Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007

Für den ersten Anlauf dieses Projektes hat es organisatorisch ganz gut geklappt.Wenn es Ihnen guttut,dass wir das bestätigen, tue ich das gerne. Ich fand etwas störend, dass Schulleitungen morgens antreten und die Prüfungsvorlagen eigenhändig kopieren müssen. Das kommt zu ihrer Arbeitszeit hinzu und hat mit ihrem Aufgabenprofil wenig zu tun.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Oh!)

Aber sehen wir einmal darüber hinweg. Die Organisation hat geklappt. Aber warum wollen Sie das heute hier diskutieren? Ich sage Ihnen, warum: weil wir heute Morgen ein schulpolitisches Thema hatten, bei dem Sie ganz schlecht aussehen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und weil es Ihnen darum geht, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit davon abzulenken, dass Sie bei den Ganztagsschulkonzepten versagt haben.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig, so ist es!)

Deswegen reden wir jetzt ein bisschen über das Landesabitur.

(Beifall bei der SPD)

Wenn hier steht, dass Sie die Landesregierung bitten, „weiterhin erfolgreich an der Stärkung der gymnasialen Bildung in Hessen zu arbeiten“, dann frage ich mich wirklich: Wo ist die bildungspolitische Konsequenz dieser

Fraktion, die noch einen Impuls nach vorne setzt? Das ist schlicht und einfach ein Offenbarungseid.

Auch das zweite Motiv, das ich Ihnen unterstelle, ist relativ durchsichtig und plump. Herr Weinmeister hat es in seiner Rede voll bestätigt. Sie wollen sich ein bisschen an der Aussage der hessischen SPD reiben, mit uns werde es ein Landesabitur in dieser Form nicht geben. In der Tat – da wollen wir es etwas sachlicher halten –: Die Aussage wird kontrovers diskutiert. Es gibt zu den Vor- und Nachteilen des Zentralabiturs viele befürwortende, aber auch viele ablehnende Stimmen.

Es gibt gute Argumente dafür, in Hessen zu diesem Zeitpunkt kein Zentralabitur durchzuführen. Ich will einige davon vortragen. Hessen ist eines von sieben Bundesländern, in denen als Reaktion auf die internationalen Schulvergleichsstudien ein zentrales Abitur eingeführt wurde, wobei in Niedersachsen, Berlin und Brandenburg die zentrale Prüfung bisher noch nicht alle Fächer abdeckt. In vier Ländern hat das Zentralabitur eine lange Tradition; es wurde unter dem Einfluss der Besatzungsmächte schon nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt. Die vier ostdeutschen Flächenländer haben eine zentrale Prüfung kurz nach der Wiedervereinigung in der Tradition des Schulsystems der DDR eingeführt, in der das Abitur zentral geschrieben wurde.

So vielfältig sehen die Motivationen und die Traditionen in den Bundesländern aus. Rheinland-Pfalz hat die zentrale Prüfung wieder abgeschafft. Ich glaube, gerade dieses Bundesland hat in der Bildungspolitik einige Alleinstellungsmerkmale. Eine Orientierung an ihnen würde sich auch hier in Hessen lohnen. Ich erwähne noch einmal die Ganztagsschule, auch wenn die Statistiken der Hessischen Kultusministerin da immer etwas anders aussehen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich erwähne die frühkindliche Bildung und die Verkürzung der Schulzeit in der gymnasialen Mittelstufe. Man muss sich überlegen, warum Rheinland-Pfalz diese Prüfung wieder abgeschafft hat. Man sollte vielleicht doch darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, sie zu dieser Zeit in dieser Form einzuführen und so zu tun, als sei es eine Frage der besseren Vergleichbarkeit und von Bildungsgerechtigkeit und Gerechtigkeit bei den Schulabschlüssen. Meine Damen und Herren, ich denke, das kann man in dieser Form nicht bejahen. Denn objektiv vergleichbar könnten die Prüfungsergebnisse nur unter zwei Bedingungen sein.

Erstens müssten die Schulen gleiche Lernvoraussetzungen bieten.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Herr Weinmeister, wir wissen aber aus den internationalen Schulvergleichsstudien, dass es gerade in Deutschland große Leistungsunterschiede zwischen den Schulen – auch derselben Schulform – gibt. Ziel muss also zunächst sein,diese Leistungsunterschiede auszugleichen und jeder Schule die gleichen Startvoraussetzungen zu geben, statt eine Stigmatisierung dadurch herbeizuführen, dass man den Schulen Prüfungen aufpfropft,für die einzelne von ihnen angesichts ihrer Ausstattung und ihrer Arbeit noch gar nicht vorbereitet sind.

Zweitens wären Prüfungen objektiv vergleichbar, wenn die Bewertung der Prüfungsarbeiten zentral vorgenommen würde.

(Norbert Schmitt (SPD):So ist es! Am besten durch Frau Wolff!)

Dann hätte man wirklich einen Maßstab und könnte sagen, hier werde alles mit gleichem Maße gemessen. Aber das ist ein Schritt, den die SPD im Sinne von Lernkontinuität und der Funktion der Lehrer-Schüler-Beziehung vermeiden will und den auch Sie, Herr Weinmeister, nicht gegangen sind.

Wir kritisieren, dass Sie mit der Einführung des Landesabiturs einmal mehr ignoriert haben, dass das Messen von Leistungen nicht per se zu Leistungssteigerungen oder gar zu Qualitätsverbesserungen führt. Meine Damen und Herren, das Zentralabitur ist in eine Bauruine eingebettet, die diese Landesregierung „Selbstverantwortung und Qualitätsentwicklung von Schule“ nennt. Bis heute ist der Stellenwert von Lehrplänen und Bildungsstandards in diesem Lande nicht geklärt.

Im bedeutungslosen Nebeneinander fehlt den Schulen eine eindeutige Orientierung, an welchen Vorgaben Qualität zu messen ist – wir sind eindeutig für eine solche Orientierung – und wo die Spielräume der Schule für ein eigenverantwortliches Schulprogramm mit den entsprechenden inhaltlichen Profilen liegen. Erst verbindliche Bildungsstandards – Herr Weinmeister, Sie haben dazu selbst etwas gesagt – und größtmögliche Gestaltungsfreiräume der Schulen in inhaltlichen und organisatorischen Fragen machen zentrale Elemente beim Abschluss sinnvoll.

Auch wir wollen wissen, ob und wie es Schulen schaffen, ihre Schüler im Rahmen der Kompetenzvorhaben zu qualifizieren. Aber wir brauchen den Konsens, die selbstverantwortete Schule, die Standards, an denen wir die Schulen verbindlich messen, bevor wir mit dem Zentralabitur ein völlig unnötiges Gebäude obendrauf setzen.Sie haben diese Arbeit liegen lassen. Sie haben immer den ersten Spatenstich gefeiert und sind dann zum nächsten Projekt marschiert. So sieht die Schullandschaft in Hessen jetzt aus. Ich glaube, das Landesabitur ist als neuer Leuchtturm auf einem solch instabilen Untergrund höchst ungeeignet.

Meine Damen und Herren, wir kritisieren ebenfalls, dass durch die zentral vorgegebenen Prüfungsthemen die inhaltliche Arbeit in der Oberstufe eingeengt wird. Das betrifft insbesondere auch die naturwissenschaftlichen Fächer, auf die Sie eigentlich ein besonderes Augenmerk legen wollten. Eigenes Forschen und Experimentieren, also gerade die kreativen Elemente des naturwissenschaftlichen Unterrichts,werden beschränkt zugunsten von Formelpauken und dem Reproduzieren abfragbaren Wissens. Eigene Schwerpunktbildungen von Schulen, die für die Berufswahl der Schüler motivierend sein können, müssen zurücktreten.

Meine Damen und Herren, wir halten es auch für äußerst fragwürdig, dass die Leistungen von Abiturienten deshalb vergleichbarer sein sollen, weil sie alle die Antigone interpretieren können.

Wir wollen eigenverantwortliches Lernen in der Oberstufe stärken und nicht den Schwerpunkt auf das permanente Üben vorgegebener Prüfungsinhalte legen. Nur so werden Gymnasiasten auf ein Studium vorbereitet, dessen Schwerpunkte sie selbst wählen und auch organisieren können.

Ich will zusammenfassen. Ihr Antrag ist, um es nicht unparlamentarisch auszudrücken, Herr Weinmeister, sehr schlicht und überflüssig, also schlicht überflüssig. Sie sind

Ihrer Aufgabe, durch verbindliche Bildungsstandards die überkommenen Lehrpläne abzulösen und damit einen eigenverantwortlichen Qualitätsentwicklungsprozess an den Schulen in Gang zu setzen, nicht nachgekommen. Mit der Einführung des landesweiten Abiturs in der Hessenform haben Sie einmal mehr bewiesen,dass es Ihnen nicht um das Herstellen vergleichbarer Bildungsbedingungen geht, sondern um die Erhöhung des Drucks durch scheinbar objektive Messungen.

Es ist ein gutes Beispiel mehr dafür, dass die Bildungspolitik in Hessen in schlechten Händen ist.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Henzler für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein Jahr nach Niedersachsen und zeitgleich mit Nordrhein-Westfalen und Bremen hat Hessen im Jahr 2007 das Landesabitur eingeführt.

Frau Habermann, Sie haben davon gesprochen, dass es in anderen Bundesländern andere Traditionen gibt und dass die Abschlussprüfungen zum Abitur deshalb auf verschiedenen Grundlagen beruhen und sich unterschiedlich entwickelt haben.

Eines aber ist doch klar: In dem Moment, in dem wir sagen, wir geben den Schulen mehr Freiheit bei der Gestaltung des Unterrichts und mehr Spielraum beim Ausfüllen der Stundentafel, muss ich vergleichbare Prüfungen einführen, um abtesten zu können, ob die Schulen das erfüllt haben, was man ihnen mit einem größeren Freiheitsspielraum vorgegeben hat.

(Beifall bei der FDP)

Sie mahnen dafür gleiche Voraussetzungen an. Um diese gleichen Voraussetzungen schaffen zu können, haben wir die Vergleichsarbeiten eingeführt. Es wird nämlich nicht erst am Ende der Schulzeit, beim Abitur, abgetestet, ob die Schulen selbst weitergekommen sind, sondern bereits vorher wird Stufe für Stufe mit Vergleichsarbeiten geprüft, wo die Schüler, wo die Schulen stehen; und dann wird ihnen auch ein Hilfsnetz angeboten, um besser werden zu können.

Heute habe ich gedacht, ich höre wieder den ehemaligen Kultusminister Holzapfel sprechen, der immer gesagt hat: Es nützt nichts, wenn man ein Schwein wiegt; davon wird es nicht fett. – Aber man muss es wiegen, um es geeignet füttern zu können, und genau deshalb sind damals die Vergleichsarbeiten eingeführt worden.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Heike Ha- bermann (SPD))

Dann haben Sie sich darüber gewundert, warum das Landesabitur heute hier Thema sein soll. Im Grunde ist das aber kein Wunder. Sie haben die Debatte im Vorfeld mitbekommen.Was wurde da politisch gesagt? Das geht alles schief. Das fängt schon damit an, dass die Datenübertragung nicht funktioniert. Die Schüler werden alle überfordert sein. Das Ganze kann organisatorisch gar nicht hinhauen.

Deshalb ist es schon wichtig, dass wir heute in diesem Parlament dazu stehen und sagen, dieses Landesabitur ist gut gelaufen, und dass wir auch den Menschen, die daran beteiligt waren – Schülerinnen und Schüler, Lehrer und alle anderen, die sich damit befasst haben –, ein Kompliment, ein Lob aussprechen und das Ganze anerkennen.

(Beifall des Abg. Heinrich Heidel (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Die FDP steht voll und ganz hinter dem Landesabitur. Die Vorbereitung, die Durchführung und die anschließende Bewertung geben uns dabei recht. Ich denke, das kann man schon jetzt sagen, nachdem der schriftliche Teil vorüber ist; der mündliche Teil – außer der fünften Prüfung – unterscheidet sich nicht so sehr von den früheren Abiturprüfungen.

Das Landesabitur erhöht die Vergleichbarkeit der Leistungen. Es stärkt die Bedeutung der Hauptfächer, vor allem von Deutsch als Schlüsselkompetenz.Damit verstärkt es die Qualität des Abiturs in Hessen.

Wir halten die SPD-Forderung nach Abschaffung des Landesabiturs für absolut absurd und erteilen diesem Gedanken eine klare Absage.

(Beifall des Abg. Heinrich Heidel (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Es besteht auch überhaupt keine Notwendigkeit für irgendwelche erneuten Änderungen in diesem Bereich. Das Landesabitur wird von der gesamten Bevölkerung akzeptiert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir halten es für reines Wahlkampfgetöse und für eine unlautere Wahlversprechung vonseiten der SPD ohne jede Glaubwürdigkeit.Ich kann Ihnen auch jetzt schon sagen: Die Schulen werden sich bei Ihnen dafür bedanken, wenn sie das alles nach der nächsten Wahl zurückdrehen und wieder von vorn beginnen müssten.

Sie werfen dem Kultusministerium vor, dass es viel zu viele Baustellen aufreißt. Ich habe das Gefühl, Sie wollen einen riesigen Container Sand nehmen und damit die Baustellen einfach zuschütten,

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Sie wollen denen Sand in die Augen streuen!)