Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Rudi Haselbach (CDU): Na, na!)

Wenn wir uns die aktuellen Zahlen anschauen – da wir uns darüber einig sind, dass wir die Ausbildungssituation in Hessen verbessern wollen, sollten wir das alle tun –, müssen wir schlicht feststellen,dass wir jetzt bei 12.000 Jugendlichen angelangt sind, die in Hessen erfolglos eine Lehrstelle suchen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

Nicht wir haben die Versprechungen gemacht, sondern Sie haben die Versprechung gemacht, dass Sie mit Ihrer freiwilligen Aktion bis Ende Juni 10.000 neue Lehrstellen schaffen werden.

(Michael Boddenberg (CDU):Völliger Unsinn!)

Sie haben sich noch nicht einmal getraut, zum Stichtag Ende Juni eine Pressekonferenz zu machen, um tatsächlich Ihre Bilanz vorzulegen. Das ist doch die Wahrheit, über die wir hier reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir gehen ja bei dem mit, was Sie postuliert haben, z. B. eine Kampagne für mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Das halten wir für richtig. Aber außer einem netten Bild mit dem örtlichen Kreisvorsitzenden in Offenbach ist doch nichts passiert.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Das stimmt doch nicht!)

Die Zahlen zeigen das doch. Natürlich gibt es Anstrengungen der Wirtschaft,die wollen wir auch gar nicht kleinreden. Aber Sie haben doch die Frage zu beantworten, welche Rahmenbedingungen der Staat in Zeiten von knappen Kassen noch setzen kann. Sie haben Ihre Messlatte da sehr hoch gelegt. In Ihrem Antrag haben Sie unter anderem geschrieben, Sie wollen die Mobilität fördern.Da haben Sie sich besonders viel vorgenommen.Für flexible Jugendliche sollte Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.Meine Damen und Herren,ich frage Sie:Wo ist er denn? Wo sind denn die Ansprechpartner, an die sich die Jugendlichen wenden können? Noch nicht einmal eine billige Hotline haben Sie zustande gebracht, um tatsächlich zu versuchen, das Begehren in irgendeiner Form zu kanalisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Alles, was die CDU-Fraktion zu diesem Thema in ihrem Antrag vorgelegt hat, ist mit nur einem Satz zu bewerten: komplette Fehlanzeige, komplettes Versagen der Hessischen Landesregierung. Sie müssen doch einsehen, dass Sie mit Ihren freiwilligen Aktionen keinen Schritt weitergekommen sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen möchte ich wirklich wissen, was Sie in Zukunft machen wollen, um Ihre vollmundigen Erklärungen tatsächlich in die Realität umzusetzen. Ohne Zweifel wissen wir, dass wir ein Problem haben. Aber Ihre billigen Ab

lenkungsversuche in Richtung der Bundesregierung reichen an dieser Stelle überhaupt nicht aus.

Wir haben schon sehr viel länger ein Problem. Schon vor zehn Jahren haben wir über die Ausbildungsmisere geredet. Wir haben darüber geredet, dass wir eine Informationskampagne für die Ausbildungsplätze brauchen, die nicht ausreichend nachgefragt werden. Auch das würden wir unterstützen, wenn endlich einmal so etwas gemacht würde. Die Landesregierung sollte sich auch überlegen, welche Mechanismen sie in Gang setzen kann, um z. B. für mehr Praktika in den Berufen zu werben, die von den Jugendlichen nicht angefragt werden und wo tatsächlich ein Bedarf besteht.Auch hier ist nichts geschehen.

Ich sage Ihnen ganz klar, wir wollen keine staatliche Ausbildung. Darum geht es bei der Ausbildungsplatzumlage überhaupt nicht.

(Michael Boddenberg (CDU): Da führt es aber doch hin, Frau Kollegin!)

Wir wollen eine Umlage erheben, die den Firmen und Betrieben zugute kommt, die tatsächlich noch Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. In der Tat sollte dies von den Firmen bezahlt werden, die sich ihrer Verpflichtung entziehen, Ausbildungsplätze anzubieten. Das hat mit staatlicher Lenkung überhaupt nichts zu tun. Das hat überhaupt nichts mit einer Ideologie der Gleichmacherei zu tun. Das hat nur mit einem zu tun, nämlich Verantwortung für die Jugendlichen in diesem Land zu übernehmen und ihnen letztlich eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Das ist alles, worum es geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich stelle fest, es reicht nicht, in Berlin umherzulaufen und sich mit allem versuchen zu profilieren, aber im Land die Hausaufgaben nicht zu machen. Machen Sie endlich Ihre Arbeit, dafür sind Sie doch gewählt worden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Denzin für die FDP-Fraktion.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ein guter Mann!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist wirklich allmählich unerträglich, dass wir alle Vierteljahre mit dem gleichen Thema – in dieser Sitzung zweimal, Tagesordnungspunkt 33 und jetzt die Aktuelle Stunde – konfrontiert werden. Es ist deshalb unerträglich, weil dadurch vorgespielt wird, wir könnten mit unseren Debatten einen oder zwei, oder zehn, oder 1.000 zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen. Gar nichts können wir hier, überhaupt nichts.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dieses ganze Gejammer ist grund- und bodenlos, weil jeder von uns diese Mechanismen kennt.

Es gibt ein Thema, über das man konkret streiten kann. Darüber haben wir in den letzten sechs Monten fünfmal gestritten, nämlich die Ausbildungsplatzabgabe. Sinn oder

Unsinn dieser Abgabe ist das Einzige. Jeder kann wiederholt das vorkauen, was schon fünfmal im Protokoll steht.

Frau Ypsilanti, der Eindruck, der nach außen entsteht, ist, die Politik macht wieder Alibifunktion, sie tut so, als würde sie ein Problem lösen,und kommt nicht weiter.Das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Hinter unseren Divergenzen stehen zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen von Wirtschaft.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Mit der Ausbildungsplatzabgabe geben Sie denen ein Alibi, die nie einen Ausbildungsplatz schaffen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das habe ich hier schon einmal vorgetragen.Wenn der Taler in dem Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt. Das war vorletzte Sitzung, das fällt mir gerade ein.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Aktionismus!)

Genau das. – Etwas über 40 % der befragten Unternehmer haben sich für die Ausbildungsplatzabgabe ausgesprochen. Dann haben sie Ruhe. Damit schaffen sie doch nichts. Entweder sie kapieren es selbst, dass die demographische Entwicklung so ist, dass sie in drei oder spätestens fünf Jahren Auszubildende suchen, oder sie kapieren, dass sie gerade wegen des dualen Ausbildungssystems eine gesellschaftliche Verantwortung haben. Wenn Sie das aber mit Geld steuern wollen, werden Sie das Gegenteil erreichen.

(Beifall der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Vorhin kam von Herrn Schmitt der Zwischenruf „solidarisch“.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja, genau!)

Ja, Herr Schmitt, solidarisch. In einer Zeit, in der die ganzen solidarisch gefütterten Kassen zusammenbrechen, weil sie so nicht mehr tragen, ob Gesundheit, ob Alterssicherung und andere Dinge, wollen Sie auf solidarischer Ebene eine neue Umlagenfinanzierung und eine Zwangsfinanzierung machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Nein, nein. Politik hat eine Aufgabe, und wir müssen klarmachen, worum es geht. Das machen wir nicht, wenn wir in jeder Sitzung leierhaft das Thema ansprechen. Politik muss klarmachen, wie die Entwicklungen aussehen. Politik muss aber auch Rahmenbedingungen schaffen, damit es sich lohnt, überhaupt noch zu wirtschaften. Herr Boddenberg hat vorhin völlig zu Recht angesprochen, dass kein Mensch besonders motiviert ist, wenn er z. B. im Handwerk bei einer Auftragslage von 2,1 Monaten im Voraus kalkulieren muss, wie er überhaupt die Leute und Auszubildenden, die er jetzt im Betrieb hat, halten kann. Er wird nicht sehr lange darüber nachdenken, neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Deshalb ist die wichtigste und erste Aufgabe, dass Politik endlich wieder Rahmenbedingungen schafft, dass Wirtschaften sich lohnt. Dann wird das automatisch ganz anders aussehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die zweite Aufgabe ist, dass Politik aufklärt und sagt, das duale System ist auch eine gesellschaftspolitische Verpflichtung, auch für den Part der Wirtschaft. Es hat keinen Sinn, das mit einem Abfindungssoll von irgendjemandem ausgleichen zu wollen. Über riesige Umverteilungsme

chanismen schaffen Sie nämlich keinen zusätzlichen Ausbildungsplatz.

Weiter müssen wir uns überlegen, ob das duale System hält. Wenn die Wirtschaft nicht fähig und in der Lage ist, ihre Aufgabe im dualen System, nämlich den praktischen Ausbildungsteil, zu übernehmen, dann müssen wir über das duale System an sich nachdenken. Dann funktioniert es nicht.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Und dann?)

Es gibt eine Verantwortung. Ich entlasse keinen aus der Verantwortung. Mit einer Zwangsabgabe schaffen Sie ein Alibiinstrument und sonst überhaupt nichts.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Norbert Schmitt (SPD):Was heißt das denn?)