Protokoll der Sitzung vom 23.04.2003

Verehrter Herr Kollege Al-Wazir, um das Mitgestalten erreichen zu können, werden wir niemals in der Oppositionsrolle ankommen, wie Sie sie verstehen und wie Sie sie in den letzten vier Jahren praktiziert haben.

(Zuruf von der CDU: Das ist auch gut so!)

Sie haben Fundamentalopposition betrieben und alle guten Ansätze des Regierungshandelns negiert. Teilweise haben Sie auch die Grundregeln des menschlichen Anstandes nicht beachtet. Dies hat die rot-grüne Fundamentalopposition in der abgelaufenen Legislaturperiode in diesem Hause nicht nur einmal gemacht. Dies wird es bei der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag nicht geben.

(Beifall bei der FDP)

Wir kuscheln nicht mit den Regierenden. Wir treten aber auch nicht mit den Fundamentaloppositionisten. Wir Liberale wählen den dritten Weg. Er liegt zwischen den Positionen der regierenden CDU-Fraktion dieses Hauses und der Landesregierung auf der einen Seite und der offensichtlich gewollten Fundamentalopposition von Rot und Grün auf der anderen Seite. Der Redebeitrag des Herrn Al-Wazir und auch der meiste Teil der Rede des Herrn Kollegen Walter haben darauf hingewiesen.Wir Liberale in Hessen werden den Weg suchen, den Kurt Schumacher 1949 für die Bundespolitik vorgegeben hat. Wir werden konstruktive Vorschläge einbringen. Wir werden die konstruktiven Vorschläge der Regierung erkennen. Wir werden Gesetzesvorlagen, die eine liberale Handschrift tragen,verbessern,damit unser Hessenland auch in den nächsten Jahren nach vorne gebracht werden wird. Das wird aber nur mit einer liberal-bürgerlichen Politik gehen, wie es sie in den letzten vier Jahren gegeben hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Ministerpräsident, wir Liberale vertrauen nicht darauf,dass die Mehrheitsfraktion der CDU und Sie liberale Politik gestalten werden. Das können Konservative auch nicht,

(Beifall der Abg. Nicola Beer und Dieter Posch (FDP) – Widerspruch des Abg. Dr. Christean Wagner (CDU))

auch wenn es bei den Konservativen sicherlich den einen oder anderen Liberalen gibt. Ich sage dabei jetzt aber nicht „lieber Herr Dr. Christean Wagner“.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Manchmal stelle ich sogar fest, dass es nicht nur bei der Union den einen oder anderen Menschen mit liberalen Gedanken gibt. Vielmehr gibt es solche auch bei den Sozialdemokraten und auch bei den GRÜNEN. Nur, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten: Die meisten Liberalen innerhalb einer Partei gibt es nun einmal in der FDP. Denn wir sind die liberale Partei.

(Beifall bei der FDP)

Die Stärke Hessens in den letzten vier Jahren war es gerade,eine liberal-bürgerliche Politik gehabt zu haben.Der Staat musste sich zurücknehmen. Es gab keine Landesbürgschaft für die Philipp Holzmann AG. Die Börse konnte in Frankfurt gehalten werden. Es wurden nur Änderungen des Polizeigesetzes verabschiedet, denen der Datenschutzbeauftragte zugestimmt hatte. Dies sind nur einige Beispiele dafür, was es bedeutet, ein von Liberalen mitregiertes Land zu sein.

Wir machen nun aus der Not, nicht mehr in der Landesregierung vertreten zu sein – das war unsere eigene Entscheidung –,eine Tugend,die heißt:Alle Vorhaben,die die Regierung Roland Koch im Parlament einbringt und die den Kriterien einer liberal-bürgerlichen Politik entsprechen, werden von der FDP-Fraktion mitgetragen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zu allen Vorhaben, bei denen wir noch die Hoffnung haben, die liberal-bürgerlichen Inhalte durchsetzen zu können, werden entsprechende Änderungsanträge der FDPFraktion dieses Hauses eingebracht werden. Wir werden gegen alle Maßnahmen stimmen, die von Anfang an so konservativ sind, dass wir erkennen müssen, dass wir ihnen hilflos und machtlos vis-à-vis stehen. Denn wir sind und bleiben Liberale.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden also keine Fundamentalopposition à la RotGrün machen. Es wird auch kein Kuscheln zwischen der Oppositionsfraktion FDP und der Regierung geben.

(Günter Rudolph (SPD): Na, na!)

Vielmehr wird eine Rückbesinnung auf die Aufgabe der Oppositionsarbeit erfolgen, wie sie Kurt Schumacher 1949 im Deutschen Bundestag beschrieben hat. Wir werden hier nicht mit Schaum vor dem Mund stehen und irgendwelche Vorschläge der Regierung per se ablehnen. Vielmehr werden wir immer wieder die Messlatte anlegen, die für uns, die Liberalen, wichtig ist. Sie heißt: Mehr Freiheit für jeden einzelnen Bürger unseres Hessenlandes.

Ist eine Maßnahme unter dieser Prämisse für einen Liberalen akzeptabel und hätten wir einer Maßnahme z. B. in einem Koalitionsgespräch zugestimmt, so werden wir ihr selbstverständlich auch im Parlament zustimmen. Hätten wir ihr aber in einem Koalitionsgespräch nicht zugestimmt, werden wir es im Parlament auch nicht tun. So einfach wird künftig die Arbeitsweise der FDP-Fraktion in diesem Hause sein.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben heute die Regierungserklärung von Roland Koch gehört. Ich muss sagen:Vor vier Jahren war, als Roland Koch seine Regierungserklärung abgegeben hat, war mehr Aufbruchstimmung als am heutigen Tage.

(Beifall bei der FDP)

Wir konnten die Regierungserklärung lesen. Wir haben uns mit ihr beschäftigen können. Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen. Eines fand ich schon sehr interessant. Bereits in der Zeit nach Ende des Landtagswahlkampfs und der Konstituierung dieses Hauses hat es innerhalb der mit einer absoluten Mehrheit versehenen CDU sozusagen interne Koalitionsverhandlungen gegeben.

Das CDU-Wahlprogramm wurde nicht 1 : 1 umgesetzt, lieber Kollege Klein. Ich werde nachher noch darauf zurückkommen, dass sogar Teile des FDP-Programms abgeschrieben worden sind.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Aber wie!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union, warum haben Sie Koalitionsverhandlungen mit sich selbst geführt? Sie haben es deshalb getan, weil Ihr Landesvorsitzender und wieder gewählter Ministerpräsident in den Wochen nach der Wahl erklärt hat, er werde auch ohne die FDP am Kabinettstisch eine liberal-bürgerliche Politik in diesem Lande fortführen. Deshalb haben Sie jetzt semantische Übungen gemacht. Ob Ihnen das in der praktischen Politik gelingt, da halte ich es einmal mit Kaiser Franz und sage: Schauen wir einmal, ob Ihnen das gelingt.

(Beifall bei der FDP)

Wir Liberale sind selbstbewusst genug. Ich habe darauf hingewiesen, wir haben die höchste Steigerung der vier in diesem Hause vertretenen Parteien am 2. Februar erzielen können.Wir sind selbstbewusst genug. Nur wir, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union – da spreche ich Franz Josef Jung und seine Mannen und Frauen direkt an –, können die Frage beantworten, ob denn das,was Sie veranstalten,tatsächlich die Fortführung der liberal-bürgerlichen Politik à la Roland Koch und Ruth Wagner ist

(Beifall bei der FDP – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

oder ob es eine Stoiberisierung der hessischen CDU ist. Wir haben die entsprechenden rationalen Instrumente in der Hand, um in der Öffentlichkeit deutlich zu machen: Das ist liberal-bürgerliche Politik, was die Wähler am 2. Februar mit über 57 % der Stimmen in Hessen dotiert haben, oder das ist eine Politik ab nach Stoiberland, ab nach Bayern, was die Hessen bekanntlich nicht wollen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen: Das von Ihnen vorgestellte Regierungsprogramm hätten wir so nicht unterschrieben. Da hätten wir ein bisschen länger, ich glaube sogar, ein bisschen lange länger verhandeln müssen und uns z. B. über die Frage weniger Staat, weniger Hessenverwaltung, Deregulierung,

(Ministerpräsident Roland Koch: Kommt noch!)

Bürokratieabbau,Vereinfachung der Verfahren, Reduzierung der Kabinettsposten, Finanzsituation des Landes Hessen, Einrichtung der vorschulischen Erziehung in Form einer Kinderschule, Förderung von mehr Demokratie auf Landes- und auf Kommunalebene, Einführung eines Bildungsgutscheinsystems anstelle von Studienstraf

gebühren unterhalten müssen. Das sind nur einige Beispiele. Wir müssen uns fünf Jahre mit dem Regierungsprogramm auseinander setzen. Ich will nicht alle die Dinge jetzt schon aufzählen, die kontrovers zwischen Union und FDP in den Koalitionsverhandlungen besprochen worden wären.

Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle festhalten:Lieber Ministerpräsident Roland Koch,es ist kein Programm,das zu 90 % liberal-bürgerlich ist. Es ist ein Programm, das eine absolute CDU-Regierung gemacht hat. Sie hat auch ein gutes Recht dazu, konservative Politik zu machen. Aber bitte nicht das Etikett draufpacken, es sei liberalbürgerlich. Wenn etwas liberal-bürgerlich ist, dann werden wir es an dieser Stelle feststellen, dann werden wir es auch mitmachen.

(Beifall bei der FDP)

Dreh- und Angelpunkt – das haben alle Vorredner schon gesagt – einer erfolgreichen Arbeit für die Bürger in unserem Lande ist selbstverständlich eine solide Finanzpolitik. Wir Liberalen stehen dazu, dass wir im vergangenen Jahr gemeinsam in der damals regierenden Koalition von FDP und CDU eine erhebliche Ausweitung der Nettoneuverschuldung vorgenommen haben. Ob das gemeinsame Handeln rechtens war, darüber wird der Hessische Staatsgerichtshof entscheiden, niemand anderes.Von dieser Stelle haben aber Roland von Hunnius als der haushaltspolitische Sprecher und auch ich im vergangenen Jahr im Rahmen der Debatte um den Haushalt 2003 immer wieder deutlich gemacht, dass wir mit diesem Griff in das Portemonnaie unserer Enkelkinder eine einmalige schlechte Vorgehensweise mitgemacht haben. Wir haben im vergangenen Jahr noch darauf vertraut, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den GRÜNEN, dass die Bundesregierung ihre grottenschlechte Finanz- und Wirtschaftspolitik endlich ändert, dass es mit der Wirtschaft in unserem Lande wieder aufwärts geht und dass es damit auch wieder vernünftige Steuereinnahmen gibt.

(Beifall bei der FDP)

Leider haben wir Liberalen uns getäuscht. Sie machen weiterhin diese grottenschlechte Politik. Es ist keinerlei Silberstreif am Himmel zu erkennen.

Jetzt ist offensichtlich die FDP die einzige Partei auf Bundesebene, die Kanzler Gerhard Schröder ihre Unterstützung bei der Verabschiedung der neuen Sozialgesetze und einer marktwirtschaftlichen Reform angeboten hat. Die hessische SPD ist offensichtlich nicht bereit, dieses Minimalpapier „Agenda 2010“ zu unterstützen. Liebe Kollegin Ypsilanti, ich kann ja verstehen, dass persönliche Profilbildung als neue Landesvorsitzende wichtig ist.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Sie reden aus Erfahrung?)

Vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis, was der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Gabriel, Ihr Parteifreund, gerade am vergangenen Mittwoch gesagt hat. Er wurde zitiert mit den Worten, diese vier Reförmchen reichten nicht aus,um Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen. Die SPD müsse sich wieder zu dem Begriff „wirtschaftliches Wachstum“ bekennen.– Gabriel hat vollkommen Recht.

(Beifall bei der FDP)

Wir alle, die wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik machen wollen und die wir auch eine vernünftige Sozialpoli

tik machen wollen, müssen uns wieder zum Begriff „wirtschaftliches Wachstum“ bekennen. Die hessische FDP, die gesamten Freien Demokraten in Deutschland bekennen sich dazu. Wir halten es – das muss in der Diskussion gesagt werden;denn es hat schon etwas mit dem Ergebnis zu tun, das die Sozialdemokraten in diesem Land am 2. Februar eingefahren haben – für unverantwortlich, was die Hessen-SPD unter Ihrer Verantwortung in den letzten drei Wochen veranstaltet hat.Ypsilanti in Hessen und Rüdiger Veit in Berlin, ein Dream-Team der sozialistischen Rolle rückwärts aus Hessen-Süd. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann man Deutschland nun wahrlich nicht gestalten.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Genauso deutlich sage ich an dieser Stelle, dass die FDP den Bundesratsbeschluss mit den weit reichenden Steuererhöhungen in Milliardenhöhe scharf kritisiert. Mit dieser Entscheidung vom vorvergangenen Freitag wird die deutsche Wirtschaft um insgesamt 8 Milliarden € belastet.Als einzige Partei hat sich die FDP mit allen ihren Bundestagsabgeordneten sowie allen Landesregierungen, in denen die Freien Demokraten beteiligt sind, gegen diese verheerende Maßnahme ausgesprochen. Die FDP ist damit die einzige Partei, die klar auf dem Steuersenkungskurs geblieben ist.Davon haben sich die Unionisten leider verabschiedet.

(Beifall bei der FDP)

Werter Herr Ministerpräsident Koch, gäbe es noch eine bürgerlich-liberale Koalition von FDP und CDU in Hessen, hätte das Land Hessen nicht mit Ja im Bundesrat für mehr Steuern für Unternehmen und gegen den Mittelstand in Deutschland stimmen dürfen.Wir Liberalen hätten dies verhindert.