Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Den zugelassenen kommunalen Trägern ist ein unbeschränkter Zugriff auf die Vermittlungsdatenbanken der BA einzuräumen.

Die bisherigen Regelungen des SGB II zu Datenübermittlung und Datenschutz... bedürfen einer grundlegenden Änderung.

Die Aufgaben der beruflichen Rehabilitation sind aus der Zuständigkeit der zugelassenen kommunalen Träger in die alleinige Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit zu überführen.

Die Zuständigkeit für die Vermittlung unter 25Jähriger in eine berufliche Erstausbildung ist als alleinige Aufgabe der Agentur für Arbeit in ihrer Eigenschaft als Leistungsträger nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch zu verankern.

Personen, die in stationären Einrichtungen leben und erwerbsfähig sind, dürfen nicht allgemein von den Leistungen zur Integration in Arbeit ausgeschlossen werden.

Bedarfsdeckende Leistungen an Auszubildende sind nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und im Wege der Berufsbildungsbeihilfe nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch zu erbringen.

Wir gehen davon aus, dass die Landesregierung diese Punkte bei den anstehenden Gesprächen zur Weiterentwicklung des SGB II berücksichtigt. Dabei ist zwischen Systemfehlern und Startschwierigkeiten zu unterscheiden, die sich bei der Umsetzung eines solch umfangreichen Reformwerkes ganz natürlich als Reibungsverluste ergeben.

Meine Damen und Herren, wir haben heute an einigen Stellen über die Jobcenter geredet. Deswegen möchte ich eine kurze Bemerkung machen. Im Bereich der Beratung und Planung hat sich die Situation bei den hessischen Grundsicherungsträgern im Vergleich zum Vorjahr deutlich verbessert. Ging der Aufbau der Jobcenter einschließlich der Neueinstellung von Beschäftigten und deren Schulung anfänglich deutlich zu Lasten der Eingliederung von Hilfebedürftigen, steht nun qualifiziertes Personal zur Verfügung. Wer will bestreiten, dass es bei einem so umfangreichen Reformwerk, wenn es denn startet, während des Aufbaus von Jobcentern im Einzelfall auch zu Problemen vor Ort kommt? Ich glaube, das ist ganz normal. Das sollten wir heute einräumen.Wir sollten aber auch einräumen, dass sich die Situation nachhaltig und sehr stark verbessert hat.

Ich möchte nun auf eine Forderung der GRÜNEN eingehen. Die Forderung nach einer Bundesratsinitiative zur besseren Vermittlung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen hört sich gut an, läuft angesichts bestehender Förderprogramme aber ins Leere. Dies sind z. B. die Programme „Wegebau“ oder „Perspektive 50 plus“. Wichtig für die Chancen von Arbeitslosen ist, dass alle tariflichen und gesetzlichen Regelungen auf ihre hemmende Wirkung überprüft werden. Zu diesem für ältere Arbeitslose besonders wichtige Punkt hat die SPD im Bund leider bisher keine konstruktive Haltung eingenommen.

Ein weiteres Thema war heute das Thema Daten: Verheimlicht die Landesregierung irgendetwas, oder ist sie nicht in der Lage, selber Programme zu schreiben oder Sonstiges. Ich muss sagen, nach der Sitzung des Sozialausschusses – Kollege Rentsch hat einiges dazu gesagt, was ich nicht wiederholen möchte – hat es sich doch überholt. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, es ist

schlichtweg unseriös, erst eine Pressemitteilung zu schreiben, eine Pressekonferenz einzuberufen und Unterstellungen zu machen, hier würden absichtlich Zahlen unterdrückt,um Optionskommunen,die unter Umständen,was man mutmaßt, kaffeesatzlesefrei die Zahlen, die gewünscht sind, nicht bringen – – Das war doch alles an den Haaren herbeigezogen.Nachdem die Pressemitteilung erfolgt ist, haben die GRÜNEN im Ausschuss die Information entgegengenommen, die detailliert und ausführlich war. Dazu brauchen wir heute keinen weiteren Satz zu verlieren.Das war der Sturm im Wasserglas und sollte von den GRÜNEN heute vom Tisch gebracht werden.

Als Fazit kann heute festgestellt werden, dass wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen und Sozialhilfe unterstützen. Seit dem In-Kraft-Treten und der Umsetzung haben sich einige Probleme gezeigt, die beseitigt werden müssen. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, bei Ihrer belehrenden Initiative und Presseerklärung sollten Sie allerdings – wie ich eingangs gesagt habe – nicht ignorieren, dass viele der heute bestehenden Probleme auf handwerkliche Fehler der von Ihnen getragenen damaligen Bundesregierung zurückzuführen sind.

Da den Arbeit Suchenden eine Suche nach den Schuldigen oder eine Nachbetrachtung, was im Hause Clement alles schief gelaufen ist, wenig bringt, machen wir uns an die Sacharbeit und arbeiten die Problempunkte ab. Ich glaube, unser Antrag leistet dazu einen Beitrag. Das, was die Hessische Sozialministerin versucht,auf Bundesebene zu erreichen, hilft in der Sache weiter. Deswegen gehe ich auf weitere polemische Einlassungen des Kollegen Bocklet nicht ein und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rentsch das Wort.

Lieber Kollege Holler, ich will das gar nicht verlängern.

(Jürgen Walter (SPD): Du verlängerst das doch!)

Ich habe eine ganz konkrete Frage,weil mich das in Ihrem Antrag sehr stark wundert. Sie haben in Ihrem Antrag eine Passage – ich habe sie vorhin erwähnt –, mit der Sie die Zuständigkeit für die Vermittlung von unter 25-Jährigen in eine berufliche Erstausbildung als alleinige Aufgabe der Agentur für Arbeit im SGB III manifestieren wollen. Was hat Sie zu diesem Paradigmenwechsel bewogen? Denn es kann doch nicht sein, dass wir erstens aus der Sicht der Hessischen Landesregierung die BA in diesem Bereich bevorteilen – so will ich es einmal nennen – und zweitens,bevor wir valide Zahlen,wie Sie es selbst gesagt haben, diesen Schritt unternehmen.Was hat Sie dazu bewogen?

(Beifall bei der FDP)

Herr Holler will nicht antworten. – Dann rufe ich Frau Fuhrmann für die SPD-Fraktion auf. Sie haben das Wort.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Die Antwort stand nicht auf dem Zettel,und deswegen konnte er sie nicht vorlesen!)

Herr Kollege Rentsch, ich habe mich das auch gefragt.

Meine Damen und Herren, wir diskutieren zum wiederholtesten Mal immer wieder das Gleiche, und einige der Reden – die Rede vom Kollegen Holler will ich jetzt nicht nennen – ändern sich. Manche sind doch recht überraschend, das muss ich schon sagen. Herr Kollege Bocklet, niemand in der SPD hat darüber gesprochen, dass Regelsätze abgesenkt werden sollen. Niemand möchte, dass 24Jährige, die arbeitslos werden, wieder zu ihren Eltern ziehen müssen. Was wir allerdings nicht wollen, ist, dass jemand mit 19 Jahren auszieht, obwohl er nichts in der Tasche hat. Das ist wohl eindeutig.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Bocklet, das ist ein großer Unterschied, und das sollten Sie erkennen.

Zweiter Punkt. Herr Kollege Rentsch, Sie haben hier – wie es die FDP oft tut – wieder einmal das Lohnabstandsgebot genannt und gesagt, das sei nicht gewahrt. Ich schlage Ihnen vor, weil ich Sie ganz gut kenne und auch Ihre Krawatten sehr schätze, Herr Kollege,

(Zuruf von der FDP: Ui!)

dass Sie zu dem Preis, zu dem Sie ein bis zwei oder vielleicht drei Krawatten, wenn sie billig wären, kaufen, einmal versuchen,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wir können uns auch ein paar Sonnenbrillen leisten!)

einen ganzen Monat auszukommen. Dann können Sie vielleicht über dieses Thema sprechen, Herr Kollege Rentsch.

Meine Damen und Herren, die Überschrift des Antrags der GRÜNEN – Hartz IV weiterentwickeln, Existenz sichern,individuell,passgenau – ist exakt der Titel eines Antrags der Bundestagsfraktion der GRÜNEN.

(Beifall bei der SPD – Demonstrativer Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Herr Kollege, Sie haben bei den GRÜNEN im Bund abgeschrieben. Wenn Sie sich vielleicht doch die Mühe machen, über einen solchen Antrag dann auch im Bund zu diskutieren oder wenigstens auf Hessen zuzuschneiden, macht es ein bisschen mehr Spaß. Ich sage aber: Hartz IV eignet sich absolut nicht für Populismus. – Im Übrigen finde ich es spannend, wie viele sich nach so kurzer Zeit – die einen aus der rot-grünen Regierungszeit, die anderen aus der großen Koalition, die FDP ist in diesem Fall ganz unschuldig –

(Florian Rentsch (FDP): Nur die FDP ist stärker! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie hat aber auch nichts zu sagen!)

und wie schnell sich gerade diese Regierung aus der Verantwortung zieht, die sie im Bundesrat in der letzten Regierungsperiode trug. Alles sehr spannend; keiner ist es gewesen, und keiner war beteiligt.

(Beifall bei der SPD)

Das Gesetz, das jetzt vorgelegt worden ist, soll Lücken schließen. Das ist notwendig und soll das, was an berechtigter Kritik gekommen ist, aufnehmen. Das finde ich

richtig. Wir wollen die verbesserte Betreuung aus einer Hand. Da ist es sehr spannend, dass die CDU die Jugendlichen herausnehmen will.Wir wollen die schnellere Aktivierung. Wir wollen eine optimale Unterstützung junger Menschen. Wir wollen die Optimierung der praktischen Umsetzung, über die der Kollege Rentsch immer so furchtbar lange redet,als sei das das einzige Problem.Und wir wollen Lücken schließen, die nicht berechtigte Ansprüche von berechtigten Ansprüchen trennt.

Niemand von uns hat die Vorstellung, dass die neue Grundsicherung für Arbeit Suchende mit einem Schlag alle strukturellen Probleme lösen wird. Das sind Probleme – darauf möchte ich hinweisen –, die über Jahrzehnte gewachsen sind, unter anderem in den 16 Jahren Kohl und FDP, die alles ausgesessen haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Wer hat denn in die Sozialkassen, in die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Westdeutschland gezahlt haben, komplett die Kosten der deutschen Einheit ohne Rücksicht auf Verluste hineingedrückt? Auch das waren CDU und FDP.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir haben einen riesengroßen Reformstau übernommen und versucht, diesen Stück für Stück aufzuarbeiten. Es ist unbestritten, dass es nach wie vor Defizite und Unvermögen in der Organisation gab und gibt. Das Thema Datenabgleich ist ein Thema, wozu ich sage: Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir auf unsere konkreten Fragen zum Thema Hartz IV in Hessen in der Großen Anfrage an die Landesregierung offensichtlich keine einzige Antwort bekommen. Das heißt, keiner weiß etwas. Das ist ja wie bei den drei Affen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

(Beifall bei der SPD)

Tatsache ist, die Eingliederungsmittel sind erst zur Hälfte ausgegeben. Wir sind von einer ganztätigen Kinderbetreuung in Hessen meilenweit entfernt. Auch das ist die Schuld von Frau Lautenschläger und der Landesregierung. Im Gerangel der Leistungsträger, die versuchen, Kosten und Verantwortung hin- und herzuschieben, ohne zu bedenken, dass es sich um Menschen handelt, werden Kosten ganz freundlich hin- und umverlagert, und es werden Unterstützungsangebote wie Jugendhilfe, Sucht- oder Schuldnerberatung mehr ab- als aufgebaut. Auch das ist Schuld dieser Landesregierung.

Meine Damen und Herren, diese Manöver tragen nicht zum Gelingen der größten Sozialreform in der Nachkriegszeit bei. Das muss man sehen. Das ist so. Die „Operation düstere Zukunft“ ist mehr als ein düsteres Beispiel dafür, wie sich Sparorgien im sozialen Bereich auf die Dauer auswirken.

(Beifall bei der SPD)

Es ist Fakt, dass durch organisatorische Mängel, nicht nur infolge der gestiegenen Bedürftigkeit, das gesamte Ausmaß von Armut in Deutschland letztlich deutlich geworden ist. Wir haben legale Mitnahmeeffekte, die jetzt geschlossen werden müssen, um den zielgenauen Einsatz zu verbessern.Es ist skandalös – das sage ich ganz klar –,dass es offensichtlich in Teilen der Bundesanstalt Geschäftsstrategie ist, schwer vermittelbare Menschen möglichst schnell aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug herauszudrängen. Das ist inakzeptabel. Ich sage auch deutlich:

Wem aufgrund von Kinderkrankheiten nur weitere Verschärfungen einfallen, der irrt auch, wenn er nur über Sanktionen redet.

(Beifall bei der SPD)

Menschen können nur dann zumutbare Arbeit angeboten bekommen, wenn Arbeit vorhanden ist. Darüber haben wir schon einmal gesprochen. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt, sonst können wir qualifizieren, Beratungen durchführen, schnell vermitteln, Termine geben – alles Nebensache. Solange wir nicht mehr Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, können wir nichts machen, können wir uns zwar aufstellen, aber es wird uns nichts helfen.