Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Meine Damen und Herren, das ist keine verantwortungsvolle Familienpolitik, die Sie betreiben. Sie haben darauf hingewiesen – dafür danke ich Ihnen ausdrücklich –, dass meine Fraktion zum Tagesbetreuungsausbaugesetz bereits einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Ich hätte mir gewünscht,dass sich vielleicht mehr von dem,was wir vorschlagen, im Bereich der Betreuung der Null- bis Dreijährigen in irgendeiner Form wiederfindet. Das tut es aber nicht.

Uns geht es darum, eine Betreuungsgarantie für Kleinkinder in Hessen herbeizuführen und diese Betreuungsgarantie verlässlich zu finanzieren, damit ein bedarfsgerechtes Angebot bis zum Jahre 2010 erreicht werden kann. Meine Damen und Herren, dieses Ziel, das Sie selbst in Ihrem Programm stehen haben, ist in diesem Entwurf nicht wiederzufinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. An dem Entwurf wird zu allen diesen Bereichen deutlich, dass es für die Eltern keine Verlässlichkeit gibt. Das ist

aber die Aufgabe eines solchen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches,wie Sie es angestrebt haben und wie es nicht gelungen ist.

Lassen Sie mich ein paar andere Beispiele aufführen. Die Regelung der Krippenbetreuung führt in der aktuellen Mangelsituation im U-3-Bereich, was Sie im Gesetzentwurf nicht aufgeführt haben, dazu, dass wir in der Tagespflege mit minimalen Qualitätsstandards einerseits und Höchstpreisen andererseits rechnen müssen. Es kann doch nicht eine verantwortungsvolle Politik sein, die Betreuung der unter Dreijährigen so an die Bedürfnisse von Eltern und Kindern anzupassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,die Betreuung von unter Dreijährigen und von Kleinkindern ist deswegen so bedeutsam, weil gerade Eltern darauf angewiesen sind, die berufstätig sind. Das heißt, sie haben einen akuten und massiven Bedarf nach guter Betreuung. Sie schicken sie quasi in eine Qualitätslotterie der Angebote. Das ist doch keine verlässliche Familienpolitik, die Sie vorlegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Wagner, ich rede gleichzeitig mit Ihnen, weil ich am Mikrofon stehe und deshalb etwas lauter bin. Natürlich sollen die Eltern die Wahl haben, wo sie ihre Kinder betreuen wollen. Sie sollen sich aber auch darauf verlassen können, dass das, was sie dort für ihre Kinder bekommen, von guter Qualität ist.Das ist in diesem Entwurf nicht vorgesehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja klar, das wissen die Eltern schon!)

Meine Damen und Herren, es geht darum, dass wir es schaffen, dass für die Kleinkinder mehr Betreuungsplätze vorhanden sind, dass sie in ihrer kleinkindlichen Entwicklung nach den neuesten pädagogischen Erkenntnissen gefördert werden. Es geht darum, dass wir es schaffen, für Kindergartenkinder eine Ganztagsbetreuung anzubieten. Flexible Angebote und altersgerechte Bildungsangebote gehören zu den zentralsten Herausforderungen, vor denen wir stehen – über die Studiengebühren diskutieren wir später – und wo es darum geht, gerade Kindern aller Altersgruppen und aller Herkunft einen gleichen Zugang zur Bildung zu verschaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir reden über die Betreuung von Grundschulkindern. Auch da geht es darum, ganztägige pädagogische Betreuungsangebote auf dem Weg zu Ganztagsangeboten im Grundschulbereich anzubieten, und zwar zu denen, die den Namen auch verdient haben.

In Ihrem Gesetzentwurf fehlt die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Es fehlt der Abbau der Benachteiligung von Mädchen, eingebunden in Gender-Mainstreaming. Es fehlt die eigenständige Definition der Jugendhilfe. Es fehlt die notwendige Kooperation von Jugendhilfe, Schulen und anderen Trägern der Betreuungseinrichtungen. Es fehlen Schlussfolgerungen – ich muss Ihnen ehrlich sagen: das ist ein weiterer zentraler Punkt – aus den Anhörungen, die wir zu Kindesmisshandlungen und Vernachlässigungen hatten.

Alle diese Bereiche, die ich aufgeführt habe, sind Bereiche, die nach Ihrer Rhetorik angeblich eine so große Be

deutung haben. Wenn man sich das Gesetz anschaut, findet man sie alle nicht wieder. Das ist meine Hauptkritik. Dieser Verantwortung können Sie sich nicht entziehen.

Lassen Sie mich zu meinem Fazit kommen.

Bitte kurz. Die Redezeit ist um.

Dieses Gesetz ist in der vorliegenden Form nicht nur überflüssig, sondern der Entwurf ist tatsächlich rückwärtsgewandt und letztendlich schädlich für die Bildungsund Betreuungssituation von kleinen Kindern in Hessen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Danke sehr, Frau Schulz-Asche. – Herr Rentsch, Sie haben für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, wir diskutieren heute über einen Gesetzentwurf der Landesregierung, der einen ganz zentralen Teil der hessischen Sozialpolitik umfasst,

(Reinhard Kahl (SPD): Leider nicht!)

nämlich die Frage,wie man mit Kindern und Jugendlichen in Hessen umgeht und umgehen wird. – Der Kollege Kahl ruft dazwischen: „Das tut er leider nicht!“ Herr Kollege Kahl, wir werden herausarbeiten, ob das so ist. Auf jeden Fall gibt es in diesem Bereich zwischen den Oppositionsfraktionen unterschiedliche Ansichten. Man muss den Gesetzentwurf sehr differenziert betrachten, weil er – das ist der Sinn einer Zusammenführung – sehr unterschiedliche Teile von Gesetzen zusammenfasst.

Zunächst ist es richtig und gut – das lobt die FDP –, dass wir jetzt einen einheitlichen Gesetzentwurf haben, weil alle Bereiche zusammengehören. Das haben die Vorrednerinnen teilweise schon gesagt. Ich finde es sehr wichtig, dass wir zeigen, dass die Frage der Kinderbetreuung, die Frage der Kinder- und Jugendhilfe, die Frage von Jugendbildungsförderung bis hin zur Frage von anderen Betreuungseinrichtungen in einem Gesetz zusammengefasst werden, weil das zeigt, dass es verschiedene Bereiche sind und diese Bereiche ineinandergreifen. Es geht eigentlich um diese Verzahnung der verschiedenen Bereiche, damit wir zu einer deutlich besseren Verzahnung kommen. Ich glaube, das ist in der Vergangenheit unter allen Landesregierungen nicht richtig angefasst worden. Jeder Bereich wurde separat betrachtet. Diese Bereiche gehören aber zusammen.

Lassen Sie mich an einigen Beispielen versuchen zu erklären, wo ich der Meinung bin, dass diese Bereiche zusammengehören, und wo wir einen besseren Übergang von einem Bereich zum anderen brauchen.Das will ich im späteren Teil meiner Rede machen.

Frau Ministerin, zunächst möchte ich die Landesregierung dafür kritisieren, dass wir den Gesetzentwurf so spät

bekommen haben; das haben die Vorrednerinnen schon getan.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ich denke, dass dieser Punkt auf jeden Fall problematisch ist.Wir haben einen Gesetzentwurf,den wir relativ schnell durchgehen müssen. Er wurde uns sehr lange angekündigt. Wir haben im Sozialpolitischen Ausschuss dazu mehrfach diskutiert und waren uns im Klaren darüber, dass wir so lange keine Anträge dazu stellen – das haben wir auch jedenfalls größtenteils eingehalten –, bis wir von der Landesregierung einen Entwurf vorgelegt bekommen. Es ist sinnvoll, dass wir anhand des Gesetzentwurfs der Landesregierung diskutieren und dann aus den unterschiedlichen Oppositionsfraktionen sagen, was wir gerne anders hätten oder anders machen würden.

Dass es so lange gedauert hat und dass das ganze Verfahren zeitlich dermaßen beschränkt ist, hat das Problem zur Folge, dass wir die detaillierte, tiefgründige Diskussion, die wir eigentlich führen müssten, nicht mehr führen können.

Wir alle sind uns darin einig, dass dies ein ganz elementarer Bereich ist.Wir haben das im Wahlkampf ständig proklamiert und nach vorne getragen.Wir haben gesagt, dass wir uns um die Kinderbetreuung und um die Bildung von Kindern kümmern wollen. Das haben wir den Eltern immer wieder schmackhaft gemacht. Jede Partei hat diese Thematik – einmal so, einmal anders – in ihren Wahlkampf eingebaut.Auf jeden Fall haben wir bei den Eltern Erwartungen geweckt. Diese Erwartungen müssen wir als Politiker insgesamt erfüllen. Deshalb ist es schade, dass wir in diesem Verfahren in solcher Hetze darüber diskutieren müssen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte heute auf zwei Punkte eingehen:einerseits auf die Jugendhilfe, andererseits auf die Betreuung – worüber die Kollegin Schulz-Asche gerade sehr ausführlich gesprochen hat. Ich möchte aufzeigen, wo meiner Meinung nach die Schwachstellen des Gesetzes liegen und an welchen Punkten wir ideologische Probleme haben. Wenn wir uns aber von ideologischen Problemen leiten lassen, werden wir dem Thema unserer Ansicht nach nicht gerecht.

Frau Ministerin, Sie regeln in diesem Gesetzentwurf das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Das ist an und für sich schon ein schwieriger Bereich, wie man feststellen kann, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die Fallzahlen in den Kommunen in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben. Das heißt, dass sich doppelt so viele Kinder in Maßnahmen befinden.

Man muss kritisch hinterfragen, wie das kommt. Wie kommt es, dass die Eltern in Hessen nicht mehr in der Lage sind, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie nicht mit staatlichen Fürsorgesystemen in Berührung kommen? Das kann verschiedene Gründe haben. Einerseits kann es daran liegen, dass die Eltern nicht mehr über so viel Erziehungskompetenz verfügen. Andererseits kann es den Grund haben, dass die Erziehung heutzutage, vielleicht unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Veränderung, deutlich schwieriger geworden ist. Ich denke, beides ist richtig, und beides muss man angehen.

(Beifall bei der FDP)

Aber es geht nicht an, die Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen eines Gesetzes isoliert zu betrachten und die Kommunen mit diesem Bereich letztendlich alleine zu lassen; denn die Kommunen müssen das schultern, was dort passiert, wozu sie am Ende in vielen Fällen kaum mehr in der Lage sind. Eine Verdoppelung der Fallzahlen bedeutet nämlich nicht nur, dass sich die doppelte Anzahl von Jugendlichen in Maßnahmen befindet, sondern auch, dass die Kosten doppelt so hoch sind. Es geht sogar deutlich darüber hinaus. Es bedeutet auch, dass die doppelte Anzahl von Schicksalen davon berührt ist. Frau Ministerin, mit alldem werden die Kommunen zurzeit allein gelassen.

Das ist auch der Grund, weshalb ich glaube, dass die isolierte Betrachtung der Kinder- und Jugendhilfe in Ihrem Gesetzentwurf falsch ist.Wenn wir nämlich von einer Verzahnung sprechen,gehören auch andere Punkte dazu,z.B. die Erziehungskompetenz. Über diese Frage haben Sie im Jahr 2004 selbst einmal ausführlich diskutiert, und Sie haben versucht, das Thema mit Vorschlägen nach vorne zu bringen. Sie haben dies dann mit dem Sparpaket der Landesregierung konterkariert, indem in diesem Bereich aufgrund der Kürzungen Maßnahmen beschnitten worden sind, die unserer Ansicht nach – auch nach Ihrer eigenen Aussage – wichtig sind. Dabei geht es um die Frage, wie man die Erziehungskompetenz der Eltern stärken kann.

(Beifall bei der FDP)

Das, was wir vorne nicht machen, führt letztendlich hinten zu Problemen. Das heißt, einerseits ist die Schule damit beauftragt, die Probleme von Kindern zu lösen, die in diesem Bereich Schwächen haben. Andererseits kommt es schlimmstenfalls zu Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Das, was mit diesen Kindern passiert, nämlich dass sie häufig überhaupt nicht mehr aus den staatlichen Fürsorgesystemen herauskommen, ist das eigentliche Problem. Deshalb ist es nach Ansicht der FDP richtig, dort früher zu intervenieren, d. h. über die Erziehungsberatung, über Elternschulen und über andere Maßnahmen aktiv zu werden. Frau Ministerin, diesen Bereich vermisse ich absolut.

(Petra Fuhrmann (SPD): Alles in der „Operation düstere Zukunft“ gestrichen!)

In einem solchen Gesetz muss man sich auch mit diesem Bereich befassen. Das haben Sie nicht gemacht.

Wie ich gerade sagte, ist die Jugendhilfe ein sehr schwieriger Bereich, weil sie mit den verschiedensten Problemen befasst ist,z.B.mit den Fragen von Familien,die sich in sozialen Schieflagen befinden. Wer sich in diesem Bereich zu engagieren versucht, wird aber schnell feststellen, dass es nicht immer nur soziale Schieflagen sind, die bei Kindern zu Erziehungsproblemen führen und die Eltern in die Situation bringen, dass sie nicht mehr wissen, wie sie mit ihren Kindern umgehen sollen. Es zeigt sich, dass sich die gesellschaftlichen Realitäten völlig verändert haben.

Sie verwenden in Ihrem Gesetzentwurf ständig das Wort „Familie“. Das geschieht mehrfach, z. B. in § 2. Aber die Familie im klassischen Sinne, wie Sie sie sich vorstellen, gibt es heute nicht mehr. Frau Ministerin, Sie treffen auch auf viele Menschen, die ihre Kinder allein erziehen.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): Das hat die CDU noch nicht begriffen! Das sind immer nur Vater, Mutter und Kind!)

Das ist eine Frage des Grundsatzes, auf dem dieser Gesetzentwurf beruht. Es reicht nicht, in einem Gesetzent

wurf Wünsche zu formulieren. Nein, der Inhalt eines Gesetzentwurfs muss auch auf die gesellschaftlichen Realitäten rekurrieren. Er darf nicht nur auf die Familie rekurrieren.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))