Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

Lieber Herr Kollege von Hunnius, was meinen Presseartikel angeht, der in der Tat in Irland – ich komme darauf zurück – formuliert wurde,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Oha! – Norbert Schmitt (SPD): Sozusagen aus dem Grünen!)

als wir aus der Ferne die Beschlüsse mitbekommen und reagiert haben: Ich kann darin nichts Verkehrtes feststellen.Aus unserer Sicht laufen die Reformanstrengungen in

die richtige Richtung. Daran gibt es nichts zu deuteln: Die Richtung stimmt. – Sie sagen, da sei etwas verwechselt worden. In Ihrem eigenen Antrag aber, dessen letzten Teil Sie jetzt herausgenommen haben,verwechseln Sie ständig das Haushaltsbegleitgesetz, die Unternehmensteuerreform und das Steueränderungsgesetz.

(Heinrich Heidel (FDP): Na, na, na!)

Da muss ich mir wirklich nichts vorwerfen lassen, was die Verwechslung von Pressemeldungen angeht. Es ist in der Tat so – und darüber müssten wir uns in Deutschland doch einig sein –, dass Steuersätze nicht das alleinige Kriterium eines Wirtschaftsstandortes sind.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Es ist das Lied der FDP – das ist auch berechtigt, Sie müssen ja eine Klientel bedienen –, immer von Steuersenkungen zu reden.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Es ist natürlich richtig, dass wir niedrige Steuersätze brauchen, aber das ist nicht das alleinige Kriterium. Ich werde am Beispiel Irland darauf noch zurückkommen. Aber dass Sie hier ein Land wie Italien als ein Land mit niedrigeren Steuersätzen als besonderes Vorbild darstellen, ein Land, das pleite ist und wirtschaftlich am Boden liegt,

(Gerhard Bökel (SPD): Sehr gut!)

das ist schon bezeichnend. Das zeigt, dass Steuersätze nicht alles sind.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das wissen Sie doch! Nicht nur Steuern, sondern alle möglichen Dinge!)

Eben, alle möglichen Dinge. Frau Wagner, wir sind uns da absolut einig. Das geht allerdings aus dem Antrag nicht hervor.

Deutschland braucht international wettbewerbsfähige Steuersätze – das ist unbestritten –, aber auch ein international wettbewerbsfähiges Steuersystem. Beides gehört zusammen. Dabei stehen wir eindeutig – das hat die Kollegin Erfurth am Anfang durchaus richtig dargestellt – in dem Spagat zwischen ausreichend hohen steuerlichen Anreizen, die notwendig sind, damit die Unternehmen in Deutschland und nicht im Ausland produzieren, und ausreichenden Steuereinnahmen, die wir brauchen, um einen Sozialstaat mit einer im internationalen Wettbewerb auch notwendigen Infrastruktur finanzieren zu können. Denn beides gehört zusammen. Das alleinige Senken von Steuersätzen unter Rot-Grün – das ist letztlich von Frau Erfurth zugegeben worden – hat auch nicht dazu geführt, dass mehr Steuereinnahmen da gewesen wären, dass die Wirtschaft angesprungen wäre. Die Systematik hat nicht gestimmt.

Deswegen bestehe ich darauf, dass das in der Pressemitteilung Gesagte stimmt, nämlich dass wir jetzt eine Diskussion brauchen.Nichts anderes haben wir,und das kann man übrigens niemandem vorwerfen. In einer großen Koalition unter Beteiligung von 16 Bundesländern werden Sie nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen Vorschlag vorlegen können, mit dem hinterher alle zufrieden sind und sagen: „So machen wir das“, sondern das ist ein längerer Prozess, an dem wir Hessen – Gott sei Dank – in ausreichender Weise und an vorderster Front beteiligt sind. Das kommt auch in die Öffentlichkeit, die mitdiskutieren will. Das ist in diesem Verfahren definitiv nicht zu verhindern. Aber es wurden jetzt Eckpunkte vorgelegt.

Wenn man diese Eckpunkte mit dem vergleicht, was Sie, Herr von Hunnius,fordern und was die FDP fordert,finde ich, ist hier einiges in die richtige Richtung entschieden worden.

Der erste wichtige Weg ist, dass es keine Bevorteilung der Fremdfinanzierung gegenüber der Eigenkapitalausstattung mehr gibt. Es ist doch bisher einer der großen Fehler im deutschen Steuerrecht gewesen, und das hat ja zu den Problemen geführt, dass man ausgerechnet das Fremdkapital immer begünstigt hat. Es war viel billiger, Schulden zu machen, als Eigenkapital aufzubauen. Das geht natürlich nur so lange gut, wie die Unternehmen sich das leisten können.Wenn man aber in einer Wirtschaftskrise, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, auf keine Ressourcen zurückgreifen kann, dann haben die Unternehmen ein Problem. Also muss hier umgesteuert werden. Es ist vollkommen richtig, dass wir hier von einer Bevorteilung wegkommen; allerdings darf es auch keine Benachteiligung geben.

Herr von Hunnius, Sie haben so leicht dahergesagt: Es gibt genug Kontrollmöglichkeiten,

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

damit keine Gewinnverlagerung ins Ausland erfolgt. – Was werfen Sie damit eigentlich den Finanzämtern in Deutschland vor? Natürlich gibt es keine Möglichkeiten, das Verlagern des Gewinns ins Ausland zu kontrollieren. Natürlich – das gehört zur Wahrheit auch dazu – werden Gewinne ins Ausland verlagert, weil Unternehmen im globalen, internationalen Wettbewerb ihre eigene Steuerreform machen müssen. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen. Also brauchen wir einen Anreiz dafür, dass man in Deutschland wieder Steuern bezahlt, nämlich niedrigere Steuersätze. Allerdings werden wir dafür in Deutschland nicht die niedrigsten Steuersätze im internationalen Wettbewerb brauchen.

Die Unternehmerverbände haben übrigens die Eckpunkte im Wesentlichen begrüßt. Wir haben uns gestern am Rande des Fußballspiels unterhalten. Die SPD ist erst einmal erschrocken, wenn Unternehmerverbände sagen, das gehe in die richtige Richtung. Herr von Hunnius, ich weiß nicht, was Sie denen jetzt vorwerfen. Aber offensichtlich ist es dort angekommen. In dem Eckpunktepapier ist auch schon klar festgelegt – das haben Sie auch zugegeben –, dass noch viele Punkte offen sind. Da gibt es mal einen Vorschlag aus Bayern, mal aus Hessen, mal einen von Herrn Steinbrück, was die Frage der Einbindung von Zinsen angeht. Die Vorschläge sind in der Höhe unterschiedlich.

(Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Kakophonie“ heißt das bei Schröder!)

Aber in der Tendenz müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir das Verlagern von Gewinnen nur dann in ausreichendem Maße verhindern können, wenn wir eine gewisse Substanzbesteuerung haben. Eine solche gibt es übrigens in der ganzen Welt. Der Vorwurf, dies sei etwas Einmaliges in Deutschland, ist völliger Unfug. Möglicherweise gibt es die Gewerbesteuer in dieser Form nur in Deutschland, aber eine Substanzbesteuerung – im Wesentlichen über die Grundsteuer, die wesentlich höher ist als in Deutschland – gibt es überall. In den Ländern, wo es so etwas nicht gibt – wie z. B. in Irland, ich komme gleich darauf –,werden die Menschen in den nächsten Jahren ein erhebliches Problem mit der Staatsfinanzierung haben.

Wir werden – das ist ein ganz wesentliches weiteres Ziel in dem Eckpunktepapier – Personen- und Kapitalgesellschaften weitgehend gleichstellen. Es war doch Unfug, dass ein Unternehmer in Deutschland seine Steuerquote bisher dadurch festgelegt hat, dass er sich für eine bestimmte Rechtsform entschieden hat,und nicht die für ihn freieste und richtigste Rechtsform gewählt hat.

(Zuruf des Abg. Michael Denzin (FDP))

Deswegen muss dies durch ein vernünftiges Steuerkonzept wieder gleichgestellt werden. Das ist doch der richtige Weg.Wenn am Ende eine Steuerbelastung für Unternehmen von unter 30 % dabei herauskommt, dann liegen wir im internationalen Wettbewerb ziemlich genau in der Mitte. Im internationalen Wettbewerb mit den Steuersätzen ziemlich gut in der Mitte zu liegen, noch vor England und allen anderen Ländern, die wirtschaftlich übrigens prosperieren

(Michael Denzin (FDP): Da kommt ihr doch gar nicht hin! – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD): Natürlich, sind wir doch jetzt schon! Reden Sie nicht so einen Stuss!)

natürlich kommen wir da hin, das Ziel liegt bei unter 30 % –,ist zusammen mit der Infrastruktur,die wir bieten, ein großes Asset.

Herr von Hunnius, was Sie nicht erwähnt haben: Beispielsweise in dem gelobten Wirtschaftsland USA sind die Steuersätze höher. Auch die USA kommen mit anderen Rahmenbedingungen, mit hohen Steuersätzen – höheren Steuersätzen übrigens, als wir sie heute haben – durchaus hin. Deshalb, finde ich, muss man einmal überlegen, welche wirklichen Stärken wir in Deutschland haben.

Kommen wir einmal auf das zurück, was wir in Irland gelernt haben.Wir waren letzte Woche – Sie haben das richtig dargestellt – in London und in Dublin, haben uns die Finanzplätze einmal angesehen, aber auch die Steuer- und die Wirtschaftssysteme miteinander verglichen. Irland – das haben Sie positiv erwähnt – hat sich mit einem Steuersatz von 12,5 % ohne Gewerbesteuer das extrem ehrgeizige Ziel gesetzt, Arbeitsplätze nach Irland zu holen. Aus vielen Gründen hat das funktioniert. Sie haben dort keine Gewerbesteuer.Aus einer OECD-Studie geht auch hervor, dass dort ein Durchschnittsverdiener netto 1.000 c mehr in der Tasche hat. Ich frage Sie aber: Hat er am Ende wirklich netto 1.000 c mehr, oder hat er nur auf seinem Lohnzettel 1.000 c mehr? Wer in Irland sein Geld verdient, hat zwar 1.000 c mehr, hat aber am Ende des Monats im Prinzip keine Krankenversicherung, hat am Ende seines Arbeitslebens keine Rentenversicherung – darin sind möglicherweise etwa 8 bis 10 %, die über einen Pensionsfonds angespart werden – und verfügt über keinerlei Infrastruktur. So gibt es in Dublin genau zwei Straßenbahnen, die irgendwo am Ortsrand herumfahren; das ist eher eine Touristenattraktion als eine Infrastruktur.

(Heiterkeit des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Sie haben dort in der Regel zwei Stunden Anfahrt zum Arbeitsplatz. Wenn Sie zu den Glücklichen gehören wollen, die in Dublin mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren können, müssen Sie – wenn Sie mit einer Fahrzeit von etwa eineinhalb Stunden rechnen – in der Peripherie von Dublin wohnen. Dann bezahlen Sie dort für Immobilien das Doppelte bis Dreifache von dem, was Sie in Frankfurt bezahlen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das auf Dauer ein festes Fundament ist, um ein Wirtschaftssystem

aufrechtzuerhalten. Ich könnte noch viele andere Dinge nennen.

Ich will nicht sagen,dass der irische Weg der falsche ist.Aber zu wenig Staat ist in jedem Fall auch keine Lösung. Gerade wenn hier die Weltmeisterschaft dazu geführt hat – –

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das habe weder ich, noch hat es jemand anderes bei der CDU jemals bestritten.Dass zu wenig Staat auch verkehrt ist, ist keine Frage.

(Norbert Schmitt (SPD): Das hat sich bei dem Professor aus Heidelberg immer anders angehört!)

Wir alle haben die Stimmung gelobt, die die ausländischen WM-Gäste aus Deutschland mitgenommen haben. Auch das haben wir übrigens in den britischen und irischen Zeitungen lesen können. Das haben uns auch die Botschafter gesagt. Alle waren begeistert. Begeistert waren sie, auch die Unternehmen, gerade auch von der Infrastruktur, die wir in Deutschland haben. Die soziale Absicherung, die zu einer hohen Motivation von Mitarbeitern führt, die Stimmung in Deutschland, die auch geprägt ist von einer Infrastruktur, vom Straßenbau bis hin zum öffentlichen Nahverkehr und der Bahn, die – das mögen wir alle bejammern – mit viel Steuergeldern hoch subventioniert wurde, die auch eine Stunde nach dem Elfmeterschießen noch in der Lage ist, einen Zug fahren zu lassen: Das alles gibt es in anderen Ländern nicht.

Unter dem Strich muss ich sagen: Unser Ziel ist die Verbindung zwischen der extrem guten Infrastruktur, die wir in Deutschland haben und um die uns gerade bei und nach dieser Weltmeisterschaft die gesamte Weltgemeinde beneidet, und einer vernünftigen Steuerreform mit angemessen niedrigen Steuersätzen, die wir in Deutschland nun angehen. Der genaue Weg ist noch zu diskutieren. Ziel ist es, über eine geringe Form der Substanzbesteuerung – es wird ja nicht die ganze Substanz besteuert – dazu beizutragen, dass ein Unternehmen die Balance hält, auf der einen Seite aufgrund steuerlicher Anreize in Deutschland zu sein, aber auf der anderen Seite auch deshalb, weil es Gewinne nicht mehr im bisherigen Umfang verlagern kann.

Dann, denke ich, ist das eine sehr soziale Politik, die wir in Deutschland machen. Denn die sozialste Politik, die es überhaupt gibt, ist es,Arbeitsplätze zu schaffen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

In dem Kontext sind wir mit der Unternehmensteuerreform auf einem verdammt guten Weg. Wir haben allen Grund, uns bei Karlheinz Weimar und Roland Koch für das zu bedanken, was sie in dieses Eckpunktepapier hineingebracht haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU – Günter Rudolph (SPD): Bis auf die letzten zwei Sätze war es ganz okay!)

Herr Milde, vielen Dank. – Herr Schmitt, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Debatte eine interessante Schlachtordnung. Man kann fast sagen: die FDP gegen den Rest der Welt.

(Günter Rudolph (SPD): Das macht auch nichts!)

Herr Milde, bis auf die letzten zwei Sätze haben wir mit Freude gehört, was Sie heute gesagt haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Klänge waren ein bisschen anders als zu der Zeit, als Sie auf Bundesebene noch in der Opposition waren. Damals hatte man anderes gehört. Man hatte auch anderes von dem berühmten Professor aus Heidelberg gehört. Dass jetzt endlich Realität eingekehrt ist,nachdem man in Berlin wieder mitregiert, das finde ich gut. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Daran sollten Sie sich allerdings in der Landespolitik, wenn wir wieder über Finanzpolitik reden, auch ein Beispiel nehmen und vielleicht das eine oder andere übernehmen.

Die FDP muss man in dieser Debatte gezielt ansprechen. Es ist der zweite Versuch, bundespolitische Themen zum Gegenstand der Landtagsdebatte zu machen und damit in der Öffentlichkeit gewisse Resonanz zu finden.Das ist das letzte Mal nicht gelungen, und ich befürchte, dass es mit dem Anträgchen, das Sie uns heute vorgelegt haben, auch diesmal nicht gelingen wird.