Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

Aber Herr Lenz, wissen Sie, es gibt Zahlen und Fakten, die ihre eigene Sprache sprechen.Wir wissen nun einmal, dass aus schwierigen sozialen Milieus – wo die Eltern den Euro zweimal umdrehen müssen – die Studierendenzahlen drastisch, fast um die Hälfte, zurückgegangen sind.

Sie haben doch auch Besucherklassen. Wir reden hier auch von psychologischen Hürden. Sie haben doch auch Abiturientenklassen im Landtag zu Besuch. Haben Sie einmal mit denen geredet? Die erzählen Ihnen nichts anderes. Das sind genau die, die es betrifft – mit Migrationshintergrund, deren Eltern nicht den dicken Geldbeutel haben. Ich habe mit ihnen geredet. Die sagen Ihnen, ihre Eltern sagen: Lass das erst mal mit dem Studium, das sind doch große Schulden;lern erst mal einen ordentlichen Beruf.– Die streben dann auf den Ausbildungsmarkt,weil sie sich eben nicht trauen, mit solch hohen Schulden ins Leben zu gehen.

(Beifall bei der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Lenz,ich sage Ihnen ein Weiteres.Der Herr Minister hat behauptet, dieses Gesetz habe keine außergewöhnlichen Auswirkungen auf Frauen. Das ist falsch. Es werden gerade die Mädchen sein, die sich unter diesen Umständen ein Studium zweimal überlegen. Auch das ist ein Skandal.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke sehr, Frau Ypsilanti. – Frau Sorge, Sie haben das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Gerhard Bökel (SPD): Was haben Sie im Ausschuss gesagt?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war klar, dass uns die CDU mit den vorliegenden Änderungen vorzuspielen versucht, sie führe jetzt sozial gerechtere Studiengebühren ein. Ich wurde hier gefragt, was ich im Ausschuss gesagt habe.Tatsächlich sind die Gesetzesänderungen erst einmal nett, aber das Gesetz ist alles andere als nett. Das versuche ich, hier darzustellen.

Denn der Grund für die Gesetzesänderung war keineswegs,dass die CDU urplötzlich ihre soziale Ader entdeckt hat, sondern der Grund für diese Änderung war, dass der Gesetzentwurf wegen seiner verheerenden sozialen Auswirkungen auf massiven Widerstand sogar bei den Studiengebührenbefürwortern gestoßen ist. Sie haben selbst gemerkt, dass Ihr Gesetzentwurf nicht mit dem Studiengebührenverbot der Hessischen Verfassung vereinbar ist.

Mit Ihren Änderungen haben Sie also nur das herausgenommen,was nach purem Menschenverstand mit der Verfassung ohnehin nicht vereinbar war. Sie haben versucht, noch einigermaßen zu retten, was Ihr Wissenschaftsminister in dem mit heißer Nadel gestrickten und im Chaosverfahren eingebrachten Gesetzentwurf verbockt hatte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren,die wesentlichen Kritikpunkte an diesem Gesetz bleiben aber bestehen. Das Gesetz ist und bleibt verfassungswidrig und unsozial. Es belastet unsere Hochschulen zusätzlich, statt sie zu entlasten. Und es ist nicht dazu geeignet, die Probleme an unseren Hochschulen zu lösen.

Das Studiengebührengesetz der CDU gefährdet die Vereinbarkeit von Studium und Familie. Es bedroht das Ehrenamt und benachteiligt insbesondere diejenigen – Herr Lenz –, die neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, zudem ist Ihr Gesetz auch volkswirtschaftlich unsinnig und geht somit politisch in eine absolut falsche Richtung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, daher sagen wir GRÜNE weiterhin ganz deutlich Nein zur Einführung von Studiengebühren. Denn wir brauchen mehr Studierende und mehr Studienabsolventinnen und -absolventen.Wir brauchen eine qualitativ bessere Hochschulausbildung, und wir brauchen vor allem mehr Chancengerechtigkeit in unserem Bildungssystem.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber Ihr Gesetzentwurf grenzt weiterhin aus, insbesondere sozial Schwächere und auch Studierende mit Kindern.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Denn nach wie vor ignoriert der Gesetzentwurf die Tatsache, dass die meisten Studierenden faktisch ein Teilzeitstudium absolvieren, weil sie neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Meine Damen und Herren, dies wird fatale Auswirkungen haben. Denn nur, wer Geld von zu Hause mitbringt oder eine BAföG-Vollförderung bekommt, kann auch in der Regelstudienzeit studieren. Alle anderen müssen neben ihrem Lebensunterhalt auch noch die Studiengebühren verdienen. Diejenigen,die sich das nicht leisten können oder wollen,treiben Sie aus den Hochschulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Erschwerend kommt hinzu, dass im Gesetzentwurf weiterhin vorgesehen ist, dass Langzeitstudierende erhöhte Studiengebühren bezahlen müssen, gleichzeitig aber keinen Anspruch auf ein Darlehen haben. Da hier kaum Übergangsregelungen vorgesehen sind, wird es zu einer hohen Quote von Studienabbrechern kommen.

Das ist erstens unsozial. Zweitens ist das auch im Hinblick auf die von der Volkswirtschaft dringend benötigte Erhöhung der Gesamtzahl von Hochschulabsolventinnen und -absolventen wirklich alles andere als zielführend. Meine Damen und Herren, mir ist absolut unverständlich, warum Sie trotz anderslautender Ankündigungen die Regelungen für Studierende mit Kindern überhaupt nicht verbessert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, dies ist einmal mehr der Beweis dafür, dass Sie beim Thema Vereinbarkeit von Fami

lie und Beruf oder Familie und Studium gerne schöne Sonntagsreden halten, faktisch aber nichts verbessern. Damit konterkarieren Sie nun wirklich jegliche Bemühungen um mehr Familienfreundlichkeit.

Nach wie vor legen Sie mit diesem Gesetzentwurf dem wissenschaftlichen Nachwuchs Steine in den Weg. Denn die frühe Rückzahlungsverpflichtung des Darlehens aus der ersten Studienphase ist für junge Leute ohne finanzielles Polster weiterhin nicht zu leisten. Daher werden Sie viele von der Promotion abschrecken.

Auch die Forderung, unter anderem von den Jugendhilfeverbänden,nach Ausnahmen für ehrenamtlich Engagierte haben Sie nicht berücksichtigt. Mit Ihrem Gesetz wird das Ehrenamt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule bedroht. Das wird problematische Konsequenzen haben, aber entgegen all Ihren eigenen Sonntagsreden wird das von Ihnen nicht nur billigenden in Kauf genommen, sondern ist zumindest bei dem Engagement in den Gremien der Hochschulen von Ihnen sicher sogar gewollt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Alles in allem haben Sie mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf die fatalen Auswirkungen von Studiengebühren um keinen Deut verbessert oder abgemildert. Meine Damen und Herren von der CDU, die soziale Ausgrenzung ist von Ihnen gewollt. Das merken wir unter anderem daran, dass Sie eisern daran festhalten, 10 % der besten Studierenden von Studiengebühren zu befreien. Warum aber wollen Sie, dass kluge Reiche nicht zahlen müssen, dadurch aber klugen Ärmeren die Möglichkeit, zu studieren, genommen wird?

Dies ist nicht nur im Lichte der Hessischen Verfassung zu sehen, sondern mit diesem Problem wird sich nach dem Gutachten von Kronthaler auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen müssen. Sein Argument ist, dass Ärmere Studiengebühren bezahlen und damit die Qualitätsverbesserung unter anderem auch für kluge Reiche, die von Studiengebühren befreit werden, zahlen. Das ist nicht sozial, aber auch logisch überhaupt nicht schlüssig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Sie haben diese Regelung aber ganz bewusst getroffen. Das haben Sie auf meine Nachfrage gestern im Ausschuss nochmals bestätigt. Sie wollen mehr Auslese statt mehr Chancengerechtigkeit. Das haben wir gerade in der Debatte zum vorangegangenen Tagesordnungspunkt, in der Schuldebatte, schon gehört.

Sie wollen ganz bewusst keine Förderung sozial Schwächerer,und Sie wollen diese Option trotz Autonomie noch nicht einmal den Hochschulen zugestehen. Das ist umso schlimmer, als die Analysen der letzten Jahre auch Ihnen bekannt sind.Schon jetzt haben Schülerinnen und Schüler aus sozial bessergestellten Schichten eine vielfach höhere Chance, eine Hochschule zu besuchen, als junge Menschen aus einkommensschwachen Familien.

Durch Ihr Gesetz wird die jetzt schon viel zu geringe Beteiligung junger Menschen aus wenig begüterten Familien am Hochschulsystem weiter abnehmen. Weil sie künftig Lebenshaltungskosten und Studiengebühren aufbringen müssen, werden viele Studierende künftig noch mehr Zeit für Jobs statt für das Studieren aufwenden. Die vorgesehenen Studiengebühren werden für eine Verlängerung

der Studienzeiten sorgen und in der Generation der jetzt Studierenden zu vielen Studienabbrechern führen. Viele Schülerinnen und Schüler, die eigentlich ein Hochschulstudium aufnehmen wollten, werden sich wegen der Studiengebühren dagegen entscheiden und somit den Verdrängungswettbewerb zulasten von Haupt- und Realschülern auf dem Ausbildungsmarkt noch weiter verschärfen.

Ich halte für meine Fraktion noch einmal ganz deutlich fest: Sozial verträglich ist das Studiengebührengesetz der CDU-Fraktion auch nach den Änderungen nicht. Es geht bei diesem Thema aber nicht nur um soziale Aspekte.Wir brauchen mehr hoch qualifizierte und innovative Köpfe in unserem Land.Auch hier sprechen zahlreiche Studien der letzten Jahre eine wirklich deutliche Sprache. Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der Schlusslichter,aber gerade ein Land,dessen wichtigste Ressource aus gut ausgebildeten Menschen besteht, gerade ein solches Land kann sich nicht weiterhin so geringe Studierendenzahlen leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Um die Studierendenzahlen langfristig zu erhöhen, dürfen eben keine neuen Hürden durch Studiengebühren aufgebaut werden. Im Gegenteil, der Zugang zum Studium muss erleichtert und darf nicht erschwert werden. Die CDU-Fraktion tut aber mit ihrem Studiengebührengesetz alles dafür, Ärmere von der Aufnahme eines Studiums abzuschrecken. Damit verzichtet die CDU-Fraktion auf wichtige Potenziale und verspielt leichtfertig die Zukunfts- und Innovationskraft unseres Landes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs haben wir uns bereits sehr ausgiebig ausgetauscht. Wir GRÜNE sind davon überzeugt, dass die Einführung von allgemeinen Studiengebühren der Hessischen Verfassung widerspricht. Daher werden wir, sollten Sie dieses Gesetz trotz der aufgezeigten fatalen Auswirkungen verabschieden, vor dem Staatsgerichtshof dagegen klagen. Die Expertenanhörung hat uns darin bestärkt, dass die Umsetzung der Studiengebührenpläne auf juristischem Weg noch zu verhindern ist, denn die Hessische Verfassung spricht klar von einem Verbot allgemeiner Studiengebühren.Sie macht unmissverständlich deutlich,dass in Hessen die Möglichkeit, zu studieren, alleine von der Eignung abhängen muss und ganz explizit nicht von der Herkunft abhängen darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Lenz, Sie haben hier gesagt, dass Sie selbst einer derjenigen sind, die von sozialen Erleichterungen beim Hochschulzugang profitiert haben. Vielleicht lassen Sie sich ansprechen – oder der eine oder andere aus der CDU-Fraktion – von dem Zitat, das uns die Studierenden heute Morgen verteilt haben, das lautet: Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht tun will.

In diesem Sinne hoffe ich, dass der eine oder die andere von Ihnen noch zur Vernunft kommt, und beantrage für meine Fraktion eine namentliche Abstimmung zu diesem Gesetz, dessen Verabschiedung harte soziale Auswirkungen hätte und das wir juristisch mit allen Mitteln bekämpfen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Danke sehr,Frau Sorge.– Frau Beer,ich darf Ihnen für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion steht weiterhin für die Einführung von Studiengebühren,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr vernünftig!)

Herr Kollege Wagner, allerdings möchten wir, dass die Hochschulen die Entscheidung über die Einführung von Studiengebühren in eigener Autonomie treffen können.

(Beifall bei der FDP)

Wir setzen daher weiterhin auf unseren eigenen verfassungskonformen Gesetzentwurf, denn nur mit einer autonomen Entscheidung,ob,wofür und in welcher Höhe – bis zu 500 c – sie Studiengebühren erheben wollen, werden die Universitäten und Fachhochschulen unseres Landes dazu animiert, ihr Profil zu schärfen und ihre Angebote differenziert auf die Wünsche der Studierenden abzustimmen.