Protokoll der Sitzung vom 23.04.2003

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn Sie dieses Kabinett um einen weiteren Minister in dieser katastrophalen finanzpolitischen Lage ausweiten, dann können Sie von den Menschen draußen wirklich nicht glaubhaft verlangen, die müssten alle auf einmal mehr für das gleiche Geld arbeiten. Das ist etwas, was Ihnen die Menschen in diesem Lande nicht abnehmen werden.

Herr Ministerpräsident, die Wahrheit ist, was Ihre Finanzpolitik angeht – das wissen Sie genauso gut wie ich –, dass Ihr gesamtes Programm ausschließlich vom Prinzip Hoffnung lebt, nämlich Hoffnung auf Wachstum und schnell steigende Steuereinnahmen. Die Wahrheit ist doch, dass Ihnen der Mut und die Kraft zu grundsätzlichen Entscheidungen fehlen,

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

zu den unpopulären Entscheidungen, die Sie am Ende Ihrer Visionen selbst angemahnt haben.

Herr Ministerpräsident, unter uns gesagt, unter vier Augen – es hört hier sonst keiner zu –:

(Heiterkeit)

An diesem Abend des 2. Februar, der für Sie sicherlich ein schönerer Abend, zugestanden, als für uns Sozialdemokraten war, habe ich, als feststand, dass Sie die Wahl gewinnen, Ihnen das 56. Mandat gegönnt, weil ich dachte: Mit der absoluten Mehrheit gibt es keine koalitionären Ausflüchte mehr. Mit der absoluten Mehrheit kann man nicht mehr sagen, man würde gerne, aber die anderen wollten es nicht, während die anderen sagen, sie würden gerne, das könnten sie aber bei den einen nicht durchsetzen.

Wenn ich mir aber Ihr Regierungsprogramm ansehe und auch die Rede heute anhöre, kann ich sagen: Fehlanzeige, das gesamte Programm wirkt, als hätte die CDU einen Koalitionsvertrag mit der CDU geschlossen. Wir sind in dem ganzen Programm im Wesentlichen bei Gefälligkeiten. Was Sie selbst einfordern, nämlich die unpopulären Entscheidungen, die nicht jedem gefallen, die fehlen zur Gänze in diesem Programm. Das sei Ihnen zugestanden, mit dem Slogan „Weiter so“ ist die CDU, allerdings an anderer Stelle, einmal sehr lang sehr gut gefahren.

(Clemens Reif (CDU): Wir hätten auch das 57. Mandat gerne genommen!)

Aber, lieber Kollege, eines steht fest, und daran helfen Ihnen die Worthülsen nicht vorbei: Wenn Sie in diesem Lande nicht aufhören mit der hemmungslosen Schuldenmacherei, dann ist hier bald Schicht im Schacht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Jetzt haben Sie vier Jahre lang zugehört und immer noch nichts gelernt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht „Verantwortung für morgen“, sondern „Titel ohne Mittel“ wäre die richtige Überschrift über dieses Programm. Noch einmal: Es fehlt an dieser Stelle offensichtlich die Akzeptanz von Tatsachen. Sie haben allein im letzten Jahr 2 Milliarden € zusätzliche Schulden aufgenommen.Sie haben das erste Mal in der Geschichte des Landes Hessen in der Vorlage einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt. Aber dann schwadronieren Sie über Verantwortung für zukünftige Generationen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es mag angehen, dass man ein Programm mit visionärer Lyrik beginnt.

Aber man kann es dann nicht mit realitätsferner Prosa fortsetzen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Worthülsen oder wohlfeile Titel hin oder her, die Finanzpolitik ist und bleibt die Achillesferse Ihrer Landesregierung.Wenn man sich hierzu das Regierungsprogramm anschaut, wird der absolute Realitätsverlust dieser Landesregierung deutlich. Sie schreiben wortwörtlich, Sie hätten Hessen in den letzten vier Jahren finanzpolitisch an die Spitze der Bundesländer gebracht,

(Lachen bei der SPD)

und Sie kündigen an, Ihre bisherige Finanzpolitik, die Sie solide nennen, fortsetzen zu wollen.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist eine Drohung!)

Herr Finanzminister, Herr Ministerpräsident, was war denn da los? Haben Sie in dem Moment, als Sie das aufgeschrieben haben, wieder Visionen gehabt, die Augen fest geschlossen, sich an den Händen gefasst und sich versichert, dass die Erde eine Scheibe ist?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU): Ei, ei, ei!)

Alles, was recht ist, allein mit den 2 Milliarden € Schulden im letzten Jahr haben Sie einen traurigen neuen Rekord, einen historischen Rekord bei der Nettoneuverschuldung zu verantworten.

(Zurufe von der CDU)

Wenn ich mir Ihr Regierungsprogramm anschaue, in dem von Spitze und von Fortsetzung dieser soliden Finanzpolitik die Rede ist, dann muss ich feststellen, dass Sie noch nicht einmal bereit sind, diese katastrophale Entwicklung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Sie wollen weitermachen wie bisher. Sie wollen die Schulden unseres Landes auch weiterhin explosionsartig steigen lassen und damit auch die Zinsbelastung, die dann wieder die zukünftigen Generationen tragen und bezahlen müssen,für die Sie angeblich Verantwortung übernehmen.

(Clemens Reif (CDU): Diese Rede sollten Sie einmal am 1. Juni auf dem SPD-Parteitag halten!)

Das sagen nicht nur wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Der Herr Ministerpräsident hat den Steuerzahlerbund angesprochen. Er hat das sozusagen antizipiert, weil ihm klar war, dass dies eines der Zitate ist, die sich für einen Oppositionspolitiker anbieten. In der Tat, in einer Pressemeldung aus der „FAZ“ vom 07.04.2003 spricht der Hessische Steuerzahlerbund, er vermisst in den vagen Absichtserklärungen des Ministerpräsidenten die Einsicht, dass ein schnelles und konsequentes Umsteuern dringend notwendig ist,wenn man nicht sämtliche Handlungsspielräume der Landespolitik verspielen will.

(Günter Rudolph (SPD):Wie wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die Sozialdemokraten hier im Hause sehen, dass die Handlungsspielräume der Landespolitik bei einer Fortsetzung der Politik dieser Landesregierung mittelfristig, wenn nicht kurzfristig schlicht am Ende sein werden. An dieser Tatsache führt keine Rede vorbei und auch kein Regierungsprogramm, das meint, es könnte sich sozusagen mit Titeln und schönen Beschreibungen um die Realitäten in diesem Land drücken.

Der Ministerpräsident hat es von der Opposition, wie ich denke, zu Recht eingefordert, als er sagte, man muss zu den Finanzen auch etwas sagen.Man kann nicht nur in der Abstraktheit bleiben, dass Schulden schlecht sind und man gucken soll, dass es weniger werden. – Da gebe ich Ihnen völlig Recht.

Deshalb rückt, wenn wir über Finanzpolitik reden, sicher der größte Ausgabenposten des Haushalts, nämlich die Personalausgaben, ins Blickfeld. Bezeichnenderweise am morgigen Tag, also einen Tag nach dieser Debatte im Landtag, wird der Hessische Rechnungshof seine Bemerkungen zum Haushaltsjahr 2002 der Öffentlichkeit vorstellen. Ich glaube, ich muss kein Prophet sein, um Ihnen, meine Damen und Herren, zu sagen, dass der Rechnungshof morgen – wieder – einen historisch höchsten Schuldenstand des Landes Hessen feststellen wird.Er wird wieder auf die dramatische Entwicklung in den Personalausgaben hinweisen.

Herr Ministerpräsident,an dieser Stelle waren Sie,was Ihren eigenen Erkenntnisstand angeht, selbst schon einmal weiter. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, zitiere ich einmal aus einer Ihrer Landtagsreden, die Sie im Jahre 1997 zur Vorstellung des Suchan-Papiers gehalten haben, auf das ich hier noch eingehen werde. Da heißt es:

... eine finanzielle Konsolidierung Ihres Landeshaushalts – das geht nur über die Personalkostenquote...

Wenn man eine Personalkostenquote von 46 % hat, dann kann man das nicht. Dann muss man... kurzfristiger die Personalkostenquote senken...

So der Abg. Roland Koch zu der Vorstellung des SuchanPapiers hier im Hessischen Landtag am 05.06.1997.

Herr Ministerpräsident, seitdem hat sich die Lage deutlich verschlechtert. Sie wissen das. Wir haben heute eine Personalkostenquote, die von 46 % auf 48,2 % gestiegen ist. Es ist für uns schlicht nicht nachvollziehbar, wenn Sie jetzt die Ankündigung in den Raum stellen, Sie wollten Jahr für Jahr die Personalkosten um 60 Millionen € senken. Wollen Sie den Zuwachs begrenzen? Wollen Sie die Personalkosten, in absoluten Zahlen gerechnet, senken? Vor allen Dingen:Wie wollen Sie das machen? Wir finden in Ihrem ganzen Programm nicht einen einzigen konkreten Satz, wie dies funktionieren soll.

(Beifall bei der SPD)

Sie kündigen nur an, dass Sie die Personalkosten de facto erhöhen. Sie wollen 500 zusätzliche Lehrerstellen schaffen.Das ist gut.Aber auch hier deuten Sie nicht einmal an, wie Sie diese Stellen finanzieren wollen, in welchen Bereichen Sie einsparen wollen. „Wir schaffen 500 zusätzliche Lehrerstellen“, das ist ein sehr populärer Satz. Dafür etwas einzusparen ist unpopulär. Deshalb sagen Sie diesen Satz nicht. Es fehlt Ihnen ganz offensichtlich die Kraft für unpopuläre Aussagen. Es ist sehr ungewöhnlich, wenn die Opposition den Part übernimmt, unpopuläre Vorschläge zu machen, weil die Regierung nicht die Kraft findet, jenseits der Gefälligkeiten und Versprechen selbst einmal eine Antwort auf die Frage zu geben, wie sie die Konsolidierung des Landeshaushalts bewerkstelligen will, die sie immerhin zu verantworten hat.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Wahrheit ist, dass die eigentliche Sprengkraft bei den Personalausgaben in den dramatisch steigenden Versor

gungslasten liegt. Die Fakten hierzu liegen schon lange auf dem Tisch. Ich habe vorhin das Suchan-Papier angesprochen. Für diejenigen, die neu im Parlament sind: Herr Suchan war damals Chef der Staatskanzlei. Im Jahre 1997 hat die nach ihm benannte Arbeitsgruppe die Steigerung der Versorgungsausgaben des Landes für das Jahr 2001 auf 2,9 Milliarden DM geschätzt. Wenn man sich die Ergebnisse des Landesrechnungshofs anschaut, dann sieht man: Die Versorgungsausgaben des Landes lagen im Jahre 2001 exakt bei diesen 2,9 Milliarden DM. Da soll noch einmal jemand sagen, Sozialdemokraten könnten nicht rechnen.

Wir hatten, was die Prognose angeht, ein sehr zutreffendes Ergebnis für das Jahr 2001. Deshalb gehen wir davon aus, dass das, was uns die Suchan-Arbeitsgruppe für das Jahr 2008 prognostiziert hat, jedenfalls nicht völlig unzutreffend sein wird. Deshalb nenne ich die Zahl, die die Suchan-Arbeitsgruppe in ihrem Papier voraussagt. Danach steigen die Versorgungsleistungen auf einen Betrag von 4,5 Milliarden DM. Das ist allein in dieser Legislaturperiode eine Steigerung um 1,6 Milliarden DM,also 800 Millionen €. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass wir im Hessischen Landtag damit aufhören, die Dramatik dieser Entwicklung nicht ernst zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir in der Summe steigende Schulden mit wachsenden Zinsbelastungen, steigende Personalausgaben und explodierende Versorgungslasten haben, dann ist das Ergebnis klar: Die Handlungsfähigkeit dieses Landes wird eher kurz- als mittelfristig beendet sein.Hier erwarten wir – das ist das Recht der Opposition –, dass die Landesregierung ihrer Verantwortung für die künftigen Generationen gerecht wird und dass die Landesregierung Antworten anbietet, die über den Tag hinausgehen. Das ist auch der Anspruch, den die Bürgerinnen und Bürger an eine Landesregierung stellen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung über Ägypten und Vietnam geredet.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Und über die Mongolei!)

Und Angola. – Ein Punkt, der für unser Land und den Landeshaushalt wesentlich wichtiger wäre, wäre die Angabe der absoluten Zahl der Versorgungsempfänger. Ich biete Ihnen hier keine Oppositionsrhetorik dar, sondern ich spreche über die zentralen Probleme dieses Landes. Die Zahl der Versorgungsempfänger in Hessen wird sich von 47.000 im Jahre 2000 auf 82.000 im Jahre 2020 fast verdoppeln.

Rücklagen für die Versorgung dieser Beamten und den Beamten gleichgestellten Personen werden bislang nur in Höhe von 0,2 % der jährlichen Tarifsteigerungen gebildet. Ich habe mir das einmal angeschaut. Wir haben momentan in Hessen einen Fonds in Höhe von insgesamt 103 Millionen €. Das sind nicht einmal 4 % der Versorgungslasten eines Jahres.Wenn Sie nun in Ihrem Programm ankündigen, mit dem Aufbau einer zusätzlichen Rücklage für Beamtenpensionen beginnen zu wollen, dann ist dies nur ein scheinbar guter Ansatz. Natürlich müssen auch diese zusätzlichen Rücklagen finanziert werden. In einer Zeit, in der wir sowieso schon enorm hohe Schulden aufnehmen, finanzieren Sie auch die Rücklage für die Pensionen der Beamten durch die Aufnahme von Schulden.

Für die künftigen Generationen macht es keinen wirklichen Unterschied, ob sie die Versorgungslasten für die Beamten, für die nichts zurückgelegt worden ist, oder ob sie Schulden bezahlen. Letztlich geschieht Ihr Wirtschaften zulasten der künftigen Generationen. Weiße Salbe nützt da nichts mehr.Wir brauchen einen wirklichen Kurswechsel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)