Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Die Schulen werden durch den hohen Reformdruck demotiviert. Außerdem müssen sie die schlecht vorbereiteten Reformen im Eiltempo umsetzen, ohne dass man sich vorher überlegt, welche Konsequenzen diese Reformen haben werden. Man hätte zum Beispiel LUSD zunächst einmal in einem Schulamtsbezirk ausprobieren und alle Fehler ausmerzen können, bevor man das auf das ganze Land Hessen ausgedehnt hätte.

Zur Einführung des G 8: Sie wissen, dass die FDP-Fraktion voll hinter diesem Projekt steht. Die Richtung stimmt, aber es gibt immer noch Umsetzungsschwierigkeiten, die man vorher mit denen, die es betrifft, hätte besprechen sollen. Es gibt extreme bei den Eltern, die sagen:

Unsere Kinder haben viel zu wenig freie Zeit;sie sind sehr lange in der Schule, und dann bekommen sie noch sehr umfangreiche Hausaufgaben; sie müssen sehr viel lernen, um mithalten zu können. – Das beklagen viele Eltern.

Probleme gibt es z. B. dann, wenn in Klasse 6 statt Französisch Latein angeboten wird. Die lateinische Grammatik kommt nämlich im Grunde genommen für die Kinder ein Jahr zu früh, da sie im Fach Deutsch die grammatikalischen Begriffe noch überhaupt nicht erlernt haben.

Wichtig wären außerdem eine Entrümpelung der Lehrpläne und die Beschaffung der neuen Schulbücher. Das Geld, das den Schulen gegeben worden ist, um neue Schulbücher zu kaufen, nutzt wenig, wenn die Schulbücher für das G 8 noch gar nicht auf dem Markt sind.

Das größte Problem dieser Landesregierung ist aber das Flaggschiff: die eigenverantwortliche Schule. Der Versuch Selbstverantwortung plus kränkelt vor sich hin.Ich denke, er wird auch bis Januar keinen großen Durchbruch erfahren.

(Widerspruch des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Lieber Walter, ich weiß nicht, ob du das Rechtsgutachten schon hast. Wir haben es jedenfalls noch nicht. Es kann sein, dass es schon vorliegt. Es war uns bis vor den Sommerferien zugesagt.

(Ministerin Karin Wolff: Bis Juli, habe ich gesagt!)

Also wird es uns erst Anfang Herbst übergeben,und bis es dann endlich umgesetzt wird, wird es auch noch seine Zeit dauern. Dabei habe ich sowieso meine Zweifel daran, ob das wirklich ein Leitfaden wird, nach dem man weiterfahren kann, oder ob es wieder nur ein Aufwerfen von nicht geklärten Fragen ist.

(Beifall bei der FDP)

Als neuer Leuchtturm des Ministerpräsidenten sind die ZLLs hinzugekommen, die Zentren Lebensbegleitenden Lernens, der Hessen-Campus.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das ist ein toller Erfolg!)

Aber auch das wird von dem Problem der Rechtsstellung der beteiligten Schulen überschattet. Die Schulen machen zwar mit, auch gern, aber sie haben überhaupt keine Chance, sich dabei richtig einzubringen, weil ihre Rechtsstellung nicht geklärt ist.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Die haben erst angefangen!)

Auch die Rechtsstellung der ZLLs als solche ist nicht geklärt: Mit wem können sie Verträge schließen? Wie können sie untereinander Verträge schließen?

Lieber Walter, die Schulen sind so gut, dass sie alles probieren, anfangen und machen. Leider aber lässt man sie dann im Regen stehen und gibt ihnen nicht die Rahmenbedingungen, in denen sie endlich arbeiten können.

(Beifall bei der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es! – Widerspruch der Ministerin Karin Wolff und des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Die Landesregierung spricht von Eigenverantwortung und meint Gängelung. Sie ist von einer fast krankhaften Kontrollsucht befallen.

(Beifall bei der FDP)

Zu Recht hat die CDU selbstkritisch festgestellt, dass es ein Weiter-so in der Bildungspolitik nicht geben darf. Allerdings hat sie noch nicht gesagt, wohin denn der Weg eigentlich führen soll und welche Richtung sie anstrebt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das haben Sie völlig falsch verstanden!)

Um allen Schülern in Hessen beste Bildungschancen zu geben, muss Folgendes passieren: kein Reformdruck mehr von außen – Schulen brauchen Ruhe für die eigene Qualitätsentwicklung. Sie können sich auf ihr Schulprofil überhaupt nicht mehr besinnen, wenn sie von außen ständig neue Reformen aufgedrückt bekommen.

Die Eigenverantwortung der Schulen muss dringend hergestellt und verwirklicht werden. Ich kann nicht Eigenverantwortung geben, gleichzeitig aber noch ein paar Vorschriften und Regelungen hinterherschicken.

(Beifall bei der FDP)

Die verlässliche Schule – sie ist verlässlich, das ist dabei sogar ein Plus – muss entbürokratisiert werden. Diese Vorschriften und dieser Papierwust, der immer noch existiert, sind einfach zu viel.

Wir brauchen in Hessen echte Ganztagsschulen. Den Schulen muss die Möglichkeit gegeben werden, wirklich gebundene Ganztagsschulen einzuführen, mit einer Unterrichtsverteilung über den ganzen Tag.

Die individuelle Förderung aller Schüler muss gestärkt werden.Das funktioniert allerdings nur in klar definierten Bildungsgängen und mit äußerer Differenzierung. Da gebe ich dem Kollegen Irmer völlig recht: Das können Sie nicht machen, wenn Sie alle Kinder in einer Klasse haben.

Hessen braucht verbindliche Vorschulstandards und ein verpflichtendes Vorschuljahr, um gleiche Startbedingungen für alle Schüler zu erreichen.

Zuletzt braucht Hessen mehr fest angestellte Lehrer für kontinuierlich guten Unterricht.

Lassen Sie mich deshalb zusammenfassend sagen: Die Schulen in Hessen brauchen drei Dinge:erstens Ruhe von oben, um intern alles Neue aufarbeiten und schulspezifisch umsetzen zu können; zweitens Vertrauen von oben in die Einsicht, dass alle Schulen zum Wohle der Schülerinnen und Schüler arbeiten und daher Freiheit und nicht ständige Überwachung und Gängelung benötigen; drittens Unterstützung von oben für eine funktionstüchtige LUSD und genügend ausgebildete Lehrer. Geben Sie den Schulen das, was sie wirklich brauchen, nämlich diese drei Punkte. Dann wären die Stimmung im Lande und die Leistungsbereitschaft wieder besser, und das käme vor allem den Kindern in diesem Lande zugute.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Vielen Dank, Frau Henzler. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Habermann für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion ist so überschrieben: „Hessen gibt allen Schülern beste Bildungschancen“.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schön wärs!)

Die Bilanz der Rede von Herrn Irmer ist: fünf Minuten lang Vergangenheitsbewältigung inklusive Einführung in die Grundrechenarten, drei Minuten lang ein Exkurs in angeblich eigene bildungspolitische Leistungen

(Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

und sieben Minuten lang der Versuch, das bildungspolitische Konzept der SPD zu verdrehen.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Herr Irmer,das ist für einen Setzpunkt der CDU-Fraktion ein bisschen dürftig gewesen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nach allen Pleiten, Pannen und Fehlentscheidungen, nach den schlechten Zeugnissen in allen Vergleichsstudien zum Thema Bildung fand ich es ohnehin tollkühn,heute diesen Antrag hier als Setzpunkt einzubringen. Offensichtlich glauben Sie immer noch, Sie könnten mit Ihren Zahlen und Schlagworten

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Das sind Fakten!)

noch irgendjemanden in Hessen darüber hinwegtäuschen, dass Ihre Bildungspolitik auf ganzer Linie gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD)

Wie willkürlich Sie mit Zahlen operieren, wurde auch heute wieder sehr deutlich. Sie haben davon gesprochen, seit 1998 sei der Bildungsetat um 600 Millionen c gestiegen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das kann man doch nachlesen!)

Das kann man auch in den Veröffentlichungen des Kultusministeriums nachlesen. In Ihrem Antrag steht allerdings der Betrag 780 Millionen c. Herr Irmer, das ist ein leichter Unterschied von einem Äquivalent von 3.000 Lehrerstellen.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Sie dürfen nicht netto mit brutto vergleichen!)

Ja, mit netto und brutto arbeiten wir auch noch, wenn wir Ihre Zahlenverdreherei hier aufgreifen. Entschuldigen Sie bitte, aber das macht relativ deutlich, woran es Ihnen auch insgesamt mangelt: erstens an der Sorgfalt im Umgang mit Ihren Botschaften nach außen, und zweitens verwechseln Sie immer noch Quantität und Qualität.Herr Irmer, Sie haben nicht gemerkt, dass bei Hessens Schulen, bei den Eltern,Lehrern,Schülerinnen und Schülern längst angekommen ist, dass heute weniger Lehrer im Unterricht sind statt mehr – auch wenn Sie ihnen das noch so oft und schön vorrechnen wollen.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist falsch, dummes Zeug!)