Protokoll der Sitzung vom 12.12.2006

Im Sommer kursierte der Richtlinienentwurf in Hessen, in dem meines Wissens – so etwas geht uns ja als Parlamentariern nicht zu – noch nicht einmal auf das Urteil von 2003 Bezug genommen wurde, obwohl dieses Urteil ganz klar festlegte, dass die Fallpauschalen von 50,55 c pro Beratungsfall im Jahre 2003 auf immerhin 118,27 c mehr als verdoppelt werden mussten. Die Haushaltsauswirkungen waren vorhin hier kurz Thema. Insofern weiß niemand, warum das so lange gedauert hat.

Meine Damen und Herren, Frauen, die Hilfe brauchen oder Hilfe suchen, weil sie meinen, in einer ausweglosen Situation zu sein, oder die in einer solchen Situation sind, brauchen schnelle und kompetente Beratung. Keine Frau macht sich die Entscheidung für oder gegen ein Kind leicht, und es ist ein sehr enges Zeitfenster, in dem diese Beratung durchgeführt werden muss und in dem gegebenenfalls auch ein Abbruch stattfinden kann. Deswegen tragen wir alle die Verantwortung dafür, dass ein ausreichendes Angebot wohnortnaher und pluraler Beratung vorhanden ist und die Träger nicht um jeden Cent betteln müssen, um ihre Beratung anbieten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Entgegen der vielfachen Beteuerung der Ministerin haben die Träger in der Vergangenheit sehr wohl Einbußen gehabt. Ich erinnere hier nur an die „Operation düstere Zukunft“ und die Streichungen bei den Zuschüssen an pro familia in Höhe von 95.000 c. Konsequenz ist heute: Wer immer sich an eine der 26 Beratungsstellen von pro familia wendet, muss schlicht länger auf einen Termin warten, weil die ungefähr 100 Teilzeitkräfte ganz einfach zusätzlich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt sind, die früher der Landesverband in Frankfurt, also die Landesgeschäftsstelle übernommen hat. Zwei von drei Mitarbeiterinnen in Frankfurt sind entlassen worden. Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Das vergessen weder wir, noch vergisst es pro familia, noch vergessen es die betroffenen Frauen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auf die Anhörungen, den Gesetzentwurf und unseren Änderungsantrag dazu zurückkommen. Das Ergebnis der einhelligen Kritik der Angehörten und Experten war, dass der Gesetzentwurf überarbeitet und ergänzt werden muss. Die Experten und Expertinnen waren wie auch wir der Auffassung, dass die Umstellung des Förderverfahrens von den Fallpauschalen hin zu der pauschalierten Förderung – wie gesagt, ausgelöst von einem Gerichtsurteil – ein richtiger Weg ist.Was mich aber wundert, ist, dass Sie die Kritik aus der Anhörung komplett wegwischen und überhaupt nichts davon aufgenommen haben. Ich will auf drei Kritikpunkte, die sich auch in unserem Änderungsantrag wiederfinden, besonders eingehen.

Erstens. Das Kommissariat der katholischen Bischöfe, die evangelische Kirche, Diakonische Werke, die Liga, Donum Vitae, der DPWV, pro familia, also nicht irgendwer, sondern die hauptsächlichen Akteure in dieser Szene, haben gesagt, dass im Verwaltungsgerichtsurteil wie auch im Bundesgesetz die Träger einen Anspruch auf öffentliche Förderung von mindestens 80 % der Personal- und Sachkosten haben. Meine Damen und Herren, Sie lassen in Ihrem Gesetzentwurf schlicht das Wort „mindestens“ weg und definieren 80 % als Höchstgrenze. Damit verkleinern Sie die eigenen Ermessensspielräume unzulässigerweise, denn bei möglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten von kleinen Beratungsstellen und kleinen Trägern könnte es

sinnvoll sein, etwas mehr zu tragen, und das wäre auch im Landeshaushalt kein Problem. Deswegen fordern wir, das Wort „mindestens“ einzufügen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.

Zweiter Punkt. Sie beabsichtigen, die Regierungsbezirke als Versorgungsgebiete zu definieren. Auch das muss insbesondere in Bezug auf den ländlichen Raum, gerade in Nordhessen, geändert werden. Deswegen beantragen wir, genau wie die Evangelische Kirche und die Diakonischen Werke, dass dieses Versorgungsgebiet als Landkreis definiert wird und dass das nicht die RPs sind.

(Beifall bei der SPD)

Dritter und letzter Punkt, Herr Präsident, ist, dass nicht die Ärztinnen und Ärzte als Vollzeitstellen pro 40.000 Personen angerechnet werden können. Auch das würde mit Sicherheit im ländlichen Raum ganz große Schwierigkeiten bereiten, weil Ärzte logischerweise einen Versorgungsauftrag haben und nicht komplett der Schwangerschaftskonfliktberatung zur Verfügung stehen.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Deswegen sage ich Ihnen: Nehmen Sie doch unseren Änderungsantrag an, dann wird der Gesetzentwurf gut. Ansonsten müssten wir ihn leider ablehnen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Fuhrmann. – Herr Rentsch, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion.

(Clemens Reif (CDU): Frau Fuhrmann, haben Sie das Rauchen aufgegeben?)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kollegin Fuhrmann hat eigentlich einen wunderbaren Abgang gefunden. Sie hat gesagt: Nehmen Sie den Änderungsantrag an, dann wird das Gesetz gut. So sieht es auch die FDP.

(Petra Fuhrmann (SPD): Na bitte! – Beifall bei der FDP und der SPD)

Da freut sich die SPD. Es ist ganz selten, dass wir Ihnen in diesem Haus einmal zustimmen, aber das muss man dann auch ausgiebig feiern.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD) – Petra Fuhrmann (SPD): Ja, natürlich!)

Meine Damen und Herren, das, was die Landesregierung vorgelegt hat, ist mit Sicherheit eine Verbesserung des

Status quo, was das Thema Schwangerschaftskonfliktberatung angeht.Die Vorrednerinnen haben sehr eindrucksvoll gesagt: Ich glaube, wir wissen alle, dass bei diesem Thema Frauen oder auch Männer in einer sehr großen Konfliktsituation sind.Wenn man sich in einer solchen Situation befindet, braucht man schnelle und kompetente Hilfe, Menschen, die einem weiterhelfen. Deshalb ist die Schwangerschaftskonfliktberatung ein ganz, ganz wichtiger Punkt in dem sozialen Geflecht, das wir als Staat aufrechtzuerhalten und vorzuhalten haben.

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch eine rechtliche Verpflichtung im Rahmen von § 218a. Insofern ist das, was wir jetzt bekommen, eine Verbesserung für die Träger, weil es den Trägern erstmals die Möglichkeit gibt, eine sichere finanzielle Basis zu haben. Wir haben in den letzten Jahren mit vielen finanziellen Problemen zu tun gehabt. Es ist richtig, was Frau Kollegin Fuhrmann gesagt hat. Pro familia war eine Organisation, die vom Sparpaket der Landesregierung gebeutelt war. Wir haben uns deshalb in den letzten Wochen auch mit vielen Anbietern im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung unterhalten. Aber alle sagen, dass das Gesetz eine deutliche Verbesserung ist. Das muss man klar feststellen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das Urteil war eine Verbesserung!)

Das Urteil ist auch eine Verbesserung.Aber die Landesregierung hat es schnell – na ja –, sie hat es umgesetzt. Das ist schon einmal richtig und wichtig gewesen, auch im Vergleich mit anderen Bundesländern.

Für uns ist wichtig, dass wir eine wohnortnahe Beratung haben. Das heißt wirklich, dass Frauen nicht weite Wege hinnehmen müssen, um an eine Beratungsstelle zu kommen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, das kann man mit diesem Gesetz erreichen und im Übrigen auch mit dem Änderungsantrag der SPD.

(Petra Fuhrmann (SPD): Da vor allem!)

Es ist weiter wichtig, dass wir eine plurale und weltanschaulich neutrale Beratung ermöglichen. Das heißt, dass es verschiedene Angebote in diesem Bereich gibt und nicht nur eine bestimmte Beratungsform, einen bestimmten konfessionellen Träger, sondern dass man wirklich aus einem ganzen Strauß von Anbietern auswählen kann. Das ist natürlich auch ein Problem. Religion spielt in diesen Bereich hinein und kann letztendlich zu einem Problem werden. Deshalb ist das für uns ein ganz zentraler Punkt.

(Beifall bei der FDP)

Also Donum Vitae allein reicht nicht aus.

Meine Damen und Herren, wir haben uns nach der Anhörung dazu entschlossen, dem SPD-Antrag, den wir hier vorgelegt bekommen haben, zuzustimmen. Wir glauben zunächst einmal, dass es richtig ist, dass, was die regionale Anbindung angeht, der räumliche Umfang von Landkreisen besser gewählt ist.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hersfeld-Rotenburg ist groß genug!)

Es ist auch ehrlicher in der Diskussion.Wir glauben auch, dass es falsch ist, wie es die Landesregierung vorgesehen hat, Ärzte als volle Stelle im Versorgungsgeflecht nach § 2 einzubeziehen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist deshalb falsch, weil ein Arzt nicht mit einer vollen Stelle im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig ist. Er wird natürlich auch Beratung durchführen. Wir halten es auch für richtig, dass das weiterhin stattfindet. Das findet übrigens auch ohne uns statt. Es ist aber klar, dass ein Arzt nicht in Vollzeit im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig ist.Insofern kann man ihn auch nicht voll in diesem Bereich mit einrechnen. Insofern wird hier der SPD-Antrag unsere Zustimmung finden. Falls der SPD-Antrag wider Erwarten keine Mehrheit in diesem Haus finden sollte, wovon allerdings nach dem, was wir gerade von der Kollegin der CDU gehört haben, auszugehen ist, werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Wir halten ihn immer noch für die richtige Richtung und werden ihn deshalb nicht ablehnen; aber er ist nicht so gut, wie er hätte sein können, wenn man den Änderungsantrag angenommen hätte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön, Herr Rentsch. – Frau Staatsministerin Lautenschläger, bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz ist in der Anhörung ausgesprochen positiv bewertet worden. Es ist der richtige Weg, um die plurale Beratung im Lande Hessen dauerhaft sicherzustellen. Ich will nur eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Hölldobler-Heumüller, machen, weil Sie ansprachen, es wäre Ihnen zu langsam gegangen. Wir hatten in Hessen tatsächlich ein Problem mit den Fallpauschalen, die bisher gegolten haben.Das Fallpauschalensystem hätte möglicherweise fortgeführt werden können. Wir wollten es nicht. Wir haben bewusst umgestellt. Natürlich hätten Sie auch mit einem anderen System möglicherweise den gerichtlichen Anforderungen entsprechen können. Wir haben aber sehr bewusst mit den Verbänden vereinbart, dass sie durch die Umstellung des Systems eine Planungssicherheit bekommen.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Falls es Ihrer Erinnerung entfallen ist: Dieses sehr problematische System wurde vor 1999 eingeführt, und wir mussten bis zum heutigen Tag Rechtsstreitigkeiten aus den Jahren vor 1999 abarbeiten, um zu einem flächendeckenden pluralen System in Hessen zu kommen und das dauerhaft auf sichere Füße zu stellen.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das hat ganz schön lange gedauert!)

Genau das macht die Landesregierung damit, und wir stellen dadurch auch dieses plurale System sicher.Wir haben Ihnen schon im Ausschuss gesagt, dass wir damals sofort gesagt haben, als sich z. B. das Bistum Fulda aus der Schein-Beratung zurückgezogen hat; es muss auch dieses Beratungssystem geben, und auch das wird von uns finanziert. Somit haben wir inzwischen ein breites Beratungssystem in Hessen, das, auf die Einwohnerzahl heruntergebrochen, genau den bundesgesetzlichen Regelungen entspricht.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Verordnung, die wir nach dem Beschluss über den Gesetzentwurf in Kraft

setzen können,die in der Abstimmung mit den Verbänden ist, Rechtssicherheit haben, dass aber auch die Frauen, die in einer schwierigen Situation sind, garantiert ein plurales System in Hessen vorfinden, dass sie ein Beratungsangebot in einem Umfang vorfinden, das räumlich sehr gut erreichbar ist. All diese Voraussetzungen sieht der Gesetzentwurf vor. Daher bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank,Frau Staatsministerin.– Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/6690, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.Wer ist dagegen? – Die Fraktion der CDU. Damit ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.

Ich komme zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Hessisches Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz.Wer diesem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktion der CDU.Wer ist dagegen? – Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich? – Die Fraktion der FDP. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen und zum Gesetz erhoben.