Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

Drittens. Wer staatliche Leistungen empfängt, muss eine Gegenleistung in Form von Arbeit erbringen.

Viertens. Abbau von Barrieren, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen. Ich denke hier insbesondere an Eltern mit Kindern und an Alleinerziehende, denen entsprechende Angebote gemacht werden sollen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fünftens.Wer trotz Erwerbsfähigkeit nicht bereit ist, eine angebotene Arbeit anzunehmen, muss mit empfindlichen Sanktionen rechnen – bis hin zur vollständigen Streichung des Sozialhilferegelsatzes.

(Beifall bei der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Brückmann, die Redezeit neigt sich dem Ende zu.

Wir sind davon überzeugt, dass mit diesem Vorschlag die dringend benötigten Impulse für Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden, die Strukturkrise in Deutschland gelöst wird und wieder mehr Menschen in Arbeit kommen.

Die Hessische Landesregierung hat Antworten auf die drängenden Fragen unseres Landes. Hessen unter der Führung von Roland Koch ist vorn.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Fuhrmann für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Brückmann, diese Aktuelle Stunde hat nicht die Überschrift „Alter Wein in neuen Schläuchen“.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Was Sie uns erzählt haben,sind Versatz- und Bruchstücke, das ist ein Zusammenklauben von Vorschlägen, die in den unterschiedlichen Stufen des Hartz-Konzepts bereits vorgesehen oder schon in Kraft getreten sind. Zum Teil handelt es sich gar um geltendes Recht nach dem BSHG. Sie sollten das einmal im Gesetz nachlesen.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren,Arbeit muss sich lohnen – und zwar für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmer. Die verheißungsvolle Gesetzesinitiative von Koch wird die Menschen in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse treiben, statt ihnen wenigstens minimale Sozialstandards zu geben.

(Widerspruch bei der CDU)

Sie wollen Working Poor in Deutschland haben. Sie wollen amerikanische und britische Verhältnisse.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verweisen auf Großbritannien und die USA. Ich sage Ihnen, die Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter ist in diesen Ländern erheblich höher als in Deutschland. Sie wollen eine Abwärtsspirale in Deutschland in Gang setzen.In Zeiten schwachen Wachstums – die haben wir, das ist unbestritten – sinkt die Zahl gut bezahlter Jobs.Das führt gerade in den Ländern,die ein schlechteres Sozialsystem haben als Deutschland, dazu, dass die Menschen in miserabel bezahlte Jobs – ich verwende bewusst den Plural – abgedrängt werden, wo keine soziale Abfederung vorhanden ist. Um überleben zu können, brauchen diese Menschen dann mehrere Jobs. Das kann man am Beispiel Amerika sehr gut sehen. Dort brauchen die Armen zwei oder drei Jobs, um einigermaßen überleben zu können.

Herr Koch,Sie wollen nicht „Arbeit statt Stütze“,sondern „Stütze für Arbeit“. Sie wollen „Armut trotz Arbeit“. Das ist es, was Herr Koch will.

(Zurufe von der CDU)

Mit der Strategie,niedrigste Löhne durch Hungerlöhne zu ersetzen und dadurch Beschäftigungsverhältnisse zu erschließen, sind Sie auf dem Holzweg. Das ist ganz klar. Untersuchungen der EU-Kommission und der OECDLänder haben gezeigt, dass Ihre These weder bezogen auf Deutschland noch im internationalen Vergleich empirisch belegt werden kann.

Sie sagen, Sie wollen 2,8 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich schaffen. Das ist ein schöner Wunschtraum. Gleichwohl ist es eine Milchbübchenrechnung, zu meinen, das lasse sich mit 3 Milliarden c pro Jahr bewerkstelligen. Weder die Wirtschaft noch die Kommunen warten händeringend auf ungelernte Hilfsarbeiter, um ihnen massenhaft Jobs anzubieten und sie zu beschäftigen. Ich sage Ihnen, Herr Koch: Die Börse reagiert nicht auf Lohnsummen, sondern sie reagiert auf Kopfzahlen. Das ist so, und genau deshalb werden gering Qualifizierte als Erste aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt.

(Zurufe von der CDU)

Sie behaupten, ein Niedriglohnsektor in Deutschland würde die Abwanderung von Firmen nach Osteuropa und Asien verhindern.Das ist Ihr Vorstoß.Auch das ist ein Irrglaube. Wenn das nämlich stimmen würde, dann müssten wir längst blühende Landschaften in Ostdeutschland haben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Da ist Herr Peters davor!)

Wir müssten blühende Landschaften in Ostdeutschland haben, wenn die Gleichung „Niedrige Löhne gleich mehr Wachstum und Beschäftigung“ stimmen würde.Wenn Sie aber wollen, dass das Lohnniveau in Deutschland auf das Lohnniveau von Ostdeutschland oder Polen – oder von wo auch immer – sinkt, dann sollten Sie das den Leuten auch ehrlich sagen.

Herr Koch, im Übrigen sage ich Ihnen: Sie sind krankhaft geltungssüchtig.

(Beifall bei der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Das zeigt sich daran, dass der Gesetzentwurf in der Hauptstadt präsentiert worden ist.

(Lebhafte Zurufe des Abg. Uwe Brückmann (CDU))

Herr Brückmann, ich bin lauter, denn ich habe das Mikrofon.

Sie sprechen davon,dass Sie mit dieser Initiative Deutschland retten. Sie wollen es mit den Kollegen im Bundestag und im Bundesrat diskutieren. Dazu kann ich nur sagen: Es ist gut zu wissen, welchen Stellenwert das hessische Parlament, die hessische Regierung und das schöne Hessenland für den Ministerpräsidenten haben.

(Zurufe von der CDU)

Ich glaube fast, wir haben verpasst, dass Sie zum CDUBundesvorsitzenden oder aber zum CDU-Fraktionsvorsitzenden in Berlin gewählt worden sind. In Wirklichkeit sind Sie aber zum Hessischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Machen Sie hier Ihre Hausaufgaben.

Es trifft auch nicht zu, dass Deutschland auf die Einführung des so genannten Niedriglohnsektors gewartet habe. Es gibt ihn bereits. Ich nenne Ihnen ein paar Zahlen.

Wir haben Millionen von Beschäftigten, die nicht einmal 1.200 c brutto im Monat verdienen. Das ist die Hälfte des deutschen Durchschnittseinkommens. Sie kommen damit sehr schlecht über die Runden. Das müssten Sie sich dann unter Umständen einmal erklären lassen, denn Sie können es nicht nachvollziehen, wie das ist, wenn die Leute sich nicht einmal das Bierchen leisten können und ihr Urlaub nicht auf den Kanaren, sondern auf Balkonien stattfindet.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): In Hannover!)

In Hannover, das finde ich übrigens groß. – Niedriglohnland Deutschland, d. h. 35 % aller Vollzeitbeschäftigten erhalten weniger als 75 % des Durchschnittseinkommens heute. Das sind 6,7 Millionen Menschen in Deutschland, eine ganze Menge. Viereinhalb Millionen Deutsche haben ein Einkommen zwischen 50 und 75 % des Durchschnitteinkommens und zwei Millionen sogar unter 50 %, damit sind sie unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, obwohl sie arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich halte die Zahlen für alarmierend. Ich weiß, dass wir ohne die Mini- und Midijobs und sonstige Geschichten nicht auskommen. Unsere Bundesregierung hat dazu in den vergangenen Jahren die unterschiedlichsten Regelungen eingeführt.

(Rudi Haselbach (CDU): Och ja! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Die Betonung liegt auf „unterschiedliche“!)

Es ist außerordentlich wichtig, dass in dem erweiterten Niedriglohnsektor zwischen 400 und 800 c im Monat wenigstens Sozialabgaben gezahlt werden, denn solche Beschäftigungsverhältnisse müssen wenigstens einen gewissen Renten- und Krankenversicherungsschutz bieten.

Frau Kollegin, darf ich Sie bitten?

Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss. – Ihre Kombilohnmodelle sind gefloppt, jetzt versuchen Sie es wieder auf der Berliner Bühne. Die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sind nur ein kleiner Teil des großen Heeres von Arbeitslosen, die wir in Deutschland haben. Herr Brückmann, sagen Sie den Leuten, dass hier viereinhalb Millionen Menschen in der „sozialen Hängematte“ liegen.

(Zurufe der Abg. Heinrich Heidel (FDP) und Uwe Brückmann (CDU))

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Sie glauben grundsätzlich, dass die Leute dann arbeiten, wenn es ihnen schlechter geht. Wir wollen, dass es den Menschen besser geht. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Na, na, na! – Uwe Brückmann (CDU): Da sieht man, was Sie in Berlin machen!)

Vielen Dank.– Das Wort hat Herr Kollege Rentsch für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich möchte die Aktuelle Stunde nutzen,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um Zeitung zu lesen!)