Protokoll der Sitzung vom 06.10.2006

oder vier Regelungen diskutiert.Deshalb ist es kein neuer Sachverhalt.

In den schwierigen Diskussionen, die wir derzeit führen und die ich für die Union als Verhandlungsführer mit den anderen Kollegen führe, sage ich das Gleiche, was ich hier sage: Die Sorge, die mancher bei einigen Regelungen hat, halte ich für überzogen. Die Hoffnungen, die in weiten Teilen organisiert begründet werden, sind mit Sicherheit unbegründet. Es ist ein großes, aus meiner Sicht sehr problematisches Unterfangen, im Kreis der Menschen, die hier leben, aber zur Stunde kein Aufenthaltsrecht haben, den Eindruck zu vermitteln, es werde jetzt eine Regelung geben, die alle Probleme löst. Genau das wird es nicht geben. Das kann es auch nicht geben.

Damit wir nicht immer so theoretisch darüber sprechen, möchte ich Ihnen einige Sachverhalte vortragen. Zur Stunde ist weder klar, ob es eine Bleiberechtsregelung geben wird, noch, wie der Inhalt aussieht.

Ich halte es nicht für zielführend,wenn Herr Kollege Stegner an seine Behörden Mitteilungen schickt. Das erleichtert die Angelegenheit nicht. Ich habe ihm dies auch deutlich zu verstehen gegeben.

Die interministerielle Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz tagt am kommenden Montag erstmalig, damit wir hier nicht fabulieren. Das, was Herr Kollege Stegner versucht hat, in Worte zu fassen, nämlich dass es keinen Abschiebestopp gibt – es gibt in keinem einzigen Land einen Abschiebestopp, das kann es auch nicht geben, um das einmal klarzustellen –, ist ein „Inhaltsprotokoll eines Gesprächs“, das auf Koalitionsebene zwischen CDU und SPD in Berlin geführt worden ist.

(Sabine Waschke (SPD): Berlin?)

Da ich es selbst geführt habe, kann ich Ihnen sagen: Dort sind wichtige Fragen noch nicht befriedigend gelöst worden.

Ich habe mich letztes Jahr dazu entschieden, weil ich der Überzeugung bin, dass wir eine Lösung brauchen. Sie kann aber nicht nach dem Motto aussehen: Wer hier ist, bleibt hier. – Wir müssen uns schon die Mühe machen, zu überlegen, nach welchen Kriterien wir vorgehen wollen. Wenn wir diese Kriterien zumindest zum Teil einvernehmlich definieren, wäre ich dankbar, wenn bestimmte Kampfbegriffe von interessierter Seite in Zukunft unterblieben. In Hessen wird nicht unmenschlich abgeschoben. In Hessen wird das Gesetz mit größter Sorgfalt in Einklang mit den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung vollzogen.

Wer das Gesetz nicht für richtig hält, mag einen Gesetzesänderungsantrag stellen. Die Wirklichkeit aber ist doch die, dass von keiner Seite dieses Hauses oder in Berlin jemand einen Antrag gestellt hätte, das Ausländergesetz zu ändern. Es geht nicht an, sich hierhin zu stellen – heute etwas mit Zurückhaltung, in einigen Pressemeldungen ist das wesentlich undifferenzierter geschehen – und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde pauschal zu diffamieren.

Das, was die machen, ist der Vollzug von Recht und Gesetz.

(Beifall bei der CDU)

Es macht denen häufig auch keine grandiose Freude.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das hat auch keiner gesagt!)

Ich habe gelesen – darauf haben Sie sich bezogen, ich bin unsicher, ob Frau Waschke oder Kollege –, dass jetzt noch schnell verschärft abgeschoben werde. Nehmen Sie zur Kenntnis, es wird genauso gearbeitet wie bisher auch. Ich lasse mich nicht durch fingierte Zeitungsartikel in eine Ecke drücken. Ich stelle auch fest, dass in organisierter Form im Moment zum Teil sackweise genau unter dem Hinweis, es werde eine Regelung geben, mit der alles gelöst werde, versucht wird, das nicht nur bei mir abzuladen – damit kann ich umgehen –, sondern versucht wird, bis hin zum Sachbearbeiter in einer Ausländerbehörde persönlich Druck auszuüben. Das kann nicht angehen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich wäre dankbar, wenn wir darüber Einigkeit hätten.

Zum Zweiten, zum Inhalt. Es kann doch wohl nicht sein, dass wir nicht mehr an der Grundbedingung festhalten. Ich hätte gern von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewusst: Gilt noch die Grundbedingung? – Die Grundbedingung heißt: In der Not helfen wir, und wenn die Not vorbei ist, gehen die Menschen in ihr Heimatland zurück. – Gilt das noch, oder gilt das nicht mehr?

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Nein, dazu möchte ich eine klare Antwort haben und nicht darum herum. Gilt das, oder gilt es nicht mehr? – Wenn es nämlich nicht mehr gilt, dann sind die gesamte Rechtsgrundlage wie auch die politische Grundgestaltung, die wir in den letzten 20 Jahren gemeinsam hatten, nicht mehr Gegenstand der Debatte.

(Zuruf der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Doch, doch. Wenn das gilt, kann es bei einer Bleiberechtsregelung nur um die Frage gehen, ob es Elemente gibt, die wir für so schwerwiegend halten, dass wir das Regel-Ausnahme-Verhältnis an dieser Stelle umkehren. Dazu bekenne ich mich. Ich sage aber genauso deutlich: Wer uns betrogen hat, wer diesen Staat betrogen hat, wer nachweislich immer wieder das Gesetz missbräuchlich ausnutzt, der kann nach meiner Überzeugung jetzt nicht in den Genuss einer Bleiberechtsregelung kommen. Das muss doch klar sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Herr Kollege Frömmrich, deshalb möchte ich gern ein Fallbeispiel vortragen. Wie halten wir das mit jemandem, der vor vielen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland einreiste, ein Asylverfahren mit zig Folgeverfahren absolviert hat, alle Gerichtsentscheidungen negativ sind, anschließend untergetaucht ist,dann mit seiner Familie nach Holland gegangen ist, in Holland wieder mehrere Asylverfahren durchgezogen hat, alle nach der holländischen Rechtsprechung abgelehnt wurden, wieder untergetaucht ist, dann nach Deutschland kommt – im konkreten Fall nach Nordhessen –, dort mittlerweile tätig ist, in der Zwischenzeit weitere Kinder geboren worden sind, und uns heute sagt: Ich hätte vor 15 Jahren ausreisen müssen, aber nun bin ich schon 15 Jahre da und habe außerdem eine Reihe von Kindern; lasst mich bitte deshalb hier.

Das ist ein ganz konkreter Fall. Ich hätte jetzt gerne die Antwort.Wir kommen nicht mehr mit allgemeinen Erwägungen weiter. Die Rechtslage ist völlig eindeutig: Die müssen ausreisen. – Jetzt geht es um die Frage, ob wir in

einer Art Gnadenakt sagen wollen:Wir halten diesen Fall aber für geeignet.– Dann kommt man sehr schnell zu dem Punkt, an dem allgemeine Erwägungen nicht mehr weiterhelfen.

Sie kommen nämlich zu dem Punkt,dass Sie eine Antwort darauf geben müssen, ob die Kinder das Schicksal der Eltern teilen. Oder wir sagen:Wir verzichten auf jeden Vorwurf, auf jedes Geltendmachen von Betrug, weil wir sagen: Egal wie die Eltern sich verhalten haben, egal ob sie uns betrogen haben, egal ob sie untergetaucht sind, egal ob sie zu Unrecht Sozialhilfe bezogen haben, sie haben jetzt Kinder, und weil sie Kinder haben, die hier geboren sind, machen wir einen Schlussstrich. – Meine Damen und Herren, das kann ich nicht vertreten.

(Beifall bei der CDU)

Genau an dieser Stelle sind die Fälle, die Sie immer hochziehen, sehr schwierig zu lösen. Dieser Fall – Sie kennen ihn, ich habe ihn deshalb in allgemeiner Form geschildert – ist ein hessischer Fall. Wir kommen nicht mehr mit Allgemeinerwägungen weiter. Wie treten wir denen gegenüber, die ausgereist sind, weil sie gesagt haben: „Wir wären auch gerne in diesem Land geblieben, aber die Gesetzeslage ist nun einmal so, wie sie ist; wir gehen nach Hause“? – Die müssen sich doch verraten vorkommen, wenn solche Fälle – wie eben geschildert – nachher mit dem Mantel der Nächstenliebe zugedeckt werden.

Deshalb ist die Frage des Ob für mich klar. Wir brauchen eine Regelung.Aber um die Frage des Wie muss sehr sorgfältig gerungen werden.

Damit möchte ich gerne noch auf drei, vier Punkte eingehen. Sie merken, wenn man die Sache einmal näher betrachtet, wird aus diesen flockigen humanitären Allgemeinbegründungen relativ schnell heiße Luft. Ich vertrete die Auffassung: Eindeutiger Status, Arbeit und Integration – dieser Dreiklang muss uns leiten.

Bei dem eindeutigen Status geht es um die schlichte Frage, dass wir auf der einen Seite wissen, dass Menschen schon lange Zeit hier sind, obwohl sie – die Betroffenen – wissen, dass sie seit vielen Jahren heimgehen müssen. Sie sind aber nicht gegangen. Das hat nichts mit den unmenschlichen Kettenduldungen zu tun, sondern etwas damit – angeblich recht viel –, dass sie in diesem Land bleiben wollen, was ich ihnen nicht vorwerfe.

§ 25 Abs. 5 anzuführen, der immer von Ihnen zitiert wird, ist eine Fehleinschätzung. § 25 Abs. 5 spricht davon, dass jemand eine Aufenthaltserlaubnis bekommen kann, wenn er nicht ausreisen kann. Der Kollege Bellino hat darauf hingewiesen. § 25 Abs. 5 ist nicht die Vorschrift, wenn jemand nicht ausreisen will. Und an der halte ich mich fest. Ich halte überhaupt nichts davon, unter dem Tisch ein bisschen zu mauscheln. Denn wenn Sie nicht willkürlich handeln wollen,dann können Sie nicht montags sagen:„Na ja, wir gehen heute einmal so herum“, und dienstags gehen Sie so herum.

Ich halte ausdrücklich fest: Wer sein eigenes Einkommen hier hat, wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen, wer über sechs oder sieben Jahre hier ist, dem – so bin ich der Auffassung – sollten wir ein Bleiberecht geben. Das sind aber die allerwenigsten.

Diejenigen, die sich nicht selbst unterhalten können, sind nach meiner vorläufigen Einschätzung mindestens 80 %. Wenn Sie von den 15.000 in Hessen reden, dann gehen Sie einmal davon aus, dass davon mindestens 12.000 ihren eigenen Unterhalt nicht selbst bestreiten können.

Deshalb geht es um die Frage,wie wir dort weiterkommen können. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass man ihnen eine Arbeitsmöglichkeit geben soll, damit sie in einer bestimmten Zeit,über die wir reden können – sechs Monate, ein Jahr –, einen Arbeitsplatz finden, um sich einen entsprechenden eigenen Unterhalt zu verschaffen. Und Arbeit ist mit die beste Integration. Hinzu treten muss ein nachhaltiges Integrationsbemühen. Ich glaube, darüber wird es keinen Streit geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jürgens?

Nein.

Wo liegt das Problem? – Wir haben unabhängig von der allgemeinen Rechtslage, die einmal Arbeitserlaubnismöglichkeit gegeben hat und einmal nicht, die Situation, dass in diesen Fällen, wo eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, die Leute in der Regel aber keinen Arbeitsplatz bekommen, weil es eine sogenannte Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit und das zuständige Ministerium gibt.

Genau an dieser Stelle diskutieren wir zur Stunde. Ich halte es für nötig, dass diese Vorrangprüfung in Zukunft entfällt. Wer es damit ernst meint, dass man sagt: „Die Leute sollen sich ihren eigenen Unterhalt verdienen können“, darf ihnen nicht gleichzeitig sagen: Pass einmal auf, du bekommst eine Arbeitserlaubnis aber nur dann, wenn es nicht vorrangig zu Berücksichtigende gibt.

(Allgemeiner Beifall)

Nach geltendem Arbeitsmarktrecht sind die Inländer und die europäisch Gleichgestellten mit dem Ergebnis vorrangig zu berücksichtigen,

(Jürgen Walter (SPD):Außerdem ist es eine Scheißbürokratie!)

dass in nahezu 98 % der Fälle – jedenfalls hier in Hessen – immer der Hinweis durch die Arbeitsbehörden kommt: Kann ja sein, aber wir haben so viele, die bevorrechtigt arbeitserlaubnisberechtigt sind, sodass für dich keine Möglichkeit entsteht. – Genau an diesem Punkt sind wir derzeit am Verhandeln. Da wir uns in allen Gesprächen Vertraulichkeit zugesichert haben,ich es aber anschließend in der Zeitung lesen konnte, kann ich es allgemein formulieren. Der zuständige Bundesminister für Arbeit lehnt bis zur Stunde genau das ab. Das ist ein Kollege Vizekanzler, der nicht meiner Partei angehört.

Ich sage ausdrücklich:Wenn es nicht gelingt, diesen Punkt zu regeln, werden wir keine Bleiberechtsregelung bekommen. Die Innenpolitiker der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sehen das genauso.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist ja auch so!)

Nun geht es um die Frage – für die habe ich Verständnis –, ob wir Innenpolitiker uns sozusagen in das Handwerk der Arbeitsmarktpolitik einmischen sollten. Wir sollten zurückhaltend sein. Aber eines bleibt. Wenn wir den Menschen in Zukunft nicht nur die Zuwanderung in die sozia

len Systeme noch stärker ermöglichen wollen, müssen wir nicht nur ein Recht auf dem Papier, sondern auch eine praktische Möglichkeit schaffen, dass die tatsächlich arbeiten können.

Deshalb wäre ich Ihnen – was insbesondere die Sozialdemokraten angeht – dankbar, wenn Sie diese Position unterstützten.Sie würde erheblich helfen,sowohl das Problem der Zuwanderer in Sozialsysteme zu minimieren oder wenigstens zurückzuführen als auch eine nachhaltige Integration zu ermöglichen. Die beste Integration in einem Land ist es, wenn ich mein eigenes Einkommen schaffe, weil ich dann nicht auf Almosen der anderen angewiesen bin und Arbeit mehr als Geld ist.Arbeit ist auch Sinnstiftung. Deshalb ist dieser Punkt für mich so wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, darf ich Sie freundlich darauf hinweisen, dass die vereinbarte Redezeit für die Fraktionen abgelaufen ist?