Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Als nächstem Redner erteile ich Herrn Rentsch für die FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP bedankt sich ganz ausdrücklich bei allen Fraktionen, der CDU, der SPD und den GRÜNEN, weil die Debatte in diesem Hause wieder eines gezeigt hat: Es gibt drei staatsgläubige Fraktionen in diesem Hause und eine Fraktion, die nicht immer zuerst den Staat zur Lösung von Problemen herbeiruft. Das sind die Freien Demokraten.

(Beifall bei der FDP)

Man konnte dieses Spektakel auch im Sommer erleben. Da hat sich ein Trio Infernale, bestehend aus Sommer, Koch und Oskar Lafontaine, für dieses Programm ausgesprochen.Wir hoffen, dass sich Herr Koch nicht nur gegen Herrn Baring, sondern demnächst auch gegen Herrn Lafontaine abgrenzt.

(Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen ganz offen: Wir bekommen schon ein wenig Angst, wenn wir sehen, was da auf uns zurollt.

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch erstaunlich, dass Roland Koch bei seiner Rede vor dem DGB sofort versucht, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund einig zu werden. Ich hoffe, dass er demnächst nicht beim BUND und bei anderen Organisationen ähnliche Reden hält und dort versucht, nachzugeben. Auch das macht uns Angst.

(Beifall bei der FDP)

All das ist der zweite Akt in dem Drama „Roland Koch bei der Selbstfindung und bei der Beantwortung der Frage, für was die CDU wirklich steht“.

In dieser Selbstfindung hat er auch nicht davor zurückgeschreckt, diese Vorschläge im Sommer zu machen. Er hat immerhin einige Tage damit die Gazetten füllen können. Aber – das war das Enttäuschende – Frau Merkel hat nicht „Bravo, Bravo, Bravo“ geschrien, wie es einige SPDKollegen hier immer ganz gerne tun. Nein, Frau Merkel nicht, Herr Kauder nicht, und auch andere führende SPDund CDU-Funktionäre haben gesagt: Diese Idee ist nicht gut.

Wir finden es schade, dass Herr Koch so wenig Anklang in den eigenen Reihen findet. Wir müssen ihn aber enttäuschen. Auch bei uns wird er keinen Anklang mit diesen Vorschlägen finden. Denn diese Vorschläge sind wie immer nicht geeignet,um die wirklichen Probleme in diesem Lande in dem Bereich zu lösen.

(Beifall bei der FDP)

Man kann das nicht oft genug wiederholen, und man kann ganz einfache Beispiele bringen. Sie haben sich vor der Bundestagswahl – das habe ich heute schon erwähnt, aber ich sage es gerne noch einmal – für eine ordentliche Wirtschaftspolitik eingesetzt, für die Senkung von Lohnnebenkosten. Sie wollten Unternehmen entlasten, und Sie wollten auch die Ausbildungsregelungen flexibilisieren, die Unternehmen entlasten. Bis jetzt ist davon nichts umgesetzt worden. Stattdessen haben Sie verschiedene Reformprojekte, wie z. B. die Gesundheitsreform und das brillante Fondsmodell, das einen ganz neuen Bereich schaffen wird, nämlich öffentliche Einzugsstellen für die Krankenkassenbeiträge.

Herr Kollege Holler, Sie haben eines geschafft: Sie gefährden 400 Arbeitsplätze bei der Techniker Krankenkasse in Frankfurt,die dort eine Einzugsstelle hat,wo Beiträge eingezogen werden, wo auch ausgebildet wird. Ich frage Sie ganz konkret: Sind Sie der Auffassung, oder wissen Sie vielleicht schon, dass die öffentliche Einzugsstelle, die durch CDU und SPD bald gegründet wird, auch ausbildet? Ist das eine Stelle, die demnächst ein Zukunftsbereich in diesem Land sein wird? – Wir wissen es beide ganz genau: Das wird sie nicht sein. Sie vernichten mit Ihrer Reformpolitik legale und reguläre Ausbildungsplätze. Das ist das Ergebnis Ihrer Reformpolitik.

(Beifall bei der FDP)

Die Kollegin Hölldobler-Heumüller hat hier die Frage der Qualität diskutiert. Ich will konkret sagen – das sage ich auch zu Herrn Schäfer-Gümbel –:Wir sind uns bei diesem Thema einig. Ich habe das selbst vor Kurzem in der Familie erlebt: Wenn jemand einen Ausbildungsplatz sucht, ist das kein Zuckerschlecken. Denn einerseits steht man mittlerweile hohen Anforderungen der Unternehmen und Betriebe in Hessen gegenüber – zu Recht.Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass die Qualität der Auszubildenden, die sich bewerben, relativ häufig zu wünschen übrig lässt.

Ich kann das für uns – ich habe das hier schon einmal erwähnt – in der Kanzlei sagen: Wir haben in den letzten drei Jahren sechs Auszubildende gehabt.Wenn Sie sehen, was da für Bewerbungen kommen: Da ist es nicht hilfreich, wenn Menschen, die sich um eine Stelle bewerben, wo man Rechtschreibung relativ häufig braucht, die einfachsten Regeln nicht beherrschen.

Das hat sich in der letzten Zeit möglicherweise etwas gebessert

(Norbert Schmitt (SPD): Die Untersuchungen sagen etwas anderes!)

durch die Verschärfung und die Qualitätsoffensive der Landesregierung bei den Haupt- und Realschulen. Aber es ist doch bei Weitem nicht ausreichend.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen in diesen Bereich investieren und dürfen den Blick nicht immer auf die Unternehmen richten, nach dem Motto: Die Unternehmen sollen Ausbildungsplätze schaffen. – Die Unternehmen haben – auch zu Recht –

von der öffentlichen Hand zu erwarten, dass sie bei den Auszubildenden eine ordentliche Qualität liefert.Wir sind in der Pflicht, dies zu erbringen. Davon sind wir meilenwert entfernt.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt bei diesem Thema noch weitere Fragen, die ich gerne diskutiere. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass der Kollege Schäfer-Gümbel hier eine Grafik hochgehalten hat, die seiner Meinung nach genau verdeutlicht, dass es immer weniger Ausbildungswillige und immer weniger Ausbildungsstellen in Hessen gibt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein! Bewerber, die sich bei der BA gemeldet haben, mit Verlaub!)

Wunderbar, vielen Dank. Das ist genau das Stichwort. Ich darf mich bedanken. Sie sind als Souffleur hervorragend geeignet.

(Norbert Schmitt (SPD): Der Redner hat es auch nötig!)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie wissen vielleicht, dass einer Umfrage der IHK zufolge mittlerweile viele Unternehmen überhaupt nicht mehr bei der BA melden, weil sie es nämlich leid sind, sich mit Bürokratie, mit BA-Mitarbeitern und mit deren Unfähigkeit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das erhöht nur das Problem der Grafik, mit Verlaub!)

Das zeigt nämlich das Dilemma, in dem wir uns befinden.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja, ist die BA daran schuld?)

Die Frage ist nicht,ob es wirklich so wenige Unternehmen gibt, die ausbilden wollen. Das Hauptproblem ist, dass viele Unternehmen nicht bei der Bundesagentur melden, weil sie dieses Kasperletheater leid sind. Das ist das Problem, Herr Schäfer-Gümbel.

(Beifall bei der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich habe die Bilanzen! Ich schicke sie dir zu!)

Das zeigt:Man kann ganz sachlich sagen,dass die Bundesagentur für Arbeit nicht geeignet ist,diesen Bereich zu betreuen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann entziehen wir dem Bürokratiemoloch BA diesen Bereich und geben ihn in eine andere Organisationsform, weil die BA bewiesen hat,dass sie das nicht kann.Dieser Trend ist nicht neu.Der Trend ist mittlerweile Jahrzehnte alt,

(Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

dass Unternehmen nicht mit der BA kooperieren wollen. Meine Damen und Herren, das zeigt, dass wir hier eine Schimärendiskussion aufmachen. Sie wollen öffentliche Programme. Aber die eigentlichen Probleme, die Sie mit Unternehmern und Kleinbetrieben besprechen könnten, gehen Sie in keiner Weise an.

(Reinhard Kahl (SPD): Die gleiche Krankheit wie der Niebel!)

Es ist insofern nicht verwunderlich, dass Grün, Schwarz und Rot sich hier für eine weitere Staatslösung ausge

sprochen haben.Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten von Ihnen weitere Lösungen hören, wie man eine Wirtschaft staatlich organisieren kann. Die Staatswirtschaft steht vor der Haustür. Das kann man nicht nur bei der Gesundheitspolitik von Schwarz-Rot sehen.

(Norbert Schmitt (SPD): Wollen wir sie reinlassen?)

Lassen Sie uns einmal ganz konkret schauen, was RotGrün und Schwarz-Rot in den letzten Monaten getan haben, wenn es darum geht, andere Formen der Ausbildung, wie z. B. die überbetriebliche Ausbildung, zu fördern. Es ist wirklich blanker Zynismus – Herr Schäfer-Gümbel, deshalb bin ich sehr erstaunt über Ihre sehr markigen Worte hier vorne –, dass gerade Sie sich für die überbetriebliche Ausbildung so einsetzen. Ich finde, man kann darüber diskutieren, ob das ein sinnvoller Ansatz ist. Ich glaube, es ist ein Baustein, um den Bereich Ausbildung zu komplettieren.

Rot-Grün hat in den letzten sieben Jahren die Mittel für die überbetriebliche Ausbildung von 70 Millionen c auf 30 Millionen c zurückgefahren. Schwarz-Rot hat in diesem Bereich weiter gekürzt. Einzig ein Antrag der FDP im Bundestag konnte verhindern, dass noch weiter gekürzt wird. Dem ist nämlich zugestimmt worden. Deshalb muss man in dieser Frage immer ehrlich bleiben. Man kann nicht auf der einen Seite etwas fordern, was man auf der anderen Seite versucht finanziell auslaufen zu lassen. Das ist unehrlich.Das zeigt auch,dass Ihre Ansätze in diesem Bereich falsch sind.

(Beifall bei der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Meinungsföderalismus!)

Der nationale Pakt für Ausbildung war der Versuch, gemeinsam mit den Arbeitgebern in diesem Land für dieses Problem etwas auf die Beine zu stellen, zu sensibilisieren und klarzumachen, dass Ausbildung eine Pflicht der Unternehmen ist. Unternehmen haben Rechte. Sie können sich in diesem Land in ihrer Infrastruktur bewegen, die die öffentliche Hand bereitzustellen hat. Dafür sind wir verantwortlich. Aber es gibt auch eine Verpflichtung der Unternehmen, auszubilden. Ich glaube, ich kann dem, was der Kollege Boddenberg gesagt hat, zustimmen: Es wird viel ausgebildet. – Aber, Herr Kollege Boddenberg, das haben Sie vergessen zu sagen: Wenn Sie die Unternehmen fragen, warum in vielen Bereichen nicht ausgebildet wird,

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

dann sagen sie, dass ein Auszubildender eine Investition für ein Unternehmen ist.Ich investiere dann,wenn ich der Meinung bin, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mir eine Investition ermöglichen.