Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

(Beifall bei der FDP und der CDU – Norbert Schmitt (SPD):Was heißt das denn?)

Vielen Dank, Herr Kollege Denzin. – Das Wort hat Herr Staatsminister Rhiel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist Herrn Abg. Denzin zuzustimmen.

(Beifall des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Er hat gesagt, das Thema sei viel zu ernst, als dass es hier zum parteipolitischen Schlagabtausch tauge. Die Zahl ist in der Tat Besorgnis erregend. Es ist ein ernüchternder Befund.Nach einem halben Jahr Berufsberatungsjahr stehen wir vor der Bilanz, dass wir nach wie vor davon ausgehen müssen, dass rund 10.000 Stellen fehlen. Dies ist eine Tatsache. Das beschreibt eine Situation, bei der es nicht nur darum geht, dass sie Relevanz hinsichtlich der Ausbildung der jungen Menschen für einen Beruf hat. Vielmehr geht es dabei auch um die Frage, wie die jungen Menschen diese Gesellschaft erleben, wie sich ihre Zuversicht, ihr Glauben und ihr Vertrauen in die gesellschaftliche Ordnung insgesamt entwickeln. Es ist deshalb notwendig, dass sich alle gesellschaftlichen Gruppen um dieses Thema bemühen. Landesweit erleben wir bemerkenswerte Beispiele dafür, wie sich Menschen in Initiativen und Kampagnen für dieses Ziel einsetzen. Dies geschieht nicht ohne Erfolg. Es ist deshalb völlig selbstverständlich und richtig, dass sich der Ministerpräsident an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat.

Dieser nüchterne Befund zeigt das Delta auf, das ich eben beschrieben habe. Das hat drei wesentliche Ursachen.

Die wichtigste Ursache ist die folgende. Wir beklagen im Moment in allen Bereichen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens die mangelnde wirtschaftliche Prosperität und den Stillstand der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Über die Ursachen müssen wir uns jetzt nicht weiter unterhalten. Sie sind in vielen Debattenbeiträgen deutlich geworden, die es z. B. gestern und vorgestern gab.

Zweitens. Hinzu kommt die demographische Situation. Genau zu diesem Zeitpunkt befindet sich eine große Anzahl Jugendlicher auf dem Ausbildungsmarkt und fragt Ausbildungsplätze nach.

Der dritte Punkt wird oft unterschlagen. Im Hinblick auf die Qualität kann man dazu stehen, wie man will. Das ist

etwas, was zumindest quantitativ von Bedeutung ist. Das ist die Tatsache, dass viele einfache Tätigkeiten, die es in unserem Wirtschaftsleben gab, heute nicht mehr vorhanden sind. Früher haben viele Jugendliche nach ihrer Grundausbildung in der Schule unmittelbar eine solche Tätigkeit übernommen. Heute finden sie solche Tätigkeiten nicht mehr vor.

(Beifall der Abg. Hugo Klein (Freigericht) und Judith Lannert (CDU))

Das sind die Ursachen.Die Frage ist:Was können wir tun?

In erster Linie müssen wir etwas hinsichtlich des zuerst genannten Punktes unternehmen. Ohne wirtschaftliche Prosperität kann sich alles, was damit verknüpft ist, nur mangelhaft entwickeln. Deswegen ist die Herstellung der wirtschaftlichen Prosperität eine Kernaufgabe.Aber auch wenn diese Aufgabe notwendigerweise an vielen Stellen anzupacken ist, dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass die Jugendlichen hier und heute einen Ausbildungsplatz nachfragen. Ein Wirtschaftswachstum, das es vielleicht in drei oder vier Jahren geben wird, hilft ihnen heute nichts bei ihrer Suche auf dem Ausbildungsmarkt.

(Reinhard Kahl (SPD):Was heißt das jetzt?)

Das Land Hessen geht dabei voran.Wir zeigen mit vielen Maßnahmen, dass auch kleine Initiativen dabei helfen, dieses Delta Stück für Stück zu schließen. Wir stellen in diesem Jahr über 20 Millionen c für Ausbildungsplatzprogramme zur Verfügung. Hiermit haben wir die Schaffung von etwa 2.200 Ausbildungsplätzen erreicht.Das Altbewerberprogramm wurde bisher nur für Nord- und Mittelhessen aufgelegt. Dieses Programm wird erweitert. Darüber hinaus weiten wir es auf Südhessen aus.Des Weiteren gibt es das Berufsvorbereitungsjahr. Daneben gibt es beispielsweise eine Maßnahme zur Unterstützung der Auszubildenden, die in einem Betrieb gelernt haben, der Insolvenz anmelden musste.Dabei geht es um weitere 575 Ausbildungsstellen.

Hierzu zähle ich auch die Maßnahmen,die wir gemeinsam mit dem Handwerk und der IHK durchführen. Beispielsweise gibt es eine Imagekampagne zur Gewinnung von Nachwuchs bei Fachkräften. Die Gesamtkosten beliefen sich dabei auf 445.000 c. Dies wurde mit 200.000 c aus dem Europäischen Sozialfonds unterstützt.

Dazu zählen auch Spezialmaßnahmen einzelner Sparten. Zum Beispiel unternahm das Lackiererhandwerk Anstrengungen zur Vermehrung von Ausbildungsplätzen. Es gab Imagekampagnen für neue Berufe usw.Verantwortliche in IHK und Handwerk warben bei ausländischen Unternehmen, um dessen Management bewusst zu machen, dass wir hier eine andere Ausbildungskultur und eine erfolgreiche Ausbildungsstruktur haben, an der sie sich im Interesse der Jugendlichen auch beteiligen sollten.

Dabei geht es in der Tat aber auch um die Stimmung. Es geht um die Bereitschaft aller, mitzuwirken. Deswegen ist es sehr lobens- und begrüßenswert, was beispielsweise die IHK mit ihrer drei Monate andauernden Kampagne geleistet hat, die noch nicht zu Ende ist. Das sollte man dankbar beobachten und entsprechend bewerten. Über 2.500 Menschen haben sich daran beteiligt. Im Rahmen dieser Kampagne sind über 500 Ausbildungsplätze spontan entstanden. Deren Schaffung wurde also zugesagt.

Wir haben im Augenblick eine schwierige Situation, die dem dualen Ausbildungssystem zusetzt. Möglicherweise wird es dadurch peripher nicht unbedingt in ein optimales Licht gerückt.Wir sollten dennoch nicht das Kind mit dem

Bade ausschütten. Denn es gibt zu dem dualen Ausbildungssystem keine vernünftige Alternative. Dieses duale Ausbildungssystem bringt die jungen Menschen sehr früh mit dem Arbeitsleben in Berührung und Kontakt. Sie finden dadurch mitten in das Arbeitsleben.

(Norbert Schmitt (SPD): Mancher leider gar nicht! Das ist das Problem!)

Wir leiden in Deutschland nämlich auch darunter,dass die jungen Menschen und die Auszubildenden zu spät den Kontakt zur beruflichen und wirtschaftlichen Wirklichkeit finden. Würde die Ausbildung überbetrieblich und nicht mehr im Rahmen des dualen Systems erfolgen, würden wir in diesem Zusammenhang einen weiteren Baustein verlieren.

Herr Staatsminister, die den Fraktionen zustehende Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Ich halte die Ausbildungsplatzabgabe nicht für geeignet, weitere Ausbildungsplätze zu gewinnen. Sie würde unsere gemeinsamen Anstrengungen konterkarieren. Sollte sie eingeführt werden, steht zu befürchten, dass sich weitere Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen. Es würde ein neuer, teurer und bürokratischer Verwaltungsapparat geschaffen werden müssen. Das ist nicht im Sinne der Jugendlichen und der Wirtschaft, die die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen muss.

Schließen Sie sich den Kampagnen an. Ich selbst bin ab der nächsten Woche sieben Tage lang in allen Arbeitsamtsbezirken unterwegs.Ich würde mich freuen,viele von Ihnen vor Ort begrüßen zu dürfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 67 auf:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Mehr Arbeit, mehr Geld – neue Wege aus der So- zialhilfe in die Beschäftigung) – Drucks. 16/335 –

Ich gebe Herrn Kollegen Brückmann das Wort für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland befindet sich seit der Nachkriegszeit in der schwierigsten Situation hinsichtlich der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der Finanzen. Seit drei Jahren stagniert die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit steigt in nicht gekannte Höhen. Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, 5 Millionen Arbeitslose zu haben. Es hat Tausende von Firmenpleiten gegeben. Dafür trägt die rotgrüne Bundesregierung mit ihrer katastrophalen Wirtschafts- und Finanzpolitik die Verantwortung.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Die notwendigen Strukturreformen werden nur schleppend angepackt. Im Gegensatz zu dem, was Rot-Grün in Berlin macht, wird in Hessen gehandelt. Mehr Arbeit und mehr Geld, das ist das hessische Modell der aktivierenden Sozialhilfe und zur Unterstützung des Niedriglohnsektors. Mit dieser Gesetzesinitiative haben Ministerpräsident Roland Koch und Sozialministerin Silke Lautenschläger gemeinsam mit dem Münchener Ifo-Institut ein Reformmodell zur Beseitigung der Strukturkrise auf dem Arbeitsmarkt vorgelegt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Weihrauch,Weihrauch!)

Dies ist eine Initiative, um Deutschland aus der derzeitigen Wirtschaftskrise herauszuführen. Herr Kaufmann, erwerbslosen Menschen soll damit ein Weg aus der Arbeitslosigkeit aufgezeigt werden.

Dies ist ein Vorschlag für eine wirkliche Strukturreform, für eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Haushaltseinkommen der Bezieher geringer Einkommen und für das Zurückholen von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor nach Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Es ist festzuhalten: Diese hessische Initiative führt zu mehr Dynamik auf dem Arbeitsmarkt und zu mehr Wachstum der Wirtschaft.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kaufmann, die Hauptprobleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind doch folgende. Die Arbeit im Niedriglohnsektor ist für die deutschen Unternehmen schlichtweg zu teuer. Den in diesem Bereich Beschäftigten bleibt zu wenig Geld in der Tasche. Es findet eine verstärkte Abwanderung gering entlohnter Arbeit nach Osteuropa und Asien statt.

Um diese fatale Entwicklung aufzuhalten, müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden. Es kann nicht angehen, dass jemand, der arbeitet, keine soziale Unterstützung bekommt, während derjenige, der soziale Unterstützung bekommt, nicht arbeiten darf.

(Zurufe von der SPD)

Dies ist kein Lösungsmuster zur Bewältigung der strukturellen Arbeitsmarktprobleme. Frau Fuhrmann, damit muss Schluss sein. Herr Kaufmann, die Zeiten der bequemen Hängematte sind vorbei.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fördern und Fordern müssen in den Mittelpunkt unseres Handelns auf dem Arbeitsmarkt gerückt werden.

Die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag begrüßt deshalb den vorgelegten Reformvorschlag der Hessischen Landesregierung mit folgenden Inhalten. Erstens. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe.

(Zurufe der Abg. Frank-Peter Kaufmann und Kor- dula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Vermittlungs- und Leistungsaufgaben gehören in kommunale Hände, damit ein effektives Hilfesystem entsteht.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Finanzielle Anreize zur Förderung des Ausstiegs aus der Sozialhilfe und zur Aufnahme einer Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Dazu gehört, Herr Kaufmann, dass Menschen, deren Erwerbseinkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 400 c liegt, mit steigendem Bruttolohn auch netto mehr verdienen. Dazu gehört auch, dass der bislang unterentwickelte Niedriglohnsektor durch die Einführung eines Lohnzuschlags für Geringverdienende ausgebaut wird. Außerdem gehört dazu eine Familienkomponente.

Drittens. Wer staatliche Leistungen empfängt, muss eine Gegenleistung in Form von Arbeit erbringen.