Heute sind wir auf dem Marsch nach vorne.Wenn uns gelegentlich die GEW lobt, was selten vorkommt, dann wollen wir Ihnen das nicht vorenthalten. Das war vor einigen Monaten im „Wiesbadener Kurier“ nachzulesen: „Die Lernbedingungen für Schüler wie auch ihre Chancen auf einen qualifizierten Schulabschluss klaffen zwischen den einzelnen Bundesländern immer weiter auseinander.“ Das ist auch das Fazit einer jetzt veröffentlichten Studie der Bildungsforscher im Auftrag der Bundesgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ich zitiere: „Gute Lernvoraussetzungen wie auch Chancen auf einen qualifizierten Arbeitsplatz nach Schule und Studium sehen die Autoren besonders in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.“ Damit können wir – glaube ich – ganz zufrieden sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 21. September hat Bundespräsident Horst Köhler, der Tradition der Berliner Reden folgend, seine große Rede zum Thema Bildung gehalten. Es ist gut so, dass ein Bundespräsident dieses Thema gewählt hat, um zu zeigen, dass er die Bedeutung der Bildung als wichtigsten Rohstoff des 21. Jahrhunderts anerkennt und dies allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes vermitteln will.
Meine Damen und Herren, das müsste uns Abgeordnete eigentlich alle freuen; es müsste insbesondere die Bildungspolitiker freuen.
Gerade deshalb finde ich den Umgang mit dieser wirklich hochinteressanten und qualifizierten Rede vonseiten der SPD-Fraktion in Hessen äußerst bedauerlich.
Es stellt sich wirklich die Frage: Haben Sie diese Rede eigentlich einmal vollständig in ihrem Zusammenhang gelesen, ohne dass Sie gleich einzelne Sätze herausgepickt und überprüft haben, wie man diese parteipolitisch verwenden und einsetzen kann? Das kann ich mir fast nicht vorstellen. – Frau Habermann, auch Ihre heutige Rede war wieder sehr von Alltagspolemik in Hessen geprägt und hat sich inhaltlich wirklich nicht mit der Thematik der Rede des Herrn Köhler auseinandergesetzt.
Zu dem komme ich auch noch. – Aber Sie haben in Ihrem Antrag einfach Zitate der Rede genommen, diese aus dem Zusammenhang gerissen und ihnen in Ihrer Schlussfolgerung eine völlig andere Bedeutung gegeben. Dann haben Sie diese noch als Feststellung des Landtags zur Abstimmung gestellt. Das ist doch völlig undifferenziert zwischen Hessen und Deutschland.Wir können hier doch nicht einzelne Teile aus einer Rede nehmen und sagen: Das beschließen wir jetzt hier.
Dann haben Sie diese noch mit Ihren eigenen bildungspolitischen Ideologien verbrämt und haben etwas dazugepackt,was eigentlich überhaupt nicht dazugehört.In Ihrer Rede werfen Sie der CDU auch noch ständig eine ideologische Schulpolitik vor; da haben Sie zwar recht, aber das gilt für Sie in gleichem Maße. Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen.
Der Umgang mit dieser Rede im Antrag der SPD-Fraktion ist unseriös und wird der Qualität der Rede überhaupt nicht gerecht. Ich will Ihnen daraus auch zwei Beispiele geben: Sie haben im SPD-Antrag, Punkt 3, aus einem Satz der Rede des Herrn Köhler eine Folgerung gezogen, und diese Schlussfolgerung lautet wie folgt: „Nicht die Kinder müssen den Institutionen angepasst werden, sondern die Institutionen müssen sich der Unterschiedlichkeit der Kinder anpassen.“
Herr Irmer, das kann man nur unterschreiben; und das würden Sie genauso unterschreiben. Das Fazit muss aber lauten: Die Schulen müssen entsprechend den unterschiedlichen Begabungen der Kinder ebenfalls unter
Eine Einheitsschule kann niemals allen Kindern gerecht werden. Es gibt nun mal Kinder, von denen man mit neun oder zehn Jahren bereits sagen kann: Sie sind fürs Gymnasium talentiert, oder aber sie werden Schwierigkeiten haben, wenn sie auf die Realschule oder aufs Gymnasium gehen. – Köhler sagte nämlich auch sehr klar, es müsse klare Bildungsziele, ein Klima der Bildungsfreude und ein modernes Bildungswesen geben; diesen Dreiklang bräuchten wir heute wieder.
Wir brauchen klare Bildungsziele, und dieses moderne Bildungswesen heißt, dass Sie die Hauptschule sehr viel mehr stärken,ihr eine eigene Didaktik geben und sich viel intensiver um die Eigenschaften der Hauptschüler kümmern müssen,statt zu sagen:Wir schaffen die Hauptschule einfach ab.
Nun zur zweiten Folgerung des SPD-Antrags, Punkt 5: „Hürden für den schulischen Aufstieg und Lehrpläne, die Durchlässigkeit verhindern, passen nicht zum Ziel gleicher Bildungschancen.“ Gerade weil Kinder so verschieden sind, brauchen sie dringend verschiedene Lehrpläne, und sie brauchen ganz dringend verschiedene Leistungsanforderungen.Wie soll denn ein Kind ohne Hürden lernen, sich anzustrengen? Wo bleiben der Stolz und das Selbstwertgefühl, wenn eine Leistung vollbracht und diese dann auch noch gut bewertet worden ist?
Köhler sagt sehr deutlich, dass Bildung mehr Anstrengung brauche. Aber diese Mühen – Anstrengung und Beharrlichkeit – tragen auch ihren Lohn in sich. Er fordert die Anstrengung der einzelnen Kinder; er fordert die Anstrengung der Schule.– Ich zitiere Wolfgang Gerhardt,der schon vor zehn Jahren gesagt hat, Leistung sei keine Körperverletzung.
Frau Habermann, die Diskussion um Durchlässigkeit oder Anschlussfähigkeit stammt nicht von den Ewiggestrigen. Auf unserem Hauptschulforum haben wir einen sehr interessanten Vortrag von Herrn Prof. Duncker, einem Erziehungswissenschaftler aus Gießen, gehört. Er hat nämlich gesagt:Wenn man Kinder wirklich individuell und entsprechend ihren Fähigkeiten fördern will, wäre es dann nicht besser, einmal zu überlegen, ob man die Mär von der permanenten Durchlässigkeit endlich beendet? – In ganz Deutschland gibt es nur 3 bis 5 % der Schüler, die aufsteigen, die aufgrund der Durchlässigkeit nach oben gehen. Es gibt aber 95 % der Schüler, die eben in diesem Schulsystem bleiben oder dann über eine Anschlussprüfung aufsteigen. Deshalb sollte man sich vielleicht wirklich überlegen, ob man nicht für die 95 % der Schüler, die in einem Schulsystem verbleiben, vernünftige und klare Vorgaben macht, ihnen deutlichen Unterricht gibt, dann aber die Übergänge genau definiert und sie von Schule zu Schule abspricht, sodass für denjenigen, der in seinem Schulsystem gut war und einen guten Abschluss gemacht hat, die Übergangsfähigkeit und Anschlussfähigkeit wesentlich besser gewährleistet ist.
Jetzt komme ich zum CDU-Antrag. Es stellt sich wirklich die Frage: Müssen Sie eigentlich auf jeden noch so
Auch Sie haben aus der Rede des Bundespräsidenten nur das herausgelesen, was genau in Ihre Richtung passt, und nicht die Mahnungen und Ermahnungen gesehen, die bei Ihnen ebenfalls Kritik auslösen könnten.
Sie stellen das in Ihrem Antrag so dar, als wäre das eine 150-prozentige Erfolgsbilanz. Das halte ich für ziemlich unsensibel.
Herr Irmer, Sie haben hier gesagt, Sie seien auf dem richtigen Weg.Wenn Sie das in Ihrem Antrag geschrieben und dann noch gesagt hätten, Sie nähmen die Vorgaben des Herrn Köhler ernst, bemühten sich und seien guten Willens, dann wäre das auch in Ordnung gewesen.Aber nein, es wird in dem Antrag lediglich verkündet:Wir tun bereits alles; wir sind sowieso die Besten. – Ein wenig Selbstreflexion und Selbstkritik haben noch keinem geschadet, insbesondere keiner absoluten Mehrheit.
Köhler hat nämlich auch für Hessen einiges Richtiges und Mahnendes gesagt. Auch da muss ich Sie fragen, ob Sie wirklich die ganze Rede gelesen haben.
Er hat gesagt: „Darum brauchen Schulen nicht nur Lehrpläne, Stellen- und Budgetpläne, sondern sie benötigen innerhalb dieser Pläne auch Freiheit für eigene Gestaltungsideen.“ Diese Freiheit mahnen wir ständig an; und diese Freiheiten sind noch nicht einmal bei den Modellschulen der Selbstverantwortung plus angekommen. Wir haben beim letzten Mal wieder gehört, mit welchen Vorschriften und bürokratischen Vorgaben diese geknebelt werden.
Einen Absatz weiter hat Herr Köhler gesagt: „Für all das brauchen Schulen aber auch Ruhe. Ihre Kraft darf nicht durch ständig neue bildungspolitische Vorgaben ermüdet werden.“ Das passt genau zu den vielen Baustellen, die wir in Hessen haben, wo die Schulen vor lauter neuen Dingen überhaupt nicht mehr durchblicken und einfach sagen:Wir möchten nur noch in Ruhe unterrichten.
Zum Thema Unterrichtsgarantie plus hat er auch etwas gesagt; ich hoffe, das haben Sie auch gelesen: „Viele so gute Beispiele zeigen: Bürgerschaftliches Engagement kann den Schulen wirksam helfen.“ – Das ist völlig richtig.
„Es darf aber keine Missverständnisse geben: Bildung ist vor allem das Geschäft der Schule und die Hauptverantwortung für den Unterricht tragen die Profis.“ – Es ist also nichts mit der Unterrichtsgarantie plus und nach drei Tagen Fachunterricht von Laien.
(Beifall bei der FDP – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Lesen Sie einmal den Part über die Studenten in Köln!)
Für die FDP ist die zentrale Aussage dieser Rede: Gute Bildung stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Der Bundespräsident hat ganz bewusst seine Rede in einer Berliner Hauptschule gehalten und sich mit diesem Thema sehr intensiv befasst. Er hat auch auf die Bedeutung der frühkindlichen Bildung hingewiesen und darauf, dass an die Schule gemischtes Personal kommen sollte. Ich will diese drei Punkte noch einmal kurz anreißen.
Zur Hauptschule. Die Förderung nach Neigung und Begabung muss ganz gezielt auf die Eigenschaften und Begabungen der Jugendlichen in der Hauptschule ausgerichtet sein. Man muss die Hauptschule in ihrer Art stärken; und man muss die Jugendlichen stärken, die in diese Schule gehen. Die Abschaffung der Hauptschulen, wie es in manchen Ländern gemacht wird und wie es immer noch gefordert wird, ist völlig unsinnig, weil damit nicht der Hauptschüler abgeschafft wird, sondern er bleibt, und um diesen muss man sich kümmern.
Hauptschüler lernen anders. Sie haben auch sehr viel weniger Zeit zum Lernen, weil sie sehr viel früher in den Beruf gehen müssen. Sie müssen praxisorientiert lernen. Sie müssen an konkreten Projekten lernen. Sie müssen auch sehr früh ein berufliches Ziel vor Augen haben. Das heißt, sie müssen sehr früh in die Praxis gehen. Sie müssen sehr früh an Nachmittagen Betriebe kennenlernen. Denn erst, wenn sie wissen: „Das möchte ich werden, das könnte mich als Beruf reizen“, lernen sie sehr viel zielorientierter und sehr viel besser.
Hauptschulen müssen zu Ganztagsschulen gemacht werden; denn an den Hauptschulen sind gerade die Kinder, die von zu Hause nicht so viel Förderung erhalten, die aus bildungsfernen Elternhäusern kommen und die oft Migrationshintergrund haben. Wenn sie den ganzen Tag in der Schule sind, Bildungsanregungen haben und mit ihren Kameraden Deutsch sprechen, ist das für sie sehr viel besser.