Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung, heiße Sie alle herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Noch eingegangen ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend flächendeckender Ausbau freiwilliger Ganztagsschulangebote bis 2015 – eine große Chance für Hessens Vereine, Drucks. 16/7283.Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 81 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 39 aufgerufen werden.
Weiterhin eingegangen ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend ideologische Fantastereien sind keine Alternative zu den energiewirtschaftlichen Realitäten, Drucks. 16/7284. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 82, und wir können ihn zusammen mit Tagesordnungspunkt 45 aufrufen. – Auch dem wird nicht widersprochen. Dann verfahren wir so.
Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 39, den ich gleich aufrufen werde. Dann folgt Tagesordnungspunkt 48. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 45.
Heute Abend gegen 19.30 Uhr wird die Fußballmannschaft des Hessischen Landtags gegen eine Mannschaft der „Frankfurter Rundschau“ antreten.Wir wünschen allen Beteiligten viel Spaß und ein gutes Spiel. Morgen früh werden wir hier das Ergebnis verkünden.
Antrag der Abg. Habermann, Frankenberger, Hartmann, Quanz, Dr. Reuter, Riege (SPD) und Fraktion betreffend Ganztagsschulprogramm – Drucks. 16/7205 –
Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend flächendeckender Ausbau freiwilliger Ganztagsschulangebote bis 2015 – eine große Chance für Hessens Vereine – Drucks. 16/7283 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Ich erteile Frau Kollegin Habermann für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident,meine Damen und Herren! Auch ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. Ich hoffe, dass er für die CDU-Fraktion so gut bleibt.
Ich habe mich bei der Ausarbeitung meines Beitrags über die Ganztagsschulen an der Redekunst von Herrn Irmer
orientiert und ein bisschen in der Vergangenheit gekramt. Ich habe festgestellt, schon im Februar 2001 forderte die SPD-Fraktion die Landesregierung auf, ein Konzept zur Entwicklung von Ganztagsschulen vorzulegen. In der damaligen Debatte wies die Kultusministerin dieses Anliegen zurück und betonte, dass man schrittweise vorgehen werde und zuerst an dem Punkt zusätzliche Angebote entwickeln wolle, wo man glaube, dass dies die Familien entlasten werde, nämlich im Bereich der Förderschulen.
Diese Äußerung verdeutlicht, wo der grundlegende Unterschied zwischen Ihrem und unserem Verständnis von der Bedeutung der Ganztagsschulen liegt. Sie sehen die über den Unterricht hinausgehende Zeit, die Kinder an der Schule verbringen, primär als Maßnahme zur Entlastung von Familien. Wie wir dem Dringlichen Antrag, der heute auf dem Tisch liegt, entnehmen, sehen Sie das als eine große Chance für Hessens Vereine – nicht etwa für die Schülerinnen und Schüler, sondern für Hessens Vereine.
Auch wir glauben,dass die Ganztagsschule ein Aspekt des Bemühens ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen. In erster Linie wollen wir aber deshalb mehr Ganztagsschulen, um Ernst zu machen mit dem Prinzip des individuellen Förderns. Mehr Zeit zum Lernen bedeutet, dass sich die Lehrkräfte auf die Schüler einstellen können, Angebote für das unterschiedliche Lerntempo von Kindern entwickeln können.Sie können sich am Leistungsstand ihrer Schülerinnen und Schüler orientieren und einen Wechsel zwischen Lernen, Fördern und Erholung herbeiführen. Schule wird zum Lebensraum, in dem die Kinder mit dem Unterrichtsstoff soziale Kompetenzen erwerben und üben können, aber auch Fertigkeiten und Talente entwickeln können, die nicht auf der Stundentafel abgebildet sind.
Ganztagsschulen können ein Baustein sein, um die Abhängigkeit zwischen Bildungserfolg und Herkunft abzuschwächen, wenn man den Schulen die Chancen und die Ressourcen gibt, ihre Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Genau das hat diese Landesregierung bis heute nicht getan. Sie haben es nicht getan, weil Sie die Diskussion um Bildungsqualität und bessere Bildungschancen verschlafen haben, weil Ihre strukturkonservativen Vorstellungen von Bildungserwerb Sie – wie so oft – am Denken gehindert haben.
Ganztagsschulen als Chance für Bildungsgerechtigkeit wurden bereits lange vor PISA diskutiert, auch in diesem Hause. Wenn Sie jedes Mal argumentieren – das entnehmen wir auch heute wieder Ihrem Antrag –, dass die Zahl der Ganztagsschulen in den letzten Regierungsjahren von Rot-Grün nicht mehr gestiegen ist, dann ist dies zwar eine Tatsache,
Ich will mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten den Herrn Präsidenten in seiner Eigenschaft als schulpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in der Debatte vom 28. Februar 1996 zitieren:
Der neueste Gag von Minister Holzapfel ist die Schule von 9 bis 15.30 Uhr. Dieser Vorschlag hat nichts, aber auch gar nichts mit der Schule der Zukunft oder einem vorhandenen Bedarf, oder sonstigen pädagogischen Notwendigkeiten... zu tun. Das ist schlichtweg ein rot-grüner Luftballon.
Sieben Jahre später, bezeichnenderweise kurz vor der Landtagswahl, hat die hessische CDU diesen Irrtum zu korrigieren versucht. Heute ist aus dem rot-grünen ein riesiger schwarzer Luftballon geworden. Die christdemokratische Schule der Zukunft orientiert sich aber weiterhin an den gesellschaftlichen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts.Auch was die sonstigen pädagogischen Notwendigkeiten einer Ganztagsschule betrifft,bin ich überzeugt, meine Damen und Herren von der CDU, dass die bis heute nicht bei Ihnen angekommen sind.
Diese Einschätzung des damaligen bildungspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion verdeutlicht die Unfähigkeit der hessischen CDU, sich aus einem ideologischen Korsett zu befreien und sich in der Bildungspolitik mit Lösungen auseinanderzusetzen, die von der Öffentlichkeit längst akzeptiert sind. Ich sage Ihnen an dieser Stelle voraus, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, mit Ihrer platten Diskussion um die sogenannte Einheitsschule werden Sie in Zukunft eine ähnliche Bauchlandung erleiden.
Gehandelt hat die CDU-Fraktion vor der Landtagswahl 2003 nicht deswegen,weil ein Umdenken eingesetzt hätte. Gehandelt haben Sie, weil die Entwicklung von Ganztagsschulen erkennbar ein Anliegen der Eltern, der Schulen und der Wirtschaft war. Sie sind auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, haben aber gleichzeitig wieder einmal die Notbremse gezogen. Sie haben ein Alibiprogramm auf den Weg gebracht, weil Sie gemerkt haben, dass die gesellschaftliche Entwicklung – wie so oft – an Ihnen vorbeigegangen war.
Mit den Richtlinien für die Einrichtung von Ganztagsschulen und der Regelung in § 15 Hessisches Schulgesetz haben Sie den Schulen Hoffnung gemacht. Sie haben ihnen die Hoffnung gemacht, sie könnten sich nach eigenen Vorstellungen und Konzepten weiterentwickeln. Das Programm „Ganztagsschule nach Maß“ lässt diese Entwicklung jedoch nicht zu. Es ist ungeeignet, eine bedarfsgerechte Entwicklung von Ganztagsschulen in Hessen zu fördern, da die erforderlichen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt werden.
Schon zu Beginn des Programms im Jahre 2003/2004 wurden 111 Anträge hessischer Schulen auf Aufnahme in das Landesprogramm abgelehnt. Mit dem groß angekündigten Dreijahresprogramm hat sich die Landesregierung dann der Verantwortung entledigt, die wachsende Zahl der Anträge selbst abzulehnen. Sie hat dies den Schulträgern überlassen. Jetzt dürfen die Schulträger den Mangel verwalten und dürfen bis zum nächsten Jahr 180 Lehrer
Durch die Beschränkung der Landesförderung auf die Einrichtung pädagogischer Mittagsbetreuung haben die Schulen keine Chance, bestehende Angebote weiterzuentwickeln. Es ist bezeichnend, dass von den 406 als ganztägig arbeitend ausgewiesenen Schulen 302 eine pädagogische Mittagsbetreuung haben. Ob sie mehr wollen oder nicht, steht überhaupt nicht zur Debatte. Die 104 Ganztagsschulen dagegen, die in offener oder gebundener Form arbeiten, wurden fast ausschließlich vor 1999 eingerichtet und genehmigt.
Aus vielen Gesprächen mit Vertretern von Schulen weiß ich, dass viele längst Konzepte entwickelt haben. – Herr Irmer, wenn Sie zuhören würden, hätten Sie gehört, dass ich gesagt habe: „vor 1999“.
Ich weiß, dass viele Schulen Konzepte entwickelt haben, die Möglichkeiten eröffnen, über die pädagogische Mittagsbetreuung hinauszugehen. Teilweise werden diese Konzepte an den Schulen auch umgesetzt – durch zusätzliches Engagement der Lehrkräfte oder durch Fördervereine. Ich kenne eine Schule in Offenbach, die ihre Mittel für pädagogische Mittagsbetreuung verwendet hat, eine Förderstufenklasse in gebundener Form durch die Klassen 6 und 7 zu führen. Der Ansturm auf diese Klasse ist immens. Die Lehrkräfte sagen: Wir würden gerne mehr Schüler aufnehmen. Wir sehen große Lernerfolge und Fortschritte bei diesen Kindern, die fast ausschließlich aus dem Migrationsbereich kommen. – Aber die Schule hat diese Möglichkeit nicht, weil Sie ihr eine Weiterentwicklung verwehren.
Diese und viele andere Schulen in diesem Land wünschen sich ein Signal, dass eine Erweiterung des Ganztagsschulbetriebes von dieser Landesregierung gefördert wird. Wenn Sie diesen Schulen die notwendigen Ressourcen geboten hätten, wäre die Vision des Ministerpräsidenten eines flächendeckenden Angebots bis 2015 heute auch etwas mehr als eine wohlfeile Worthülse, die mit Blick auf die Landtagswahl produziert wurde.