Protokoll der Sitzung vom 16.10.2003

Ich rufe die nächste Aktuelle Stunde auf. Dies ist Tagesordnungspunkt 48:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde „Operation düstere Zukunft: die Prioritäten des Wilhelm Dietzel: ministeriumskontrollierte Internetseite statt unabhängigem Verbraucherschutz“ – Drucks. 16/729 –

Mir liegt dazu die Wortmeldung der Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller vor.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Von dieser Stelle aus konnten Sie am Dienstag die Unfähigkeitserklärung des Ministers für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz hören. Dabei ging es um Teil 1,die Erklärung zum ländlichen Raum.Ich werde Ihnen heute Teil 2 erläutern. Dies betrifft das Konzept des Verbraucherschutzes. Dort zeigt sich die gleiche Unfähigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem neuen Konzept ist der Schutz dahin. Die Fachberatung wird entscheidend geschwächt werden. Denn es werden ca. zehn Fachkräfte entlassen werden. Sie sollen durch ehrenamtliche Mitarbeiter ersetzt werden. Die persönliche Beratung soll stark eingeschränkt und durch ein Internetfenster ersetzt werden. Haben Sie schon einmal mit einer Handwerkerrechnung, mit dem Wunsch der Beratung zur Alterssicherung oder zur Baufinanzierung vor einem Internetfenster gesessen? So etwas können Sie mit Hasen machen, aber Sie brauchen da ein Gegenüber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein großer Teil der Bevölkerung ist von diesem Informationsangebot ausgeschlossen, weil sie keinen Internetanschluss besitzt. Das ist die Zerschlagung des Verbraucherschutzes in Hessen. Kettensägen-Wilhelm hat wieder zugeschlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit Monaten war bekannt,dass der Verbraucherberatung der Garaus gemacht werden soll. Ihr wird eine zu ideologisch ausgerichtete Ernährungsberatung vorgeworfen.

Der Begriff „Ökologie“ kam der Hessischen Landesregierung in den Mitteilungen der Verbraucherzentrale zu oft vor.Daraufhin wurde das neue Verbraucherschutzprogramm vorgestellt, das ideologiefrei sein sollte, weil – lassen Sie sich das bitte auf der Zunge zergehen – alle Informationen durch einen Filter des Ministeriums gingen. Seit wann macht denn ein einziges von der CDU-geführtes Ministerium ideologiefreie Politik?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Silke Tesch (SPD))

Aber da hatten wir den so genannten Eckpfeiler Ihres Programms noch nicht gesichtet. Dies ist das Internetportal. Wir haben das nachgeholt. Dieses Internetportal ist, strukturell gesehen, ein wild zusammengewürfeltes Sammelsurium unterschiedlichster Informationsseiten und unterschiedlichster Informationen. Es verweist auf unterschiedlichste Organisationen. Jeder, der in der Lage ist, eine Suchmaschine, wie z. B. Google, zu bedienen, findet das Gleiche.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Wegen der Bürgernähe sind die Seiten dann teilweise auch noch auf Englisch. Dazu gratulieren wir.

(Lachen der Abg. Elisabeth Apel (CDU) – Elisabeth Apel (CDU): Frau Kollegin, was ist mit Ihrer Weltoffenheit?)

Ich möchte Ihnen jetzt kleine Kostproben nicht vorenthalten. Ich zitiere aus dem Bereich „Ernährung“ zum Thema: „Ernährung und Krankheit“:

Die Ätiologie des Prostatakarzinoms ist noch weitgehend unbekannt, doch wird geschätzt, dass sich 10 % der Neuerkrankungen durch eine adäquate Ernährung verhindern ließen...

Eine neuere Übersichtsarbeit... kommt zu dem Schluss, dass ein hoher Verzehr fettreicher Milchprodukte ein Risikofaktor sein könnte, die widersprüchliche Datenlage aber keine endgültige Aussage erlaube.

Was will man dem Verbraucher damit bitte sagen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Silke Tesch (SPD) – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Was hätte denn ein Berater anderes gesagt?)

Sie finden dort z. B. eine Tabelle über Studien, bei denen es um „krebsfördernde, krebsprotektive oder keine Effekte von Milch“ hinsichtlich verschiedener Krebsarten geht. Der Tabelle können Sie dann entnehmen, dass es acht Untersuchungen gibt, die bestätigen, dass Milch schädlich sein könnte. Neun Untersuchungen besagen demnach, man wisse es nicht genau. Drei haben die Aussage, Milch habe in diesem Zusammenhang keinen Effekt.Was soll denn der Verbraucher mit solchen Aussagen anfangen?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Das ist wie im richtigen Leben! – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Was würden Ihre zehn Berater denn sagen?)

Das wird aber noch besser. Es geht noch weiter. Ich komme zum Bereich „Ernährung“.

Es steht schlecht mit der Liebe in Europa. Eine jüngste Statistik verrät: Rund 8 Millionen Männer... haben Probleme mit der Potenz.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Viagra! – Frank Gotthardt (CDU): Gender Mainstreaming!)

Nun gibt es endlich Hilfe aus der Natur. Die einzigartige Kombination von Bienenpollen und Gelee royale aus dem Bienenstock... bringt neue Liebenskraft und Fruchtbarkeit.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die umfassende, konsequente, wissenschaftlich fundierte und objektive Information, die man aus dem Verbraucherfenster der Hessischen Landesregierung erhalten kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Als Kontrastprogramm empfehle ich Ihnen die Seiten der Verbraucherberatung. Dort sind die Informationen kurz, knapp und klar gehalten. Dort erhält man Empfehlungen, Hinweise und schlicht und ergreifend Entscheidungshilfen. Denn angesichts der Informationsflut der heutigen Zeit brauchen Verbraucher Orientierung. Sie brauchen keine zusätzliche Verwirrung.

(Elisabeth Apel (CDU): Die Verbraucher können selbst entscheiden!)

Ich komme zum Thema Ideologiefreiheit. Dazu haben ich Ihnen noch etwas mitgebracht. Machen Sie das Verbraucherfenster auf. Das ist die Homeseite. Klicken Sie unter „Neue Beiträge“ auf „Hessen erreicht Spitzenposition“, und es öffnet sich das Bild der Landtagsabgeordneten Elisabeth Apel.

(Lebhafte Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie finden den Hinweis: „Lesen Sie mehr dazu.“ Wissen Sie, wo Sie dann landen? – Ich sage es Ihnen: Sie landen auf der Fraktionsseite der hessischen CDU.

(Zurufe von der SPD)

Das nennt sich steuerfinanzierter ideologiefreier Verbraucherschutz der CDU. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Das Ganze wurde mit 200.000 c aus Steuermitteln finanziert,die die gesamte Arbeit der Verbraucherzentralen gerettet hätten. Herr Dietzel, Sie haben sich noch am Dienstag gerühmt, wie schön es sei, alle diese Bereiche unter dem Dach Ihres Ministeriums zu haben. Ich kann nur sagen: Jede Wellblechhütte bietet besseren Schutz für Verbraucher in Hessen als das Dach Ihres Ministeriums.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Pfaff von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Regierungsprogramm der Landesregierung heißt es: „Wir verfolgen einen umfassenden Ansatz im Verbraucherschutz.“ Diesem Politikfeld wird dort sogar ein eigenes Kapitel eingeräumt. Der zuständige Minister, Herr Dietzel, erklärt in einer Pressemeldung: „Die Information der Verbraucher ist uns ein wichtiges Anliegen.“ Er bündelt daraufhin die Aufgaben in seinem Ministerium und nimmt sogar den Begriff in den Namen des Ministeriums auf.Als Krönung wird im Regierungsprogramm ein groß angelegtes Verbraucherschutzprogramm angekündigt.Als Oppositionspolitikerin habe ich das durchaus mit Respekt verfolgt und daraus gefolgert: Siehe da, die Landesregierung hat ein neues wichtiges Politikfeld entdeckt und übernimmt sogar die Konzepte der rot-grünen Bundesregierung. Mit großer Spannung wurde dann dieses Verbraucherschutzprogramm erwartet. Nach einem solch bemerkenswerten Auftakt haben natürlich viele den großen Entwurf erwartet.

(Günter Rudolph (SPD): Ich habe nichts erwartet!)

Welch eine Enttäuschung, meine Damen und Herren.Aus dem großen Entwurf ist eine reine Luftnummer geworden. Das Regierungsprogramm dazu ist reine Makulatur. Hinter dem Verbraucherschutzprogramm verbirgt sich die größte Kürzung, die der Verbraucherschutz in der Geschichte Hessens je erlebt hat, und ein Internet-Portal, das Informationen verschiedener Organisationen bündelt und präsentiert. Meine Kollegin von den GRÜNEN hat dies bereits ausgeführt.

Auch ich bin der Auffassung, dass jeder gewitzte InternetUser auch ohne dieses Portal an die entsprechenden Infos gelangt. Dies als ein groß angelegtes Verbraucherschutzprogramm zu verkaufen, halte ich, gelinde gesagt, für eine Unverfrorenheit.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, was ohnehin den Kern der Politik dieser Landesregierung ausmacht. Hinter dem Programm steckt allerdings noch viel mehr, was ich als politischen Skandal bezeichnen möchte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Portal wird zwar von einer unabhängigen Arbeitsgruppe der Universität Gießen betreut,jedoch müssen die Wissenschaftler vor einer Einstellung auf die Homepage alle Informationen zur Kontrolle und zur Zensur dem Ministerium vorlegen, weil der Minister öffentlich bekundet hat, ideologiefreie Informationen haben zu wollen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört! – Elisabeth Apel (CDU): Das ist schlicht falsch!)