Protokoll der Sitzung vom 03.07.2007

Liebe Frau Faeser, anders als die SPD wollen wir elektronische Medien, wie z. B. Computer oder Spielkonsolen,

nur zulassen, wenn dies dem Erziehungsziel dient. Im SPD-Gesetzentwurf ist das Tragen eigener Kleidung als Regelfall vorgesehen. Wir befürworten dagegen das Tragen von Anstaltskleidung, um bei den Jugendgefangenen die soziale Ausgrenzung Einzelner zu vermeiden. Nur im Ausnahmefall soll das Tragen eigener Kleidung zugelassen werden. Den Einsatz der elektronischen Fußfessel halten wir für ein effektives Mittel zur Kontrolle des Übergangs von einem Leben in Haft zu einem Leben in Freiheit.

Auch fehlen im SPD-Entwurf Regelungen zum Arrest als Disziplinierungsmaßnahme. Als letztes Mittel zur Abwehr von Gefahren muss der Schusswaffengebrauch möglich sein, was nicht zuletzt auch dem Schutz der Justizvollzugsbediensteten dient.

(Nancy Faeser (SPD): Er ist doch im Moment auch nicht zulässig!)

Meine Damen und Herren, bereits wenn wir einen ersten Vergleich zwischen dem Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung und dem der SPD ziehen, müssen wir feststellen,dass der SPD-Entwurf erhebliche Defizite aufweist. Die zentrale Leitlinie des Entwurfs der Landesregierung ist der Erziehungsgedanke. Anders als bei der SPD soll dieses Erziehungsziel aber nicht durch die Gewährung maximaler Freiheiten,sondern durch das Prinzip des Förderns und Forderns erreicht werden. Nach dem Regierungsentwurf soll den jugendlichen Straftätern eine umfangreiche Hilfestellung angeboten werden. Aber es wird von ihnen auch die Bereitschaft erwartet, selbst an dem Erziehungsziel mitzuwirken.

Als ein zweiter wichtiger Punkt steht in dem Gesetzentwurf der Landesregierung als gleichberechtigtes Ziel neben dem Erziehungsgedanken der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Auch daran werden wir festhalten. Somit wird auch dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit vor jugendlichen Straftätern Rechnung getragen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung eröffnet im Gegensatz zum SPD-Entwurf alle Möglichkeiten, durch eine ausgewogene Verbindung von konsequenter Betreuung und Kontrolle die Rückfallquote jugendlicher Straftäter deutlich zu senken. Mit einem modernen, erfolgreichen und effizienten Behandlungsvollzug soll die bundesweite Vorreiterrolle, die Hessen im Strafvollzug heute schon einnimmt, weiter verstärkt werden.

Abschließend will ich sagen: Der SPD-Gesetzentwurf erfüllt diese Anforderungen nicht. Wir werden aber in den Ausschussberatungen noch genügend Gelegenheit haben, unsere Positionen auszutauschen. Herr Dr. Jürgens, wir werden uns auch mit dem auseinandersetzen, was Sie hier für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geäußert haben.

Aber eines scheint mir sicher zu sein: Die vorliegenden Gesetzentwürfe der anderen Fraktionen haben nicht die Qualität des Regierungsentwurfs. Deswegen werden wir dem Regierungsentwurf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Gerling. – Zu einer Kurzintervention hat Herr Dr. Jürgens das Wort.

Herr Gerling, da Sie in der vierten Lesung eines Gesetzentwurfs zum Jugendstrafvollzug zum vierten Mal die Unwahrheit über den offenen Vollzug verbreiten, fordern Sie auch zum vierten Mal einen Widerspruch dazu heraus.

Erstens. Es ist unrichtig, wenn Sie behaupten, es habe aus dem offenen Jugendvollzug in Hessen viele Entweichungen gegeben. Sagen Sie mir, wann zum letzten Mal eine Entweichung aus dem offenen Jugendstrafvollzug stattgefunden hat. Das war vielleicht in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren.Seitdem hat es aus dem Fliedner-Haus in Groß-Gerau, das Sie zugemacht haben, keine Entweichungen mehr gegeben. Erzählen Sie an diesem Punkt wenigstens nicht die Unwahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zweiter Punkt. Sie behaupten immer, der offene Vollzug würde bedeuten,dass die Gefangenen draußen herumlaufen dürften.Auch das ist Unsinn.Ich lese Ihnen einmal die Legaldefinition aus dem Gesetzentwurf der SPD vor, die aus dem Gesetz zum Erwachsenenstrafvollzug übernommen worden ist.Deshalb könnten Sie sie schon seit 30 Jahren kennen. Dort steht nämlich: „... in einer...Abteilung einer Jugendstrafvollzugsanstalt ohne oder mit verminderten Vorkehrungen gegen Entweichungen untergebracht werden“. Das ist der offene Vollzug. Es bedeutet nicht, dass jeder, der im offenen Vollzug ist, draußen herumlaufen darf.

Ich habe beim letzten Mal ausdrücklich auf die Praxis in der JVA Rosdorf hingewiesen, deren Leiter gesagt hat: In der Regel gibt es frühestens nach vier Monaten unbegleiteten Ausgang aus dem offenen Vollzug. – Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Das heißt, die Jugendlichen sind vier Monate im offenen Vollzug, ohne die Anstalt verlassen zu dürfen. Erzählen Sie nicht immer, offener Vollzug bedeute, dass die Leute draußen herumliefen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es geht nur darum, dass die Ansprüche andere sind. Es müssen nämlich die virtuellen Mauern eingehalten werden. Deswegen sagen wir, dass die Ansprüche und Anforderungen an die Jugendlichen höher sind, und deswegen ist die Chance, ein Erziehungsziel zu erreichen, auch größer als im geschlossenen Vollzug, in dem es relativ einfach zu gewährleisten ist, dass die Mauern nicht überwunden werden. Aber der Forderung gerecht zu werden, die virtuellen Mauern nicht hinter sich zu lassen, ist viel anspruchsvoller. Deswegen halten wir das für den richtigen Weg und meinen, dass der offene Vollzug für den Regelvollzug geeignet ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke,Herr Dr.Jürgens.– Herr Gerling ergreift nunmehr die Möglichkeit, darauf zu antworten.

Herr Dr. Jürgens, ich weise Ihre Behauptung zurück, ich würde hier die Unwahrheit sagen. Ich bin im Moment nicht in der Lage, genau zu beziffern, wie viele Entweichungen es im Jugendvollzug gegeben hat.Aber sicherlich hat es damals im Jugendstrafvollzug – genauso wie im Er

wachsenenvollzug – Missbräuche des offenen Vollzugs gegeben.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nein!)

Ich werde Ihnen die Zahl nachliefern. – Aber wenn wir uns hier über den offenen Vollzug streiten und wir den geschlossenen Vollzug favorisieren, bedeutet das für uns Folgendes: Wir meinen, dass die Gefangenen grundsätzlich zunächst einmal in den geschlossenen Vollzug sollen. Wenn sie sich nach einem intensiven Behandlungsvollzug bewährt haben, sollen sofort Vollzugslockerungen erfolgen. Das geschieht auch heute schon.

Aber Sie wollen gleich mit dem offenen Vollzug beginnen. Nein, die Gefangenen müssen sich erst bewähren. Ich sagte schon, dass heute nur noch 6 bis 7 % der jugendlichen Strafgefangenen überhaupt im geschlossenen Vollzug einsitzen. Das sind sehr wenige. Es sind Gefangene, die in der Tat sehr viel auf dem Kerbholz haben und hinter Schloss und Riegel gehören. Von den Gerichten sind sie entsprechend verurteilt worden.

Wir haben hier ein klares Konzept und vermitteln dies auch der Bevölkerung draußen. Wir wollen, dass die jugendlichen Strafgefangenen zunächst in den geschlossenen Vollzug kommen und erst dann die Möglichkeit haben,Schritt für Schritt in den offenen Vollzug zu gelangen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Gerling. – Herr Staatsminister Banzer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist es sehr gut, wenn jede Fraktion einen Entwurf für ein Gesetz zum Jugendstrafvollzug einbringt; denn das bedeutet jedes Mal praktisch auch eine Lesung unseres Entwurfs. Das gibt wieder Gelegenheit, deutlich zu machen, wie großartig dieser Entwurf ist.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern bedanke ich mich heute insbesondere bei der antragstellenden Fraktion, der SPD, dafür, dass sie uns die Gelegenheit dazu gegeben hat.

(Nancy Faeser (SPD): Gern geschehen!)

Bei Ihnen meine ich es auch ernst; denn Sie haben so heftig abgeschrieben, dass Ihnen der Gesetzentwurf der Landesregierung wirklich gefallen haben muss.

(Nancy Faeser (SPD): Oh ja, sehr!)

Problematisch wird es nur – dadurch fällt es auch in der Schule immer auf –, wenn abgeschrieben wird, der Lehrer nachher eine Frage dazu stellt und man dann merkt, dass derjenige, der abgeschrieben hat, gar nicht weiß, was er abgeschrieben hat. Dann wird es schwierig. Sie haben am Gesetzentwurf der Landesregierung kritisiert – übrigens auch schon während der Diskussion im Mai –, dass wir leider keine Festlegung bei den Wohngruppen hätten.

(Nancy Faeser (SPD): Im Gesetzentwurf!)

„Im Gesetzentwurf“ – gut, dass Sie es noch einmal sagen.

Dann schreiben Sie aber unseren § 68 ab.

(Nancy Faeser (SPD): Nein!)

Doch, nur steht das bei Ihnen unter § 70. Schauen Sie doch unter § 70 Ihres Entwurfs nach.

(Nancy Faeser (SPD): Er hat die Zahlen drin!)

Ja, in dem stehen die Zahlen drin. – Dieser Paragraf ist aber wortgleich mit § 68 des Entwurfs der Hessischen Landesregierung. Das ist peinlich, sogar sehr peinlich: beim Abschreiben entdeckt.

(Beifall bei der CDU – Nancy Faeser (SPD): Nein!)

Frau Faeser, jetzt hilft Ihnen nur noch eines: Gehen Sie vor,und sagen Sie,Sie hätten sich getäuscht.Sonst hilft gar nichts mehr. Muss ich auch noch vorlesen, was in § 68 des Entwurfs steht? Das ist doch unangenehm.

Sie haben aber – darin haben Sie vielleicht kein ganz geschicktes Händchen bewiesen – die Abkürzung dieses Jugendliche betreffenden Gesetzentwurfs geändert. Die Abkürzung „HJ“ ist schlecht. Ich bitte Sie, sich einmal zu überlegen, ob darin nicht falsche Anklänge und Grundtendenzen zum Ausdruck kommen.Wir haben nun einmal eine bestimmte Geschichte, und man muss mit gewissen Bereichen sehr sensibel umgehen.

Ich glaube nicht,dass es sinnvoll ist,hier ernsthaft darüber zu diskutieren, ob es falsch ist, wenn in einem Gesetzentwurf steht, dass die Maßnahmen, die dort enthalten sind, gleichermaßen der Erziehung und der Sicherheit dienen sollen. Ich weiß nicht, welcher Landtagsabgeordnete draußen wirklich sagen kann: Wir wollen in diesem Gesetz nicht dem Thema Sicherheit Rechnung tragen. – Das ist doch eine Diskussion, die wir gar nicht führen können.

(Nancy Faeser (SPD): Das macht keiner!)

Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts ist doch auch eindeutig. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz.

(Nancy Faeser (SPD): Ich habe es zitiert! Das war nicht der Punkt! – Zuruf des Abg. Dr.Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Verfassungsrichter haben es doch gesagt. Ich zitiere nur.

(Nancy Faeser (SPD): Das habe ich auch getan!)