben.
Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass es bei den Niedriglöhnen ein Problem gibt.Aber dann stellt sich doch die spannende Frage – jetzt sind wir wieder bei dem Thema, wofür zusätzliche Steuereinnahmen verwandt werden –, ob nicht das grüne Modell, d. h. ein Progressivmodell bei den Lohnnebenkosten, dazu führen könnte, dass wir in diesem Land vorankommen.Das grüne Modell würde nämlich bedeuten, dass man gerade im unteren Einkommensbereich bei dem vierhundertsten Euro nicht gleich mit der vollen Summe der Lohnnebenkosten hineingeht. In Ergänzung mit Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und Tarifverträgen könnte das ein Punkt sein, wie wir in diesem Land vorankommen könnten, statt einfach zu sagen: Mindestlöhne sind auf jeden Fall des Teufels.
Ich glaube, das wäre einer Partei angemessen, die immer noch von sich denkt, sie besitze Wirtschaftskompetenz. Ich finde, die große Koalition in Berlin sollte sich auch darüber Gedanken machen, ob man, wenn man zusätzliches Geld hat – unabhängig von der Frage, ob man für oder gegen die Mehrwertsteuererhöhung ist –, unterhalb der Bemessungsgrenze den Arbeitslosenbeitrag von 6,5 auf 4,5 % senkt,ob man sogar einen noch niedrigeren Beitrag wählt oder ob man eine Staffelung vorsieht, die von der Höhe des Einkommens abhängig ist,das die Leute beziehen. Wenn man sich anschaut, wie qualifiziert die Erwerbslosen sind bzw. nicht sind, und wenn man sich vor Augen führt, welche Arbeitsbereiche von einer Verlagerung bedroht sind, erkennt man, dass das Problem gerade bei niedrigeren Einkommen besteht.
Es liegt nicht daran, dass die Leute nicht arbeiten wollten, sondern schlicht daran, dass es in diesem Bereich keine Arbeit mehr gibt, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig ist. Da stimmt es mit den Lohnnebenkosten. Aber darauf muss man jenseits der Gesetzesverschärfung bei Hartz IV eine Antwort haben.Ein Progressionsmodell,wie wir es in der Steuer haben, könnte bei den Lohnnebenkosten eine Antwort sein. Ich finde, es wäre des Schweißes aller Politikerinnen und Politiker wert, einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob man nicht von den bisherigen Sätzen herunterkommt, die für alle gleich sind.
Letzter Punkt, den Sie genannt haben: Gesundheitsreform.Wir sind uns ausnahmsweise einig.Wir sind uns völlig einig darüber, dass das, was momentan diskutiert wird – ich drücke es einmal vorsichtig aus –, die schwierigen Teile von verschiedenen Modellen kombiniert. Ob am Ende etwas Gutes dabei herauskommt, daran mache ich ein großes Fragezeichen.
Herr Kollege Hahn, bei Ihnen bedeutet Freiheit mehr oder weniger die Freiheit, unter Brücken schlafen zu dürfen.
Wir sind uns bei der Frage der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich nicht einig. Das ist das, was die FDP fordert. Wir sagen: Im Gegenteil – wir müssen endlich zu einer Bürgerversicherung kommen, worin alle sind, auch die guten Risiken und die Gutverdienerinnen und Gutverdiener.
Ich muss Ihnen sagen, das, was aus den Koalitionsverhandlungen in Berlin zu hören ist,ist aus unserer Sicht das Gegenteil einer Lösung der Probleme.
Man geht weiterhin nicht an die Lobbys heran. Man geht weiterhin nicht an die Pharmaindustrie heran. Man geht weiterhin nicht z. B. an die Kassenärztliche Vereinigung heran. Man geht weiterhin über die Frage hinweg:Wie bekommen wir es hin, die guten Risiken dazu zu bekommen? – Man geht weiterhin weg von einem Modell, das sagt: Wir wollen eine zukunftsfähige solidarische Krankenversicherung. – Es ist das Problem, dass zwei Parteien mit unterschiedlichen Konzepten ihr Gesicht nicht verlieren wollen und sich am Ende auf etwas einigen, was wahrscheinlich noch schlimmer als das ist, was wir jetzt haben. Meine Damen und Herren, das kann keine Lösung sein.
In einem Punkt bin ich allerdings über die CDU sehr erstaunt, was die große Koalition in Berlin angeht. Man stelle sich einmal vor, Rot-Grün hätte die Eigenheimzulage abgeschafft – was wir begrüßen –, die Pendlerpauschale reduziert – was wir begrüßen –, Pauschalabgaben auf Minijobs erhöht – was wir schlecht finden –, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, den Sparerfreibetrag halbiert, die Versicherungsteuer erhöht, eine Reichensteuer eingeführt und, und, und.
Was wäre hier los? Was würde Karlheinz Weimar, was würde Roland Koch, was würde jeder einzelne CDU-Abgeordnete machen? – Sie würden auf dem Kopf stehen, mit den Ohren wackeln, den Untergang des Abendlandes und die Einführung des Sozialismus gleichzeitig konstatieren. Ich finde es schon sehr spannend, wie sich die
Union in so kurzer Zeit verändert hat. Insofern finde ich das alles eine interessante politische Diskussion.Aber wir müssen durchaus feststellen, dass die Generalaussprache zum Bundeshaushalt heute zu dieser Stunde im Bundestag und nicht im Hessischen Landtag stattfindet. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich sehr froh bin, dass die FDP heute Morgen diesen Antrag gestellt hat. Einen Grund werde ich am Ende der Rede nennen, aber drei Punkte schon am Anfang. Der erste Punkt, der die Bundespolitik betrifft, macht deutlich, dass die FDP offensichtlich mit der Arbeit der Landesregierung, was die Landespolitik angeht, sehr zufrieden ist; denn sonst hätte sie einen anderen Punkt gewählt, um an der Landesregierung herumzumäkeln. Herr Kollege Hahn, insofern herzlichen Dank, dass Sie offensichtlich zufrieden sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Schwacher Einstieg! Zurück auf Los und noch einmal!)
Zweiter Punkt. Herr Hahn, es wird Sie vielleicht eher überraschen: Ich stelle fest, dass die FDP mit dieser Bundesregierung offensichtlich zufriedener ist, als ich es persönlich gedacht hätte; denn ich hätte zugegebenermaßen erwartet, dass Sie in Ihrem Antrag z. B. das Thema Reichensteuer ansprechen und dass Sie auf die Diskussion um Ehegattensplitting eingehen. All das haben Sie nicht getan. Ich kann mir überlegen, ob Sie diese Punkte in Ihrem Antrag nur vergessen haben. Das wäre schade. Ich will Ihnen das nicht unterstellen,weil der Antrag dann schlampig wäre.Wenn Sie diese Punkte bewusst nicht hineingenommen haben, wäre es fast noch schlimmer. Darüber will ich nicht spekulieren.
Dritter Punkt. Die FDP ist offensichtlich mit der eigenen Bundestagsfraktion sehr unzufrieden. Sie hat kein Vertrauen darin, dass sie es in Berlin richtet. Deswegen muss die Diskussion in die Landtage hineingezogen werden.
(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war einmal billig und jetzt von Schwäche! – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD): Das war aber schon ziemlich auf den Punkt gebracht!)
Herr Kollege Hahn, jetzt komme ich zur Sache. Lassen Sie mich aber voranstellen,dass ich sehr froh bin,dass sich die FDP hier so mit der Politik beschäftigt.
Zu den inhaltlichen Punkten. Ich will mit der Mehrwertsteuer anfangen. Herr Kollege Hahn, wir haben uns im
letzten Jahr am 14. Juli in einer Aktuellen Stunde auf Antrag der FDP mit der Mehrwertsteuer beschäftigt, am 13. 07. mit einem Dringlichen Entschließungsantrag der FDP als Nachrede zur Koalitionsvereinbarung und am 23.11. auf Antrag der GRÜNEN.Ruth Wagner hat in ihrer Rede zur Aktuellen Stunde am 24.11. das Thema aufgegriffen. Es gab am 21.11. einen Dringlichen Entschließungsantrag der FDP zu diesem Thema.Zuletzt hat die FDP am 23.Februar 2006 eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Mehrwertsteuer soll verhindert werden“ gehalten. Ob es des Themas heute Morgen wirklich noch einmal bedurft hätte, bin ich etwas unsicher, denn die Koalitionsvereinbarung kennen alle Beteiligten seit einem Dreivierteljahr.
Wir arbeiten uns seit einem Dreivierteljahr an diesem Thema ab. Herr Kollege Hahn, überlegen Sie doch einmal, was passiert wäre, wenn jetzt in Berlin nach diesem Dreivierteljahr z. B. eine Landesregierung im Bundesrat die Mehrwertsteuererhöhung abgelehnt hätte, was wir in Berlin für Diskussionen hätten, was wir für eine Regierungskrise hätten, was wir aber auch für einen Mangel an Vertrauen der Bevölkerung in das Handeln von Regierungen hätten. Deswegen ist es klug, dass sich die Landesregierung so verhalten hat, wie sie sich verhalten hat.
Dass wir durch die Mehrwertsteuererhöhung, die in der Summe kein Mensch will, die aber doch irgendwie kommt, Mehreinnahmen im Landeshaushalt von ca. 450 Millionen c vor KFA haben werden, ist die Wahrheit. Ich bin einmal gespannt, wie alle Fraktionen gemeinsam, obwohl sie gegen die Mehrwertsteuererhöhung sind, das Geld ausgeben. Herr Kollege Hahn, man darf aber nicht verschweigen, dass die Einnahmen auch zur Senkung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung gedacht sind. Wir müssten uns einig sein, dass es wichtig ist, dass die Lohnzusatzkosten gesenkt werden, weil das den Standort Deutschland stabilisiert und verbessert.
Herr Hahn, zur Wahrheit gehört auch, dass die Position der FDP nicht ganz so eindeutig ist. Ich darf einen lieben Kollegen zitieren,den Sie haben,Martin Lindner.Er ist im Augenblick der Spitzenkandidat in Berlin
und Fraktionsvorsitzender. Ich zitiere aus der „Berliner Zeitung“ vom 17. Juni letzten Jahres, also vor der Bundestagswahl:
Auch die FDP, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bislang strikt abgelehnt hatte, zieht nun eine Anhebung der Mehrwertsteuer in Erwägung. Der Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus Martin Lindner sprach sich für eine Anhebung des Satzes von 16 auf 18 % aus.
Ja, vor der Bundestagswahl. Das habe ich extra gesagt. – Der Kollege Lindner ist derjenige, der letzten Freitag bei