Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

(Petra Fuhrmann (SPD):Das Scheckbuch der Steuerzahler!)

Er sagt, er will 37,3 Millionen c plus 8 Millionen c von der BA für ein Förderprogramm für Menschen über 50 zur Verfügung stellen.Wenn man das einmal ausrechnet – das ist relativ einfach, und das hätte Herr Kollege Holler auch gleich sagen können –, sind das bei 200 Leuten, die Sie dann auf 1.000 steigern wollen – es geht um 1.000 Personen, also eine wahnsinnige Menge an Plätzen – ca. 45.000 c pro Person. Ich muss ganz ehrlich sagen: Man sollte sich wirklich fragen, ob das die richtige Ausrichtung für die Politik sein kann,

(Beifall bei der FDP)

in einer Zeit, in der wir immer noch Massenarbeitslosigkeit beklagen, so einen speziellen Kreis herauszunehmen, anstatt die wirklichen Ursachen der Arbeitslosigkeit anzupacken.

(Beifall bei der FDP)

Zur Wahrheit gehört auch, dass ältere Arbeitnehmer natürlich häufig auch deshalb nicht mehr eingestellt werden, weil sie im Rahmen des Kündigungsschutzes besonders berücksichtigt werden müssen und viele Unternehmen deshalb sagen,dass ein älterer Arbeitnehmer nicht infrage kommt, weil er, wenn Arbeitnehmer entlassen werden müssen, gar nicht entlassen werden kann.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist doch gar nicht richtig!)

Doch, das ist richtig, Herr Kollege Boddenberg. Ich werde Sie auch gern als Arbeitsrechtler darüber aufklären. Aber das können wir am Rande dieser Sitzung machen.

Die Frage, die wir wirklich diskutieren müssen – das ärgert mich an dieser Debatte, und Herr Kollege Holler hat das gar nicht angesprochen –, ist doch:Wie können wir es schaffen, in diesem Land mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wovon natürlich auch die über 50-Jährigen profitieren? Das ist doch nicht nur die Frage einer isolierten Altersklasse, sondern es ist ein wirkliches Hauptproblem in diesem Land, dass wir seit der Bundestagswahl überhaupt nicht über die Frage diskutieren, wie wir Arbeitsplätze in diesem Land schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Boddenberg, deshalb bin ich froh, dass Sie an dieser Debatte so lebhaft teilnehmen. Wir waren es doch gemeinsam, die in diesem Land die Problematik der Wirtschaftspolitik angesprochen haben. Die Mehrwertsteuererhöhung ist ein Problem, das natürlich um die 100.000 Arbeitsplätze vernichten wird.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt keine Reform des Kündigungsschutzes, die wir gemeinsam machen wollten. Es gibt keine Stärkung der Betriebe. Stattdessen betreiben Sie eine Stärkung der Gewerkschaften. Die Debatte über den Mindestlohn gehört doch zu den Debatten,die dieses Land schädigen,die dem Wirtschaftsstandort schaden und nicht helfen.

(Beifall bei der FDP)

Man kann diese Debatte führen. Sie ist sicherlich auch gerechtfertigt. Aber sie ist nicht gerechtfertigt, wenn man Ihre Politik mit dem vergleicht, was Sie vor der Bundestagswahl gesagt haben, Herr Boddenberg.

(Beifall bei der FDP)

Da können Sie sich auch nicht ducken.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das, was von der CDU in dieser Bundesregierung übrig geblieben ist, ist mittlerweile so wenig, dass man es gar nicht mehr erkennen kann. Wenn man auf dem Koalitionsvertrag nicht gelegentlich das Emblem der CDU sehen würde, würde vielen Leuten gar nicht auffallen, dass die CDU an dieser Veranstaltung überhaupt noch beteiligt ist. Insofern sollten Sie sich gründlich darüber Gedanken machen, ob es richtig ist, immer nur einzelne Segmente herauszunehmen und ansonsten den ganzen Bereich der Wirtschaftspolitik zu vergessen, den Sie jahrelang proklamiert haben. Da sind Sie nicht ehrlich geblieben. Sie haben das nicht umgesetzt, was Sie mit uns im Bundestagswahlkampf gefordert und gefördert haben.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Sie haben ja gar nichts umgesetzt!)

Insofern zeigt das auch das Problem der deutschen Politik.

Ruth Wagner sagte es vorhin so schön: Als wir die junge Gruppe im Landtag gegründet haben, gab es eine Gegenbewegung von ihr und Herrn Klee. Ich will es nicht „Gegenbewegung“ nennen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Landtagsgruppe!)

Natürlich ist es wichtig, und ich halte das für richtig, auch die große Erfahrung der älteren Kolleginnen und Kollegen zu nutzen, die sie in die Debatte einbringen können. Ich glaube, darum geht es. Herr Kollege Holler, wenn man es mit diesem Programm schaffen könnte, bei den Unternehmen in Hessen wieder zu implementieren, dass es sich lohnt, auf ältere Arbeitnehmer zu setzen, weil sie eine große Erfahrung und ein großes Know-how haben, dann haben Sie etwas Richtiges angestoßen.Aber ob man dafür 45 Millionen c ausgeben muss, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der FDP)

Ein letzter Satz. Ich werde Ihnen das gleich geben. Es gibt in Hessen heutzutage eine Reihe von Programmen, die sich damit beschäftigen. Zum Beispiel hat die Diakonie in Dreieich ein Seniorenbüro quasi erfunden und war vor zehn Jahren einer der Vorreiter in Deutschland. Mit diesem Programm hat sie viele ältere Arbeitnehmer vermittelt und hat ihr Know-how genutzt. Das muss man alles nicht neu erfinden. Manchmal lohnt es sich, einfach zu recherchieren, um Sachen, die es schon gibt, weiterzutragen. Es ist insofern nichts Neues, was Sie hier vorbringen, außer dass es 45 Millionen c kostet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Rentsch. – Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Fuhrmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Fakt ist, dass in keinem anderen EU-Land so wenige Ältere „in Lohn und Brot“ stehen. Auf die enttäuschte Liebe der FDP zur CDU will ich heute nicht eingehen, sondern auf die harten Fakten. In den skandinavischen Ländern sind über 60 % der Älteren zwischen 55 und 64 Jahren noch erwerbstätig. In Deutschland sind es gerade einmal 39 %. In Hessen liegt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 60 und 64 Jahren bei 15,8 %. Was ist das für eine Verschwendung von Erfahrung, Kenntnissen und Kompetenzen älterer Menschen und was für ein Unsinn im Hinblick auf die demografische Entwicklung?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Altersstruktur wandelt sich. Das ist seit Jahren zu sehen gewesen und ignoriert worden – mit gravierenden Folgen für die Rentenkassen, für die Sozialversicherung und für die Arbeitswelt.Es ist längst unbestreitbar,dass es in Zukunft ohne die Älteren nicht mehr gehen wird.Viele wollen gar nicht so früh in Rente gehen, wenn sie körperlich noch fit sind. Viele wollen bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten, werden aber von den Unternehmen wegrationalisiert. Diese teure Fehlentwicklung von

Kohl und Blüm und im Übrigen der FDP, nämlich die Frühverrentung auf Kosten der Sozialversicherungssysteme, muss endlich beendet werden.

(Beifall bei der SPD)

Insofern ist der jetzt mit dem Programm angekündigte Richtungswechsel der Regierung notwendig, nachdem Franz Müntefering auf Bundesebene die „Initiative 50 plus“ ergriffen hat. Die Fähigkeiten und Kenntnisse der über 50-Jährigen müssen in dieser Gesellschaft voll genutzt werden. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. – Ich habe mich in den letzten Wochen allerdings schon gefragt, ob Herr Koch und diese Regierung dieses Programm ohne die Kofinanzierung und Unterstützung vom Bund aufgelegt hätten. Ich habe mich – das gestehe ich – bei der immerwährenden harschen Kritik an der Arbeitsagentur auch ein bisschen gewundert, dass der größere Teil, nämlich die Punkte Akquise, Vorauswahl, Motivation, Praxisphase und Wiedereingliederung,der Arbeitsagentur übergeben wird.Ich begrüße das ausdrücklich.Sie hat dazu die Kompetenzen.

(Beifall bei der SPD)

Die von Ihnen vorgeschlagenen Handlungsfelder klingen sehr fantasievoll, wie eigentlich alles, was aus der „metzschen Luftblasenfabrik“ kommt. Ich kann mir allerdings nicht so recht vorstellen, wie das Aufgabenfeld eines Arbeits- oder Migrationscoachs exakt aussehen soll oder was die Integrations- und Leistungsassistenten Sport machen. Vor allen Dingen kann ich mir bisher noch nicht gut vorstellen, was für Arbeitsfelder sie nach ihrer „Mission“ an Schulen, in Vereinen oder Kommunen auf dem ersten Arbeitsmarkt besetzen sollen.

Weitere Fragen: Sollen die Büros in den Kommunen, in den Schulen eingerichtet werden? Sollen die Beraterinnen und Berater zu Hause auf Abruf sein? – Fragen über Fragen, die sich aus Ihrem Konzept, wie es uns vorliegt, nicht erschließen.

Sechs von zehn Unternehmen in Deutschland haben derzeit überhaupt keine Beschäftigten mehr, die über 50 Jahre alt sind. Wir haben den Skandal diskutiert, dass eine Firma öffentlich sagte:Die passen nicht in unser Outfit. Die Menschen über 50 müssen entlassen werden. – Ich sage: Auch die Unternehmen müssen endlich begreifen, dass eine vernünftige Mischung zwischen Jungen und Älteren in den Unternehmen Vorteile und keine Nachteile bringt.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Aber gerade diese Regierung hat sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert. Ich denke besonders an Ihre PVS-Vermerke, die Sie in größerer Zahl gerade den Älteren in der Verwaltung angeklebt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die öffentliche Hand hat eine Vorbildfunktion, der Sie nicht nachgekommen sind. Vielmehr haben Sie sich mit der „Operation düstere Zukunft“ auch noch als überaus schlechtes Beispiel dargestellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Älteren sind nur ein Aspekt des Problems. Es gibt einen zweiten. Die Jungen treten häufig sehr viel später ins Berufsleben ein. Insofern ist

ein Programm,das nur eine Komponente abdeckt,zu kurz gegriffen.

Die Landesregierung war seit Jahren gefordert, dem Skandal auf dem Lehrstellenmarkt in Hessen endlich entgegenzutreten. Wir haben jedes Jahr gebetsmühlenartig Anträge und Haushaltsanträge gestellt. Sie haben sie abgelehnt. Es war in jedem Jahr so. Da waren die Spendierhosen des Ministerpräsidenten grundsätzlich in der Wäsche.Sie haben seit Jahren diese Anträge abgelehnt.Wenn jetzt eine längst überfällige Erhöhung vorgesehen ist, dann sage ich Ihnen: Es ist erkennbar ein Wahlkampfhaushalt, der hier aufgestellt wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Nur, weil irgendwo eine Landtagswahl ist?)

Frau Kollegin, Entschuldigung für die Unterbrechung. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss.

Die Menschen merken das – ob das die 250 c, die Unterrichtsgarantie mit Hilfslehrern oder diese beiden Programme sind. Das eigene Engagement des Landes im Bereich der Ausbildung ist gefordert. Das verweigern Sie nachdrücklich. Ich sage Ihnen abschließend: Wer als Leuchtturm durch die Presselandschaft geistern möchte, der muss mehr in Sachen Ausbildung und Beschäftigung Älterer tun und nicht ein grottenschlechtes Beispiel bieten, wie es die Landesregierung tut. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))