Protokoll der Sitzung vom 15.10.2003

Frau Pauly-Bender, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Frau Präsidentin, ich mache den letzten Satz. – Ich wollte Herrn Kollegen Rentsch noch sagen: Im Grundgesetz, das in Art. 3 ergänzt wurde, steht, dass die Regierungen die Pflicht haben, im Verwaltungshandeln auch für die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau etwas Vernünftiges nach vorne zu bringen, wenn man sieht, dass der Wandel, den man sich wünscht, den man beschwört, von allein nicht in Gang kommt. Meine Damen und Herren, aus diesem Grund möchten wir diese Landesregierung in ihrem Genderprozess kontrollieren.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Lautenschläger das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, ich werde noch des Öfteren hier am Mikrofon wiederholen müssen, was wir schon häufig diskutiert haben. Möglicherweise, wie es Frau Ravensburg gesagt hat, führt das irgendwann dazu, dass Sie es wahrhaben wollen oder verstehen wollen – oder grundsätzlich anderer Meinung bleiben.Dazu kann die Auseinandersetzung durchaus dienen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ei, ei, ei!)

Wir haben im Sozialministerium eine Stabsstelle zum Thema Frauenpolitik. Die Änderung der Geschäftsord

nung der Regierung ist bereits auf den Weg gebracht. Ich nenne Ihnen noch einige wenige Beispiele, wo in unterschiedlichen Gremien oder in unterschiedlichen Bereichen das Thema Chancengleichheit ganz klar eine Rolle spielt. Nehmen Sie den Bereich der Polizei – ein ganz wichtiger Bereich. Dort wird dies, wenn es um die Personalentwicklung geht, inzwischen umgesetzt.

In den Personalentwicklungskonzepten bei uns im Hause ist es enthalten. Was interessiert dort die Frauen besonders, wenn es um die Personalentwicklung geht? Auch das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Auch das Thema Teilnahme an Schulungen und, und, und. Dies hat Eingang in das Personalentwicklungskonzept gefunden.

Wenn wir an das Wissenschaftsministerium gehen: Dort ist seit langen Jahren als einer der Schwerpunkte die Chancengleichheit fest verankert. Umgekehrt können wir schauen, wo Programme neu eingeführt und fest verankert worden sind – zwischen Sozialministerium und Kultusministerium der so genannte Girl’s Day unter dem Gesichtspunkt Chancengleichheit. Dort können sich Mädchen früh orientieren, in andere Berufsfelder hineinschnuppern, Eindrücke gewinnen, und das noch direkt in Wirtschaftsunternehmen, in andere Berufsbilder.

Wir haben in unserem Haus Umstrukturierungen vorgenommen, wenn es darum geht, mit Gender Mainstreaming in der Gesundheitspolitik einen Schwerpunkt zu legen.

Sie schütteln den Kopf, Frau Kollegin. Aber genau das sind wichtige Bereiche, in denen man klar ausmachen kann, wo es das vorher nicht gegeben hat und was wir nach und nach umgesetzt haben, damit das Thema auch in diesen Bereichen in das Blickfeld gerät.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen. Sie haben vorhin wieder kurz das Thema Kürzungen beim beruflichen Wiedereinstieg und bei den Orientierungskursen und die Frage, wen es betrifft, angesprochen.

Erster Punkt.Bei den Orientierungskursen wurden Mittel des Europäischen Sozialfonds eingesetzt, die in den Bereich Frauenförderung gehen. Die bleiben selbstverständlich erhalten und werden in einem anderen Programm wieder so eingesetzt, dass es sich wieder um einen entsprechenden Bereich Frauenförderung nach den Zielbestimmungen des Europäischen Sozialfonds handelt.

Ein zweiter, ganz wichtiger Punkt, wenn es um Chancengleichheit geht. Wenn wir über Gender Mainstreaming sprechen, dann glaube ich, dass das, wenn man es irgendwie übersetzen will, zumindest der Begriff ist, der in die richtige Richtung geht. Dabei halte ich den Begriff Chancengleichheit aber für den ganz entscheidenden: dort Ebenen zu öffnen. – Dann ist man wieder beim Bereich der Offensive für Kinderbetreuung, weil zum Schluss die Kinderbetreuung, wenn ich dort keine Möglichkeiten eröffne, bei den Frauen hängen bleibt und sie Familie und Beruf nicht vereinbaren können. Das ist ein Schwerpunkt der Landesregierung und wird auch ein Schwerpunkt bleiben, ob es Ihnen an dieser Stelle gefällt oder nicht.

(Beifall bei der CDU)

Das Gleiche gilt natürlich auch für den schulischen Bereich. Chancengleichheit bedeutet nämlich erst einmal, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit überhaupt ein Weiterkommen im Beruf möglich ist und nicht von vornherein Einschränkungen unterliegt, weil die gesamten

Rahmenbedingungen – ob im Betreuungsbereich oder im schulischen Bereich oder in vielem mehr – nicht stimmen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, an den wenigen Beispielen wird deutlich, dass hier ein breites Netzwerk geknüpft wird. Ob es Ihren Vorstellungen von Frauenförderung entspricht, mag dahingestellt sein.Aber bei uns ist klar definiert, dass es zum einen in die Frage der Personalentwicklung innerhalb der Landesverwaltung Eingang findet und die Prüfung tatsächlich unter dem Gesichtspunkt Gender Mainstreaming stattfindet.

Zum Zweiten nenne ich die Mentorinnenprogramme, die Frage:Wie leiten wir in bestimmten Bereichen überhaupt einmal den Fokus auf das Thema Frauen, z. B. in der Gesundheitsförderung?

Zum Dritten die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist eine der entscheidenden Fragen, wenn es um Chancengleichheit geht. Es ist nicht so, dass die Mädchen heute schlechter ausgebildet sind. Nein, Sie kennen alle die Statistiken. Sie sind gut ausgebildet. Die kommen mit prima Schulabschlüssen. Und danach fängt das Problem der Chancengleichheit an.

Deswegen werden wir uns diesem Bereich der Vereinbarkeit der Wahlfreiheit zuwenden, um dort stärker zu fördern, und die Frage der Arbeitszeiten, der Familienverträglichkeiten von Arbeitszeiten und interessante Modelle mit Wirtschaftsunternehmen diskutieren, da ich das für einen ganz wichtigen Ansatz von Chancengleichheit halte. Den wollen wir auch in Zukunft weiter umsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben weitere Redezeit. Frau Hölldobler-Heumüller für die Fraktion der GRÜNEN.

Ich melde mich ungern ein zweites Mal. Aber an dieser Stelle geht so viel durcheinander, dass ich mir wirklich die Haare raufe und denke: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel. – Wer versteht dieses Thema überhaupt?

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Ministerin an dieser Stelle über Gleichstellung spricht und nicht über Gender, dann denke ich, es kann doch nicht wahr sein. Wenn Sie das Thema nicht verstehen, haben wir nie eine Chance, dass irgendetwas auf diesem Gebiet passiert.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das verstehe ich nicht! – Gegenruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Er braucht es am meisten!)

Die Rede der CDU-Fraktion ging in die gleiche Richtung. Da ging es die ganze Zeit um das Gleichstellungsgesetz. Da frage ich mich: Liebe Frauen, wann werden Sie es kapieren, worum es an diesem Punkt geht?

Für die CDU ist das Ganze im Grunde ein Programm zur Erhöhung der Geburtenrate und Kinderbetreuung, und was alles dazugehört.Auch bei der SPD habe ich das Gefühl,es dreht sich um reine Frauenpolitik.Da kann ich nur sagen: Unser Verständnis ist, es geht um Frauen- und

Männerpolitik. Das macht an dieser Stelle einen Unterschied.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ach, die SPD hat es auch nicht begriffen!)

Frau Lautenschläger, wenn Sie den Girl’s Day zitieren, sage ich: Dann werben Sie bitte dafür, dass Jungs auch in Frauenberufe gehen. Dann betreiben Sie es wirklich von beiden Seiten.

Die Hutschnur geht mir ernsthaft hoch, wenn Sie an Ihre Streichungsliste gehen und sagen: Das Einzige, was da Frauen betrifft, war doch das mit diesen Wiedereingliederungskursen. – Frau Lautenschläger, dieses Programm trifft Frauen bis ins Mark. Da ist es egal, ob es um pro familia geht,ob es um die Schuldnerberatung geht,ob es um psychisch Kranke geht, ob es um Erziehungsberatung geht – das trifft Frauen bis ins Mark. Es tut mir Leid, wenn Sie es einfach nicht verstehen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich hinstellen und sagen, Sie wollen dieses Thema auch noch in die Wirtschaft tragen, dann kann ich nur sagen:Wachen Sie endlich auf. Die Wirtschaft ist zum Glück mit diesem Thema viel weiter gekommen, als der Hessische Landtag, ich befürchte dies fast, in 100 Jahren kommen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es liegt eine weitere Wortmeldung von Frau Pauly-Bender vor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße, dass wir hier einen Diskussionsprozess haben. Ich habe mich auf ein Stichwort von Frau Hölldobler-Heumüller zur Korrektur meiner Äußerung gemeldet. Frau Hölldobler-Heumüller, selbstverständlich begreifen wir, das Gender Mainstreaming in der Quintessenz dazu auffordert, sich an Frauen und Männer zu wenden. Wir haben z. B. eine mündliche Frage im Geschäftsgang, die sich darauf bezieht, ob Sie, wenn Hessen ein Tagesmütterland werden soll, auch Tagesväter ansprechen. Ich glaube, dass man ganz bestimmt beleuchten muss, an welchen Stellen z. B. ein Boy’s Day einzurichten ist oder andere Dinge.

Frau Ministerin Lautenschläger, ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen: Wir nehmen sehr ernst – wir halten dies nicht für ein Buch,das man entweder lesen kann oder nicht –, dass eine Landesregierung auf das Grundgesetz verpflichtet ist. Ich möchte allen hier im Raum die Ergänzung des Art.3 vortragen.In Art.3 unseres Grundgesetzes steht:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

So gut und so weit. Darüber hinaus ist ergänzt worden:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Meine Damen und Herren, es gibt noch einen anderen Artikel, und zwar einen Artikel, der ganz entscheidend herausstreicht, dass sich diejenigen, die für den Staat han

deln, auf die nachfolgenden Grundrechte zu beziehen haben. Es ist für sie verbindlich, in diesem Sinne zu handeln. In Art. 1 Abs. 3 steht:

Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist es berechtigt, Frau Lautenschläger zu fragen, was sie mit ihrem „Gender-Gender“ erzielt hat. Seit fünf Jahren wird hier von Gender Mainstreaming geredet, von Dingen, an die appelliert werden muss, von Dingen, die man will, die man angeregt hat, von Tagungen, von Kreisen, von Auszeichnungen, von Betrieben usw. Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren, auch für Sie als Zuhörer – es wird Sie wahrscheinlich interessieren –: In dem Förderbericht der Landesregierung, der über die Regierungszeit von vier Jahren berichtet, steht, dass man im öffentlichen Dienst nicht weitergekommen ist, Frauen aus niedrigen Positionen in höhere Positionen zu bringen.Deshalb:Frau Lautenschläger, was bringen den Frauen Ihre personalpolitischen Ansätze? Das wollen wir von Ihnen wissen. Wir werden das überall und immer wieder mit den Mitteln,die wir als Opposition haben, kontrollieren.

Meine Damen und Herren,eines möchte ich hier noch anfügen: Frau Ravensburg, ich interessiere mich sehr dafür. Sie haben eine Sachverständigenkommission unter Herrn Herzog eingerichtet. Welche Beiträge leistet diese Landesregierung, und zwar tatsächliche Beiträge – nicht Beiträge mit dem Mund oder durch Wünsche –, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen gefördert wird, wie das in der Herzog-Kommission eingeklagt wird? Es wird dort als etwas eingeklagt,was unsere Volkswirtschaft in der Zukunft gebietet. Das muss messbar sein. Denn da geht es nicht mehr darum, nur Gerechtigkeit einzufordern, sondern da geht es, wie wir lesen können, um ein gemeinsames staatliches und wirtschaftspolitisches Anliegen, um das Humankapital ausgebildeter Frauen. Bislang sind sie zu großen Teilen in Minijobs, haben eine geringere Beschäftigungsquote, können ihre Bildung nicht in hochqualifizierte Positionen einbringen.Warum?

Sie müssen zum Ende kommen, Frau Pauly-Bender.

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Den Frauen begegnen so viele Schranken, an die diese Hessische Landesregierung nicht herangeht.