Protokoll der Sitzung vom 25.09.2007

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Oppermann. – Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Schulz-Asche das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Oppermann, wenn man in der öffentlichen Gesundheitspolitik so weit von dem entfernt ist, was europäischer Standard ist, dann sollte man hier an die Oppositionsparteien keine Noten verteilen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Ich habe mir noch einmal im Detail durchgelesen,was in der Anhörung ausgeführt worden ist. Man muss zusammenfassen, dass Sie hier einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der in der Vergangenheit hängen geblieben ist, der die Reformdebatte seit den Neunzigerjahren nicht aufgenommen hat und dazu führen wird, dass Hessen nicht nur als letztes Bundesland einen öffentlichen Gesundheitsdienst bekommen wird, der eine gesetzliche Grundlage hat, sondern dazu noch einen solchen, der sich auf Infektionsschutz konzentriert. Meine Damen und Herren, das ist wirklich nicht das, was Hessen verdient hat. Das ist nicht ein Gesetz für einen modernen öffentlichen Gesundheitsdienst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

In der Anhörung wurden – das will ich noch einmal hervorheben – die zentralen Herausforderungen, die sich heute für die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere der Kinder und der älteren Menschen, stellen, eindeutig festgestellt. Wir brauchen eine besondere Beachtung von Prävention und Gesundheitsförderung, einen umweltbezogenen Gesundheitsschutz und eine Gesundheitsberichtserstattung, die es den einzelnen Akteuren – auch auf kommunaler Ebene – ermöglicht, zusammenzuarbeiten und sich zu koordinieren.

Meine Damen und Herren, wir haben ein verändertes Krankheitsspektrum, auch bei den Kindern. Natürlich gibt es noch Infektionskrankheiten und die Gefährdung durch Infektionskrankheiten.Aber die meisten Krankheiten, unter denen Kinder und Jugendliche heute leiden, sind Zivilisationskrankheiten. Die hängen mit einer Fehlernährung, mit zu wenig Bewegung und mit einem mangelnden Selbstvertrauen zusammen. An diesen Punkten setzt die Gesundheitsförderung an. Davon findet sich in Ihrem Gesetzentwurf leider überhaupt nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere Herausforderung. Es wächst die Zahl älterer Menschen, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden,an chronischen Krankheiten, und die einen erhöhten Pflegebedarf haben. Wenn eine Partei wie die CDU, die noch vor Kurzem einen Kongress zur Demografie veranstaltet hat, hier ein Gesetz vorlegt, das auf die Frage nach dem Umgang mit der Pflegebedürftigkeit älterer Menschen keine Antwort gibt, ist das ein Skandal. Das zeigt, dass Sie nur mit Worten hantieren.

(Axel Wintermeyer (CDU): Ach du grüne Neune! Halten Sie hier doch keine Parteitagsrede!)

Sie reden auf Kongressen daher, aber konkrete Maßnahmen bleiben Sie schuldig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass Sie nicht begriffen haben, worum es hier geht. Sonst würden Sie nicht ein solches Gesetz vorlegen. Deshalb lassen Sie mich noch Folgendes sagen. Was ist denn die Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes? Die Aufgabe ist es, Leistungen zu erbringen, die von anderen nicht erbracht werden. Vor allem aber ist es die Aufgabe, vor Ort alle Träger, alle Aktivitäten,die im Bereich Gesundheit und Gesundheitsförderung stattfinden, miteinander zu verbinden. Gerade wenn wir über die Gesundheit oder die Vernachlässigung von Kindern reden, reden wir doch nicht zuerst darüber, polizeiliche Maßnahmen einzuleiten, sondern darüber, wie wir den Kindern helfen und die Eltern unterstützen können. Dazu muss der öffentliche Gesundheitsdienst Kooperationen vor Ort organisieren. Das ist es, was heute fehlt. Uns fehlt nicht unbedingt das Geld, sondern die Zusammenarbeit der verschiedenen Menschen, die sich für die Kindergesundheit engagieren. Das ist es, was die Aufgabe eines modernen öffentlichen Gesundheitswesens ausmacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Mit anderen Worten:Meine Damen und Herren,zu Ihrem Gesetzentwurf kann man nicht einmal sagen: „Willkommen in der Gegenwart“. Er ist zu sehr in den Siebzigerund den Achtzigerjahren verhangen.Deswegen muss er in der Art und Weise, wie er hier eingebracht wurde, als eher kontraproduktiv bezeichnet werden.Wahrscheinlich führt er vor Ort eher noch dazu, Aktivitäten, die schon existieren, zu verhindern, als zu fördern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, wir haben uns lange überlegt, ob wir das, was in den 15 anderen Bundesländern – wohlgemerkt – bereits an Erfahrungen zu einem modernen öffentlichen Gesundheitsdienst vorhanden ist, hier noch einbringen.

Das, was wir heute vorgelegt haben, haben wir uns nicht erst seit vergangenem Donnerstag oder etwa gestern Nacht ausgedacht, sondern es sind im Prinzip die Erfahrungen, die in anderen Bundesländern bereits seit den Neunzigerjahren gemacht wurden und in entsprechende Überarbeitungen inzwischen eingeflossen sind. Das Leitziel dieser Überlegungen, welches Sie in § 1 finden, ist die gesundheitliche Chancengleichheit, eine Orientierung am Patienten, dem Menschen, sowie an bestimmten Patien

tengruppen, statt der bisherigen stark anbieterorientierten Programme. Wir brauchen noch mehr Maßnahmen, die den Menschen, den Patienten tatsächlich in den Vordergrund stellen – nicht die Anbieter.

Wir brauchen – ich habe es schon gesagt – eine Gesundheitsförderung und Gesundheitsprävention, und zwar als Querschnittsthema sowohl in der Politik als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und natürlich im Gesundheitswesen selbst, wenn wir an die ambulante und stationäre Versorgung denken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben das immer größer werdende Problem, dass die Chancengleichheit in Bezug auf den Zugang zu Gesundheitsleistungen abnimmt und die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Bereichen Hessens schwieriger wird. Auch das ist ein Ergebnis der Enquetekommission „Demografischer Wandel“, aber auch das findet man in Ihrem Gesetzentwurf nicht: die wachsende Anzahl älterer Menschen, wobei ebenfalls auf der Tagesordnung stehen sollte, wie gerade im ländlichen Bereich die Pflege sichergestellt werden könnte. Es fehlt natürlich die Barrierefreiheit dieser Leistungen; dies wird ebenfalls nicht berücksichtigt. Auf all diese Fragen haben Sie keine Antworten. Deswegen haben wir in unserem Änderungsantrag hierzu ausführlich Stellung genommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stellen außerdem fest,dass eine große und wachsende Anzahl von Menschen aus sozial schwachen Schichten, auch mit einem anderen kulturellen Hintergrund, immer schlechter an den Gesundheitsleistungen teilhaben kann. Deswegen müssen wir den Teufelskreis von Krankheit, beeinträchtigten Bildungschancen, niedrigem Schulerfolg, beruflichem Risiko sowie Armut endlich durchbrechen. An dieser Stelle gibt es in Hessen einen riesigen Handlungsbedarf.Wir müssen auch hier endlich handeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Punkt, den wir vorschlagen und bei dem wir finden, dass die Kommunen in diesem Zusammenhang finanziell nicht alleingelassen werden können, ist die Kindergarteneingangsuntersuchung. Wir sind der Meinung, dass alle Kinder, die etwa im Alter von zweieinhalb Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben, eine Kindergarteneingangsuntersuchung durchlaufen sollten, die den Eltern helfen soll, zwischen geeigneten Fördermöglichkeiten für ihre Kinder auszuwählen – sei es in Bezug auf geeignete Kinderbetreuung oder die gesundheitliche Förderung.

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang könnte man wirklich sehr früh dafür sorgen, dass in Hessen alle Kinder entsprechend ihren Möglichkeiten tatsächlich gefördert und betreut würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch deshalb einen öffentlichen Gesundheitsdienst, damit dieser in der Lage ist, auf die verschiedenen Gegebenheiten in den Kommunen zu reagieren – z. B. mit Modellprojekten, Kampagnen oder früh vernetzten Hilfen, je nachdem, welche Programme vor Ort vorhanden sind oder wie sich die Situation vor Ort darstellt.

Wir brauchen Programme für Stadtteile mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Gruppen. All dies muss ein moderner Gesundheitsdienst entwickeln können,aber auch hier bleiben Sie jegliche Antwort schuldig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, den Verbraucher- und Patientenschutz. Wir haben tatsächlich das Problem, dass die Patienten, die versuchen, sich in unserem Gesundheitssystem zurechtzufinden, praktisch keine Orientierung mehr haben. Ein klassischer Bereich ist sicherlich auch der Verbraucherschutz sowie die Sicherstellung von Patientenrechten, was dem öffentlichen Gesundheitsdienst unterliegen würde. Hierzu haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf leider überhaupt keine Antwort gegeben. Daher haben wir dies in einem ganz eigenen Kapitel in unserem Änderungsantrag explizit aufgenommen.

Meine Damen und Herren, wir können hoffentlich – Herr Kollege Spies hat darauf schon hingewiesen – noch in dieser Legislaturperiode ein Präventionsgesetz seitens der Großen Koalition in Berlin erwarten.Auch das ist ein Projekt, das in den letzten Jahren von Hessen gern torpediert worden ist.Wir hoffen, dass sich die Große Koalition nun endlich aufschwingt und tätig wird. Aber auch in diesem Zusammenhang würden wir in Hessen einen öffentlichen Gesundheitsdienst brauchen, der auf diese Herausforderung der Gesundheitsprävention und Gesundheitsförderung vorbereitet ist und der sich nicht ausschließlich auf den Umgang mit der Vogelgrippe konzentriert. Das hat mit Modernität, Zukunftsfestigkeit und mit einem Anmorgen-Denken nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich daher abschließend noch einmal die zentralen Punkte unseres Antrags zusammenfassen.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen einen Gesundheitsdienst, der eine Gesundheitsförderung und -prävention ermöglicht, der sich der Kinder- und Jugendgesundheit annimmt,die Gesundheit älterer Menschen nicht vernachlässigt und die Patientenrechte sowie den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt stellt. Lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen. Daher beantrage ich eine dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU:Ah!)

Danke sehr, Frau Schulz-Asche. – Herr Rentsch, Sie haben jetzt für die Fraktion der FDP das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Oppermann, bei aller Freundschaft, Sympathie und auch Zuneigung für Ihre Person – –

(Zurufe von der CDU, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Michael Bodden- berg (CDU): Sie müssen sich jetzt jeden weiteren Satz gut überlegen!)

Ich hätte es nicht sagen sollen, stimmt. – Frau Kollegin Oppermann, bei aller Sympathie Ihnen gegenüber – wir belassen es nun dabei – werden wir nun sicherlich die CDU-Fraktion sowie die Landesregierung nicht dafür loben, dass sie es geschafft haben, verschiedene bestehende Vorschriften und Gesetze in einem Gesetzeswerk zusammenzufassen. Das wird bei aller Liebe sicherlich nicht passieren.Es ist toll,dass Sie das geschafft haben,aber das haben wir von Ihnen auch erwartet.

(Beifall bei der FDP – Demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das kann nicht die Intention Ihrer Initiative gewesen sein.

Meine Damen und Herren, der öffentliche Gesundheitsdienst greift dort ein, wo der Staat gefragt ist – im Bereich der Prävention und der repressiven Tätigkeiten wie der Planung, indem er sich die Frage stellt, wie man den Gesundheitsbereich organisieren könnte oder was passieren würde, wenn Epidemien etc. pp. über ein Land hereinbrechen würden. Das haben die Redner vor mir bereits sehr ausführlich dargestellt. Wenn eine Katastrophe eingetreten ist, dann zeigt sich natürlich, wie gut eine solche Organisation ist. Das ist ganz klar.

Frau Kollegin Oppermann, ich räume ein, es hat Personen gegeben, die gesagt haben, dass das, was Hessen mache, nicht schlecht sei. Es ist aber auch ein Faktum, dies hat die Anhörung gezeigt, dass es relativ viele Personen gegeben hat, die gesagt haben, dass man dies deutlich besser machen könnte. Man könnte auch, wenn man von anderen Bundesländern einfach einmal abschreiben würde – und man muss ehrlich sagen, dass dies nicht immer das Schlechteste ist, denn viele haben aufgrund des Abschreibens in der Schule überhaupt erst ihre Abschlüsse erlangt –,

(Zuruf von der CDU: Oh!)

sehen, dass es in anderen Bundesländern durchaus erprobte Gesetze gibt, die seitens der Öffentlichkeit positiv kritisiert worden sind und gezeigt haben, dass sie funktionieren. Darum geht es in erster Linie.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nun haben wir zwei Anträge vorliegen.Herr Kollege Dr.Spies – bei aller Sympathie für Ihre Person –,