Herr Banzer, Sie können mir nicht einreden, dass die Ideen, die Sie heute hier vorgestellt haben, Ihnen erst in den letzten drei Wochen gekommen sind. Das sind teilweise Dinge, die sich schon seit Längerem in der Diskussion befinden. Wenn Sie jetzt, drei Wochen nach der letzten Landtagsdebatte über dieses Thema, Sexualstraftaten zum Gegenstand einer Regierungserklärung machen, dann stellt sich der etwas schale Beigeschmack einer Instrumentalisierung dieses ernsten Themas für den aufziehenden Landtagswahlkampf ein.
Dieser Beigeschmack wird durch die Tatsache verstärkt, dass Sie uns heute eigentlich – wenn auch mit mehr Wor
ten – inhaltlich im Grunde nur das erläutert haben, was Sie letzte Woche Donnerstag bereits in einer Pressemitteilung allen zur Kenntnis gegeben haben. Dort konnten wir schon lesen, was Sie für richtig halten. Die Aufgabe einer Regierungserklärung besteht eigentlich nicht darin, dass ein Minister Pressesprecher in eigener Sache ist.
Ich glaube, viele, die Ihre Regierungserklärung heute aufmerksam verfolgt haben, haben festgestellt: Es war eine typische Oppositionsrede – in diesem Fall eine Oppositionsrede gegen Berlin. Sie haben geschildert, was am letzten Donnerstag im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde und dass Ihnen das nicht weit genug geht. Herr Banzer, auch an dieser Stelle muss ich noch einmal daran erinnern: Sie sitzen in Berlin nicht in der Opposition, sondern Sie sind an der Regierung beteiligt.
„Ein bisschen Regierung“ geht nicht. Sie müssen schon die volle Verantwortung für all das übernehmen, was in Berlin verabschiedet wird.
Sie geben eine Regierungserklärung als Oppositionsrede gegen Berlin ab, weil Sie offenbar Ihren Wählerinnen und Wählern nicht mehr verkaufen können, was in Berlin läuft.Aber bitte, halten Sie weiter Ihre Oppositionsreden. Nach dem 27. Januar nächsten Jahres wird jede Rede, die Sie in diesem Landtag halten, eine Oppositionsrede sein.
Die Not der Union muss schon ziemlich groß sein, wenn sie zu einem angstbesetzten Thema wie Sexualstraftaten greifen muss,um überhaupt noch etwas zu finden,bei dem sie glaubt, punkten zu können. Das Schlimme daran ist, dass Sie berechtigte Ängste von Menschen für politische Ziele instrumentalisieren. Eine Regierungserklärung sollte – so habe ich es jedenfalls immer verstanden – dazu dienen, politische Initiativen der Landesregierung in ihrem eigenen Verantwortungsbereich darzustellen. Schauen wir uns einmal an, wie es damit aussieht. Dazu haben Sie nämlich fast nichts gesagt.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass mit dem Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht, das am letzten Donnerstag verabschiedet worden ist, die Ausweitung des zeitlichen Rahmens der Führungsaufsicht beschlossen wurde, also die maximale Dauer, für die Führungsaufsicht angeordnet werden kann, dass der Katalog der strafbewehrten Weisungen – Frau Hofmann hat darauf noch einmal hingewiesen – ausgeweitet,die Führungsaufsichtsstellen gestärkt und die forensischen Ambulanzen als Möglichkeit eingeführt wurden. Das alles sind – da sind wir uns, glaube ich, einig – sinnvolle und notwendige Maßnahmen, um den Schutz zu verstärken.
Aber wir hätten eine halbe Woche später vom hessischen Justizminister in einer Regierungserklärung erfahren wollen, wie Sie das in Hessen eigentlich umsetzen wollen.Wie wollen Sie in Hessen sicherstellen, dass die Bewährungshelfer, auf die diese neuen Aufgaben zukommen, diese tatsächlich auch leisten können? Es war diese Landesregierung, die im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ Stellen in der Bewährungshilfe bei gleichzeitig extrem ansteigenden Fallzahlen abgebaut hat.
Ich habe es mir heute noch einmal angesehen: Ende 1999 gab es in der Führungsaufsicht etwas mehr als 600 Probanden. Diese Zahl ist bis Mitte 2006 auf über 1.000 Probanden angestiegen. Gleichzeitig haben Sie die Anzahl der Bewährungshelfer von 160 auf 144 abgesenkt.Hier erzählen Sie uns dann, dass eine dichte Überwachung der Straftäter stattfinden soll. Da hätte ich von einer Regierungserklärung erwartet, dass Sie uns einmal erläutern, wie die Bewährungshelferinnen und -helfer das machen sollen.Wollen Sie mehr Leute einstellen? Wollen Sie Stellen zur Bewährungshilfe umschichten? Wollen Sie die Bewährungshilfe an anderer Stelle entlasten, damit sie die neuen Aufgaben wahrnehmen kann? Dazu haben wir heute von Ihnen nichts gehört.
Sie reden über weitere Gesetzesänderungen, sind aber nicht einmal in der Lage, das umzusetzen, was jetzt schon gesetzlich beschlossen ist. Da kann man schon nachfragen: Wo bleiben der Beitrag und die Verantwortung der Hessischen Landesregierung?
Ich darf daran erinnern, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf für das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht selbst ausgeführt hat – ich zitiere –: „Neben einer Verbesserung des strafrechtlichen Rahmens setzt eine Steigerung der Effizienz der Führungsaufsicht allerdings auch eine Überprüfung und gegebenenfalls Verbesserung ihrer Umsetzung in der Praxis durch die Landesjustizverwaltungen voraus.“ Hierzu hätten wir natürlich gerne etwas von Ihnen gehört. Eine gesetzliche Grundlage zu schaffen ist das eine. Das ist relativ einfach. Aber die Möglichkeit der Umsetzung in der Praxis schaffen ist für den Erfolg sicher unverzichtbar. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Hierzu haben Sie leider nichts gesagt.
Zu einem weiteren Aspekt.Durch das gleiche Gesetz wird die Möglichkeit eingeführt, die Betreuung und Behandlung von Strafentlassenen unter Führungsaufsicht durch eine forensische Ambulanz wahrnehmen zu lassen. Wir hätten gerne gehört, ob Sie in Hessen solche Ambulanzen einrichten wollen. Wenn ja, wann und wo? Sollen diese den Einrichtungen des Maßregelvollzugs oder den Institutsambulanzen der psychiatrischen Krankenhäuser angegliedert werden? Sollen es eigenständige Ambulanzen in Trägerschaft des Landeswohlfahrtsverbandes, der Kommunen, freier Träger oder anderer sein? Es gibt eine Fülle von Fragen, die Sie nicht einmal aufgeworfen, geschweige denn beantwortet haben. Kein Wort – Schweigen im Walde.
Unsere Große Anfrage zum Sexualstrafrecht hat eine Reihe von Defiziten zutage gebracht. Es hätte also auch hier Anlass zu einer Regierungserklärung bestanden, in der Sie uns darstellen, wie Sie diese Defizite bekämpfen wollen. Aber dazu haben wir heute wieder nichts gehört. Ich darf daran erinnern: „Wir wissen, dass wir nichts wissen“, war in weiten Bereichen der Tenor Ihrer Antworten auf unsere Anfrage. Wir wissen nicht, wie sich die Gesetzesänderungen im Sexualstrafrecht der vergangenen zehn Jahre tatsächlich auswirken. Wir wissen nicht, welche
Schwierigkeiten dazu führen, dass zwischen der Zahl der angezeigten Straftaten und der Zahl der Verurteilungen eine große Differenz besteht. Wir wissen nicht, wie in der Rechtspraxis mit den Opfern umgegangen wird. Zu diesen und einer Fülle von anderen Fragen fehlen schlicht belastende Informationen.
Wir hatten schon in den Haushaltsberatungen den Vorschlag unterbreitet, eine Rechtstatsachenforschung in Auftrag zu geben, bei der qualifizierte Fachleute Akten hervorholen und überprüfen, wie die Praxis aussieht und wie das bewertet werden kann. Sie haben das abgelehnt und auch heute wieder nichts dazu gesagt.
Ein weiteres Problem. Ein offensichtliches Defizit gibt es bei der medizinischen Beweismittelsicherung. Die Opfer von Sexualdelikten entschließen sich oft – bedauerlicherweise, wahrscheinlich auch verständlicherweise, aus welchen Gründen auch immer, das ist individuell unterschiedlich – nicht sofort zu einer Anzeigenerstattung.
Dadurch entstehen weitere Probleme, weil vorhandene Beweismittel wie Verletzungen oder Täterspuren bereits nach kurzer Zeit wertlos oder ganz verschwunden sind. Deshalb brauchen wir – das hatte ich schon in der Debatte um die Große Anfrage eingefordert – ein niedrigschwelliges und vor allem kostenloses Angebot für Opfer, eine rechtsmedizinische Beweismittelsicherung durchführen zu lassen, ohne zuvor eine Anzeige zu erstatten. Das gibt es in anderen Bundesländern. Der Justizminister kennt das Problem natürlich,aber auch dazu hat er heute wieder geschwiegen.
Herr Staatsminister, nun zu Ihren Äußerungen zu den Opfern. Sie haben in Ihrer Erklärung den Opfern von Sexualstraftaten einige warme Worte gewidmet. Aber bei den konkreten Hilfen ist Fehlanzeige. Die Täter zur Rechenschaft zu ziehen ist das eine. Den Opfern konkrete Unterstützung anzubieten ist mindestens ebenso wichtig.
Ich darf schon daran erinnern, dass es diese Landesregierung war, die im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ die Zuschüsse für die Frauennotrufe – das sind in den meisten Städten die ersten Anlaufstellen für die betroffenen Frauen – auf schlappe 13.900 c pro Jahr gekürzt hat. Das ist ein wahrlich „fürstlicher“ Betrag für den konkreten Opferschutz. Sie haben auch die Zuschüsse für Frauenhäuser gekürzt. Es gibt seither in Hessen weniger Zufluchtsorte für geschlagene und misshandelte Frauen. Das ist eine Tatsache.Auch hierzu haben Sie nichts gesagt.
In der letzten Woche haben wir anhand eines unseligen Falles in Frankfurt wieder über Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund diskutiert. Sie haben mit der „Operation düstere Zukunft“ auch die Hilfen für diesen Personenkreis zusammengestrichen. Wenn Sie hier eine Regierungserklärung zum Sexualstrafrecht und zum Schutz vor Sexualstraftätern abgeben, dann hätten wir schon gerne gehört, dass Sie diese Kürzungen rückgängig oder zumindest teilweise rückgängig machen wollen. Wir hätten schon gerne gehört, wie Sie den Opfern tatsächlich helfen wollen.Aber auch hierzu gab es kein Wort vom zuständigen Minister. Das finde ich beschämend.
Markige Worte statt klarer Taten – das kannten wir bisher von Ihrem Vorgänger Dr. Wagner, der das bis zur Perfek
tion beherrschte.Von Ihnen waren wir bisher anderes gewohnt, eher nachdenkliche und differenzierte Beiträge hier im Plenum. Leider haben wir heute einen Rückfall in die unseligen Zeiten vorher erlebt.An anderer Stelle fordern Sie immer zu Recht eine aktive Rückfallvermeidung. Sie sollten das in eigenen Angelegenheiten auch einmal beherzigen.
Das wenige Hessische an Ihren Ausführungen waren die Bemerkungen zum Sicherheitsmanagement. Allerdings sind Sie dort bemerkenswert vage geblieben. Wer soll als Sicherheitsmanager fungieren? Welche Ausbildung sollen sie haben? Wie sollen sie eingesetzt werden? Wie sollen sie bezahlt werden? Sind das bisherige Bewährungshelfer? Auch hier die Frage: Wie sollen Bewährungshelfer mit einer durchschnittlichen Probandenzahl von 90 einen ständigen Kontakt und eine intensive Begleitung gewährleisten, von der Sie gesprochen haben? Wie wollen Sie gewährleisten, dass der Bewährungshelfer oder der Sicherheitsmanager bereits während der Haft Kontakt mit dem Täter hat? – Ihr Ansatz ist so allgemein wie richtig, lässt aber mindestens so viele Fragen offen, wie Sie beantwortet haben.
Was den Menschen, die von Sexualstraftaten betroffen sind, am wenigsten hilft, ist sicherlich gesetzgeberischer Aktionismus.Ein Beispiel dafür:Bei einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht kann eine gesonderte Strafe festgesetzt werden, wenn gegen strafbewehrte Weisungen verstoßen wird. Das kann eine Geldstrafe sein, es kann auch eine Haftstrafe von bisher höchstens einem Jahr sein. Mit dem neuen Gesetz ist das jetzt auf drei Jahre ausgeweitet worden. Allerdings wurde selbst der bisherige Strafrahmen von einem Jahr in der Praxis gar nicht ausgeschöpft. Es gibt praktisch keine Beispiele, dass jemand tatsächlich wegen Verstoßes gegen Weisungen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
Das ist gut und richtig, weil es dafür spricht, dass die Weisungen wirksam sind, dass sie eingehalten werden und dass, wenn dagegen verstoßen wird, die Verstöße nicht so schwerwiegend sind, dass die Gerichte eine Haftstrafe für notwendig halten. Aber dann einen nicht angewendeten Strafrahmen zu erweitern – ob nun ein Strafrahmen von einem Jahr oder einer von drei Jahren nicht angewendet wird – hat in der Praxis keinerlei Auswirkungen. Das ist ein Placebo und nicht mehr Sicherheit.
Sie haben vorgeschlagen, eine Datei über Sexualstraftäter zu schaffen, über die z. B. auch Kindergärten und Schulen Informationen erhalten können. Das ist aus unserer Sicht grundsätzlich sinnvoll.Wir sollten alles rechtsstaatlich Zulässige tun, um Kinder und Jugendliche vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Dazu kann auch eine solche Datei dienen. Die Einzelheiten müssen sicherlich noch besprochen werden.
Aber Sie sollten dieses Thema vielleicht innerhalb der Landesregierung besprechen und für mehr Problembewusstsein sorgen.Wir haben mehrfach kritisiert,dass nach dem Konzept von Frau Wolff bei der Unterrichtsgarantie Murks noch nicht einmal ein polizeiliches Führungszeugnis für die Vertretungskräfte verlangt wird. Frau Wolff hat dies in mehreren Stellungnahmen vor dem Landtag damit begründet, dass diese Kräfte den Schulen in der Regel gut bekannt seien. Ich darf daran erinnern:Auch die entlassenen Sexualstraftäter, die im Kindergarten als Einschlafhelfer oder im Streichelzoo einer Grundschule eingesetzt
waren – die Beispiele hatten Sie genannt –, waren dem Kindergarten oder der Schule vorher bekannt. Sie haben längere Zeit dort gearbeitet. Geholfen hat das allerdings nichts.
Wenn Sie Kinder und Jugendliche wirksam schützen wollen, dann müssen Sie das auch in hessischen Schulen umsetzen. Dann müssen Sie bei Frau Wolff noch etwas Überzeugungsarbeit leisten.
Ich fasse zusammen: Es hilft nicht weiter, wenn die Landesregierung schöne Reden hält. Es hilft nicht weiter, wenn sie Forderungen an andere stellt und wenn sie gegen Berlin opponiert. Sie müssen Ihre eigene Verantwortung in Hessen wahrnehmen und das leisten, was in Hessen zu leisten ist. Deswegen mein Fazit: Aufmerksamkeit schärfen, wachsam sein, die Menschen vor Schaumschlägern schützen.
Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz vor Sexualstraftätern ist sicherlich ein sehr wichtiges Anliegen. Ich gebe dem Kollegen Dr. Jürgens Recht, dass jeder Fall in der Statistik ein schreckliches persönliches Schicksal ist und dass jedes Opfer ein Opfer zu viel ist.
Herr Justizminister Banzer, ich glaube aber, dass es gefährlich ist, die Beratungen in den Rahmen zu stellen, mit dem Sie Ihre Ausführungen begonnen und auch wieder geschlossen haben.