Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Boddenberg, in der Analyse der Probleme sind wir uns weitgehend einig. Was aber das berühmt-berüchtigte Duo Koch/Steinbrück aus den Ansätzen der Unternehmensteuerreform gemacht hat, findet nur in Teilen unsere Zustimmung. Unsere Zustimmung findet die Abgeltungsteuer. Darüber haben wir bereits im Haushaltsausschuss diskutiert. Der größte Kritikpunkt ist aus unserer Sicht die Gegenfinanzierung. Bei diesem Punkt sind wir mit Frau Ypsilanti durchaus einer Meinung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wir halten es in der gegenwärtigen Lage für nicht darstellbar,eine Steuerreform auf den Weg zu bringen,die einseitig Steuergeschenke zugunsten verschiedener Unternehmen beinhaltet. Sie haben die Stichworte genannt.Die Mehrwertsteuererhöhung und die Gesundheitsreform werden ebenfalls Belastungen für die Menschen mit sich bringen.Vor diesem Hintergrund eine dauerhafte Entlastung für verschiedene Unternehmen einzuplanen, halten wir für den falschen Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen eine aufkommensneutrale Reform, die gleichmäßige Belastungen und Entlastungen für die Unternehmen bringt und die die Ungleichmäßigkeit in dieser Frage beseitigt.

(Michael Boddenberg (CDU): Ist der Metzger eigentlich noch bei Ihnen?)

Außerdem wollen wir eine Reform, die in der Lage ist, die derzeit völlig legale Steuerflucht ins Ausland zu beenden. Unser Bestreben sollte sein, eine möglichst gleichmäßige Besteuerung zu erreichen und die derzeitige Privilegierung von international tätigen großen Konzernen zu beseitigen. Diese Konzerne können es sich leisten, Kapital aus dem Inland abzuziehen, und können dann über eine Fremdfinanzierung die steuerlichen Vorteile im Inland in Anspruch nehmen. Diese Transaktionen werden nur aus einem Grund getätigt, weil man nämlich im Inland wunderbar steuerliche Vorteile erzielen kann. Diesen Punkt müssen wir beseitigen.Ich bezweifle,dass das,was wir derzeit aus Berlin vernehmen, dieses Problem ernsthaft löst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Derzeit haben wir einen Mechanismus, dass im Grunde genommen die Großbetriebe über steuerliche Transaktionen von kleinen und mittelständischen Unternehmen gefüttert werden. Die Gewinnverlagerung ins Ausland muss endlich beseitigt werden. Der allergrößte Pferdefuß an der Steuerreform ist die unsolide Gegenfinanzierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nicht die Zeit für Steuergeschenke. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht bei den 5 Milliarden c Steuerentlastung für die Unternehmen bleiben wird, wie Sie es als Zugeständnis an die Unternehmen verkündet haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Steuerverluste weitaus größer werden. Hierfür gibt es ernst zu nehmende Hinweise. Die Steuerverluste aus der Senkung der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer und anderer Änderungen werden sich aller Voraussicht nach auf 26,3 Milliarden c aufsummieren.

Solide gegenfinanziert sind hiervon 12,2 Milliarden c. Es bleibt also ein Defizit von zunächst einmal 14,1 Milliarden c. Bisher einkalkuliert haben Sie 5 Milliarden c. Der Rest beträgt 9,1 Milliarden c.Wie werden diese 9,1 Milliarden c gegenfinanziert? Es gibt einen Posten, der heißt „Selbstfinanzierungseffekt“ und beläuft sich auf 3,5 Milliarden c. Außerdem gibt es Absichtserklärungen, dass bestimmte Abzugsbeschränkungen bei bestimmten Kosten vorgenommen werden können.Wir wissen aber noch nicht, was damit passiert, weil es sich nur um Absichtserklärungen handelt.

Für mich bezieht sich der größte Posten auf das Prinzip „Hoffen und Wünschen“. Das nimmt für mich einen sehr breiten Raum ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn bald Weihnachten ist, sollten wir unser Vertrauen in den Weihnachtsmann nicht so hoch ansetzen, dass wir erwarten, dass er uns 9,1 Milliarden c vorbeibringt, auch wenn wir alle miteinander ganz artig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Das Wort hat nun Frau Kollegin Ypsilanti für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Boddenberg, Sie täuschen sich. Die SPD-Spitze hat mit den meisten Teilen dieser Steuerreform kein Problem.

(Axel Wintermeyer (CDU): Aber Sie haben ein Problem!)

Die SPD-Spitze. Sie haben doch den Antrag gestellt. Ich antworte Ihnen darauf als SPD-Spitze.

Wir haben überhaupt kein Problem damit, dass die Finanzbasis der Kommunen gesichert und ausgebaut wird. Damit hat die SPD-Spitze kein Problem. Die SPD-Spitze hat auch kein Problem mit der steuerlichen Gleichstellung von Kapital- und Personengesellschaften. Die SPDSpitze hat noch nicht einmal ein Problem mit der nominellen Steuersenkung auf 130 %.Die SPD-Spitze hat aber ein Problem mit einem Steuergeschenk von 5 Milliarden c an die Unternehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hierzu sagen Sie in Ihrem Antrag nichts, Herr Boddenberg. Es ist richtig, wenn sich eine Regierung Gedanken über die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft im internationalen Vergleich macht. Überlegen Sie aber einmal, ob Ihre althergebrachten Antworten immer die richtigen sind. Das ist doch wie ein Ritual: Steuersenkung,Aufkündigung und Aufweichung des Kündigungsschutzes, Schleifung der Mitbestimmungsrechte, und die Unternehmen legen dann immer noch etwas drauf mit ihrer Lohnzurückhaltung. Das sind doch uralte Rezepte, die noch nie funktioniert haben.

Schauen wir uns doch einmal die vergangene Steuerreform an. Das ist schwarz auf weiß zu belegen. Durch die vergangene Steuerreform wurden die Unternehmen um Milliarden entlastet. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Die Absenkung der Steuerbelastung für Körperschaften fördert Investitionen in Deutschland und damit zusätzliche Arbeitsplätze.– An welcher Stelle ist das denn bei der vergangenen Steuerreform passiert?

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die meisten Unternehmen haben nach der vergangenen Steuerreform Milliardengewinne gemacht. Was ist aber passiert? Wo sind denn die Investitionen? Wo sind denn die Arbeitsplätze? Ich erinnere Sie an die Diskussion über die Deutsche Bank, über die Allianz und über Siemens. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die diese Gewinne mit erwirtschaftet haben, werden entlassen. Darauf muss sich unser Augenmerk richten.

(Beifall bei der SPD)

Es ist richtig, die meisten deutschen Unternehmen sind Personengesellschaften. Aber auch die Personengesellschaften wurden in den letzten Jahren enorm entlastet. Beispielsweise wurde der Spitzensatz der Einkommensteuer massiv gesenkt, und die Gewerbesteuer wurde anrechenbar gemacht. Meine Damen und Herren, auch die Personengesellschaften in Deutschland sind durchaus wettbewerbsfähig.

Deshalb gibt es nach meiner Meinung keinen Grund dafür, die Unternehmen jetzt mit einer Nettoentlastung in bessere Stimmung zu versetzen.

(Michael Boddenberg (CDU): Was sagt Minister Steinbrück dazu?)

Worin besteht denn das Problem der mittelständischen Unternehmen? Das sind weniger die Steuersätze, das ist vor allem, dass ihre Auftragsbücher nicht voll sind und die Binnenkonjunktur noch nicht angekurbelt wurde. Diese nominale Steuersenkung wird dazu überhaupt keinen Beitrag leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Den Ansatzpunkt dieser Steuerreform, die nominalen Steuersätze den realen Steuerbelastungen anzupassen, finde ich gut. Die Mittel dazu sind einerseits die Steuersätze und andererseits eine breitere Bemessungsgrundlage durch weniger Ausnahmen und Schließen von Steuerschlupflöchern.Auch das ist gut.

Aber das, was jetzt beschlossen wurde, nämlich zuerst die Steuersenkung wirksam zu machen und dann den Rest,

die Gegenfinanzierung, auf das Prinzip Hoffnung – wie in Punkt 3 Ihres Antrages – zu verlegen, ist falsch.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Boddenberg, Sie sagen nichts dazu. Gestern hatten wir die Haushaltsdebatte. Wir sehen doch, alle Haushalte sind unterfinanziert. Und jetzt kommen Sie hierher und wollen einfach so auf 5 Milliarden c verzichten.Wie wollen Sie das eigentlich den Leuten erklären?

Wir hatten gerade die Debatte um die Gesundheitsreform. Da war es Ihr Ministerpräsident, der gesagt hat, es könnten keine Steuergelder eingebracht werden. Jetzt aber verzichten Sie locker auf 5 Milliarden c. Wie verträgt sich denn so etwas?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal: Ich habe nichts dagegen, den nominalen Steuersatz anzugleichen, wenn es die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen verbessert und die Stimmung in den Unternehmen hebt – aber keine Steuerausfälle; denn das trifft nicht nur den Bund, sondern auch die Länderhaushalte. Und vor allem trifft das die kommunalen Haushalte, und die können auf keinen einzigen Euro mehr verzichten.

In keinem öffentlichen Haushalt können wir auf irgendeine Einnahme verzichten. Darüber haben wir gestern diskutiert.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Natürlich, die Gegenfinanzierung. Frau Wagner, die ist auf dem Prinzip Hoffnung aufgebaut. Das aber können wir uns nicht leisten.

Welche Aufgaben liegen denn vor uns? Wir haben gestern über die Bildungspolitik diskutiert, über die Familienpolitik, über die Beschäftigungspolitik.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir haben über die Sozialpolitik diskutiert, über die Jugendpolitik.Wenn wir das alles leisten wollen, dann brauchen die öffentlichen Haushalte Einnahmen und können nicht einfach darauf verzichten.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Ypsilanti, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bleibe dabei, und die SPD-Spitze bleibt dabei:

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU) – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir haben nichts gegen die Unternehmensteuerreform, aber keine Steuergeschenke an Unternehmen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vielen Dank, Frau Kollegin Ypsilanti. – Das Wort hat der Finanzminister, Staatsminister Weimar.