Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Habt ihr solch einen Antrag eingebracht?)

Die bildungspolitische Debatte wird morgen geführt. Bildungspolitisch haben wir doch eine Situation, dass das Vertrauen in die Landesregierung und die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger, von Eltern, von Schülern, von Lehrern von Monat zu Monat zurückgehen.

Das wären Themen gewesen,die zumindest stichwortartig hätten vorkommen können. Daran sehen Sie: Diese Regierung wird der Probleme in Hessen nicht Herr.Wie soll sie dann in Berlin eine Rolle spielen, wie soll sie da eine Interessenvertretung wahrnehmen können?

Ich komme zu dem Thema Mehrwertsteuer. Das ist uns nicht leicht gefallen. Das ist doch völlig klar.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Da habt ihr noch ein Stück draufgesetzt!)

Es ist ein Stück weit kurios, dass wir nach der Forderung der CDU, sie wolle um 2 % erhöhen, gesagt haben, dass wir keine Erhöhung wollen, und am Ende 3 % herausgekommen sind. Das war aber eine Abwägung über die Si

tuation der öffentlichen Haushalte. Es war eine Abwägung auch hinsichtlich der sicherlich nicht völlig falschen Idee: Wir gehen an die Lohnnebenkosten heran und versuchen,mehr steuerfinanziert zu machen.– Es ist dann die Frage, mit welcher Steuer man es tut. Es war eine Abwägung, ob, wenn es nicht zu Mehreinnahmen kommt, die Einschnitte ins soziale Netz noch erheblicher werden.

Es war am Ende die Abwägung:Wie sieht es mit der Konjunktur aus? Verkraftet die Konjunktur eine Mehrwertsteuererhöhung? An diesem Punkt – ich habe eigentlich erwartet, dass die FDP als angebliche Wirtschaftspartei das vorträgt – will ich noch etwas zu Wirtschaftswachstum und Konjunkturentwicklung sagen.

Aus der aktuellen Konjunkturumfrage im Frühsommer 2006 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) geht hervor, dass man immerhin doch ein neues konjunkturelles Hoch erwartet. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen sind gut. 34 % der Unternehmen rechnen mit einer verbesserten Geschäftslage. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt. Das ging aus mehr als 21.000 Antworten von Unternehmen hervor. Insbesondere exportorientierte Unternehmen rechnen mit einem weiter andauernden weltwirtschaftlichen Aufschwung. Der Export wächst anhaltend.

Neben den exportaktiven Unternehmen planen auch Dienstleister und Bauunternehmen wieder mehr zu investieren. Das stützt die Binnenwirtschaft, heißt es in diesem Bericht. Auch das Konjunkturbarometer des DIW sagt, dass sich die guten Wirtschaftsaussichten bestätigen. Ich finde, das ist eine ganz gute Voraussetzung. Auf der Grundlage dieser Entwicklung wird die Wirtschaft auch eine Mehrwertsteuererhöhung vertragen.

In dem Zusammenhang muss man allerdings einen Punkt ansprechen, den ich nicht mehr verstehe – das ist eine harte Kritik auch an der CDU –, nämlich dass Frau Merkel gestern von einem „Sanierungsfall Deutschland“ sprach. In einer Situation, in der die Konjunkturdaten doch ganz erfreulich sind, wo ein Schwung in diesem Lande festzustellen ist und neuer Schwung da ist für eine positive Entwicklung, für eine positive Stimmung, redet die führende Frau in diesem Staat, die Bundeskanzlerin, dieses Land schlecht. Das ist ein solch grober Unfug.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht nur eine Spaßbremse. Das wäre noch zu verkraften. Das ist in der Tat Schädigung der deutschen Wirtschaft. Da bin ich mir ganz sicher. Das sagt eine Führungsfrau.Ich glaube,diese Frau hat nicht verstanden,was in Deutschland notwendig ist. Es geht nicht darum, das Land herunterzureden, sondern darum, dafür Sorge zu tragen, dass die Pflänzchen, die es gibt, die sich gar nicht so schlecht entwickelt haben, auch weiter gefördert werden.

(Beifall bei der SPD)

Dazu kann man nur sagen:Wahrscheinlich war Frau Merkel zu lange auf dem Sonnendeck. Das ist anscheinend wirklich so, wenn man solch eine Äußerung tut. Sie gefährdet damit den Schwung,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Norbert, du bist gut, weiter!)

den es derzeit gibt.

Also: Die Konjunktur läuft, wir können nur hoffen, dass solche Äußerungen von der Frau Bundeskanzlerin sie

nicht gefährden. Deswegen sagen wir: Die Mehrwertsteuererhöhung ist vertretbar.

Meine Damen und Herren,es ist auch darauf hingewiesen worden, dass ein Drittel der Mehrwertsteuererhöhung tatsächlich dafür verwandt wird, um die Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 auf 4,5 % zu reduzieren. Netto bleiben dann 1,6 %. Das ist klar, aber das ist immerhin ein wichtiger Punkt.

Herr Kollege Hahn, Sie haben vorhin von „Umfaller“ geredet. Es ist von dem Kollegen Al-Wazir schon dargestellt worden: Fünfmal waren Sie dabei. Man hat das Gefühl, wenn Sie hier vortragen, dass Sie am meisten wurmt, dass Sie diesmal nicht umfallen können, weil sich die Menschen in der Bundesrepublik eines erspart haben, nämlich die FDP in einer Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der „Umfaller plus“, so heißt das in Hessen!)

Ich sage Ihnen auch noch etwas, worin wir uns unterscheiden:Wir wollen in der Tat einen handlungsfähigen Staat.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Warum habt ihr den in den letzten sieben Jahren kaputtgemacht?)

Wir wollen einen handlungsfähigen Staat, weil wir uns darin von manchem Nachtwächter in der Politik und in der Wirtschaft unterscheiden, die den Staat nur noch auf die ganz wenigen Punkte herunterkommen lassen wollen, aber die zentralen Fragen, auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit, dem Staat nicht mehr zukommen lassen wollen. Das ist aus unserer Sicht ein Nachtwächterstaat, der sich längst überholt hat. Im Gegenteil: Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, gerade wenn wir solche wichtigen Dinge wie die Bildung finanzieren wollen.Dazu brauchen wir wirklich Leistungsfähigkeit, und dazu brauchen wir auch finanzielle Mittel.

Sie kennen doch die Situation – im Bund wie im Land. Sie kennen auch die kommunale Situation. Sie wissen, dass die Investitionen gerade auf kommunaler Ebene in den letzten Jahren ganz erheblich zurückgegangen sind. Deswegen sage ich Ihnen: An dieser Mehrwertsteuererhöhung geht leider – das ist zu betonen: leider – kein Weg vorbei.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Herr Schmitt, das wussten Sie vor der Wahl nicht?)

Ich komme zum nächsten Punkt. Das ist das Irre an dieser Debatte: Man springt von einem Spiegelstrich zum anderen. Ich komme zum Thema Antidiskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgesetz.

Es ist sehr interessant, was Sie, Herr Hahn, eben dazu dargestellt haben. Sie haben wohl zitiert und gesagt: Nicht jedes unanständige Verhalten sollte gesetzlich geahndet werden. – Auf dieses Zitat haben Sie sich berufen.

Meine Damen und Herren, das macht den Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Liberalen deutlich: Wir finden schon, dass unanständiges Verhalten sanktioniert werden soll. Ich glaube, das macht vieles deutlich.Wir finden,dass Diskriminierungen gleich welcher Art zurückgewiesen und geahndet werden müssen. Deswegen ist das Antidiskriminierungsgesetz aus unserer Sicht richtig.

Ich bin einmal gespannt, wie Herr Koch mit diesem Problem umgeht. Der Koch hat hier wieder versucht, zu kratzen – weil er an den Honigtopf in Berlin nicht herangekommen ist.Wie wird der Problembär Koch – –

(Heiterkeit – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Problem Beer! – JörgUwe Hahn (FDP): Was ist mit Nicola Beer? – Clemens Reif (CDU): Nasenbär! – Weitere Zurufe)

Frau Beer, in diesem Zusammenhang habe ich wahrlich nicht an Sie gedacht. – Wir wollen sehen, wie der Problembär Koch von dem Baum, auf den er geklettert ist, wieder herunterkommt. Es wird hier keine Nachverhandlungen geben. Diese Frage ist unter dem Vorsitz von Frau Merkel ausgehandelt worden, und deswegen wird dieses Gesetz – da bin ich mir ziemlich sicher – im Bundestag so beschlossen werden. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses wird entsprechend beantwortet werden.

Ich will den dritten Punkt ansprechen, die Frage der Mindestlöhne.Hier will ich die Partei der Besserverdienenden – wie sich die FDP für kurze Zeit einmal bezeichnet hat – wirklich einmal fragen:Wissen Sie denn, wovon Sie reden, wenn Sie über Niedriglöhne in der Bundesrepublik sprechen? Wissen Sie, dass rund 3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik von Niedriglöhnen leben – oder eigentlich nicht leben können, sondern leben müssen?

Meine Damen und Herren, das betrifft nicht nur unausgebildete Menschen. 70 % dieser 3 Millionen Menschen, die nicht von ihrer Arbeit leben können, haben eine Berufsausbildung; manche sogar eine Hochschulausbildung. Denen muten wir Hungerlöhne zu. Deswegen sagen wir Ihnen: Das ist von Ihnen völlig falsch dargestellt. Ich glaube, im Schlusssatz haben Sie noch gesagt, die Mindestlöhne wären das Ende des Sozialstaats oder des Staates Deutschland. Dazu sage ich Ihnen: Dann wären die meisten europäischen Länder längst zusammengebrochen, denn überall dort gibt es Mindestlöhne.

Ich möchte aufgreifen,was Tarek Al-Wazir gesagt hat:Wir sind fest davon überzeugt, dass Mindestlöhne den richtigen Weg darstellen. Das ist auch eine Frage der Menschenwürde. Menschen, die Vollzeit arbeiten, 40 oder manchmal 45 Stunden in der Woche, müssen von dem Lohn, den sie dabei erzielen, auch leben können. Das ist eine Frage der Menschenwürde.

Wer hier einen solchen Popanz aufbaut und fast vom Ende des Abendlandes spricht, wenn es um Mindestlöhne geht, der muss sich den europäischen Vergleich vorhalten lassen.

Eines ist klar,und das wissen Sie:Wir haben immer gesagt, Tarifverträge sollen Vorrang haben. Sie sollen eine Mindestabsicherung bieten und vor Lohndumping schützen. Aber heute sind in vielen Branchen nicht mehr alle Arbeitgeber Mitglieder in Arbeitgeberverbänden. Hier gibt es Lücken. Deswegen ist als Zwischenstufe sicherlich eine Variante denkbar, die wir aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz für die Baubranche kennen; dort wird ein tariflich vereinbarter Mindestlohn für die gesamte Branche für verbindlich erklärt. Das ist ein sinnvoller Schritt, den kann man möglicherweise auch auf andere Branchen ausweiten.

Wenn sich Tarifpartner – auch das ist möglich – aber nicht auf branchenspezifische Mindestlöhne einigen können, muss man überlegen, ob man nicht die unterste Entgeltgruppe dort für allgemeinverbindlich erklärt. Das geht, dazu kann man eine Rechtsverordnung erlassen. Das geht übrigens auch im Land Hessen,aber dazu sind die Hürden momentan verhältnismäßig hoch. Hier werden wir Veränderungen brauchen. Das ist aber ein gutes Instrument, um regional- und branchenspezifisch Mindestlöhne abzusichern – Stichwort: Flexibilität.

Allerdings wird es am Ende immer noch Bereiche geben, die wir auch mit solchen Regelungen nicht erfassen können, und deswegen muss am Ende ein Mindestlohn eingezogen werden. Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen, damit konnte verhindert werden, dass Menschen unter das Existenzminimum fallen. Daher sind Mindestlöhne ein Beitrag zur Menschenwürde. Für uns ist das äußerst wichtig und zentral, und deswegen wird dieses Thema weiterhin auf der Tagesordnung bleiben.

Noch eines: Die CDU hat die Ausweitung von Kombilöhnen angeboten. Das sehen wir sehr kritisch. Wir sehen darin eine flächendeckende Lohnsubventionierung. Die ist letztlich unbezahlbar, und sie ist auch ökonomisch unsinnig. Am Ende wird das nur zu Missbrauch führen und dazu, dass es zu erheblichen Mitnahmeeffekten kommt. Kombilöhne sind keine Alternative zur Absicherung von Mindestlöhnen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum vierten Punkt, den Sie angesprochen haben: die Gesundheit. Kollege Gotthardt hat davon gesprochen, die SPD habe hier komische Vorstellungen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Stimmt!)

Dass Herr Hahn hier „Stimmt!“ ruft, kann ich mir vorstellen. Denn hier scheinen sich FDP und CDU an manchen Stellen doch wieder sehr nahe zu sein.

Für uns sind es keine komischen Vorstellungen, wenn wir betonen, dass niemand von einem Gesundheitssystem, von einer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sein soll, der arm ist, und dass niemand arm werden soll, wenn er krank ist.Meine Damen und Herren,das halte ich nicht für komische Vorstellungen, sondern für ein Gebot der Solidarität.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schmitt, Sie müssen zum Schluss kommen. Ihre Redezeit ist um.

Ja. – Die Solidarität macht sich dann auch bei der Finanzierungsfrage fest. Deswegen sagen wir Ihnen: Eine Reform muss kommen. Sie muss die Privaten einbeziehen, denn es kann nicht sein, dass sich die Spitzenverdiener permanent davon freikaufen können. Sie muss sämtliche Einkommensarten erfassen – ich glaube, auch das ist ein wichtiger Punkt. Die Arbeitgeberbeiträge dürfen nicht eingefroren werden, denn sonst werden am Ende nur noch die Arbeitnehmer die Suppe zahlen,und das wäre sicherlich eine falsche Regelung. Deswegen sage ich Ihnen von der FDP: Füllen Sie Ihre Oppositionsrolle in Hessen doch bitte einmal mit hessischen Themen aus – hier gibt es eigentlich genug Angriffsthemen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Zum Beispiel die SPD, Walter!)

Überlassen Sie die Bundesthemen Ihrer Oppositionsrolle in Berlin. Die ist allerdings auch nicht gerade sehr stark.

Herr Schmitt, bitte.