Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Das müsste ich wissen!)

Denn der CDU-Antrag lässt darauf schließen,dass Sie die Anträge von GRÜNEN und SPD für die Unterstützung des DGB-Vorschlags nicht teilen, sondern stattdessen auf das, gelinde gesagt, deutlich schlankere – um nicht zu sagen: magere – Papier von VhU und hessisch-thüringischem DGB setzen. Das wird dem Prinzip entsprechen, der Berg kreißte und gebar eine Maus. Denn dieses Konsenspapier ist nicht schlecht, aber es umfasst gerade nur einen einzigen Teilbereich des angeführten DGB-Papiers, das viel umfangreichere Maßnahmen vorgeschlagen hatte. Vielleicht setzen Sie darauf, dass sich niemand die Mühe macht, die beiden Papiere zu vergleichen. Ich stelle sie gern allen Interessierten zur Verfügung. Der Unterschied ist eklatant.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher stellt sich fast die Frage, wie ernst es Roland Koch mit seinem Unterstützungsvorschlag war. Es ist einfach, einen Vorschlag zu loben, wenn das Geld von der anderen Seite kommen soll. Wir werden diese Frage heute hoffentlich in diesem Plenum beantwortet bekommen – ob es wirklich einen Kurswechsel in der hessischen Ausbildungspolitik geben wird.

Die Aussagen des Finanzministers lassen nicht wirklich darauf schließen. Denn die Landesregierung wird die Zahl ihrer Ausbildungsplätze auch in diesem Jahr erneut nicht erhöhen.Das macht es nicht gerade glaubwürdiger – wenn man von anderen große Anstrengungen fordert, ihnen aber selbst nicht nachkommt.

Ungewöhnlich ist aber auch, dass auf den kochschen Unterstützungsvorschlag ein rauer Wind aus den hessischen IHKs weht. Dort wird ungewöhnlich deutlich ein Mangel an Ausgereiftheit dieses Vorschlags kritisiert – um nicht zu sagen, das impliziert den Vorwurf des übereilten Aktionismus. Dort wird auf Folgendes hingewiesen.

Erstens.Die Lehrstellenlücke sei momentan nicht korrekt zu ermitteln. Ende August sind erst 85 % der Ausbildungsverträge erfasst.

Dazu fällt mir ein, dass Staatssekretär Abeln im letzten Dezember ankündigte, es solle eine Studie geben, die die gesamte Ausbildungsleistung in Hessen erfasst. Damals kündigte er an, in Kürze würden neue Zahlen vorliegen. – Diese Kürze ist schon eine ganze Weile her.Aber wir wissen, das Arbeitstempo des hessischen Wirtschaftsministers ist nicht das schnellste. Das kann dauern.

Auch der Ausbildungspakt, der uns nun schon zum zweiten Mal zu Beginn eines Ausbildungsjahres noch nicht vorgestellt worden ist, lässt nichts Gutes ahnen – kein Wunder bei einem Wirtschaftsministerium, das drei Jahre lang über ein Sparkassengesetz spricht und es dann erst vorlegt. Wahrscheinlich findet dieses Ministerium auch nichts dabei, den neuen Ausbildungspakt erst an Weihnachten oder Ostern vorzustellen.

Zweitens, die Kapazitäten der Altbewerberqualifizierungsmaßnahmen.

(Florian Rentsch (FDP): Ich glaube, das ist drittens!)

Also zählen sollten Sie können, denn Ihre Schulbildung ist schon etwas länger her und nicht unter Karin Wolff erfolgt.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Im Einstiegsqualifizierungsprogramm – EQ – sind die Platzzahlen im letzten Jahr nicht ausgeschöpft worden, sondern nur zu zwei Dritteln. Die IHKs monieren, dass man dieses Programm, das wesentlich kostengünstiger ist, nicht erst ausschöpft, sondern bereits jetzt teure Maßnahmen in Aussicht stellt.

Herr Rentsch, jetzt kommt: Drittens. Es wird kritisiert, dass das Papier von DGB und VhU in puncto Konkretisierung einiges zu wünschen übrig lässt.

Viertens. Deutlich sind allerdings auch die Zahlen der IHK-Umfrage. 70 % der hessischen IHK-Mitglieder sehen die mangelnde Schulausbildung als entscheidendes Hemmnis zur Steigerung der Zahl von Ausbildungsplätzen an.

Wer gestern die Regierungserklärung der Kultusministerin gehört hat, weiß, dass von dieser Erkenntnis noch nichts zu ihr durchgedrungen ist.

Aber selbst die Bundeskanzlerin hat es den Ländern mit auf den Weg gegeben. Auch diese Erkenntnis stammt wohl aus Hessen – wo ihr selbst von hessischen CDU-Mitgliedern der Unmut über ihre Lobhudelei zur hessischen Bildungspolitik entgegenschlug. 70 % ist eine enorme Größenordnung. Unterstrichen wird das noch von einem Papier der IHK Frankfurt, in dem gefragt wird: Was erwartet die Wirtschaft von Schulabgängern?

Die ersten beiden Punkte in diesem Papier sind: grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift sowie die Beherrschung einfacher Rechentechniken.

Wie passt das mit dem hochgehaltenen Anspruch zusammen, Bildungsland Nummer eins zu sein? Man könnte meinen, die Schüler anderer Bundesländer unterhalten sich noch mit Händen und Füßen.

Die IHKs zählen nun wirklich nicht zu den GRÜNENFanklubs. Aber solch deutliche Worte dürften doch hoffentlich endlich einmal auf offene Ohren stoßen. Wir brauchen keine PR-Maßnahmen zur Verbesserung des angeschlagenen Images der Kultusministerin, sondern wir brauchen ernsthafte inhaltliche Anstrengungen, um die schulische Ausbildung zu verbessern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Fünftens kritisieren die IHKs an der Ausbildungspolitik der Hessischen Landesregierung, dass Berufsgrundbildungsjahr und Berufsfachschulzeiten jetzt auf die Ausbildungszeit angerechnet werden müssen. Damit ist klar, dass diese Regelung schwächere Bewerber diskriminiert, die sowieso schon Probleme in der Ausbildung haben.Das führt zu der abstrusen Situation, dass gerade schwächere Auszubildende in den Metall- und Elektroberufen nach einem Vierteljahr den ersten Teil der Abschlussprüfung machen müssen. Das ist völlig absurd und ausbildungsfeindlich.

Gerade beim sensiblen Thema Ausbildung sollte man sich vor überstürzten und populistischen Aktionen hüten. Mit unserem Setzpunkt geben wir heute der Hessischen Lan

desregierung Gelegenheit, ernsthaft darzustellen, was sie denn nun wirklich zur Verbesserung der Lehrstellensituation zu tun gedenkt. Wir hoffen auf einen Kurswechsel in der Ausbildungspolitik der Hessischen Landesregierung. Die hessischen Jugendlichen haben es schon lange verdient.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Vielen Dank, Frau Hölldobler-Heumüller. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Boddenberg zu Wort gemeldet.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Hölldobler-Heumüller, ich habe mich nur deshalb zu Wort gemeldet, weil es meines Erachtens nicht in Ordnung ist, pauschal sehr große und für dieses Bundesland sehr bedeutende Unternehmen zu beschimpfen, wie Sie es getan haben. Sie haben unter anderem die Lufthansa und Volkswagen angesprochen. In diesem Zusammenhang haben Sie das Wort „Schmarotzer“ benutzt. Ich halte das für unangemessen,

(Beifall bei der CDU und der FDP)

weil ich sehr sicher bin,dass die Personalverantwortlichen in diesen Unternehmen ein sehr großes Verantwortungsbewusstsein im Bereich der Ausbildungsplätze zeigen.

Mir und uns muss es darum gehen, mit denjenigen über Ausbildung zu sprechen,die sich heute überhaupt nicht an der Ausbildung beteiligen. Immerhin ein Drittel aller Betriebe – je nach Betrachtungsweise – verfügt über die fachliche und pädagogische Legitimation, um ausbilden zu können. Diese nicht ausbildenden Betriebe ärgern mich genauso, wie sie Sie ärgern. Deshalb würde ich eine ähnliche Terminologie wählen.

Wenn wir in diesem Zusammenhang hin und wieder den Deutschen Gewerkschaftsbund thematisieren, dann nehmen Sie es uns doch bitte nicht übel, wenn ich sage, dass der Landesverband der hessischen CDU derzeit mehr ausbildet als die Bundesgewerkschaftszentrale des DGB in Frankfurt. Man muss hin und wieder insbesondere diejenigen, die dieses Thema graust, daran erinnern, ganz konkret im eigenen Haus dazu beizutragen, dass sich die Situation verbessert.Aus diesem Grund sprechen wir den DGB an.Wir treffen uns übrigens morgen wieder mit Vertretern des DGB Hessen. Ich werde das deshalb morgen wieder thematisieren.

Ich habe einmal gesagt, dass wir eigentlich ein Gesetz schaffen müssten, in dem es einen Paragrafen mit folgendem Inhalt gibt: Wir verpflichten jeden Unternehmer – unabhängig davon, ob er Vorstandsvorsitzender einer Kapitalgesellschaft, Geschäftsführer einer GmbH oder Einzelunternehmer ist –, einmal jährlich ein persönliches Gespräch von einer halben Stunde Dauer mit einem Achtoder Neuntklässler einer Haupt- oder Realschule zu führen. – Wenn wir es schaffen würden, das Problem zu personifizieren, dann hätten wir das Problem in der Summe gelöst.

Herr Kollege Boddenberg,ich darf Sie bitten,zum Schluss zu kommen.

Es muss unser Ziel sein, mit Menschen darüber zu reden, wie wichtig Ausbildung im gesellschaftspolitischen, aber auch im unternehmerischen Sinne ist. Beschimpfungen aber, wie Sie sie geäußert haben, sollten wir an dieser Stelle tunlichst vermeiden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller hat die Gelegenheit zur Antwort.

Herr Kollege Boddenberg, Ihre Äußerungen sind mir etwas nebulös. Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht der Meinung sind, dass die großen Unternehmen mehr ausbilden müssen? Ich bin der Auffassung, in der jetzigen Situation müssen wir alle Anstrengungen bündeln.

Ich widerspreche diesen Sonntagsreden, die nach dem Motto gehalten werden, die hessische Wirtschaft bilde genügend aus. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir keine pauschale, sondern eine differenzierte Betrachtungsweise. Dann darf man auch einmal einzelne Unternehmen ansprechen.

Sie selbst wissen ganz genau, was Ausbildung kostet; denn Sie engagieren sich sehr in diesem Bereich. Wie nennen Sie es denn, wenn jemand einen Arbeitnehmer übernimmt, für dessen Ausbildung ein anderer Betrieb bezahlt hat, wenn dieser Arbeitnehmer gezielt abgeworben wird und man seiner eigenen Ausbildungsverpflichtung nicht nachkommt? Das müssen Sie mir einmal erklären. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Hölldobler-Heumüller. – Als nächstem Redner erteile ich Herrn Kollegen Holler von der CDUFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher richtig, dass wir nach der Debatte über die Chancen älterer Arbeitnehmer, die wir im letzten Punkt des CDU-Antrags aufgreifen, erneut über die Perspektiven von Berufsanfängern sprechen. Zwar liegen über dieses Jahr noch keine genauen Zahlen vor. Jedoch ist davon auszugehen, dass im Bund und auch in Hessen nicht alle ausbildungsgeeigneten Personen versorgt werden können.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist eine charmante Umschreibung für die Ausbildungslücke!)

Abgesehen von den arbeitsmarktpolitischen Zuständigkeiten der Bundesregierung hat sich Hessen im Bereich der Ausbildung stark engagiert. Da sich das offenbar noch nicht in allen Fraktionen herumgesprochen hat, möchte ich die Fakten kurz benennen.

Im Jahr 2005 betrug die Förderung von Ausbildungsprogrammen der Landesregierung rund 53 Millionen c.

(Petra Fuhrmann (SPD): Aber wie viel davon waren Landesgeld und nicht Bundes- oder EUMittel?)

Dies entspricht rund 9.000 geförderten Ausbildungsplätzen. Wer dann davon redet, dass nichts gemacht werde, liegt meines Erachtens vollkommen falsch.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sagen Sie doch einmal, wie hoch die originären Landesmittel sind!)

Es lohnt sich, in die berufliche Ausbildung junger Menschen und damit in die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu investieren. Das ist zwischen uns wahrscheinlich unumstritten. Hessen macht dies auch. Dass noch weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, ist trotz der Vielzahl der Programme in Hessen vollkommen unbestritten.