Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

Die FDP muss man in dieser Debatte gezielt ansprechen. Es ist der zweite Versuch, bundespolitische Themen zum Gegenstand der Landtagsdebatte zu machen und damit in der Öffentlichkeit gewisse Resonanz zu finden.Das ist das letzte Mal nicht gelungen, und ich befürchte, dass es mit dem Anträgchen, das Sie uns heute vorgelegt haben, auch diesmal nicht gelingen wird.

Weil Sie immer von „Abkassieren“, „Moloch Staat“ – Herr Milde hat es schon angesprochen – sprechen, will ich für die Sozialdemokraten eine Grundsatzposition formulieren. Tragfähige und gesicherte öffentliche Finanzen sind Voraussetzung für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft und auch für einen handlungsfähigen Staat – davon sind wir fest überzeugt.Tatsächlich erleben wir jedoch eine dramatische strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte.Das gilt nicht nur für den Bund, das gilt genauso für die Landeshaushalte. Viele Landeshaushalte sind verfassungswidrig, der hessische leider auch. Viele von uns sind auch Kommunalpolitiker. Sie alle kennen die Situation, dass die kommunalen Haushalte völlig unterfinanziert sind. Deshalb halten wir es für richtig – das ist Ziel sozialdemokratischer Politik –, dass der Staat auf allen seinen Ebenen genug finanzielle Mittel hat.

(Beifall bei der SPD)

Denn der Staat hat zentrale Aufgaben zu erfüllen. Das ist ein weiterer Punkt, bei dem ich an die Rede von Herrn Milde anknüpfen kann. Der Wettlauf um Steuersätze ist das eine. Sicherlich müssen sie gerade auch nominal wettbewerbsfähig sein. Aber der Sachverständigenrat hat zu Recht festgestellt, dass das nicht das einzige Kriterium für eine internationale Wettbewerbsfähigkeit ist.Dazu gehört natürlich die Infrastruktur. Dazu gehören gut ausgebildete Menschen. Dazu gehört auch ein intaktes Sozialsystem. Hier sind wir völlig der Meinung des Sachverständigenrats, der hierzu sagt: Wir müssen nominal weiter senken. – Das ist unbestreitbar, aber wir müssen keinen Wettlauf nach unten machen, wir müssen nicht die niedrigsten Unternehmensteuersätze der Welt haben, um konkurrenz- und wettbewerbsfähig zu sein.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind konkurrenz- und wettbewerbsfähig. Ich nehme einmal den Hinweis auf. Die Lohnstückkosten haben sich

stabilisiert. Sie sind in allen anderen Ländern, ob Frankreich oder England, in den letzten Jahren gestiegen. Wir haben die Situation, dass Deutschland wettbewerbsfähig ist. Aber man kann sicherlich nominal die Unternehmensteuersätze senken, wenn das gleichzeitig aus dem Unternehmenslager richtig gegenfinanziert ist.

Zur FDP muss man noch eines sagen. Frau Erfurt hatte Recht, wenn sie der FDP den Spiegel aus ihrer Regierungszeit vorgehalten hat. Sie tun so, als sei die FDP die Partei, die nie bei einer Steuererhöhung dabei war. Ich weiß gar nicht: Existieren Sie erst seit drei Jahren?

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wie war das mit der Merkel-Steuer, Herr Kollege Schmitt? Der Umfaller des Jahres steht da vorne!)

Jawohl, Herr Hahn, jetzt kommen wir genau zu der Frage. – Gucken wir einmal den Lautsprecher Hahn an und schauen, was das Ergebnis von 16 Jahren Regierungszeit der FDP war. Vergleichen wir das einmal mit dem Ende von Rot-Grün. Schauen wir einmal die Steuerquote an. Wie war sie 1997? Sie lag bei 22,2 % des Bruttoinlandsproduktes. Das war das Ergebnis 1997, am Ende Ihrer Regierungszeit. 2004 ist sie unter Rot-Grün um 0,5 Prozentpunkte gesenkt worden. Da lagen wir bei 21,7 % des Bruttoinlandsproduktes. Wir reden hier zwar über Prozentzahlen, aber dahinter stecken riesige Milliardensummen, weil es hier um das Bruttoinlandsprodukt geht. Die Steuerquote ist in unserer Zeit, unter Rot-Grün, gesenkt worden. Bei Ihnen war sie auf dem höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir einmal die Abgabenquote an. 1997 lag sie bei 41,4 % des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik. 2004 lag sie bei 39,6 %. Sie ist unter Rot-Grün abgesenkt worden, und bei Ihnen war sie am höchsten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren,Rot-Grün hat die Steuerquote und die Abgabenquote gesenkt. In der Regierungszeit von CDU und FDP gingen beide Quoten permanent nach oben. Das ist Ihre traurige Bilanz, und dann reißen Sie hier solche Sprüche. Das ist unerträglich.

(Beifall bei der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wie war es mit der Merkel-Steuer, Herr Schmitt?)

Ich will noch einen Punkt anführen. Es gibt eine aktuelle Studie der OECD zur Abgabenbelastung der Arbeitnehmer. Über die muss man auch reden, und Frau Erfurt hat es dankenswerterweise getan. Es geht nicht nur um die Unternehmensseite, sondern uns geht es auch darum, darüber nachzudenken, wie es auf der Arbeitnehmerseite aussieht. Der internationale Vergleich zeigt, dass es von 2000 bis 2005 zu einer Entlastung bei dem typischen Haushalt – verheiratet, zwei Kinder, Durchschnittseinkommen – um 2,5 % gekommen ist. Ich finde, das ist ein Ergebnis, mit dem sich Rot-Grün sehen lassen kann.

Meine Damen und Herren, eines ist allerdings auch klar: Die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben in Deutschland ist für Arbeitnehmer immer noch sehr hoch. Wir müssen gerade bei den Sozialabgaben noch einiges tun.

Zu den Unternehmensteuern sage ich auch: Sie sind in Deutschland nominal hoch. International sind sie bei den höheren angesiedelt. Aber sie sind nicht die höchsten.

Real sind sie aber – das muss man auch sagen – deutlich niedriger. Der Ansatz der großen Koalition, die nominalen Steuersätze senken zu wollen, ist richtig. Es ist aber auch richtig, die Gegenfinanzierung durch Streichungen und Korrekturen bei den Abschreibungen im Unternehmenslager zu erreichen.Ich glaube,das ist der richtige Ansatz, das ist akzeptabel.

Jetzt komme ich zu den Vorschlägen von Ministerpräsident Koch, der jetzt in einem Interview erklärt hat, das alles reiche nicht, man müsse das Unternehmenslager um weitere 10 Milliarden c entlasten.

Meine Damen und Herren, dazu sage ich ganz klar: Die Hand für eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung zu heben, wie Herr Koch es auch getan hat, und damit Arbeitnehmer und Rentner zu belasten – das muss man nüchtern aussprechen; denn es gehört zur Wahrheit –, aber die Unternehmensseite um weitere 10 Milliarden c entlasten zu wollen, wie es Ministerpräsident Koch fordert, das gefährdet aus unserer Sicht in der Tat die Akzeptanz für die Unternehmensteuerreform.Das gefährdet auch den sozialen Frieden.

(Beifall bei der SPD)

Dann wird sich das, was wir in den Tarifauseinandersetzungen in dem einen Bereich sehen, weiter fortsetzen. Wer eine solche Politik verfolgt, ist aus unserer Sicht auf dem falschen Dampfer. Herr Ministerpräsident Koch, mit uns ist jedenfalls eine weitere Entlastung – außer dem, was jetzt angedacht ist – auf keinen Fall zu machen.

Es zeigt sich auch, dass die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig sind. Es gibt aber Beispiele, bei denen man über etwas nachdenken muss.Der Herr Ministerpräsident hat in einer Rede im Bundesrat davon gesprochen, dass die DAX-Unternehmen in Deutschland einen realen Steuersatz von 28 % haben. Die Quelle dafür hat der Ministerpräsident nicht genannt, aber die Angabe stimmt in etwa mit den Zahlen überein, die auch mir zugänglich sind. Es gibt sogar Quellen, die sagen, dass die reale Steuerbelastung insbesondere der großen Firmen in Deutschland sogar unter 25 % liegt.

Deswegen ist der Ansatz richtig:Wir versuchen,die realen Steuersätze deutlicher in den Nominalsteuersätzen zum Ausdruck zu bringen, also mit einer Absenkung der Steuersätze, die aber, wie Herr Koch es formuliert hat, sicherlich nicht damit enden kann, dass sie dann im einstelligen Bereich liegen. Einen Körperschaftsteuersatz von 8 % oder 9 % brauchen wir auch nicht. Das hat Herr Milde auch zu Recht ausgeführt. Wir brauchen nicht die Konkurrenz nach unten.

Ich bin mir auch sicher, dass sich auf europäischer Ebene die Unternehmensteuersätze einpendeln und stabilisieren werden, aber sicherlich nicht auf dem Niveau von 0 %. Das Beispiel Irland hat schließlich gezeigt: Die Staaten, die momentan mit sehr niedrigen Unternehmensteuersätzen agieren, haben erhebliche Probleme in ihrer Infrastruktur. Sie brauchen Geld. Das ist nicht das Ende der Entwicklung in diesen Ländern.

Ich will zu einem Beispiel zurückkommen, das das Dilemma zeigt, das zeigt, wo wir herangehen müssen. Es gibt ein großes deutsches Unternehmen, das gar nicht so weit von der Stelle angesiedelt ist, wo ich zu Hause bin. Es hat weltweit einen erheblichen Gewinn gehabt. Der Stammsitz ist in Deutschland, aber von seinem Gewinn

hat es 0,2 % in Deutschland versteuert und 99,8 % im Ausland.

Das ist an sich schon ein Alarmzeichen.Andererseits ist es interessant, dass das gleiche Unternehmen Zinsaufwendungen für Investitionen, die es im benachbarten europäischen Ausland getätigt hat, in Deutschland abgeschrieben hat, sodass es am Ende zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es in Deutschland praktisch nichts versteuern muss.

Ich glaube, da müssen wir heran. Deswegen müssen wir die Gestaltungsmöglichkeiten korrigieren, die insbesondere große Unternehmen haben. Wir müssen versuchen, die nominalen und die realen Steuersätze in Deutschland etwas näher zusammenzuführen.Ich glaube auch,dass das unumstritten ist, und dazu muss man bestimmte Wege gehen, wie sie dargestellt sind. Da muss man die Fremdfinanzierung und die Zinsen einbeziehen. Zumindest ich kenne keinen anderen Weg. Aber vielleicht hat die FDP dazu Vorschläge.

In unserer Partei hat natürlich eine sehr intensive Diskussion über die Frage eingesetzt, ob man die Unternehmensteuerreform völlig aufkommensneutral wird machen können. Jetzt steht in Rede, dass es zumindest in der Anfangszeit eine Entlastung der Unternehmen in Höhe von etwa 5 Milliarden c geben wird.

Ich sage Ihnen: Angesichts der Erhöhung der Mehrwertsteuer und auch angesichts anderer Beschlüsse, die die große Koalition gefasst hat, ist das für uns nicht einfach. Wir drängen sehr stark darauf und hoffen, dass vielleicht noch in der Konkretisierung dieses Vorhabens dieser Betrag reduziert werden kann.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Uns wäre es am liebsten,wenn das aufkommensneutral finanziert werden könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

5 Milliarden c sind keine unwesentliche Summe. Das entspricht nicht ganz einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung. Das macht 8 Milliarden c aus. Ich will damit die Dimensionen gegenüberstellen.

Wir werden also noch einmal prüfen, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt. Trotzdem will ich sagen: Der Ansatz ist richtig. Vielleicht wird es eine Anlaufzeit geben müssen.Trotzdem ist der Ansatz sicherlich richtig, dass es nominal zu einer Senkung kommt.

(Beifall des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Allerdings will ich auch betonen, dass sich eine Reform der Unternehmensteuer, die qualitativ gut ist, nicht auf die Frage der Reduzierung der nominalen Steuersätze konzentrieren darf. Herr von Hunnius, vielmehr muss sie auch für die Förderung der Eigenfinanzierung und für die Reinvestition der Gewinne in das eigene Unternehmen Anreize schaffen. Das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, es lohnt den Streit. Die FDP ist eine Partei, die immer gesagt hat:Wir sind für eine Verbesserung der Forschung,der Innovationen,der Entwicklungen und der Bildung. – Wir sollten deshalb gemeinsam darüber nachdenken, wie man das Ziel von Lissabon, dass 3 % des Bruttoinlandprodukts für Innovationen, Forschung, Entwicklung und Bildung ausgegeben werden sollen,erreicht werden kann.Wir sollten uns fragen, ob wir durch die Gestal

tung der Unternehmensteuerreform da nicht etwas auf der Seite der Unternehmer einfordern können.Diese Frage wäre der Diskussion wert. Darüber wird man in den nächsten Wochen sicherlich noch nachdenken müssen.

Ich will etwas Drittes sagen. Für uns ist die Gewerbesteuer tabu. Das sehen wir ganz anders als Herr von Hunnius. Die Gewerbesteuer muss in ihrer Struktur erhalten bleiben. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Der Ertrag aus der Gewerbesteuer muss stabilisiert werden. – Das haben wir, die SPD, schon immer gewollt. Ihre Bemessungsgrundlage muss auf gewinnunabhängige Elemente wie Lizenzgebühren, Leasingkosten, Pachten und Zinsen ausgeweitet werden.

(Michael Denzin (FDP): Steuern, Steuern, Steuern!)

Ich sage Ihnen: Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. – Das ist notwendig, um die kommunale Ebene zu fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Rhiel, ich würde an Ihrer Stelle nicht so laut dazwischenrufen. Ich nehme an, dass Herr Minister Weimar an dieses Pult treten und diese Linie ebenfalls vertreten wird. Denn wir kennen doch alle die Gestaltungsmöglichkeiten, die es auf diesem Gebiet gibt.

Es verhält sich doch so: Man muss das weltweit betrachten. Ich nehme jetzt als Beispiel einmal die Vermögensteuer. In den USA macht sie 3,1 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Die letzten Zahlen, die ich für Deutschland habe, stammen aus dem Jahr 1999. In Deutschland betrug der Anteil am Bruttosozialprodukt damals noch 0,9 %. Jetzt ist das geringer.

In den USA ist die Vermögensbesteuerung also dreimal so hoch. Sie haben dazwischengerufen, es handele sich um eine Substanzbesteuerung. Die USA sind mir nicht als sozialistisches Land bekannt. Mir ist nicht bekannt, dass die Unternehmen dort reihenweise umfallen, weil ihre Substanz besteuert wird. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Der internationale Vergleich zeigt, dass wir in Deutschland die geringste Besteuerung der Substanz und des Vermögens haben. Das ist der eigentliche Skandal. Das ist, sozialpolitisch gesehen, ein Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Schmitt, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.