So unsinnig wie in diesem Beispiel ist die Argumentation auch in anderen Punkten. Es ist einfach falsch, zu behaupten, die allgemeine Vorschrift reiche aus. Das Ergebnis wird sein, dass die Erstattung der Aufwendung den Einzelnen vorenthalten wird; denn das, was Sie mit der Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtslage bewirken, ist absehbar: Sie muten den einzelnen Gemeindevertretern weiterhin zu, darüber zu streiten, welche Aufwendung für welchen Personenkreis der Wahrnehmung des freien Mandats dienen soll. Im Endergebnis wird nichts dabei herauskommen.
Wir haben in Kassel erlebt, was passiert, wenn die Angelegenheit erst die Stadtverordnetenversammlung,den Regierungspräsidenten und schlussendlich auch das Parlament hier beschäftigen muss, bevor wirklich eine vernünftige Regelung getroffen wird. Wollen Sie wirklich in jedem Einzelfall den Leuten zumuten, diesen Weg zu gehen? Das kann nicht sein.
Im Ergebnis bedeutet das, dass Sie diesem Personenkreis das Notwendige vorenthalten, obwohl Sie im Ausschuss eigentlich behauptet haben, dass Sie das Anliegen durchaus teilen. Es hilft eben nicht weiter, immer wieder zu betonen, man sei sich im Ziel einig. Wir unterscheiden uns offenbar in der Auffassung darüber, ob das Reden ausreicht oder ob dem nicht auch Taten folgen müssen. Wir wollen auch etwas tun. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf vorgelegt, und deswegen müsste ihm eigentlich auch zugestimmt werden.
Wir wollen eben nicht nur darüber reden. Schöne Worte, aber keine Taten – das ist Ihre Botschaft an die behinderten Menschen in diesem Land, und zwar nicht die erste dieser Art.
Ich darf daran erinnern, dass wir in dieser noch relativ kurzen Wahlperiode schon einige Beispiele dafür erlebt haben. Eine Erklärung zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen“ wurde von Ihnen abgelehnt. Eine Ergänzung der Hessischen Gemeindeordnung haben Sie jetzt abgelehnt. In der nächsten Plenarsitzung – dazu gehört keine große Vorhersagekraft – wird die Aufnahme des Landesbehindertenrats in den Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks von Ihnen wahrscheinlich ebenfalls abgelehnt werden. Das heißt, von Ihnen werden
offenbar auch nicht die kleinsten Verbesserungen zugunsten der gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen mitgetragen.
Hinzu kommt: Die Sozialministerin zieht durch das Land – so war es der Presse zu entnehmen; ich hoffe, dass das nicht ganz stimmt – und verkündet, dass bei der „Operation düstere Zukunft“ keine Einsparungen bei den Behinderten vorgesehen seien. Das ist natürlich unzutreffend. Die Zuschüsse für die psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen werden auf null gekürzt. Was glauben Sie, wer sich da beraten lässt? Psychisch gesunde oder nicht behinderte Menschen? Nein, die Behinderten sind davon betroffen.
Familien entlastende Dienste für Familien mit behinderten Kindern – Kürzungen in Höhe von 25 %. Die Zuschüsse an Behindertenorganisationen werden auf null gekürzt. Das trifft z. B. für den Kasseler Schwerhörigenbund zu, der bisher einen Betrag in Höhe von 2.100 c bekommen hat.Das wird gestrichen.Damit muss er jetzt den Staatshaushalt retten.Das ist ein rein ehrenamtlich tätiger Verein, der aus den Zuschüssen lediglich eine Beratungsstelle finanziert hat. Das wird gestrichen.
Wenn auf diese Weise das Ehrenamt beschädigt sowie die soziale Infrastruktur platt gemacht wird und anschließend die Kritik der Betroffenen kommt,dann antwortet die Sozialministerin darauf mit Textbausteinen aus der Staatskanzlei.
Diese Ignoranz gegenüber behinderten Menschen passt ins Bild, wenn jetzt vorgeschlagen wird, eine solche – im Grunde genommen – Kleinigkeit wie die von uns angeregte Änderung der Hessischen Gemeindeordnung durchzusetzen. Behinderte Menschen haben genug Sonntagsreden gehört. An Ihren Taten werden Sie gemessen. Sie sind auch diesmal wieder nicht bereit, etwas zu unternehmen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor fünf Minuten war ich noch der Auffassung, dass der Gesetzentwurf der GRÜNEN zumindest in guter Absicht erfolgt sei. Nach der Rede des Kollegen Dr. Jürgens spüre ich, hier steckt System dahinter.
Sie hätten mindestens einmal einen Fall nennen müssen, in dem einem behinderten Gemeindevertreter von einer
hessischen Kommune irgendetwas nicht gewährt worden ist. Sie sind nicht in der Lage, das zu tun. Selbstverständlich hat auch die Anhörung ergeben, dass so etwas aus gutem Grund im Lande Hessen nicht vorkommt, weil die Rechtslage eindeutig ist. Insofern ist der Gesetzentwurf überflüssig.
Der § 35a der Hessischen Gemeindeverordnung in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz verbietet Benachteiligungen behinderter Menschen und gewährleistet das Mandatsausübungsrecht kommunaler Mandatsträger. Dazu gehört sächliche und im Zweifel auch finanzielle Hilfe.
Sie haben Ihr Gesetz aber auch noch handwerklich falsch – wenn man nicht zu streng sein will, bestenfalls zweitklassig – angelegt.
Sie schließen nämlich die sächliche Unterstützung aus, wenn Sie sich auf die rein finanziellen Unterstützungen in § 27 der Hessischen Gemeindeordnung stützen.Auch das hat selbstverständlich die schriftliche Stellungnahme der Anzuhörenden ergeben.
Wenn Sie darauf verweisen, dass die vier von Ihnen angeschriebenen Behindertenvertretungen sagen: „Das ist prima, dass etwas für uns gemacht wird“ – darüber braucht man sich nicht zu wundern. Aber die eigentlich Zuständigen, diejenigen, die es dann ausführen sollen, nämlich die hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise, sagen übereinstimmend – wenn auch bei den Landkreisen etwas abweichend –, dass die bestehende Rechtslage ausreichend ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, überflüssige Gesetze wird es unter dieser Landesregierung und dieser Mehrheit im Hessischen Landtag nicht geben.Wir wollen die Gesetzesflut eindämmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,genug der Auseinandersetzung. Die Behinderten im Lande Hessen wissen, dass jedermann, auch jeder Behinderte, natürlich völlig frei,
ungehindert und geschützt kommunale Mandate wahrnehmen kann. Wenn es dennoch etwa Feinheiten im Bezug der hessischen Landtagsabgeordneten geben sollte, die noch nicht so ganz da sind, wo sie vielleicht wünschenswert wären, dann würde das in einem hessischen Gleichstellungsgesetz, das noch im Laufe dieser Legislaturperiode in den Hessischen Landtag eingebracht wird, geregelt werden.
Ach, der Herr Reif ist auch da. – Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Einzige, was an der Debatte überflüssig war, war der unqualifizierte Beitrag von Herrn Haselbach in Richtung von Herrn Dr. Jürgens.
Ja, da steckt Systematik dahinter, systematisches Engagement, sich für Behinderte in dieser Gesellschaft einzusetzen. Deswegen ein ausdrückliches Dankeschön an Herrn Dr. Jürgens, stellvertretend für viele andere.
Worum ging es in diesem konkreten Fall? – Es ging um ein Kasseler Problem, um eine Entschädigungssatzung. Man hat versucht, eine Regelung über das Regierungspräsidium herbeizuführen. Herr Dr. Jürgens, der Herr Holler, mit dem Sie in Kassel eng und vertraut zusammenarbeiten, um das noch einmal festzuhalten
ja, das musste gesagt werden, das ist auch richtig und wichtig –, hat in der Diskussion von Kassel gesagt, es fehle an einer gesetzlichen Möglichkeit, das in Kassel so zu regeln. Jetzt gibt es den Gesetzentwurf der GRÜNEN, dann stellt sich die gleiche CDU hin und sagt: Für uns ist eine gesetzliche Regelung nicht nötig und wünschenswert. – Meine Damen und Herren, das nennen wir an dieser Stelle doppelzüngig.
Zur Sache selber: Die Anhörung hat eindeutig ergeben, dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist. Warum? – Hier geht es um ein Symbol, dass Behinderte den Eindruck haben, sie müssten ständig um Dinge kämpfen und sich rechtfertigen, die für andere selbstverständlich sind. Das ist der entscheidende Punkt in der politischen Auseinandersetzung.
Warum haben Sie von der CDU nicht einfach einmal die Größe, bestimmte Sachen, die sinnvoll sind, in die Praxis umzusetzen? – Sie machen Ideologie pur. Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Die inhaltliche Begründung hat Herr Dr. Jürgens gegeben. Es ist ein wichtiges Symbol, ein wichtiger Meilenstein, Behinderten zu sagen: Ihr seid gleichwertig und müsst nicht ständig um Rechte kämpfen, nach dem Motto „es ist etwas Besonderes, und ihr müsst es immer besonders einfordern“. – Nein, Behinderte sind ein wichtiger, ein normaler Bestandteil in dieser Gesellschaft.Das müssen wir dann auch als Gesetzgeber deutlich machen. Deswegen wäre es das richtige Symbol, den Gesetzentwurf so zu verabschieden. Wir von der SPD tun das.
Überlegen Sie das einmal, nehmen Sie einmal Ihren Kopf zu Rate, Herr Reif, und stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu. – Vielen Dank.