Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Menschen können nur dann zumutbare Arbeit angeboten bekommen, wenn Arbeit vorhanden ist. Darüber haben wir schon einmal gesprochen. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt, sonst können wir qualifizieren, Beratungen durchführen, schnell vermitteln, Termine geben – alles Nebensache. Solange wir nicht mehr Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, können wir nichts machen, können wir uns zwar aufstellen, aber es wird uns nichts helfen.

Jeder weiß, dass das Unterschreiten des menschenwürdigen Existenzminimums – über das reden wir, wenn hier immer vom Lohnabstandsgebot gefaselt wird – keinerlei Probleme löst, sondern neue schafft und uns alle teuer zu stehen kommt.

Meine Damen und Herren, ich will ein paar zentrale Inhalte des jetzt verabschiedeten Gesetzes nennen. Es ist dem Kollegen Holler leider entgangen,dass es im Bundestag bereits verabschiedet ist. Vielleicht sage ich das auch für Herrn Bocklet, damit er seinen Blick noch einmal schärft.

Erstens. Die Verbesserung der Betreuung durch Hilfe aus einer Hand, z. B. durch die einheitliche Arbeits- und Ausbildungsplatzvermittlung ist ganz klar Pflichtaufgabe sowohl der kommunalen Träger als auch der Arbeitsgemeinschaften. Das halte ich auch für richtig. Es war der Sinn der ganzen Reform, dass das aus einer Hand erfolgt.

Zweitens. Auch erwerbsfähige Personen, die bisher keinen Leistungsbezug hatten, sollen Sofortangebote bekommen können.Ich denke,auch das ist eine schnelle Aktivierung, die Vorteile bringt.

Drittens. Klarstellung und Vereinfachung, sodass z. B. bei Umzügen von Hilfeempfängerinnen der bisherige Wohnort dann auch die Kosten trägt oder dass – etwas Lächerliches – zu einer Babyausstattung auch ein Kinderwagen gehört. Ich dachte bisher immer, das gehöre zur Allgemeinbildung. Aber gut, offensichtlich muss man so etwas auch in Gesetze schreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Viertens. Die Schließung von sozialen Sicherungslücken, z. B. ein Zuschuss zur Krankenversicherung, wenn ohne diesen Zuschuss Hilfebedürftigkeit entstehen würde.

Fünftens. Die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Leistungen durch einen Zuschuss zu den Wohnkosten für Bezieherinnen und Bezieher von BAföG und Berufsausbildungshilfe.

Sechstens. Die Berücksichtigung von unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen.Auch das halte ich für richtig.

Siebtens. Entlastung von Kommunen, die ein Frauenhaus haben. Der Träger am bisherigen Wohnort soll weiterhin zahlen. Das ist eigentlich logisch und sachgerecht.

Das sind Klarstellungen. Aber, Herr Kollege Bocklet, ich habe bei dem, was ich gerade vorgetragen habe, keine einzige Kürzung feststellen können.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Antrag der GRÜNEN kommt also nicht nur drei Wochen zu spät. Er ist von den GRÜNEN im Bundestag abgeschrieben, und insofern ist er auch überflüssig.

Ich gehe aber davon aus, dass die grundsätzlichen Debatten zum Thema Hartz IV nicht mit diesem verabschiedeten Gesetz enden werden. Nach dem, was Herr Kollege Holler gesagt und die CDU in ihrem dünnen Antrag geschrieben hat, und nach dem, was Herr Kollege Holler hier vorgetragen hat, bin ich mir sicher, dass die CDU auf Länderebene zwar weiterhin von Nachbesserungen reden, aber Verschärfungen meinen wird. Da kann ich nur sagen:Viel Vergnügen; mit uns in der großen Koalition so nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen einer Reform auch Zeit geben. Eine Reform dieser Art braucht mindestens drei bis fünf Jahre, bis sie eine optimale Praxis entwickelt hat. Das wird so sein.Wir brauchen weder Fundamentalkritik noch weitere Störfeuer und -manöver.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum CDU-Antrag. Sie erwecken mit Ihrem widersprüchlichen und dünnen Antrag den Eindruck,als ginge es beim Fortentwicklungsgesetz ausschließlich um die Bekämpfung von Leistungsmissbrauch. Das ist falsch. Es geht um Optimierung und Verbesserungen, wie ich eben an den neun Punkten nachgewiesen habe. Es geht um bessere Vermittlung, schnellere Aktivierung und um klarere Zuständigkeitsregelungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie erwecken mit Ihrem Antrag den Eindruck, die Bundesagentur blockiere die Arbeit der zugelassenen kommunalen Träger. Auch das ist völliger Humbug. Sie, die Union – gerade in Hessen – und einige Kommunen haben die Option gewollt. Sie haben sie bekommen, und sie sind jetzt Träger. Ich sage, sie sollten mindestens eigenständig handlungsfähig sein. Außerdem arbeiten, wenn wir Ihre Pressemeldung ernst nehmen, Landesregierung und Regionaldirektion ganz gut zusammen. Da haben wir jetzt am 19.06. gelesen, es gebe eine intensive Zusammenarbeit. Da kann ich nur sagen:Weiter so.

Der CDU-Antrag, der im Übrigen ausschließlich die Forderungen des Landkreistages aufnimmt, die in einer Anhörung gegenüber dem Bundestag geäußert wurden, hat mich schon sehr gewundert. Was ist eigentlich mit dem Städtetag oder mit den Meinungen des Städte- und Gemeindebundes? Davon liest und hört man in der Debatte von der CDU nichts.

Sie fordern einerseits, die Statistiken zur Grundsicherung zu zentralisieren bzw. die Daten vom Statistischen Bundesamt zentral in einer Bundesstatistik zusammenzufassen. Gleichzeitig wollen Sie aber kein zentralistisches Datenverarbeitungssystem.Was eigentlich? Zentral oder dezentral? – Ich habe das nicht erkennen können.

Wir als SPD wollen jedenfalls Daten haben. Wer sie sammelt und wo sie zusammengefasst werden, ist uns vollkommen schnuppe. Nur möchten wir endlich vergleichbare und verlässliche Zahlen haben. Wie gesagt: Die Große Anfrage zeigt, dass es beides nach wie vor nicht gibt. Ich sage: Vieles von dem, was von der Landesregierung gesagt wird, sind starke Behauptungen und durch nichts, aber auch gar nichts zu belegen.

Sie fordern in Ihrem Antrag, die Aufgaben der beruflichen Rehabilitation und die Zuständigkeit für die Vermittlung von unter 25-Jährigen von den kommunalen Trägern auf die Bundesagentur zu übertragen. Ich finde, das widerspricht vollkommen dem Grundsatz „Hilfe aus ei

ner Hand“. Zu „Hilfe aus einer Hand“ gehört in den Optionskommunen eigentlich auch die Betreuung von behinderten Menschen und auf jeden Fall die von jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen.

Allerdings bin ich überzeugt, dass die Kompetenz der Bundesagentur bei der Vermittlung Schwerbehinderter dringend erforderlich ist und in den letzten eineinhalb Jahren – um es vorsichtig zu formulieren – außerordentlich kurz gekommen ist. Deswegen steht diese Änderung bereits in dem beschlossenen Bundesgesetz. Das ist aber der CDU-Fraktion offensichtlich entgangen. Es ist nämlich bereits seit drei Wochen Gesetzeslage. So viel zur Qualität der Recherchen oder auch der Debatte in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie aber sagen, Sie möchten auch, dass die Zuständigkeit für Auszubildende übertragen wird, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sagen damit, dass die Optionskommunen keinen Sach- und Fachverstand haben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie das ernsthaft sagen wollen.

Ich fasse zusammen: Der GRÜNEN-Antrag kommt zu spät. Er passt in den Bundestag. Der CDU-Antrag passt zur völlig verfehlten Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung. Er passt auch dazu, dass Sie gleichzeitig versuchen, Regierung und Opposition zu sein. Ich kann Ihnen sagen, dass das nicht gut gehen wird. Er passt natürlich auch dazu, dass Herr Koch lieber gestern als morgen nach Berlin gehen möchte,nachdem er Hessen wirtschafts- und sozialpolitisch wirklich auf den Hund gebracht hat. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)

Zu einer weiteren Kurzintervention hat Frau SchulzAsche das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich zu einer Kurzintervention zu einem Punkt in der Rede von Frau Fuhrmann gemeldet.

Frau Fuhrmann, in dem Antrag der SPD heißt es in Abs. 2:

Vergleichbare Reformen im Ausland haben gezeigt, dass es bis zu fünf Jahren dauert, bevor sie umfassend wirken.

Wir müssen aber konstatieren, dass allein in diesem Jahr die dritte gesetzliche Veränderung von Hartz IV im Bundestag vorgenommen wurde – zuletzt auch in dem gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD, den Sie gerade als Optimierung und Leistungsverbesserung bezeichnet haben und den ich als einen Gesetzentwurf mit über 50 Verschlechterungen für die Empfänger von Arbeitslosengeld II bezeichne.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann in so einer Kurzintervention nicht zehn Beispiele nennen. Ich möchte Ihnen das an einem einzigen Beispiel, das Sie selbst hier erwähnt haben, deutlich machen.

Wir reden über den 19-Jährigen, der das Elternhaus verlässt und dadurch im Rahmen von ALG II Leistungen

empfängt. Ein 19-Jähriger oder eine 19-Jährige hat in unserem Land in der Regel mit 19 Jahren das Abitur oder die Ausbildung abgeschlossen und befindet sich in einer Phase der Berufsfindung bzw. des Übergangs ins Berufsleben.

Wir haben keinerlei Zahlen darüber, wie viele Personen tatsächlich hier Missbrauch betrieben haben. Aber wir wissen, dass es in der beruflichen Entwicklung von Jugendlichen eine der entscheidenden Phasen des Übergangs von der Ausbildung und der Schule ins Berufsleben ist. Das Erste, was Sie machen, ist, dass Sie an diesem Punkt eingreifen und sagen, hier werde Missbrauch betrieben.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt so nicht!)

Ich denke, dass das ein sehr schönes Beispiel dafür ist, dass Sie nicht fördern und die Politik nicht darauf ausgerichtet wird, junge Menschen ins Arbeitsleben zu bringen, sondern dass hier mit Repression gearbeitet wird. Das lehnen wir grundsätzlich ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Fuhrmann hat das Wort zur Erwiderung.

Frau Kollegin Schulz-Asche, ich will das gern noch einmal präzisieren, weil das hier schon einmal in die Luft gesetzt worden ist und so nicht stimmt.

Erstens haben viele junge Menschen mit 19 Jahren ihre Ausbildung abgeschlossen und stehen auch finanziell auf eigenen Füßen. Das ist das eine.

Das Zweite ist: Wer noch in der Ausbildung bzw. in der Schule ist, sollte nicht mit seinem 18. Geburtstag das Anrecht auf Unterstützung durch die Allgemeinheit bekommen,wenn man noch nicht selbst verdient.Da muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Zu meinen, dass jemand, der nach dem Abitur oder nach dem 18. Geburtstag aussteigt und zu Hause auszieht, die Wohnkosten und den Lebensunterhalt von der Allgemeinheit finanziert bekommt, ist nicht in Ordnung. Es muss vielmehr heißen: Ich ziehe dann aus, wenn ich selbst genügend Geld verdiene.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Das ist immerhin auch Steuergeld von der Friseuse, vom Fleischer und vom Kraftfahrer, mit dem Sie, Frau Kollegin, hier gerade umgehen.

(Beifall bei der SPD)