Damit weiß jeder, worauf er sich eingelassen hat und wohin es in Zukunft geht. Das ist bei uns gerade nicht der Fall. Hier wird überall angefangen, aber niemand weiß eigentlich, welches letztendlich das Ziel ist.
Blicken wir in die Zukunft, auf die Veränderung der Hauptschule.Die FDP hat sich immer für die Schulvielfalt in Hessen eingesetzt. Es ist ein Markenzeichen Hessens, dass wir so viele verschiedene Schulformen haben. Wir wollen das auch weiterhin haben, denn wir sagen, es gibt sehr unterschiedliche Kinder, sehr unterschiedliche Schülerinnen und Schüler, und für die brauchen wir unterschiedliche Schulen.
Allerdings haben wir auch immer gesagt, letztendlich entscheiden die Eltern und die Schüler, welche Schulform attraktiv ist und deshalb zukünftig Bestand haben wird.
Der demografische Wandel und auch das schlechte Image der Hauptschule –insbesondere der jetzigen Form der Hauptschule – haben dazu geführt, dass immer weniger Schüler diese Schulform besuchen. In Wiesbaden gibt es ganze sechs Anmeldungen für die Hauptschulen. Es kann doch bei den vielen Kindern in Wiesbaden nicht sein, dass nur sechs darunter sind, die zum Bildungsgang Hauptschule geführt werden sollen.
Deshalb ist das Festhalten an der Schulform Hauptschule als alleinstehender Schulform nicht mehr überall zeitgemäß. Ich weiß, es gibt sehr gut funktionierende Hauptschulen mit einer ausreichenden Anzahl Schüler. An denen will kein Mensch rütteln. Aber im Großen und Ganzen muss man sich schon überlegen, ob man dort, wo eben die Anzahl der Hauptschüler derart zurückgeht, nicht gegensteuert.
Allerdings darf der Bildungsgang Hauptschule nicht abgeschafft werden. Er muss erhalten bleiben, denn der Hauptschüler bleibt uns erhalten. Der Bildungsgang Hauptschule muss reformiert und gestärkt werden.
Im September haben wir ein großes Hauptschulforum durchgeführt. Dort wurde sehr klar, dass die Hauptschüler eine eigene Förderung brauchen – sehr individuell,
sehr praxisnah und vor allen Dingen sehr berufsorientiert. Ich muss Ihnen auch von einer Studie berichten, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.Auftraggeber waren das Nachrichtenmagazin „Focus“ und die Firma Microsoft. Es wurden 400 Führungskräfte, 800 Eltern und 600 Lehrer befragt, ob die Schule fit für den Beruf mache.
Das Ergebnis der Hauptschule: 27 % der Eltern sind damit zufrieden und sagen, sie macht fit für den Beruf; 42 % der Lehrer sagen das; aber nur 8 % der Führungskräfte in den abnehmenden Betrieben sagen, die Hauptschule macht fit für die Zukunft. Deshalb müssen wir den Bildungsgang Hauptschule verändern, vor allen Dingen berufsorientiert.
Hauptschüler haben eine kürzere Schulzeit. Bereits nach neun Jahren Schule müssen sie in den Beruf, und schon vorher müssen sie sich für einen Beruf entschieden haben. Deshalb sollten die Hauptschulen sehr viel enger mit den beruflichen Schulen zusammenarbeiten, mit den Handwerksbetrieben,den Schulen des Handwerks und den umliegenden Betrieben, um den Schülern überhaupt einmal Kenntnisse von den Berufen zu geben, die es heute gibt. Den Beruf des Lagerarbeiters mit dem Titel „Lagerarbeiter“ gibt es nämlich gar nicht mehr, der heißt heute „Logistiker für die Lagerverwaltung“. Da gibt es unglaublich viele verschiedene Berufe.
Neulich habe ich die Schule des Meisterhandwerks in Oberursel besucht, und dort wurde mir bestätigt, dass mittlerweile so viele verschiedene Handwerksberufe da sind, dass die meisten Hauptschullehrer sie gar nicht kennen und sie auch gar nicht kennen können. Deshalb ist eine engere Verzahnung zwischen den Schulen, Betrieben und Kammern sehr nötig.
Bereits in der 7.und 8.Klasse müssen Schüler Kontakt mit Betrieben bekommen, nicht erst kurz vor der Abschlussprüfung. Sie müssen sich sehr viel früher bekannt machen und umsehen können.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel von der Mittelpunktschule in Diemelsee-Adorf geben. Die habe ich nämlich in der letzten Woche besucht.
(Beifall des Abg. Roland von Hunnius (FDP) – Dr. Walter Lübcke (CDU): Das ist gar nicht mehr Hessen, das ist Waldeck!)
Man kann in Nordhessen ganz große Überraschungen erleben. – Das ist eine offene Verbundschule, eine Mittelpunktschule,Grundschule mit Haupt- und Realschule.Sie hat Folgendes gemacht. Sie hat eine Förderstufe, in der in Mathematik und Englisch differenziert unterrichtet wird. Vor zwei Jahren gab es folgende Situation. Nach der Klasse 6 hätten zwei Realschulklassen à 22 Schüler gebildet werden können sowie eine Hauptschulklasse mit 12 Schülern.Was hat man da getan? Man hat zwei Klassen à 28 Schüler gebildet, also die 12 Hauptschüler auf die beiden Realschulklassen verteilt. Weil es eigentlich drei Parallelklassen wären, hat man zum Glück die gleiche Lehrerzuweisung behalten dürfen.
In dieser offenen Verbundschule werden alle Nebenfächer gemeinsam unterrichtet, und die Lehrer in den Nebenfächern wissen auch gar nicht,wer mit einer Hauptschul- und wer mit einer Realschulempfehlung kommt. Aufgeteilt wird in Deutsch, Mathematik und Englisch sowie im Wahlpflichtunterricht; dort bekommen die Haupt
schüler Arbeitslehre und sehr viel berufsorientierten Unterricht. Den Realschülern wird Französisch angeboten, damit – und das ist ganz wichtig – der Übergang auf die gymnasiale Oberstufe möglich wird.
Nach Klasse 8 wird getrennt. In Klasse 9 werden die Hauptschüler ganz intensiv auf den landesweiten Hauptschulabschluss vorbereitet; die Realschüler in Klasse 9 und 10 werden ebenfalls auf den landesweiten Schulabschluss vorbereitet.
Die Erfahrungen in dieser Schule mit diesem System waren absolut positiv. Denn zum ersten Mal fand eines nicht statt. Die Schüler, die nach Klasse 6 in den Hauptschulzweig einsortiert wurden, haben nicht mehr gesagt: Wir sind ja sowieso die Loser; wenn wir schon im Hauptschulzweig sind, haben wir überhaupt keine Chance.
Sie haben sich an den Realschülern orientiert und mitgelernt. Erstaunlicherweise haben etliche Hauptschülerinnen und Hauptschüler den Übergang in den Realschulzweig Stück für Stück und Fach für Fach geschafft, anschließend die Klassen 9 und 10 im Realschulzweig besucht und erfolgreich abgeschlossen.
Diese Schule möchte gern künftig diese Verbundstufe in den Klassen 5 bis 8 einrichten. Das halte ich für sehr wichtig und sehr richtig. Auch bei diesem Vorbild gilt: Der Grundsatz der eigenverantwortlichen Schule umfasst nicht nur das Budgetrecht. Der Grundsatz der eigenverantwortlichen Schule bedeutet auch die Gestaltung des Unterrichts und die Gestaltung der Klassenzusammenlegung unter der Prämisse, dass sie zu landesweit einheitlichen Bildungsabschlüssen führt.Auf diese muss in jeder Schule hingearbeitet werden.
Jede Schule muss ihr eigenes Konzept des Unterrichtens finden können. Sie muss gemäß ihren Schülerinnen und Schülern und gemäß ihres Umfelds die individuelle Förderung der Schüler in den Mittelpunkt stellen. Hierzu kann sie mit Projektunterricht ab der Klasse 5 beginnen. Entscheidend ist jedoch die Förderung des einzelnen Schülers.
SchuB- und Praxisklassen sind Einzelmaßnahmen, die in die richtige Richtung weisen. Ich sage aber ganz offen, dass Hessen nicht nur SchuB-Schulen benötigt, in denen nur die Schwächsten gefördert werden. Wir brauchen ein gutes Förderkonzept für jeden Hauptschüler, für den Bildungsgang Hauptschule ab der Klasse 5.
Vermittlungsquoten von etwa 90 % bei den SchuB-Schulen sind natürlich sehr erfreulich. Das Modell der SchuBKlassen ist für Schülerinnen und Schüler, die in der Klasse 7 mehr oder weniger vor dem Aus stehen, mit Sicherheit ein gutes Modell. Ich glaube aber nicht, dass dies ein Modell für alle Hauptschülerinnen und Hauptschüler und für alle Hauptschulen ist.
Außerdem muss verfolgt werden, wie sich die SchuBSchüler nachher in der Lehre und in der beruflichen Schule, die sie nebenher besuchen müssen, beweisen. Dabei darf man nicht vergessen, dass sie nur an drei Tagen pro Woche die Schule besuchen.
Ob sie das Wissen aufarbeiten können, um erfolgreich am Berufsschulunterricht teilnehmen zu können, muss man beobachten. Das ist kein Problem. Das kann man durchaus machen. Es ist aber auf jeden Fall ein gutes Modell. Auch die Praxisklassen sind ein gutes Modell. Man muss
den Schulen aber die Entscheidung selbst überlassen, was für sie und ihr Schülerklientel das Richtige ist.
Besonders wichtig ist die Devise,dass es keinen Abschluss ohne Anschluss geben darf. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man die Abschlüsse mit landesweit einheitlichen Prüfungen belegt, sodass jeder die gleichen Prüfungen ablegen muss und eine dezidiert beschriebene Möglichkeit des Übergangs hat.
Zu den Ganztagsangeboten. Es wurde gesagt, der Ausbau müsse kontinuierlich und zügig fortgesetzt werden. Es ist für die Opposition zwar ärgerlich, aber äußerst geschickt, wie die Mitglieder der CDU-Landesregierung die Bewilligungsbescheide zum Ausbau von Ganztagsschulen überbringen.
Als damals die rot-grüne Bundesregierung die finanzielle Unterstützung der Länder zum Aufbau der Ganztagsschulen zugesagt hat, hat Hessen gesagt: Wir lassen uns nicht in unser Programm reinreden. Das Geld wollen wir nicht.– Daraufhin haben die Schulträger gesagt:Das Geld hätten wir doch ganz gern. – Also wurde dieses Programm dann doch umgesetzt. Heute kann man regelmäßig in der Zeitung lesen, wie die Bewilligungsbescheide übergeben werden.
Wie Sie die angekündigten Öffnungszeiten bis 17 Uhr, von denen bereits am Samstag die Rede war, bewältigen wollen und wie Sie das genau machen wollen, dazu haben Sie in der Regierungserklärung nichts gesagt.
Ich bin der Auffassung, man sollte den Terminus „Ganztagsschule“ etwas genauer fassen. Ganztagsschule ist für eine Schule mit pädagogischer Mittagsbetreuung nicht der richtige Begriff. Das sind Schulen mit Ganztagsangeboten. Diese sollte man ausbauen.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung betreibt Politik gegen die Schulen, aber nicht mit den Schulen.
Sie nimmt die Schulleiter bzw. die zukünftigen Schulmanager auf diesem Weg nicht mit und verärgert die Lehrkräfte.Wenn Sie durch das Land reisen, hören Sie überall nur Kritik und Unmut. Überall hört man: Lasst uns doch einmal von Wiesbaden aus in Ruhe und unsere Arbeit machen.
Das ist sehr bedauerlich; denn zwischen 1999 und 2003 waren sowohl die Schulleiter als auch die Lehrer hoch motiviert. Momentan handelt es sich bei der Schulpolitik um eine Mischung aus Pleiten, Pech und Pannen. Das Ganze wird jetzt noch übertönt vom Säbelrasseln des Wahlkampfs. So wird es mit dem Weg zum Bildungsland Nummer eins in Hessen mit Sicherheit nichts. Das haben Hessens Schulen nicht verdient.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Wagner, eines möchte ich vorneweg sagen: Dass es sich eine Regierung zumuten lassen muss, dass sie ein Abgeordneter beschimpft, gehört zu den parlamentarischen Gewohnheiten. Dass man dabei überheblich und rotzig in einer Art und Weise vorgeht, wie ich es selten erlebt habe, müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Sie müssen selbst wissen, ob das Ihrem Niveau entspricht.
Wenn man aber eine Kollegin aus dem Parlament persönlich beleidigt, dann hat das nichts mehr damit zu tun, sondern das ist einfach nur mies.