Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind uns in der Analyse der Situation in Deutschland weitgehend einig. Ich nehme mit Interesse die Ausrichtung auf Fragen des Organhandels zur Kenntnis, der bei uns sicherlich nur in sehr, sehr begrenztem Umfang denkbar ist, wenn die Risiken für diejenigen, die so etwas tun, sehr groß sind. Es handelt sich also vielmehr um ein grenzüberschreitendes Problem. Das ist aber ganz schwierig anzugehen.

Lassen Sie mich auf den vorliegenden Gesetzentwurf zurückkommen.Bei der Analyse ergeben sich zwei Aspekte. Erstens. Seit dem Bestehen des Transplantationsgesetzes ist weitgehend Rechtssicherheit gegeben. Der zweite Aspekt ist – das steht aktuell an – der Mangel an Organen. Dafür gibt es, auch darüber besteht wahrscheinlich kein Streit, zwei Ursachen, nämlich eine möglicherweise verbesserungsfähige Bereitschaft zur Organspende und eine inadäquate Kooperation mancher kleinerer Krankenhäuser.

Für diese Probleme gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten. Ich erlaube mir den dezenten Hinweis, dass wir diese beiden Lösungsmöglichkeiten spätestens seit dem Jahre 2001 kennen, als wir gemeinsam den verehrten Prof. Sollinger in Wisconsin besucht haben, Frau Ministerin, und der uns schon damals erzählt hat, es gebe zwei wichtige Kriterien, zum einen die Aufklärung der Bevölkerung und zum anderen der Erlass der Vorschrift, dass die Krankenhäuser über ihr Handeln Auskunft geben müssen, dass man also die Pflicht, potenzielle Organspender zu melden, durchsetzt.

Hierzu gab es in den Jahren 2001 und 2006 Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion, mit denen wir versuchten, diese Lösungen einzuführen. Ich stelle mit großer Freude fest, dass auch die Regierung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass man die Zahl derjenigen, die über Organspenden aufklären, ausweiten und dass man die Überprüfung der Meldeerfüllung durch die kleineren Häuser konsequenter betreiben muss. Das werden wir nachher durch eine Änderung des Gesetzentwurfs der Landesregierung gemeinsam beschließen. Deshalb ist der dann so geänderte Gesetzentwurf sicher zustimmungsfähig, nachdem man eine Reihe von Anregungen übernommen hat, die auch in unserem Gesetzentwurf stehen.

Unser Gesetzentwurf ist nach unserer Überzeugung aber an einer Stelle weiterhin überlegen, und deshalb werden wir auch ihm zustimmen. Er ist nämlich in der Frage der Absicherung des Risikos überlegen, das ein Lebendspender hier in Deutschland eingeht. Dass wir am Ende, wie es aussieht, einen gemeinsamen Antrag beschließen, der die Landesregierung auffordert, sich dieses Problems auf Bundesebene anzunehmen,ist sicherlich hilfreich,aber an dieser Stelle sind wir unseres Erachtens nicht mutig genug. Natürlich hätte das Land Hessen hier vorangehen und mutig eine Lösung für die ganz wenigen Fälle, die in Hessen auftreten könnten – die bislang in Hessen noch nicht aufgetreten sind, wohl aber anderenorts –, beschließen können, in denen der lebende Spender eines Organs eine Komplikation erleidet, die zwar nicht schuldhaft verursacht wurde, aber schwere Konsequenzen für ihn hat. Beispiel: Wenn ein 35-jähriger Familienvater seinem 5jährigen Kind ein Stück seiner Leber spendet, weil er der Einzige ist, der zur Verfügung steht, und anschließend an Komplikationen erkrankt, die eine Berufsunfähigkeit und damit eine Existenznot der Familie zur Folge haben, dann muss, wenn es sonst keiner tut, die Gesellschaft, d. h. die staatliche Gemeinschaft eintreten, weil diese Spende ein Geschenk ist, das wir begrüßen und so würdigen müssen, dass wir den Spender keinen Risiken aussetzen.

Wenn es gelingt, dass die Regierung das mit der Initiative, zu der wir sie heute auffordern,auf Bundesebene erreicht, dann soll es uns recht sein.Wir werden engmaschig nachfragen und ganz im Sinne dessen, was Frau Schulz-Asche angekündigt hat, strikt auf die Evaluation der Wirksamkeit des Gesetzes achten, insbesondere was die Meldungen über die DSO aus den kleinen Häusern angeht. Es kann nicht sein, dass es in einem der am besten entwickelten Länder der Welt mit einer solchen Versorgungsdichte, wie wir sie haben, immer noch Krankenhäuser gibt, die eine so wichtige Aufgabe offenkundig nicht in ausreichender Weise wahrnehmen. Da braucht es Hilfe, aber irgendwann auch Kontrolle. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir den Regierungsentwurf heute so ändern werden, dass er eine akzeptable Form festhält, die Wirksamkeit des Gesetzes zu überprüfen.Wir werden zuerst unserem Gesetzentwurf und dann der gemeinsamen Initiative zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Für die Landesregierung hat Frau Sozialministerin Lautenschläger das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass der Ausschuss zu einer Einigung über unseren Gesetzentwurf gekommen ist, in der insbesondere festgeschrieben wird, den Vorschlag, den auch die DSO in der Anhörung unterbreitet hat, dass die Krankenhäuser nicht nur an die DSO,sondern auch an uns melden, im Gesetz zu verankern, auch wenn wir die Daten bisher auf informellem Weg von der DSO bekommen haben.

Ich glaube, es muss für uns alle wichtig bleiben, über das Thema Organspende weiterhin aufzuklären. Wir stärken mit dem Gesetz die Stellung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken. Sie brauchen die Rückendeckung der Klinikleitung, um ihrer Aufgabe vernünftig nachgehen zu können.

Wir haben in Hessen inzwischen sehr gute Voraussetzungen geschaffen, in Zusammenarbeit mit der DSO, aber auch mit all denen, die in der „Initiative Organspende Hessen“ tätig sind. Heute schon sind sehr viele Ehrenamtliche mit uns unterwegs, um für das Thema Organspende zu werben. Es sind Menschen, die sich dieses Themas angenommen haben, aber es gibt auch sehr viele, die aus einer Selbsthilfegruppe kommen und sagen: „Wir wissen,was es bedeutet,auf der Warteliste zu stehen.Wir wollen anderen Mut machen.Wir wollen aber auch aufklären, dass es tatsächlich jedem passieren kann, dass er ein fremdes Organ braucht.“ Insbesondere all denen, die ehrenamtlich in dieser Sache unterwegs sind, möchte ich an dieser Stelle noch einmal außerordentlich für ihr Engagement danken; denn ich glaube, es ist für uns alle wichtig, dass sie mit uns zusammen werben und Aufklärungsarbeit mit Blick auf Organspenden leisten. Das ist einer der wichtigsten Bausteine der Aufklärungsarbeit, z. B. im Rahmen der Kampagne „Ich bin dabei“, wenn Angehörige von Selbsthilfegruppen in Schulen oder auf Verbandsabenden sprechen und dort immer mehr Menschen mit dem Thema Organspende konfrontiert werden.

Ich freue mich, dass wir hier im Hause einen breiten Konsens hinbekommen haben. In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, dass wir das Thema Lebendspende nicht in unserem Gesetz behandeln können. Wir nehmen das Thema aber gerne auf, werden Gespräche mit der Bundesregierung darüber führen und dann den Landtag darüber unterrichten, was uns die Bundesgesundheitsministerin aus ihrer Sicht zum Thema Lebendspende und der Möglichkeit der Verankerung entsprechender Vorschriften im Gesetz mitteilen wird.

Ich freue mich, dass wir einen Konsens erzielt haben. Wir wissen aber auch, dass es noch eine lange Wegstrecke ist, die Zahl der Organspenden und die Bereitschaft, Organe zu spenden, weiter zu steigern. Wir werden es erst geschafft haben, wenn tatsächlich fast jeder einen Organspendeausweis einstecken hat und wenn es in allen Intensivstationen, in allen Kliniken eine wirkliche Unterstützung der Transplantationsbeauftragten gibt. Dies ist nämlich der Dreh- und Angelpunkt. Deshalb werden wir im Gesetz verankern, dass die Klinikleitung regelmäßig zu unterrichten ist.

Es ist eine wichtige Aufgabe, aber wir müssen viel, viel mehr Überzeugungsarbeit leisten;denn das Thema Tod ist in unserer Gesellschaft nach wie vor mit einem Tabu belegt. Das heißt eben auch, dass sich die Menschen viel zu spät die Frage nach einer Organspende bzw. nach dem Ausfüllen eines Organspendeausweises stellen. Wenn der gesamte Landtag hier mitmachen will und wir auch die Kampagne der Landesregierung gemeinsam weitertragen wollen – ich sehe, dass einige von Ihnen ihren Spenderausweis in die Höhe halten –, dann reicht es nicht, dass wir gemeinsam das Gesetz verabschieden, sondern wir müssen in vielen weiteren Diskussionsveranstaltungen, bei Besuchen in Schulen, aber auch in Krankenhäusern für das Thema Organspende werben. Nur dann werden wir eine echte Chance haben, das Thema Tod zu enttabuisieren und das Erfordernis der Organspende fest in den Köpfen zu verankern.

Von Prof. Sollinger haben wir damals gehört – er hat es auch auf unserer Tagung noch einmal ausdrücklich hervorgehoben –, dass man in Wisconsin die Kliniken tatsächlich verpflichtet hat, sich regelmäßig überprüfen zu lassen, und dass sie gegebenenfalls erklären müssen, warum es nicht zu einer Realisierung gekommen ist.

Das ist das, was wir mit der DSO hier umzusetzen versuchen.Aber dazu braucht es in vielen Fällen ein Umdenken und vielleicht auch ein bisschen mehr positives Denken, wie Prof. Sollinger auf unserer Tagung vorgetragen hat. Das gemeinsame Gesetz mag ein erster Schritt dazu sein. Wir freuen uns darauf, wenn wir die Kampagne gemeinsam mit Ihnen allen weiter vorantreiben können. Dann wird Organspende in unserer Gesellschaft ein Thema sein. Dann haben wir die Chance, unsere Organspenderaten tatsächlich so zu steigern,wie sie z.B.in Mecklenburg-Vorpommern schon heute sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danke sehr, Frau Ministerin Lautenschläger. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Ich komme daher zur Abstimmung über die beiden Gesetzentwürfe und den Dringlichen Antrag.

Ich rufe zunächst in zweiter Lesung den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes auf. Wer dem Gesetzentwurf der Landesregierung in zweiter Lesung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Zurufe von der SPD:Andersherum!)

Erst der SPD-Gesetzentwurf? Ich hatte es eben andersherum aufgerufen. Das war so beansprucht. Also zuerst der Gesetzentwurf der SPD.

Ich lese noch einmal vor: Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (TPG). Wer dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.– Die Fraktion der SPD und die GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Die Fraktionen von CDU und FDP. Damit ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt.

Ich rufe den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes auf. Wer dem Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der geänderten Fassung!)

In der geänderten Fassung. Klar, natürlich. – Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit einstimmig angenommen.

Ich lasse abstimmen über den Dringlichen Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Absicherung des Risikos bei Lebendspendern.Wer ist für die Annahme dieses Antrags? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit einstimmig so angenommen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.

Wir haben jetzt 12.50 Uhr. In der Zeit des Geschenkesuchens bin ich fündig geworden: Ich kann uns allen eine etwas längere Mittagspause schenken.

(Beifall)

Wir treffen uns wieder um 14 Uhr zur weiteren Beratung.

(Unterbrechung von 12.50 bis 14.01 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung. Ich freue mich über die gute Präsenz.

(Heiterkeit)

Ich teile mit, dass wir, wie vereinbart, mit Tagesordnungspunkt 41 beginnen wollen:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Kochs Fehlentscheidung kostet Arbeitsplätze und Hunderte Millionen Euro – Drucks. 16/6560 –

mit dem Tagesordnungspunkt 67:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend mehr Einsatz für Ticona-Beschäftigte und Nachtflugverbot – Drucks. 16/6695 –

und Tagesordnungspunkt 68:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Meilenstein zur Schaffung von 100.000 Arbeitsplätzen – hessische Standortpolitik startet durch – Drucks. 16/6696 –

Vereinbarte Redezeit: 15 Minuten je Fraktion. Es beginnt der Kollege Kaufmann, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 19. August 2000 hat Ministerpräsident Roland Koch – damals hat er besonders betont, dass er dies in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der hessischen CDU täte – eine Entscheidung getroffen und verkündet, die seitdem und bis heute und auch noch in Zukunft als Ursprung einer weiteren Kette von Fehlern, falschen Entscheidungen und ebenso horrenden wie überflüssigen Ausgaben identifiziert werden muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Koch gab nämlich Nordwest als Bahnvariante für den Ausbau des Flughafens Frankfurt vor, ohne dafür eine hinreichend solide Informationsgrundlage zu haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU)

Er tat dies nicht aus sachlichen,sondern ausschließlich aus taktischen Gründen.

Meine Damen und Herren, es ist offenkundig: Zunächst wollte er damit den Widerstand gegen den Ausbau insgesamt spalten und somit schwächen, indem die unmittelbar Betroffenen zweier Varianten des Ausbaus in den Status der vermeintlichen Nichtbetroffenheit versetzt wurden. Damit hoffte die CDU-Führung zunächst, dass die Mehrzahl ihrer eigenen Funktionsträger, die rund um den Flughafen Politik machen und wohnen, nicht mehr Sturm gegen eine Ausbauplanung laufen würden, die sie so direkt nicht tangiert,sondern bereit wären,die ideologischen Argumente der massenhaft verheißenen Arbeitsplätze brav vor Ort immer wieder vorzutragen. Das war die erste Überlegung des Parteivorsitzenden Koch.

Seine zweite Überlegung zielte ebenfalls auf die eigene Partei. Es galt doch, herauszusuchen, bei welcher Variante die örtlich verantwortlichen CDU-Politiker möglichst wenig tangiert sind. Da half schon ein kurzer Blick auf die politische Landkarte rund um den Flughafen. Der Kreis Offenbach mit einem CDU-Landrat an der Spitze und et

lichen CDU-Bürgermeistern sollte die Südbahnvariante nicht ertragen müssen, zumal unser damaliger Kollege, der nicht nur politisch gewichtige örtliche Wahlkreisabgeordnete, bereits öffentlich verbreitet hatte, die Südbahn ginge nur über seine Leiche. Die Stadt Frankfurt am Main, geführt von der CDU-Oberbürgermeisterin, durfte ebenfalls nicht zu sehr beansprucht werden, schon gar nicht in der Weise, dass die Landebahnerweiterung etwa auf ihrem eigenen Territorium gebaut werden sollte; denn die Stadt Frankfurt war obendrein Miteigentümerin der damaligen FAG, jetzt Fraport, und schon seit Langem gewohnt, dass die wirtschaftlichen Früchte der Flughafenexpansion zwar von ihr geerntet werden, die Lasten aber tunlichst anderen Gemeinden zufielen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es! Bei den einen klingeln die Kassen und bei den anderen die Ohren!)

Meine Damen und Herren, so war die dritte Variante, die von den Mediatoren seinerzeit benannt worden war, plumps, die Vorzugsvariante. Schien sie doch tatsächlich nur Vorzüge zu haben: Kelsterbach wird von der SPD regiert. Das war so und bleibt so. Kein Christdemokrat hat vor Ort eine Chance auf eine parlamentarische Mehrheit.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

So kann auch keine solche verloren gehen. Für den Kreis Groß-Gerau galt zumindest damals Ähnliches. Zwischenzeitlich mag es ein bisschen anders aussehen.