Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007

(Beifall bei der SPD)

Mit dem derzeitigen Tempo von 60 Schulen pro Jahr brauchen Sie nämlich bei ca. 1.870 allgemeinbildenden Schulen in Hessen mindestens weitere 25 Jahre, um für alle eine pädagogische Mittagsbetreuung zu finanzieren. Meine Damen und Herren, von einer Entwicklung hin zu Ganztagsschulen mit rhythmisiertem Ablauf und Zeit für individuelle Förderung sind wir in Hessen noch Lichtjahre entfernt.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen von Ihnen ein Konzept, wie das vollmundige Versprechen des Ministerpräsidenten in die Realität umgesetzt werden soll. Offensichtlich kennt die CDU-Fraktion dieses Konzept auch nicht, sonst würde sie in ihrem Dringlichen Antrag nicht darum bitten, dass man es uns hier erläutert. Es wird Ihnen nämlich nicht gelingen,

weiterhin durch wolkige Aussagen und Erfolgsmeldungen darüber hinwegzutäuschen, dass Ganztagsschulen in Hessen ein Stiefkind sind. Sie wollen einen Begriff besetzen, aber nichts für die Realisierung tun.So,wie ein guter Zauberkünstler eine virtuelle Realität schafft, um sein Publikum zu täuschen, wollen Sie eine Ganztagsschullandschaft vorgaukeln, die nicht existiert.

(Beifall bei der SPD – Petra Fuhrmann (SPD):Virtuelle Politik!)

Frau Kultusministerin, Sie sind aber nicht David Copperfield.

(Gerhard Bökel (SPD): Das bestreitet niemand!)

Wo er Applaus für seine Illusionen bekommt, werden Sie nur Buhrufe ernten. Die Politik der Ankündigungen und Rückschritte funktioniert nämlich in Hessen nicht mehr. Die Eltern und Schulen wollen keine virtuelle Bildungspolitik.Sie wollen eine Bildungspolitik,die dort investiert, wo es am notwendigsten ist:für gleiche Chancen beim Zugang zu Bildung und für ein Lernklima, das sich am Kind orientiert. Ganztagsschulen sind ein Beitrag dazu. Deshalb brauchen wir in Hessen ein Programm, das Schulen die Entscheidung offenlässt, wie ihre Schule der Zukunft aussieht. Wir haben dazu bereits ein Konzept vorgelegt und werden es ab dem nächsten Jahr auch realisieren.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Kölsch für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU begrüßt den Antrag der SPD-Fraktion zum Thema Ganztagsschule, weil er uns doch zum wiederholten Male die Gelegenheit gibt, ausführlich über dieses Thema, das sich so erfolgreich für die Regierung und die sie tragende Partei, die CDU, entwickelt, zu diskutieren.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Zur Erinnerung, auch wenn Sie es nicht mehr hören wollen:Man sollte sich schon immer daran messen lassen,was man selbst geleistet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Sie haben gar keine Ganztagsschulen unter Ihrem damaligen Kultusminister Hartmut Holzapfel genehmigt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit von 1995 bis 1999, als jeder von uns gestellte Antrag abgelehnt wurde.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!)

Zur Bestätigung darf ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten aus einem früheren Interview mit der ehemaligen Leiterin der Grundschule Gießen-West, einer Ganztagsschule, Frau Ulrike Rinn, aus dem „Gießener Anzeiger“ zitieren:

Auf die Frage:„Wie beurteilen Sie die Forderung der SPD nach Einführung möglichst vieler Ganztagsschulen? Ist sie also nicht die optimale Schulform für die Schülerinnen und Schüler?“, antwortet Frau Rinn:

Meine schlichte Gegenfrage lautet: Warum hat denn die SPD in Zeiten des Kultusministers Hartmut Holzapfel nicht mehr Ganztagsschulen einge

richtet? Damals standen sehr viel mehr finanzielle Mittel zur Verfügung,

ich füge ein: das war wohl die Meinung von Frau Rinn –

und trotzdem war sie nicht in der Lage, mehr Ganztagsschulen einzurichten und personell angemessen auszustatten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und das, obwohl viele hessische Schulen genau dies gefordert haben. Außerdem: Unter Holzapfel galten schon Schulen mit drei Nachmittagsangeboten als Ganztagsschulen. Auch die Grundschule Gießen-West hat mit Angeboten an drei Nachmittagen begonnen, darunter Unterricht, Hausaufgabenbetreuung und musische Betätigung. Hinzu kamen das Mittagessen und auch Freizeit.

Dies ist Aussage genug und bestätigt unsere immer wieder gemachte Feststellung, dass erst mit Beginn der Legislaturperiode unter der CDU/FDP-Regierung und ab 2003 mit der CDU eine wirklich positive Entwicklung bei ganztägig arbeitenden Schulen und damit der Ausbau des Ganztagsangebotes stattgefunden haben.

Meine Damen und Herren, es war übrigens die CDU, die sich erstmals Gedanken darüber gemacht hat, wie wir Familien mit schulpflichtigen Kindern helfen, dass ihre Kinder in einem verlässlichen Zeitraum in der Schule vor und nach dem Unterricht betreut werden. Die betreuende Grundschule ist heute an fast über 90 % unserer 1.173 Grundschulen Realität. Bei Ihnen waren es damals 288. Dies war der erste Schritt zum Ganztagsangebot.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Streichung der gebundenen Ganztagsschulen aus dem Schulgesetz in sozialdemokratischer Zeit wurde wieder rückgängig gemacht. Wir haben außerdem erreicht, dass auch Grundschulen gesetzlich in das Ganztagsprogramm aufgenommen werden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, jetzt noch einmal zu den Zahlen. Man kann sie nicht oft genug wiederholen; denn anscheinend werden sie von der Opposition nicht wahrgenommen.

(Nicola Beer (FDP): Na, na, na!)

Entschuldigung, Frau Beer. – Zurzeit haben wir 406 ganztägig arbeitende Schulen, dreimal so viele wie zu Ihrer Zeit. Bis zum Sommer 2008 soll das Angebot auf 523 Schulen steigen. Meine Damen und Herren, das sind dann 950 Stellen für diesen Bereich. Das heißt, die 523 ganztägig arbeitenden Schulen werden jährlich mit etwa 45 Millionen c aus Landesmitteln gefördert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich erinnere immer wieder daran, dass die Landesregierung damit auch ihr Ziel erreicht, bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2008 für jede Schülerin, für jeden Schüler die Möglichkeit zu schaffen, ein wohnortnahes ganztägiges Schulangebot in Anspruch zu nehmen.

Jetzt betone ich ganz besonders: auf freiwilliger Basis. Wenn die SPD in ihrem Antrag schreibt: „Ganztagsschulen können... einen wertvollen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf liefern.Eltern,die dies wollen oder müssen, können einer beruflichen Tätigkeit nachgehen

und dabei ihre Kinder bestens versorgt wissen“, dann verstehe ich das überhaupt nicht.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das glaube ich! Das ist ja genau das Problem, dass Sie es nicht verstehen!)

Wo bitte liegt denn in dieser Begründung der Unterschied zwischen einem freiwilligen Ganztagsschulangebot und einer verpflichtenden Ganztagsschule? Wir sind uns doch völlig einig – und das ist auch das Ziel der Regierung und der CDU –, dass wir Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen wollen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist doch genau Ihr Problem, dass Sie es nicht verstehen!)

Eltern sollen, wenn sie das Angebot in Anspruch nehmen, eine Verlässlichkeit haben. Wenn sich die Opposition dann immer wieder so abfällig über das Ganztagsschulangebot mit pädagogischer Mittagsbetreuung äußert, dann werden Sie den Schulen einfach nicht gerecht,

(Beifall bei der CDU)

die hier mit viel Engagement und großem Einsatz eine wirklich gute Arbeit leisten.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU), an die SPD gewandt: Fragen Sie bei Herrn Beck nach, wie er das macht!)

Im Gegenteil, Sie reden die Leistung der Schulen permanent klein und negieren die bereits existierenden Möglichkeiten für Familien. Ich frage mich oft:Wie häufig sind Sie eigentlich in Schulen unterwegs und reden mit der Schulgemeinde? Sie müssten doch eigentlich dann ein ganz anderes Bild haben. Ich erfahre zumindest sehr viel Positives.

Außerdem müssten Sie schon auch noch erklären – Sie haben es ja eben angesprochen –, weshalb Schulen keine Chancen haben,ihr Angebot weiterzuentwickeln.Schulen haben vielfältige Möglichkeiten und nutzen diese auch. Beschäftigen Sie sich doch einfach einmal inhaltlich mit der Ganztagsschule nach Maß.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig! Genau!)

Dort können Sie nachlesen, dass die Schulen in Hessen ihre pädagogischen Konzepte selbst entwickeln. Klare Vorstellungen und Zielvereinbarungen im Schulprogramm, der Nachweis von Know-how in der Betreuung vor und nach dem Unterricht sowie die Kooperationsfähigkeit mit Eltern, Schulträgern und außerschulischen Partnern, Förderunterricht und Wahlangebote im Sinne der Stundentafel, der Nachweis von Bildungs- und Betreuungsangeboten sowie berufsvorbereitende Angebote vor und nach dem Unterricht sind Voraussetzungen für die Aufnahme in das Ganztagsprogramm nach Maß.

Meine Damen und Herren,ich habe vorhin besonders von der Freiwilligkeit des Ganztagsschulangebots gesprochen. Wir wollen den weiteren Ausbau, so wie wir Schritt für Schritt das bestehende Angebot erreicht haben.

Warum betone ich so besonders die Freiwilligkeit? Derzeit wird demoskopisch ein Bedarf von 20 % erhoben, definiert für das eigene Kind; denn das ist genau die Situation. Das heißt, wenn Sie eine Umfrage starten, ist der größte Teil der Befragten für Ganztagsschulen. Anders sieht es aus, wenn Sie präzise die Frage stellen, ob das eigene Kind eine Ganztagsschule besuchen soll. Dann sind wir bei den vorgenannten 20 %. Deshalb ist ein schrittweiser, bedarfsgerechter Ausbau genau richtig.

Was wir nicht außer Acht lassen dürfen – das haben Sie eben auch schon erwähnt –, ist, die Diskussion vom Kind her zu führen. Wir sind sehr schnell dabei, wenn wir von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen, die Erwerbstätigkeit der Eltern in den Vordergrund zu stellen. Die Bedürfnisse und Wünsche der Schülerinnen und Schüler sollten wir deshalb aber auch nicht aus den Augen verlieren. Wir unterscheiden in unserem Ganztagsschulangebot kooperative Ganztagsschulen mit offener und gebundener Kooperation und pädagogischer Mittagsbetreuung. Besonders die Bedeutung der pädagogischen Mittagsbetreuung möchte ich noch einmal hervorheben, weil sie, wie schon gesagt, immer wieder von Ihnen heruntergeredet wird. Gerade die Gemeinschaftsaufgabe mit Schule, Eltern, Jugendhilfe, Vereinen, aber auch den Kirchen und der Wirtschaft ist in ihrer Vielfalt für Kinder und Jugendliche so wichtig und nicht nur das Konzentrieren auf Unterrichtsinhalte, aber – erachten wir das nicht zu gering – auch ein gesundes Mittagessen und die Hausaufgabenbetreuung. Je vielfältiger die Angebote sind, umso mehr werden sie von Schülerinnen und Schülern akzeptiert und angenommen.