Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Es lohnt sich, in die berufliche Ausbildung junger Menschen und damit in die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu investieren. Das ist zwischen uns wahrscheinlich unumstritten. Hessen macht dies auch. Dass noch weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, ist trotz der Vielzahl der Programme in Hessen vollkommen unbestritten.

Das vom DGB und der VhU erstellte Programm „Ausbildung auf dem zweiten Weg“ kann eine solche Anstrengung sein.Wir freuen uns,dass auch die GRÜNEN die Positionierung von Ministerpräsident Roland Koch begrüßen. Auch wenn sich der Redebeitrag vorhin dreimal um die eigene Achse gedreht hat, hoffen wir, dass Sie im Laufe der Debatte nicht wieder zurückrudern oder sich gar entschuldigen oder Sonstiges.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat der Ministerpräsident bisher erreicht? Erklären Sie das doch einmal!)

Meine Damen und Herren, wenn Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Landesregierung die Diskussion über ein Ausbildungsprogramm vorantreiben, kann dies der Sache nur nutzen. Ob angesichts des bereits begonnenen Berufsschuljahres eine Bundesratsinitiative mit der bekannten Zeitschiene sinnvoll ist, dürfte allerdings sehr fraglich sein. Jedoch sollte sich heute auch der Landtag zu dem für den Bund vorgeschlagenen Programm „Ausbildung auf dem zweiten Weg“ mit der Zustimmung zu unserem Antrag positionieren.

Anders als im Antrag der SPD begrüßen wir den Vorschlag des DGB und der VhU, die Ausbildung in kooperativer Form zu organisieren und praktische Ausbildungsinhalte im Betrieb zu vermitteln. Die von der SPD geforderte außerbetriebliche Ausbildung verschiebt ein Problem, weil der Übergang in den Arbeitsmarkt nach Ausbildungsabschluss sehr oft nicht gelingt.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen deshalb den Schwerpunkt auf die Stärkung der betrieblichen Ausbildung legen. Wenn Sie sich den Antrag der Fraktion der CDU ansehen – ich möchte nicht alle Programme im Einzelnen benennen –, dann stellen Sie fest, dass das genau der Schwerpunkt der Politik der Hessischen Landesregierung ist. Eine Ersatzmaßnahme kann nur punktuell eine arbeitsmarktpolitische Option sein.

Die SPD-Fraktion spricht zu Recht Jugendliche mit Migrationshintergrund mit ihren besonderen Schwierigkeiten bei der Ausbildungsstellensuche an. Mit dem Pro

gramm „Ausbildung in der Migration“ hat das Land Hessen hierauf bereits reagiert. Das Hauptproblem für den Ausbildungsmarkt bleibt die wachsende Gruppe von Jugendlichen, die sich seit dem Sommer des vergangenen Jahres oder noch länger erfolglos bewerben. Davon sind Jugendliche mit Migrationshintergrund zwangsläufig häufig betroffen.

Die Landesregierung hat vor diesem Hintergrund initiiert, dass Betriebe für die Übernahme eines Auszubildenden aus dieser Personengruppe 110 c Förderung erhalten. Auch wenn diese Initiative zu weit über 1.000 neuen Ausbildungsplätzen geführt hat, gibt es noch zu wenige Betriebe, die dieses Angebot nutzen. Der Vorschlag von DGB und VhU könnte gerade für die Jugendlichen, die sich seit längerer Zeit um eine Ausbildung bemühen, eine Perspektive sein.

Natürlich erfordert die Umsetzung einen politischen Kraftakt. Dieser Kraftakt ist jedoch gesellschaftspolitisch erforderlich.Wir sollten dies jetzt dokumentieren und die Position von Ministerpräsident Roland Koch unterstützen. Ich glaube, dass wir das im Verlauf der Debatte hinbekommen. Es stärkt die Auszubildenden und ist ein Signal für die Betriebe. Deswegen sollten wir das heute relativ einvernehmlich behandeln. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Holler. – Als nächstem Redner erteile ich Herrn Schäfer-Gümbel für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will meine Rede mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Erstaunlich in dieser Debatte ist, dass derjenige, der das Thema in den vergangenen Wochen zur Chefsache erklärt hat, nämlich der Herr Ministerpräsident, bei der Behandlung dieses Themas offensichtlich nicht anwesend ist. Der ausgewiesenermaßen nach dem Programm und der Presseerklärung vom vergangenen Samstag fachlich zuständige Minister, Alois Rhiel, ist ebenfalls nicht anwesend. Insofern gehe ich davon aus, dass Frau Lautenschläger sozusagen in der Vertretung der Vertretung antworten wird. Auch das macht die Wertigkeit deutlich.

(Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

Frau Lautenschläger, ich orientiere mich nur daran, was der Herr Ministerpräsident und anschließend der Herr Minister erklärt haben. Es mag sein, dass Sie das dann alles operativ umsetzen müssen.

(Christoph René Holler (CDU): Das ist reiner Quatsch!)

Wenn Sie öffentlich bestimmen, wer Nummer eins und wer Nummer zwei ist, Nummer drei dann aber reden darf, dann ist das eine Missachtung des Themas.

(Clemens Reif (CDU): Zu welcher Nummer gehören Sie?)

Zur Ausgangslage: Ich will mich wie jedes Jahr dem Lob an diejenigen Betriebe anschließen, die ihren Beitrag zur dualen Ausbildung leisten. Das ist in diesem Haus unumstritten. Genauso klar ist, dass Ausbildung weiterhin die Aufgabe von Unternehmen und Betrieben ist. Es ist Auf

gabe der Betriebe,die Verantwortung für junge Menschen zu übernehmen. Dabei ist in der Tat festzustellen, dass eine Vielzahl von Betrieben dieser Verantwortung nicht gerecht wird, die im Jahr 1982 abschließend vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten wurde. Herr Kollege Boddenberg und Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller haben darauf hingewiesen. Darüber besteht meines Erachtens Konsens.

Die hessischen Zahlen sind alarmierend. In Hessen liegt der Anteil der Ausbildungsbetriebe unter dem Bundesdurchschnitt. Nur 5,2 % aller hessischen Betriebe bilden aus. 30 % aller ausbildungsfähigen Betriebe beteiligen sich an ihrem Auftrag nicht. Dabei ist die Branchensituation sehr unterschiedlich. Das wird von allen anerkannt.

Deswegen will ich ausdrücklich sagen, dass wir überrascht waren, als der Ministerpräsident, also die Nummer eins, wie eben erwähnt, erklärt hat, der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Thema „Weg in die Ausbildung“ sei gut und werde von ihm ausdrücklich unterstützt.Zu den Watschen,die er sich in Berlin geholt hat,ist schon Hinreichendes gesagt worden. Das brauche ich nicht zu wiederholen.

Es gibt aber auch einen hesseninternen Vorgang. Der Herr Ministerpräsident hat sich hinter das Ursprungspapier gestellt,weil es ein kluges Papier ist,das der Deutsche Gewerkschaftsbund auf den Tisch gelegt hat. Dass Ihre Parteifreunde in Berlin jetzt den ideologischen Beton angerührt und gesagt haben, das passe nicht in die Welt, ist insbesondere für die Jugendlichen schmerzhaft. Um die Profilierung des Ministerpräsidenten ist mir an der Stelle nicht bange. Er wird seinen Beitrag dazu leisten. Um ihn geht es hier aber nicht.

(Zurufe von der CDU)

Herr Holler, an der Stelle habe ich nicht immer zwingend den Eindruck,dass es Ihnen um die Jugendlichen,sondern vielmehr, um die Profilierung des Ministerpräsidenten geht. Auch dazu werde ich gleich noch ein paar Takte sagen.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage lautet natürlich: Steht die Nummer eins in der hessischen Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik weiterhin hinter dem Papier, oder steht sie hinter dem weichgespülten Papier der VhU und des DGB, das in seiner Anlage aber immer noch okay ist? Ist das der neue Weg? Dann hätte ich schon noch ein paar inhaltliche Nachfragen. Der Herr Ministerpräsident hat ja über den Wirtschaftsminister, der der fachlich Zuständige ist, also die Nummer zwei, den Landesausschuss für Berufsbildung ganz eilig zu einer Sitzung am vergangenen Montag eingeladen, um für seine Position bei diesem Programm Unterstützung zu finden. Es gab eine große kritische Debatte, an der sich dem Vernehmen nach sowohl bestimmte Ministerien als auch Teile der Arbeitgeberseite beteiligt haben.Daraus ist eine weichgespülte weitere Empfehlung entstanden. Das kann man in dem Papier auch nachvollziehen.

Unter dem Strich bleibt die Frage, die die Kollegin Margaretha Hölldobler-Heumüller bereits gestellt hat: Wie viel bleibt von der Initiative des Hessischen Ministerpräsidenten im Endergebnis eigentlich übrig? Es ist sehr bedauerlich, dass er heute nicht anwesend ist und nicht selbst dazu spricht, weil ich gern an seiner Seite in Berlin darum gerungen hätte, dass das Programm umgesetzt wird.Im Gegensatz zu Ihren Größen in Berlin hat sich un

ter anderem unser Parteivorsitzender Kurt Beck ausdrücklich hinter diese Initiative gestellt, weil es eine kluge und richtige Initiative ist.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich will etwas zu der Ausgangslage sagen. Die kann uns doch alle nicht beruhigen. Hessen war spitze. „Hessen vorn“ war der Slogan des Landes. An dem gerade vorgestellten Bericht „Berufsausbildung in Hessen 2006“ wird hinlänglich klar, dass die Zahlen für Hessen dramatisch sind. Sie sind mit dem, was Sie an Landespolitik geleistet haben – das sind eben die Sonderfaktoren, die in Hessen dazukommen –, auf Platz neun abgerutscht, wenn es um das Verhältnis zwischen Ausbildungsplatzangebot und Nachfrage geht – Platz neun von 16. Das kann niemanden in diesem Saal erfreuen. Insofern sind wir froh, dass Sie das Thema endlich entdeckt haben,aber das kommt etwas spät, denn die Zahlen sind nicht neu.

Weil ich weiß, dass die Situation mit Worten allein schwierig darzustellen ist, habe ich in Vorbereitung auf diese Debatte drei Schaubilder zusammengestellt.

(Der Redner hält mehrere Schaubilder hoch.)

Das erste Bild zeigt die Entwicklung der Zahl der Bewerber auf berufsbezogene Stellen in den letzten Jahren, in Ihrer Regierungszeit. Es gibt ein kleines Auf und Ab bei der Zahl der Bewerber, und in diesem Jahr gibt es einen deutlichen Rückgang der Zahl der Bewerber in Hessen.

Das zweite Bild zeigt die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in Hessen. So viel zu der Behauptung, da sei ganz viel passiert. Das ist zwar richtig, aber mit der permanenten Wiederholung der Erfolgsmeldung, man habe wieder einmal einen Bewerber und einen Ausbildungsplatz zusammengebracht – was natürlich gut ist, ich will das nicht kleinreden –, ist es nicht getan. Es ist aber gut, dass wir unsere Augen endlich auf die wirklichen Probleme richten. Die Zahlen sind eindeutig. Der Trend bei den gemeldeten Ausbildungsstellen zeigt eindeutig nach unten.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Lieber Florian Rentsch, der entscheidende Punkt ist, dass die kochsche Ausbildungslücke in Hessen stetig und deutlich anwächst. Das ist das Problem in Hessen. Sie müssen sich vorwerfen lassen, dass Sie dieses Thema erst nach sechs Jahren aufgreifen.An der Motivlage des Hessischen Ministerpräsidenten, dieses Thema zu bearbeiten, kann kein Zweifel bestehen: Sie sind im Vorwahlkampf. Das ist der Grund, warum Sie an dieser Stelle endlich etwas bewegen wollen. Das freut uns zwar im Interesse aller Jugendlichen, aber wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, dass die Selbstinszenierung des Hessischen Ministerpräsidenten auf dem Rücken von Ausbildungsstellen suchenden Jugendlichen ausgetragen wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ein paar Probleme ansprechen, die uns als Herausforderung auf den Tisch gelegt sind. Ich will ausdrücklich auf das Thema „Ausbildung neben der betrieblichen Ausbildung“ eingehen, das Herr Holler angesprochen hat. Nach den Zahlen, die die Hessische Landesregierung herausgegeben hat, sind im letzten Jahr 36.106 Jugendliche in Hessen in einer betrieblichen Ausbildung gewesen. 35.159 davon waren in vollschulischen Maßnahmen untergebracht.Das ist also fast der gleiche Anteil,fast derselbe Personenkreis, der in einer betrieblichen Ausbil

dung ist – wobei wir es grundsätzlich für richtig halten, dass eine duale Ausbildung stattfindet. Die Ausbildung findet inzwischen in vollschulischer Form statt, trotzdem ist die Ausbildungslücke nach wie vor dramatisch groß. Das löst eine Krise im dualen Ausbildungssystem aus. Über die können Sie zwar den ideologischen Schwamm ziehen nach dem Motto „Das wollen wir alles nicht wahrnehmen“, aber das sind Zahlen, die Ihre eigene Landesregierung herausgegeben hat. Hier haben wir also ein großes Problem.

Ich will noch ein paar Zahlen anführen. Sie wenden aus dem Landeshaushalt – überwiegend aus ESF-Mitteln – 52 Millionen c für die verschiedenen Programme auf.Die BA wendet noch einmal 90 Millionen c auf. Es gibt interessante Zahlen des Bundesinstitutes für Berufsbildung, das im Jahre 2001 eine empirische Untersuchung zu den Ausbildungskosten gemacht hat. Ich sage das jetzt nicht polemisch,sondern deshalb,weil ich glaube,dass das wirklich ein Problem ist.Wir waren letztes Jahr in der Diskussion mit Herrn Boddenberg bereits so weit, festzuhalten, dass es hier ein Problem gibt.Die Bruttokosten eines Ausbildungsplatzes, über alle Branchen gemittelt, liegen bei 16.400 c pro Jahr. Die Hälfte dieses Betrages sind Personalkosten. Wenn Sie die Erträge einrechnen, die ein Auszubildender erbringt, kommen Sie nach den Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung auf Nettokosten in Höhe von 2.500 c pro Ausbildungsplatz und Jahr.

Wenn Sie diese Summe mit der Zahl der Jugendlichen multiplizieren,die in beruflicher Ausbildung sind,nämlich 36.106, kommen Sie auf ein Gesamtvolumen von etwa 90 Millionen c in Hessen. Das ist dieselbe Summe, die die BA zur Verfügung stellt. Das ist deutlich mehr als das, was das Land aus verschiedenen Programmen zur Verfügung stellt, wobei der Anteil, der vom Kultusministerium für vollschulische Maßnahmen aufgebracht wird, nicht eingerechnet ist.

Langer Rede kurzer Sinn:Wir haben hier lange und heftig über Ausbildungsumlagen und über die Frage gestritten, ob es dafür eine Notwendigkeit gibt. Es ist doch längst Fakt, dass es eine andere Finanzierungsstruktur der Ausbildung gibt, weil wir mit einem wirklich dramatisch hohen Anteil an öffentlichen Mitteln Aufgaben wahrnehmen, die eigentlich die Unternehmen zu leisten haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Verantwortung. Die Debatte um die Umlage ist deswegen ein Sturm im Wasserglas, weil die betriebliche Ausbildung in Wirklichkeit – das ist das Perfide an dieser Form der Umlagefinanzierung – vom Steuerzahler getragen wird. Das sollte aber ausdrücklich nicht der Fall sein, weil das Bundesverfassungsgericht die Aufgaben 1982 anders geteilt hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das einmal zur Kenntnis nehmen würden.

(Beilfall bei der SPD)

Die schleichende Vergesellschaftung der Ausbildungskosten ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.

Damit komme ich zum letzten Punkt, der politischen Bilanz und dem Thema Glaubwürdigkeit angesichts der Daten und Fakten, die ich eben genannt habe, die wir aus Veröffentlichungen der Landesregierung, der BA oder des Bundesinstituts haben, und angesichts der Ignoranz, die die Union bei der Behandlung dieses Themas durchgängig an den Tag gelegt hat.Von der Verpflichtung, einen eigenen Teil an Ausbildung im Landesdienst zu organisieren, will ich jetzt gar nicht reden. Während Rot-Grün

20 % mehr Ausbildungsplätze an Bundesbehörden draufgelegt hat, haben Sie in Hessen das genaue Gegenteil getan. Sie haben mit der „Operation düstere Zukunft“ Stellen reduziert, wo Sie nur konnten, und mit der PVS haben Sie richtig hineingesemmelt. Sie werden auch dort Ihren Aufgaben nicht gerecht.Wenn die Zahlen richtig sind, die Sie, glaube ich, nicht widerlegen können, wäre es gut, wenn die Nummer eins in der Arbeitsmarktpolitik,gefolgt von der Nummer zwei und der Nummer drei, den Sonntagsreden der letzten sechs Jahre endlich Taten folgen lassen und endlich einen nachhaltigen Beitrag leisten würde. Wenn das passiert, haben Sie uns an Ihrer Seite.Aber die Hausaufgaben müssen Sie erst noch machen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)