Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Wer sich jetzt bei der Fußballweltmeisterschaft die Nationalhymnen auch der anderen Länder, die an dieser WM teilnehmen, zum Teil mit einem leichten Schaudern anhört, der muss feststellen, dass unsere Hymne mit der Musik von Haydn und dem Text von Hoffmann von Fallersleben, der übrigens ein Schwarz-Rot-Goldener war – Frau Wagner hat es gesagt –, eine wunderschöne Hymne im Vergleich mit den anderen Hymnen darstellt, die oft militärisch, sehr schmissig, kriegerisch und aggressiv klingen und in denen zu den Waffen gerufen oder in denen auch davon gesungen wird, man wolle für sein Land freudig sterben. – Meine Damen und Herren, bitte lassen wir die Kirche im Dorf.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Argument, das die GEW angesprochen hat, diese Nationalhymne könne heute nicht mehr gesungen werden, weil sie vom Nationalsozialismus missbraucht worden ist, zeugt von einer großen Realitätsverweigerung und auch von unhistorischer Sicht der Dinge.

Herr Kollege Dr. Müller, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich will diesen Aspekt noch einmal aufgreifen, weil ich glaube, dass er genau den Trugschluss der Argumentation zeigt. Während sich in dem Briefwechsel zwischen Theodor Heuss und Konrad Adenauer – deswegen schlägt die GEW hier offensichtlich die Schlacht der Fünfzigerjahre nach – dieses Thema deutlich gezeigt hat, wird heute negiert, dass unsere Nationalhymne nach der Nazidiktatur bewusst als ein Zeichen für den demokratischen Neubeginn gewählt wurde. Es wird negiert, dass sie ein legitimer Teil der Erinnerung des Volkes ist,gerade gegen die bösen Erinnerungen und die Schändung durch die Zwangsverbindung mit dem Horst-Wessel-Lied des Nationalsozialismus.

Ich glaube, wer diesen Aspekt sieht, der wird diese Nationalhymne nicht als ein „furchtbares Loblied auf die Nation“ anerkennen, sondern als eine schöne, auch emotionale Identität für dieses Land, für unser Deutschland.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Holzapfel, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was das, was in den Stadien geschieht, mit dem verbindet, was hier geschieht, ist etwas ganz Einfaches: Es gibt Spiele, die nur gespielt werden können,wenn zwei Mannschaften mitmachen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dem Vaterland, dem teuren, hätten Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, einen Gefallen getan, wenn Sie der im wahrsten Sinne des Wortes vernagelten Initiative der GEW

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit)

die Ehre nicht angetan hätten, darauf mit diesem pawlowschen Reflex zu reagieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Buh! – Jörg- Uwe Hahn (FDP):Verharmloser!)

Man kann die Frage, wie normal wir mit unserer Hymne umgehen, auch so stellen: Glauben Sie, dass die französische Nationalversammlung, dass das britische Parlament es für notwendig erachten würde, auf derartige Meldungen von Sektenrändern mit einer Resolution zu reagieren?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber ja! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Für dieses Spiel braucht man zwei, und Sie spielen den zweiten Part offenbar gern. Es ist auch nicht die Wiederkehr der Diskussion der Fünfzigerjahre, sondern der Diskussion der Neunzigerjahre.

Es ist weiß Gott richtig, dass es eine unerträgliche Broschüre ist, um die es geht. Allein der Umstand, dass man sie 15 Jahre später unverändert abdruckt, erinnert an die Geschichte von Herrn Keuner, der bekanntlich erbleicht ist, als man ihm gesagt hat, er habe sich nicht verändert.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) – Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP): Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, hier spielen zwei: Die Broschüre und die regierungsoffizielle Handreichung zur Hymne, auf die Frau Wolff in diesen Tagen hingewiesen hat. Sie ist auch aus jenen Zeiten; und sie ist auch einäugig. Sie hat mit der der GEW gemein, dass sie die Wandlungen der letzten Jahrzehnte nicht zur Kenntnis genommen hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in Ihrer Broschüre noch nicht einmal gemerkt, dass wir inzwischen eine neue Präambel des Grundgesetzes haben. Angeblich enthält – dort steht Präsens, nicht „enthielt“ – diese Präambel die Aufforderung, dass das gesamte deutsche Volk aufgefordert bleibt, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“. Inzwischen haben wir eine Präambel, in der steht, dass das deutsche Volk dies getan hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD):Wir sind ein Stückchen weiter!)

Das will ich nicht überinterpretieren. Das ist vermutlich nur die übliche Schlamperei. Ich will politisch nicht etwas hineingeheimnissen, etwa in der Art, Sie warteten noch auf irgendwelche Teile Deutschlands, die dazustoßen müssten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das aber erinnert doch daran – jetzt komme ich zu einem ernsthafteren Teil –, dass es in unserem Lande um jenen Auftrag des Grundgesetzes eine heftige Auseinandersetzung gab, in der die erste Strophe des Deutschlandliedes eine Rolle spielte. Als wir 1989 in diesem Hause über diese Broschüren – über Ihre Broschüre oder über die von Herrn Wagner damals – diskutierten, kam Herr Wagner gerade von einer Kundgebung der Sudetendeutschen in Wetzlar,auf der man – ich zitiere – in aller Offenheit „die Rückgabe unserer Heimatgebiete“ gefordert hatte, die man sich damals als Brachland vorstellte. Damals war die Kontroverse um die Zeile „bis an die Memel“ keine bloß historische, sondern eine, die mit aktuellen, gegenwärtigen Konflikten zu tun hatte. Helmut Kohl hat das dann schnell abgeräumt, als er den berühmten „Mantel der Geschichte“ ergriff. Das erinnert uns daran, dass Hymnen ihre Geschichte haben und dass manchmal Geschichte selbst notwendig ist, um sie wieder als geschichtlich verstehen zu können.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Dazu gehört, dass Joschka Fischer damals gesagt hat:Denkt nicht an die Einheit Deutschlands!)

Liebe Frau Wagner, wenn wir uns einmal darauf verständigen,dass sich die Weltgeschichte nicht an Parteipro

gramme – weder an das der SPD, der GRÜNEN noch der CDU – hält

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

nun hören Sie doch einmal in Ruhe zu;Sie können in der Geschichte der Sozialdemokraten wie der GRÜNEN Zitate finden, die historisch ebenso überholt sind wie die Hoffnung von Herrn Wagner, Ostpreußen käme wieder zum Deutschen Reich –,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann werden wir uns – –

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ihre Partei hat die Einheit Deutschlands bekämpft! Das, was Sie eben unterstellt haben, ist die Unwahrheit! Ich hätte mir von einem ehemaligen Kollegen etwas mehr Fairness und Stil erwartet!)

Ich erinnere mich – –

(Zurufe)

Herr Kollege Holzapfel, einen Moment, bitte. – Meine Damen und Herren,ich bitte Sie doch um etwas Ruhe und um eine geordnete Debatte.

Herr Kollege Wagner, ich erinnere nur daran – –

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich weiß gar nicht, weshalb Sie sich so aufregen, zumal ich auch über Phasen rede – –

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Weil es unsäglich war, was Sie gerade unterstellt haben! Das ist eines ehemaligen Kultusministers nicht würdig, was Sie hier gerade gesagt haben!)

Ich erinnere mich nur daran – –

(Anhaltende Zurufe)

Meine Damen und Herren, darf ich Sie noch einmal bitten, dem Kollegen Holzapfel Ihre Aufmerksamkeit zu schenken?

Wenn Sie mich schon darauf ansprechen, was eines Exkultusministers würdig ist, Herr Kollege Wagner, dann will ich auch daran erinnern: Sie hatten zu einer Zeit politische Verantwortung, in der wir in der Kultusministerkonferenz noch ernsthaft um die Darstellung der deutschen Ostgrenzen gestritten haben, in der es ein Thema der politischen Auseinandersetzung war, in welcher Couleur Schlesien eingetragen werden müsste – ob der deutschen oder der polnischen. Daran möchte ich doch erinnern. Das war damals der Kontext, in dem Debatten abgelaufen sind, die wir heute Gott sei Dank hinter uns haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Jetzt haben wir 2006!)

Ich erinnere nur daran,weil es darum geht,die Geschichte dieser Hymne ungekürzt und unverfälscht zu erzählen – in allen ihren problematischen, aber auch in all ihren glücklichen Phasen.

Herr Kollege Holzapfel, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Meine Damen und Herren, Hans Krollmann hat vor diesem Haus einmal seine Erinnerung an den 8. Mai 1945 wiedergegeben. Er hat gesagt, er habe damals fast geweint, als „Radio Hamburg“, der letzte Reichssender, seine letzte Sendung wie immer mit dem Deutschlandlied beendet habe. Er habe sich dann bewusst gemacht, dass er nicht aufgrund dessen fast geweint habe, was er gehört habe, sondern aufgrund dessen, was er im Anschluss nicht mehr gehört habe: das Horst-Wessel-Lied, mit dem die Nazis das Deutschlandlied verklammert hatten. Für ihn als Sozialdemokraten – der sich daran erinnerte und zu dessen eigener Biografie es gehörte, dass Friedrich Ebert das Deutschlandlied zur Deutschen Nationalhymne erklärt hatte – war dies ein Augenblick, in dem er empfunden habe, dass dieses Lied von einer tödlichen Umklammerung befreit worden sei.

Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch sehen, dass es gute Gründe gab, das anders zu sehen. – Das sage ich gerade zur FDP: Theodor Heuss hat das anders gesehen.