Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um Zeitung zu lesen!)

um auf eine Entwicklung hinzuweisen, die vielleicht nicht nur junge Menschen in diesem Land erregt, sondern die gesamte Bevölkerung erregen sollte. Was Frau Kollegin Fuhrmann eben gesagt hat, geht leider in eine ähnliche Richtung, was ich sehr schade finde.

Es gibt in diesem Land Sozialverbände, die momentan eine Politik machen,die an der Realität vorbei geht.Wenn Sie sich heute die „Frankfurter Rundschau“ angucken, dann sehen Sie auf der Seite 1: „Prognose sieht neues Loch in der Rentenkasse“. Die Situation sieht so aus, dass die Sozialsysteme in diesem Land am Ende sind. Wer diese Realität nicht anerkennt,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

verdummt die Leute. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, wer hat die Rentenkassen denn überlastet wegen der Finanzierung der Wiedervereinigung?)

Wir als Politiker – auch Sie, Herr Kaufmann – haben eine Verantwortung, den Leuten die Wahrheit über die Situation der Sozialsysteme zu sagen. Wenn Sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden wollen, dann ist das in Ordnung. Das akzeptieren wir. Aber wir werden dieses Spiel nicht mitmachen. Wir werden den Leuten die Wahrheit über die Sozialsysteme sagen.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir werden ihnen nicht suggerieren, dass alles in Ordnung ist und dass man mit ein bisschen Reförmchen das ganze System wieder ins Lot bringen kann. Das wird mit uns nicht passieren.

(Beifall bei der FDP)

Frau Fuhrmann,es wundert mich schon,dass Sie entgegen Ihrem Bundeskanzler, der ja auch Ihrer Partei angehört, heute eine Rede gehalten haben, mit der Sie in das alte Horn blasen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es gibt in dem Sozialsystemen ganz starke Probleme, die Sie heute wieder negiert haben. Sie negieren diese Probleme. Was erwarten Sie eigentlich, was in der Bevölkerung draußen ankommt? Glauben Sie, die Leute sagen dann letztendlich: „Die Frau Fuhrmann hat eine nette Rede gehalten, es scheint alles in Ordnung sein“?

(Frank Gotthardt (CDU): Nee, das sagen die Leute nicht!)

Was erwarten Sie denn? Glauben Sie denn, die Leute sind wirklich so doof, dass sie Ihnen abnehmen, dass alles in Ordnung ist? – Kehren Sie einmal wieder zurück zur Realität, davon hat die ganze Bevölkerung etwas.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich will eigentlich noch zwei Dinge anmerken, weil wir in einer Aktuellen Stunde sind. Die Landesregierung hat den Niedriglohnsektor angesprochen. Was Sie gerade dazu gesagt haben, Frau Kollegin, ist natürlich abenteuerlich. Wenn Sie sich die Untersuchungen angucken, dann sehen Sie, dass es in Deutschland einen konkreten Bedarf an Niedriglohnjobs gibt. Es ist so, es gibt einen Bedarf. Diesen Bedarf haben Sie auch wieder geleugnet. Das ist eine interessante Politik.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist Unsinn!)

Die Frage ist, woher der Bedarf an Niedriglohnjobs kommt. Wo kommt er denn her? Ist es nicht die Politik von Rot-Grün und den Gewerkschaften gewesen, diese Niedriglohnjobs in Deutschland zu verhöhnen und sie ins Ausland zu vertreiben?

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): So ein Quatsch! – Zuruf der Abg. Kordula SchulzAsche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben es geschafft, dass die Niedriglohnjobs mittlerweile im Ausland sind. Es gibt Bedarf an Niedriglohnjobs, aber die Leute, die diese Niedriglohnjobs brauchen, sind hier geblieben. Sie sind noch da. Es gibt ein strukturelles Problem.Wenn wir das nicht anpacken und uns nicht dazu bekennen, dass wir diese Niedriglohnjobs brauchen, dann werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen. Wir sollten ernsthaft darüber reden, ob wir als Politiker nicht eine Verantwortung haben. Ich habe gerade ein Gespräch mit meiner Kollegin Frau Schulz-Asche geführt. Sie hat gesagt, die Leute, die einen Niedrigjob annehmen, hätten ein Problem, sie kämen aus dieser Spirale nicht mehr heraus und blieben immer auf dem unteren Limit.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): So ist es!)

Frau Fuhrmann,hören Sie noch kurz zu,ich will Ihnen nur das System erklären, dann können Sie noch etwas lernen.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie junger Schnösel! – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Aber Evi! – Allgemeine Heiterkeit!)

Im Gegensatz zu Amerika sieht das System folgendermaßen aus, dass wir eine soziale Sicherung eingebaut haben und dass auf diese soziale Sicherung ein Niedriglohnjob hinzukommen kann. Wir wollen den Leuten Anreize bieten, zusätzlich etwas zu verdienen. Das ist doch momen

tan die Krux im System. Die Leute nehmen Sozialhilfe an und werden natürlich nicht aufgefordert, zu arbeiten, weil es sich einfach nicht lohnt. So ist die Realität.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): So ein Quatsch!)

Deshalb kann man das mit Amerika überhaupt nicht vergleichen. Es lässt sich nicht vergleichen, weil das System anders ist. Wir wollen nicht den sozialen Kahlschlag. Wir wollen die Möglichkeit, dass sich Leute aus dem Sozialhilfebereich herausentwickeln, dass sie etwas dazuverdienen können. Das ist das Einzige, was richtig ist.

Wir als FDP haben dieses Modell schon vor Jahren vorgeschlagen,als Bürgergeld,als Negativsteuer.Es wird in verschiedenen Parteien auch unter verschiedenen Namen diskutiert. Auch bei Ihnen gibt es konstruktive Vorschläge.Insofern ist es schade,dass Sie wieder hinter diese Vorschläge zurückfallen.

(Petra Fuhrmann (SPD):Sie haben überhaupt nicht zugehört! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hat es nicht verstanden!)

Ich möchte noch einen Punkt zum Thema Zusammenlegung sagen. Das, was von der Bundesregierung für diesen Bereich vorgelegt worden ist, ist in vielen Teilen nicht falsch. Das muss man wirklich sagen. Aber die Abgrenzung von erwerbsfähig und nicht erwerbsfähig ist ein wirkliches Problem.

Wenn Sie sich mit kommunalen Verbänden unterhalten, dann wissen Sie genau, was das Ergebnis sein wird. Letztendlich werden die Personen als nicht erwerbsfähig abgestempelt und somit die Kosten den Sozialämtern in Rechnung gestellt, und die Kommunen werden die Last dieser Finanzprobleme zu tragen haben.

Ich plädiere dafür, dass Sie vielleicht, wenn Sie mit uns übereinstimmen – mit der Agenda 2010 und Hartz haben Sie einen richtigen Weg eingeschlagen –, sich dafür einsetzen, dass die Kommunen nicht die Lasten zu tragen haben. Das wäre ein konstruktiver Vorschlag in diesem Bereich.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Norbert Schmitt (SPD): Das wird doch gemacht!)

Frau Fuhrmann,wir können diese Diskussion gerne weiter führen. Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen, die auf der Tribüne sitzen, haben von Ihren Zwischenrufen nichts.

(Beifall bei der FDP)

Erkennen Sie die Realität des Sozialstaates an. Wir als FDP stehen zu diesem Sozialstaat, aber wir wehren uns dagegen, wenn es Leute gibt, die uns in die Ecke stellen und uns unterstellen, wir wollten diesen Sozialstaat ad absurdum führen.Wir wollen den Sozialstaat retten, weil wir den Leuten sagen, dass der Sozialstaat so nicht weitergeführt werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Norbert Schmitt und Petra Fuhrmann (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Wir meinen, hier oben den Begriff „Oberschnösel“ gehört zu haben. Da aber Herr Kollege Gerling schlecht hört, können wir es nicht genau verifizieren. Sollten wir es gehört haben, haben wir es nicht gehört.

(Allgemeine Heiterkeit)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schulz-Asche von den GRÜNEN.

Herr Präsident, ich möchte erklären, ich war es nicht.

(Allgemeine Heiterkeit)

Wenn sich dann alle beruhigt haben – –

(Abg. Florian Rentsch (FDP) verlässt den Saal. – Norbert Schmitt (SPD): Das ist unerhört! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, der Rednerin zuzuhören.

Wenn Herr Rentsch noch da wäre, würde ich ihm empfehlen, die Gesetzesvorlage einfach einmal durchzulesen, über die hier heute geredet wird.

(Frank Gotthardt (CDU): Sie können sie zu Protokoll geben!)

Die Gesetzesvorlage gebe ich nicht zu Protokoll, die würde es sprengen. – Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie am Montag Gelegenheit hatten, die Liveübertragung der Pressekonferenz von Ministerpräsident Koch und unserer Sozialministerin in Berlin zu diesem Thema zu verfolgen.

(Michael Denzin (FDP): Leider nicht, da haben wir etwas versäumt! – Frank Gotthardt (CDU): Sie war sehr eindrucksvoll!)

Wir haben uns das schon angeguckt. Wir hatten sogar Wetten abgeschlossen, welches Thema Herr Koch sich diesmal für das Public Mobbing für Angela Merkel aussuchen wird.