Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

Herr Kollege Möller, wenn Sie sich Ihre eigene Internetseite, nämlich die des Kreisverbands Gießen, anschauen, lesen Sie als Erstes, dass der Ehrenvorsitzende dieses Kreisverbands der Hessische Innenminister Volker Bouffier ist. Das ist die erste Tatsache, die Sie dort feststellen.

Als zweite Tatsache können Sie dort feststellen, dass unter dem Punkt „Vereinigungen“ steht:

Mit der CDU verbunden sind die Schülerunion Gießen und der Ring Christlich Demokratischer Studenten.

Herr Kollege Möller,Sie haben hier also ein Problem,und die Union muss klipp und klar eine Trennlinie nach rechts und ultrarechts ziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen sagen, womit wir es zu tun haben. In der „Frankfurter Rundschau“ ist zu lesen:

Ein Jahr lang hat der Ring Christlich-Demokratischer Studenten Gießen einen Neonazi als VizeVorsitzenden geduldet: Matthias Müller tummelt sich im NPD-Umfeld, marschiert bei braunen Demos und wohnt bei der ultrarechten „Burschenschaft Dresdensia-Rugia“.

Herr Kollege Möller, das ist einer der Fakten. Ein weiterer Fakt:

Regelmäßig schreibt er für die Wochengazette „Junge Freiheit“.

Dritter Fakt:

Sie (die „Junge Freiheit“) versucht durch intellektuell wirkende Formulierungen den öffentlichen Diskurs in Richtung ihrer antidemokratischen und antisemitischen Vorstellungen zu beeinflussen.

Vierter Fakt:

Seit Anfang des Jahres ist er Vorsitzender des Landesverbands Südwest der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“, die von den Behörden als „in Teilen rechtsextremistisch“ eingestuft wird.

Herr Kollege Möller, Sie haben ein Problem, wenn so jemand Vizevorsitzender einer mit der Union verbundenen studentischen Organisation ist. Daher müssen wir Sie auffordern, auch im Hessischen Landtag eine klare Trennlinie nach rechts zu ziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Möller, wenn ein Mitglied des Hessischen Landtags, der Kollege Irmer, bei der ultrarechten Burschenschaft Dresdensia-Rugia Vorträge hält, wundert es einen fast nicht, dass Mitglieder eben dieser Burschenschaft Dresdensia-Rugia führende Positionen beim RCDS bekleiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun können Sie sagen, Sie hätten erst relativ spät erfahren, dass er im rechten Lager so aktiv ist. Aber für mich stellt sich die Frage: Warum haben Sie sich nicht sofort von diesem Mitglied getrennt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Das ist die zentrale Frage!)

Als Sie das erfahren haben, haben Sie es nämlich nicht getan, sondern Sie haben das erst einmal von der Internetseite gelöscht und so getan, als gäbe es diesen Herrn im Vorstand Ihrer Vereinigung nicht. Herr Kollege, wir hätten uns gewünscht, dass Sie sich von diesem Mitglied sofort getrennt hätten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Norbert Schmitt (SPD): Das ist die zentrale Frage!)

Herr Kollege Irmer, auch Sie haben bei dieser Burschenschaft Vorträge gehalten. Ich erzähle Ihnen einmal – das haben wir Ihnen in den Debatten im Hessischen Landtag schon öfter gesagt –, in welcher Gesellschaft Sie sich befunden haben.

Herr Kollege Irmer, da, wo Sie zu dem Thema „Der Islam – eine Gefahr für Deutschland?“ referiert haben, haben auch noch folgende Personen vorgetragen. Da gab es z. B. den in einschlägigen Kreisen bekannten Prof. Weinschenk, Autor des Buchs „Der Vertreibungsholocaust“. Im Jahr 2000 hat der Apartheidbefürworter und bekannte Rassist Dr. Claus Nordbruch, Mitglied der Artengemeinschaft, in diesem Verbindungshaus Vorträge gehalten.

Herr Kollege Irmer, von daher wäre es eigentlich schon in Ihrem Fall nötig gewesen, dass der Ministerpräsident und Vorsitzende der CDU in Hessen eine klare Trennlinie zum rechten Rand zieht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist leider nicht geschehen. Herr Kollege Irmer, auch Sie haben übrigens in der „Jungen Freiheit“ veröffentlicht. Das sage ich hier nur ganz am Rande. Aber Sie haben eben die Diskussion darüber nicht geführt, und Sie haben auch keine Trennlinie gezogen. Nachher hießen die Überschriften z. B. „Fall Irmer für die CDU beendet“ oder „Koch steht zum Rechtsaußen Irmer“. Das zeigt, dass Sie diese Debatte nach rechts eben nicht ordentlich geführt haben. Sie haben sich von einer Organisation wie der Dresdensia-Rugia nicht klar distanziert. Deswegen kommt es in der Union immer wieder zu Problemen mit der Trennschärfe gegenüber dem rechten Rand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Ruth Wagner, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Rede von Herrn Frömmrich ist es wichtig,noch einmal die Fakten festzustellen.

(Beifall bei der FDP)

Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde ist nicht die Frage, ob Herr Irmer bei irgendeiner Veranstaltung war oder in irgendeiner Zeitung geschrieben hat. Es handelt sich nach der Erklärung von Herrn Möller nicht darum, ein CDU-Mitglied auszuschließen oder ihm zu gestatten, in der CDU zu bleiben; denn der besagte Herr war kein Mitglied der CDU – es sei denn, Herr Möller sagt die Unwahrheit. Ich unterstelle, dass Herr Möller uns die Wahrheit gesagt hat, in dem er uns hier mitgeteilt hat, dass dieser Herr Müller – so heißt der andere wohl – gar kein Mitglied der Partei war.

Verehrter Herr Frömmrich, außerdem möchte ich feststellen, dass der Landtag auf Vorschlag eines Antrags der FDP-Fraktion, den ich ausgearbeitet habe, am 15.03.05 mit allen Stimmen des Hauses, also mit den Stimmen der CDU, der SPD, der GRÜNEN und der FDP, festgelegt hat, dass wir sozusagen für uns selbst einen Verhaltenskodex erstellen, dem wir folgen wollen.

Mit Organisationen, Foren, Publikationsorganen, Medien unterlässt man nämlich Kontakt und schreibt oder tritt nicht dort auf, wo die Erosion der Grenze zwischen rechtsextremistischen und demokratisch-konservativen Positionen besteht.Meine Damen und Herren,ich glaube, dass die Aufgeregtheit und die Selbstgerechtigkeit, mit

der häufig dieses Thema – auch heute Morgen wieder – vorgetragen wird, weder den Demokraten nutzt, aber vor allen Dingen eher denjenigen nutzt, die die Demokratie bekämpfen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie nutzt nichts, wenn wir sozusagen hinter das zurückgehen wollen, was wir vor einem Jahr beschlossen haben. Das ist unsere Überzeugung. Dagegen hat – soweit ich weiß – in diesem Haus niemand verstoßen. Das gilt nach wie vor.

(Zurufe von der CDU)

Ich komme noch zu dieser Frage. – Ich glaube, dass wir uns daran halten sollten, was wir gemeinsam beschlossen haben. Wir haben auch beschlossen – ich muss sagen: mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen der GRÜNEN und der SPD –, dass wir die Aussage des Landesvorsitzenden der hessischen CDU, des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, auf dem Landesparteitag am 5. März 2005 in Marburg unterstützen, der da gesagt hatte:Wir dürfen nicht zulassen, dass die Ränder unscharf werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wer sich das als Parteivorsitzender zur Maxime macht, der muss sich daran messen lassen, ob er das getan hat. Ich sehe in dem vorliegenden Fall kein Vergehen des CDU-Vorstandes oder des CDUKreisverbandes in Gießen.

Meine Damen und Herren, ich will zwei andere Dinge ganz deutlich sagen. Wir haben mit diesem Fall schon etwas zu tun. Der Innenminister Bouffier hat in der Antwort auf die Große Anfrage zum Rechtsextremismus in Hessen, die wir noch nicht diskutiert haben – Drucks. 16/6093 –, auf die Frage und die daraus sehr umfassenden Recherchen von Herrn Schäfer-Gümbel geantwortet, dass diese Burschenschaft „Dresdensia-Rugia“ nach Verfassungsbeobachtungen und Verfassungsschutzbericht mindestens in der Gefahr steht, dass sie diese Grenzziehung längst überschritten hat. Es besteht die Gefahr, dass vor allen Dingen in den Kontakten zur NPD-Fraktion in Sachsen und – ich fürchte, meine Damen und Herren – in der Verstärkung durch Mecklenburg-Vorpommern genau das passiert, was in dieser Antwort von Herrn Bouffier sehr sauber herausgearbeitet worden ist, nämlich einerseits eine Verschmelzung von Neonazi- und Skinheadszene – es scheint bei diesem Herrn auch der Fall zu sein, dass er mal da und mal dort auftritt –, eine Zunahme der Vernetzung zwischen sogenannten Kameradschaftsszene, Musikszene, Burschenschaften und anderes mehr.

Das ist die Herausforderung für die Innenminister, die sich darüber sehr Gedanken machen, und für die Verfassungsschützer in unserem Land zu einem Feld vor allen Dingen verunsicherter junger Menschen,vor allem im Osten, aber nicht nur da. Das gilt für dieselbe Vernetzungsszene auf der linken Seite. Man darf auf beiden Seiten nicht blind sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Was sich dort abspielt, führt auf beiden Seiten dazu, dass wir bei allen Landtagswahlen und der Bundestagswahl des letzten Jahres eine Zunahme der Nichtwähler zwischen 18 und 25 Jahren haben,dass wir eine Zunahme von Wählern auf diesen beiden extremistischen oder ins Extremistische abgleitende Gruppierungen oder bei Leuten haben, die versuchen, in eine Schicht hineinzukommen,

die besonders durch wirtschaftlich schwierige Situation gekennzeichnet ist, durch Arbeitslose.

Frau Kollegin Wagner, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren, das Schlimme ist nicht, dass die NPD-Funktionäre und -Mitglieder – das gilt auch für Teile der jungen PDS-Mitglieder – arbeitslos seien. Nein, die haben Arbeit und gehen genau mit ganz viel Polemik und mit erheblichem ideologischem Potenzial in die Gruppen hinein, die gefährdet sind. Das ist historisch gesehen genau die Situation, die am Ende der Weimarer Republik vorhanden war. Das ist die Herausforderung, um die wir uns auf beiden Seiten kümmern müssen.

Ich kann in dieser Frage erkennen – soweit wir das überhaupt erkennen können, das geht auf klare Erklärungen des Kreisverbandes der CDU zurück –, dass hier eine Grenzüberschreitung vonseiten der Union als Partei nicht zu konstatieren ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, es gibt keine Wortmeldungen. Dann rufe ich, nachdem der Punkt 49 abgehandelt ist, den Tagesordnungspunkt 50 auf: