Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

Da sind wir nun gefragt. Das können nämlich wir regeln. Wir können Jugendlichen durchaus nahebringen,wie man sich in Kommunalparlamenten, in Kinder- und Jugendparlamenten – ihnen angemessen – engagieren kann. Das können wir regeln. Da sehe ich ein großes Aufgabenfeld für uns, Kindern und Jugendlichen Politik ganz praktisch beizubringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Schauen Sie sich doch einmal in Gemeindeparlamenten und Kreistagen um. Wie dort die Debatten ablaufen, das hat wenig Charme für Zuhörerinnen und Zuhörer jeglichen Alters. Das können wir ändern. Wir können nicht nur Kindern und Jugendlichen, sondern durchaus auch Erwachsenen ein bisschen mehr an Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten einräumen.Aus meiner Sicht müssen Instrumente wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheid handhabbarer werden.Wir müssen Bürgeranträge ermöglichen, in Parlamenten Fragerechte einräumen. Was erleben wir da bisher? Ganz wenig Bereitschaft, sich auf diesen ganz praktischen Weg der Beteiligung und Mitbestimmung auch einzulassen. Ich denke, hier liegt ein weites Handlungsfeld, wie wir die Wahlbeteiligung steigern können.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen. Der Berufsstand der Politikerin und des Politikers genießt geringes öffentliches Ansehen. Es wird auch ganz eifrig daran gearbeitet,um dieses Ansehen noch weiter nach unten zu bringen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider ja!)

Ich darf Sie nur auf die aktuelle Debatte um die Venedigreise der Landräte, die die EAM gesponsert hat, hinweisen. In der „Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen“ – manchmal ein kluges Blatt –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manchmal!)

wurde am 2.Oktober der Direktor des Hessischen Städteund Gemeindebundes interviewt. Er sagt:

Leider führen solche Fälle immer zu sehr pauschalen Urteilen über Politiker. Das ist schade und auch unfair denen gegenüber, die kritischer mit Einladungen umgehen. Bedauerlicherweise führt es im Endeffekt auch dazu, dass keiner mehr sich ehrenamtlich in der Politik engagieren will, so als wäre Politik per se etwas Schlechtes. Hier sehe ich durchaus auch bei den Medien eine Aufgabe, nicht nur über negative Einzelfälle zu berichten, sondern auch die Bedeutung von Politik für das Zusammenleben darzustellen.

Ich muss sagen: Da hat Herr Direktor Schelzke recht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Das macht die Presse auch differenziert!)

Unsensibles Verhalten, das sich in die Nähe von Vorteilsannahme rücken lässt, unsensibles Verhalten bei der Auftragsvergabe, das den Vorwurf der Vetternwirtschaft

greifbar macht – das senkt das Ansehen der Politik und schafft Raum für Politikverdrossenheit und Wahlenthaltung.

Politikenthaltung,Wahlenthaltung hat ihren wesentlichen Grund darin – das ist meine Analyse –, dass sich Menschen in der Politik nicht ernst genommen, nicht hinreichend mitgenommen fühlen. Trotzdem – jetzt schlage ich den Bogen zum Antrag der FDP – haben wir natürlich auch Anlass, uns immer wieder über das Kommunalwahlrecht Gedanken zu machen und zu prüfen, ob wir es den Wählerinnen und Wählern nicht an manchen Stellen unnötig schwer machen. Da greifen Sie von der FDP ein altes Motto meiner Großmutter auf:Aufgewärmt schmeckt immer noch am besten.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wie alt ist die? Auch 85?)

Meine Großmutter – Gott hab sie selig – ist inzwischen leider verstorben, aber ich habe sie in guter Erinnerung. Das war einer ihrer wesentlichen Sprüche, die mir das Leben immer noch erleichtern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben schon bei der Einführung von Kumulieren und Panaschieren dafür plädiert, dass wir den Menschen – wie auch in Baden-Württemberg – den Stimmzettel nach Hause schicken, damit er in Ruhe dort ausgefüllt werden kann. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie waren damals noch in der Regierungsmitverantwortung und konnten unserem Vorschlag nichts abgewinnen. Aber manchmal wächst der Erkenntnisgewinn in der Opposition.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt wird das von Ihnen beantragt. Ich denke, an diesem Punkt sind wir nicht weit auseinander.

Stichwort: Stimmabgabe über das Internet. Über diese Idee wird nicht nur in der FDP nachgedacht, sondern auch aus GRÜNEN-Kreisen gibt es derartige Überlegungen. Aber wir haben vom Kollegen Rudolph gerade gehört, ihre Realitätstauglichkeit ist noch nicht ganz erwiesen.

(Zuruf des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Möglicherweise bringt uns dazu die Anhörung einen Erkenntnisgewinn. Ich bin sehr gespannt, was uns mögliche Experten dazu sagen.

Herr Hahn, zum Stichwort Scheinkandidaturen. Ich glaube, manchmal führen Sie da in der FDP ein bisschen eine Scheindiskussion. Ich würde gern einmal mit Ihnen gemeinsam die Reihe der hauptamtlichen Dezernentinnen und Dezernenten durchgehen, die der FDP angehören: wie die sich denn bei der letzten Kommunalwahl verhalten haben, ob das so alles „Lobet den Herrn“ war, wie Sie uns das hier glauben machen wollen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das haben wir doch überhaupt nicht glauben machen wollen! Haben Sie mir überhaupt zugehört?)

Ich habe Ihnen zugehört.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ich habe genau das Gegenteil gesagt!)

Herr Hahn, Sie haben das gesagt. Damit sind wir beim Stichwort Glaubwürdigkeit der Politik.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Genau das Gegenteil!)

Hier das eine zu verkünden und zu sagen – –

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie haben ein Problem mit der Glaubwürdigkeit! Sie sagen doch das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe!)

Sie stellen sich hierhin und sagen, Scheinkandidaturen wollen wir verhindern – und dann haben wir Amtsträger Ihrer Partei, die genau andersherum handeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wollen Sie das beibehalten oder nicht? Wollen Sie Polemik machen? Oder wollen Sie fachlich sagen, Sie wollen das verhindern?)

Ich will durchaus keine Polemik machen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie machen es doch gerade!)

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie sagen, dazu hätte ich nichts gesagt! Das können Sie im Protokoll nachlesen!)

Herr Hahn, diese Diskussion führen wir vielleicht nachher im Zwiegespräch draußen weiter. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Ich finde diese „Scheinkandidaturen“ durchaus problematisch. Allerdings sehe ich keinen verfassungsrechtlich haltbaren Weg, wie wir das ausschließen können.

Ich denke, der einzige Weg ist, damit politisch umzugehen und politisch klarzumachen, dass die Menschen, die da kandidieren, nicht ernsthaft für dieses Amt zur Verfügung stehen. Das ist für mich ein ehrlicher politischer Umgang mit dieser Frage – statt ein Problem hochzuziehen, von dem ich weiß,dass ich es nicht lösen kann.Das ist die Herangehensweise, mit der ich das für mich klären möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier ist für mich ein anderer Punkt viel ärgerlicher. Wir haben nämlich unsere Kreistage inzwischen zu einer Art Bürgermeisterdienstversammlung umfunktioniert. Wäre es nicht sinnvoll, da einmal zu schauen, ob wir nicht den amtierenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern entsprechende Beschränkungen auferlegen können?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Mein letzter Punkt ist das Stichwort Stimmzettel. Kolleginnen und Kollegen von der FDP,Sie wollen ihn noch ein bisschen größer machen, indem Sie noch mehr Angaben darauf unterbringen. Das sollten wir im Interesse der Lesbarkeit nicht tun, sondern vielmehr versuchen, den gewonnenen Platz barrierefrei zu verwenden und die Schrift größer zu machen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatsminister Bouffier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Die Landesregierung geht davon aus, dass wir im Ausschuss die Durchführung einer Anhörung beschließen werden und dort Gelegenheit sein wird, sich zu allen Fragen intensiv auszutauschen. Ich will mich deshalb auf wenige Bemerkungen beschränken.

Von allen Rednern ist das Thema Wahlbeteiligung angesprochen worden. Ich bleibe ausdrücklich bei der Feststellung, die ich nach der Kommunalwahl getroffen habe und die eben schon zitiert wurde: Es ist meine feste Überzeugung, dass unser Kommunalwahlsystem mit der Frage, wie hoch oder wie niedrig die Wahlbeteiligung ist, schlicht nichts zu tun hat.

Sie können sich Wahlsysteme aller Art anschauen. Dann werden Sie feststellen, dass wir durch die Bank einen deutlichen Rückgang der Wahlbeteiligung haben, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Teilweise wird es für normal gehalten – es war in vielen Ländern nie anders –, dass die Wahlbeteiligung zwischen 40 und 60 % liegt.

Es ist aus meiner Sicht ein schlagendes Argument, wenn an einer Direktwahl, bei der nur ein einziger Kandidat zur Wahl steht, wo es keinerlei Verwirrung geben kann, wo kein Stimmzettel zu groß oder zu klein ist, wo auch alle aus meiner Sicht wenig tragfähigen kritischen Bemerkungen entfallen, gerade einmal 32 % der Wählerinnen und Wähler teilnehmen, wie das bei der Oberbürgermeisterwahl in Offenbach vor zehn Jahren und bei der darauffolgenden Wahl der Fall war.

Das hat ganz und gar nichts mit der Gestaltung des Wahlzettels zu tun. Die Ursachen liegen tiefer und sind unterschiedlicher Art. Ich will jetzt nicht der Versuchung erliegen, auch meinerseits zu der Frage, warum nicht mehr Wähler bereit sind, zur Wahl zu gehen, auszuführen und Ihnen die Zeit zu stehlen. Ich möchte nur festhalten: Ganze Legionen von Fachleuten sind in dieser Sache unterwegs, schreiben Bücher, halten Festvorträge. Nach meiner festen Überzeugung gibt es aber keine monokausale Begründung.Es gibt viele Gründe.Manches von dem, was hier gesagt wurde, unterstreiche ich, manches erscheint mir sehr vordergründig. Ich bitte um Nachsicht: Wenn wir uns diesem Thema ernsthaft zuwenden wollen, dann geht das nicht in Redebeiträgen von drei Minuten. Dann müssen wir uns intensiver austauschen. Im Ausschuss werden wir dazu Gelegenheit haben. Dann will ich das gerne tun.